Gottesdienste

Landesbischof Dr. Christoph Meyns und Dompredigerin Cornelia Götz
Landesbischof Dr. Christoph Meyns und Dompredigerin Cornelia Götz

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Der Braunschweiger Dom ist Alltags- und Festtagskirche zugleich; darum gibt es neben den Hauptgottesdiensten am Sonntag um 10.00 Uhr und regelmäßigen Familiengottesdiensten im Anschluss, von Montag bis Freitag um 17.00 Uhr 5-Minuten-Andachten und am Sonnabend um 12.00 Uhr ein Mittagsgebet mit 20 Minuten Orgelmusik. Das Abendmahl feiern wir in der Regel am ersten Sonntag im Monat und an jedem Freitag im Anschluss an die 5-Minuten-Andacht.

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Das Vaterunser
Gebete
Dompredigerin Cornelia Götz

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Landesbischof Dr. Christoph Meyns

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Predigten

  6. Sonntag nach Trinitatis

6. Sonntag nach Trinitatis

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.07.2025

Wir haben zu Hause eine Redewendung für die Momente, wenn wir uns das Kinoprogramm zu Gemüte geführt haben: „Ich möchte zarte bulgarische Ehedramen“ - kein Mord- und Totschlag, keinen Thriller - einfach nur ein zartes bulgarisches Ehedrama.
So geht es mir manchmal beim Predigtschreiben: Ich möchte etwas Helles und Heiteres sagen, von großem Frieden erzählen, die Wüste zum Blühen bringen, Zuversicht und Fröhlichkeit verströmen -
aber im Programm gibt es das einfach nicht.
Im Gegenteil: über diesem Sonntag steht ja eigentlich das Thema Taufe und damit ein lichter Horizont von Gottes „Ja“ zu uns und all dem Guten, was auf seinen Wegen möglich werden kann -
aber dann sind da die schrecklichen Bilder aus Gaza und unsere Hilflosigkeit, unser Schweigen,
dann ist da die - jedenfalls mich verstörende - isolierte Haltung unserer Regierung zu diesem Konflikt,
der ganze überhaupt nicht neue Korruptionsmist in der Ukraine,
die viele Gülle und deutsche Ignoranz gegenüber Verabredungen und Verträgen bei Landwirtschaft und Klimaschutz, ganz zu schweigen vom Asylrecht - man möchte eigentlich wie Elia einfach wegrennen, sich irgendwo in menschenleerer Gegend unter einen Baum legen und den Dienst quittieren.
Aber wir sind hier und geben uns Mühe.
Hören auf Gottes Wort und heute auf den ersten Petrusbrief - da hat sich ja offenbar ein Mensch wie wir, einer der getauft war und der guten Nachricht, dem Evangelium von Jesus Christus, etwas zutraute - Mühe gegeben, seinen Nächsten und durch die Zeit auch uns, etwas Hilfreiches zu sagen.
Erinnern Sie sich an die Bilder des Textes?
Da war zunächst von Muttermilch die Rede und dem Kindchen, das sie sucht und braucht, um zu gedeihen, einen guten Start ins Leben zu haben, ein gesundes Immunsystem gegen so vielerlei Gefährung aufbauen zu können. Das könnte eine Predigt über dieses Wunder werden: dass Mütter genau die Milch haben, die jeweils das Beste für dieses eine unverwechselbare Kind ist. Sie ist nicht nur frei von jedweder Verunreinigung und gerade so nahrhaft oder durstlöschend wie im Moment nötig, sie ist auch immer da, auf die unmittelbarste und innigste Weise verfügbar, hilft einen Schutz und Stabilität aufzubauen, damit man irgendwann sicher auf den eigenen Beinen steht.
Was für ein schönes - verblüffend mütterliches - Bild für die Taufe und Gottes große Zuwendung zu jedem von uns!
Ja!
Aber dann drängt sich Gaza dazwischen.
Und ich ahne, die Brüste der Mütter dort fließen nicht über, weil das Kindchen grade satt ist und ruhig schläft. Ich ahne, die Muttermilch dort ist nicht dick und sahnig, weil die Stillende gesundes gutes Essen hat, sondern dünn wie Molke.
Ich ahne, das Stillen ist nicht ein Moment großer Nähe zwischen Mutter und Kind, sondern eine Riesensorge, weil die Milch vor Angst und Stress wegbleibt oder sich staut und die Brüste entzündet.
Es könnte gut sein. Es ist alles gut eingerichtet.
Aber wir Menschen …
Und dann war da noch das Bild eines Bauwerkes.
Die Bauleute brauchen einen Eckstein - der muss von bester Qualität sein, ein Referenzprodukt sozusagen, denn das ganze Bauwerk richtet sich nach ihm aus. Er trägt und hält zusammen, lotet und ordnet. Ein wichtiger und wertvoller, darum schön behauener Stein. Aber auf dieser Baustelle ist ein Eckstein verbaut, den die Bauleute für ungeeignet gehalten haben. Was war mit dem? War er schief, uneben, aus schlechtem Material, zu bröcklig? Oder zu groß, unbehaubar, nicht in Form zu kriegen? Warum wird der dann trotzdem ein Eckstein - verantwortlich für das Ganze?
Damit man sich ordentlich ärgern kann?
Damit menschliches Scheitern dokumentiert wird?
Denn vom Ärger und Anstoß war ja auch was drin im Brief des Petrus.
Und dann sind da noch die lebendigen Steine - ein Widerspruch in sich. Alles was Leben ausmacht: Reizbarkeit, Stoffwechsel, Bewegung, Wachstum, Fortpflanzung, Evolution - kann ein Stein nicht. Ein Stein ist ein kompaktes Objekt, verfestigtes Sediment, Ausdruck von Stabilität und Dauer.
Hier soll offenbar etwas gebaut werden, was gar nicht geht oder was es so noch nicht gibt.
Was will Petrus uns schreiben?
Dass wir völlig andere Lebensstrukturen, Wohneinheiten, Verbindungselemente und Referenzpunkte brauchen als unter uns üblich? Das wir Gefahr laufen, in den Gebäuden, in denen wir uns verbauen lassen, einfügen und unsere Last tragen, zu toten Steinen zu werden - ohne jede Regung, was immer passiert?

Zeit, noch einmal in den Text zu gucken und dabei ein Experiment zu wagen:
Nächste Woche werde ich mit den Konfirmanden auf Segeltour gehen. Auf der Suche nach einem Unterrichtskonzept bin ich auf ein Projekt der Mitteldeutschen Kirche gestoßen: Denken wir uns die Bibel wie einen Fluss von Erfahrungen mit Gott. Lernen wir wieder lesen, was das mit uns zu tun hat und üben wir uns darin, zu sehen, dass sich fünf Themen wie große Ströme durch die ganze Bibel hindurchziehen:
Menschenwürde - Berufung - Neuanfang - Partei ergreifen - Gerechtigkeit.
Funktioniert das auch mit unserem Text?
Hören wir nochmal hin:
„So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und … kommt zu ihm als zu dem lebendigen Stein...“
Neuanfang: Lasst hinter euch was ist und kommt - wachst dem Guten entgegen.
Berufung: Gott erwählt und ruft, die ihm kostbar sind.
„Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause.“
Menschenwürde: wir sind ihm ähnlich, lebendiger Stein wie er selbst und durch seinen Sohn, den Eckstein, miteinander verbunden.
„Darum steht in der Schrift: Siehe, .. wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“
Die Bibel, der Fluss - er verbindet uns mit denen, die vor uns waren, geglaubt und von ihren Glaubensgeschichten erzählt haben und mit denen, die sich heute irgendwo anders über diesen Text beugen und mit denen, die unsere Nächsten sind, die Not leiden und hoffen, dass wir hören und verstehen.
„Für die aber, die nicht glauben, ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben; ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses.“
Es ist nicht der einfache Weg. Es geht nicht um Glück, sondern um Gerechtigkeit, Parteilichkeit, Humanität - der Stein des Anstoßes sagt: „es ist dir gesagt Mensch, was gut ist.“ Und wir wissen ärgerlicherweise: Gerechtigkeit kann es nicht allen recht machen, darum ergreift Gott in Jesus Christus Partei für die Ohnmächtigen, die Friedfertigen, die Armen, die Gefangenen, die Witwen und Waisen.
„Ihr aber seid ein heiliges Volk.“
Berufung: Gott ruft uns. Jetzt.
Wir können und dürfen ein Volk sein - kein national aufgepumptes, sondern ein heiliges. Als solches haben wir Verantwortung in unserer Welt, damit aus der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden, Wirklichkeit wird.

Da liegt er - der Strom. Das Wasser fließt - es ist lebendig wie die lebendigen Steine. Wir können in diesen Fluss hineinsteigen wie unsere Eltern, Großeltern, Paten - uns verbinden, erinnern, ermutigen lassen - und dann Partei ergreifen, die Stimme erheben, uns einmischen.
Es ist einfach nicht die Zeit für zarte bulgarische Ehedramen. Ich hab eh noch keins gesehen.

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  4. Sonntag nach Trinitatis

4. Sonntag nach Trinitatis

Cornelia Götz, Dompredigerin - 13.07.2025

„Einer trage des anderen Last…“ - so heißt es über diesem Sonntag und dieser Woche. Anspruchsvoll klingt das. Aber ich bin überzeugt, dass die allermeisten dazu im Grunde bereit sind.
Allerdings: Weiß man denn, woran ein Mensch schleppt?
Es sind ja nicht immer schwere Kisten, mit denen man behilflich sein kann.
Manches sieht man trotzdem: da geht einer krummer und krummer, kratzt sich eine die Haut oder zerbeißt die Nägel, wird einer dicker oder dünner, hat dunkle Ringe unter den Augen.
Dann kann man eine Bürde ahnen.
Schwerer machen es uns die Profis unter den Lastenträgern. Die, die stets aufgeräumt und tatkräftig unterwegs sind, gute Laune verbreiten und derartig viele Lasten anderer wegschleppen, dass man vergisst, ihre Belastbarkeit im Auge zu behalten.
Ein Mensch sieht eben bestenfalls, was vor Augen ist - wenn die denn heil sind.
Und hin du wieder hören wir auch - manchmal ganze Geschichten, dann wieder nur ein Satz.
Als junge Dorfpfarrerin habe ich mich einmal zu einem Geburtstagsbesuch aufgemacht. Ich war verwundert, weil ich von dem Hof, zu dem ich wollte, gar nicht wusste, dass dort noch jemand lebt. So klopfte ich an einer niedrigen Tür und stand einer schlohweißen kerzengeraden uralten Frau gegenüber. Sie hatte kornblumenblaue Augen. Ich war verblüfft, weil ich sie noch nie im Dorf gesehen hatte. Ob sie denn immer drinbliebe? Und sie sagte nach oben blickend: „Was soll ich unter diesem Himmel.“
Nur ein Satz. Und 60 Jahre Heimweh…
Kann man solche Last abnehmen, leichter machen?
Andere sind womöglich noch schwerer und noch gründlicher versteckt.
Und wenn sie einem dann unvermutet übergeben werden, so dass man glaubt, mit diesem Gewicht durch den Boden zu brechen, denken wir fassungslos: „Das alles schleppst Du mit…?“
Da hinein - irgendwie aus dem Zusammenhang aber auch in jeden Augenblick und jede Begegnung passend - hören wir:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“
Zack, zack, zack.
Manche Menschen machen gleich zu, wenn sie mit solch einem Schwung Imperative angeredet werden. Eigentlich möchte man sie dann schütteln: Hör doch mal zu!
Aber hab ich selbst zugehört?
Wer weiß, warum sie das nicht ertragen. Vielleicht sind sie ja ihr ganzes Leben lang rumkommandiert, hin- und hergeschubst worden.
Kann man denn die Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit dieser Aufforderungen ein bisschen bremsen - damit es barmherziger klingt? So vielleicht:
Seid doch barmherzig, richtet und verdammt nicht.
So ist es schon fast eine Bitte. So könnte man herauszuhören: das soll gar keine Überforderung sein. Es ist vielmehr eine unserer Möglichkeiten. Wir können das.
Barmherzig sein.
In dem alten Wort steckt das „barmen“ und „bärmeln“ - das klagen, jammern, armselig dran sein. Und auch das Herz. Denn Erbarmen braucht ein weites Herz und offene Augen, manchmal auch Geduld und starke Nerven.
Aber Erbarmen kommt ziemlich gut ohne unser Urteil aus - obwohl wir damit meistens schnell zur Hand sind. Genauer: Erbarmen braucht unser Urteil überhaupt nicht - richtet nicht, verdammt nicht.
Das steht uns nicht zu.
Wir würden uns wahrscheinlich irren, wir sehen ja nur, was vor Augen ist.
Und wir sehen nur aus unserem Blickwinkel, aus unserem Kopf heraus. Wir gehen in unseren Schuhen, stecken nicht in der anderen Haut, ahnen nichts von dem, was jemand aushalten und schaffen kann oder auch nicht. Was sie schon durchgemacht hat.
Dieser Imperative sind deshalb - so ahne ich - vor allem eine Sehhilfe. Für jede und jeden. Ich brauche Barmherzigkeit ja auch und bin dankbar, wenn ich nicht rechtfertigen und erklären muss, warum ich hier eine dünne Haut und dort eine kurze Leitung habe, für das eine Verständnis und ein großes Herz habe und anderes nicht hören will.
Wie? Ich seh mich ja selbst nur stückweise.
Muss man das gemeinsame und gegenseitige Durchtragen also ganz anders aufziehen? Nicht, indem man die Lasten der anderen nimmt - das wäre wohl auch totale Selbstüberschätzung, sondern:
„Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“
Gebt. Von mir zu dir. Von dir zu mir. Von Mensch zu Mensch. Wir sind alle unvollkommen, endlich und verbunden, angewiesen aufeinander. Symbol dafür ist der Querbalken des Kreuzes. Das ist unsere Dimension und etwas ganz anderes als: ich über dich oder du über mich, wie das wäre, wenn wir urteilen und richten. Denn das wäre der Horizontalbalken. Und der steht allein Gott zu.
Gebt doch. Es ist möglich.
Und barmherzig, denn Geben ist nicht nur seliger als Nehmen, es ist auch einfacher: wer nimmt, muss zeigen, was er braucht, ein Bedürfnis, eine Sehnsucht, eine Leere offenbaren. Das kann schwer sein, braucht Vertrauen, das nicht jede hat.
Wer gibt, entäußert sich, sieht von sich selbst ab, bleibt sicher vor den urteilenden manchmal gar verdammenden Blicken anderer und erntet Dankbarkeit, Freude, Zufriedenheit - einen ganzen Berg, denn das Maß ist nicht glattgestrichen und exakt gemessen, sondern großzügig zugeteilt, mit Berg.
Ist das so.
Klar denke ich und lese:
„Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?“
Was zu beweisen war.
Wie komme ich dazu, all das aufzuschreiben, aussprechen, mir anmaßen zu wollen?
Mein Kopf und Verstand bocken ein bisschen. Auch Blinde finden Wege… in Gruben müssen sie nur fallen, wenn eine ungesichert ist und plötzlich auftaucht, wenn jemand … - da ist es schon, das schnelle Urteil, das in der Grube Böswilligkeit vermutet.
Aber es geht hier nicht um blöde Unfälle. Es geht dem Lukas um Barmherzigkeit und immer wieder um das Sehen. So ist es in der Weihnachtsgeschichte und zu Ostern. So schreibt er es in der Apostelgeschichte, in der um die ersten Christen geht und ihre Versuche Gemeinde zu sein, eine der anderen Last zu tragen. Da heißt es: „Ich will sie retten und ihnen die Augen öffnen.“
Wie geht das?
Und da folgt das berühmte Gleichnis vom Splitter und den Balken.
Das haben wir gelernt zu lesen und zu hören, oder?
Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.
Wer schlechte Augen, soll sich kein Urteil anmaßen.
Wer nur stumpfe Umrisse sieht, soll nicht…
Das haben wir uns zu Herzen genommen und uns zu kleinen hässlichen Heuchlerinnen mit fetten Balken im Auge gemacht.
Aber ist das gemeint? Wo bleibt die Barmherzigkeit bei solch hartem Urteil?
Ich schaue das Bild an und denke:
Es ist eigentlich egal, ob ich einen Splitter oder Balken im Auge habe.
Das tränt und schmerzt in jedem Fall. Da braucht es keinen Erzieher. Da brauche ich einen Arzt. Da werde ich so lange jammern und bärmeln, bis sich einer erbarmt und mein Auge heilt und mein Herz wird sich zusammenziehen, wenn ich eines anderen verletztes Auge sehe.
Ich werde seine Last sehen und mit ihm barmherzig sein können.
So einfach ist.

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  Sommersegen

Sommersegen

Cornelia Götz, Dompredigerin - 29.06.2025

Ich habe zu Weihnachten eine wunderbare Flasche bekommen - sie geht im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin leicht auf und wiegt fast nichts. Und außerdem sie sie schön aus. Sie ist meine.
Und ich vermute, die große Mehrzahl hier unter uns hat jeweils auch ihre eigene zerschrammte, bunte oder einfarbige Flasche. Früher waren das Wanderflaschen für die Berge - jetzt sind es Lifestyleprodukt und ein Gegenwartsphänomen.
Fast alle haben immer eine Flasche dabei.
Kann eine Gesellschaft soviel Durst haben????
Haben wir ständig trockene Kehlen oder wonach haben wir so offensichtlich unstillbaren Durst?
Was fehlt uns?
Wir leben doch trotz aller Krisen im Überfluss.
Leiden wir Hunger und Durst?
Ich weiß, dass das nach Luxusdebatte klingen kann - angesichts der unzähligen Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und wirklich Hunger haben - aber wir hören heute einen Text, der uns dringlich einlädt und zerrt und wirbt, uns konfrontiert und zurückbindet und dabei eben die großen Metaphern von Wasser und Brot in den Vordergrund stellt.
Sie haben es vorhin aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört:
„Auf, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“
Klingt nach alles gehört allen und jedem nach seinen Bedürfnissen.
Das hatten wir ja irgendwie schon und es ist schrecklich schief gegangen. Unter Stalin, Mao und Kim il Sung wurde erst recht gehungert.
Es wäre schön, wenn es funktionieren würde. Aber offenbar geht das mit normalen Menschen nicht.
Also lieber dichtmachen und vorbeirauschen lassen? Sich lieber nicht verführen lassen?
Oder doch noch einmal der großen Hoffnung nachgehen?
Ich zögere, diesen Bildern, dieser Vision noch etwas zuzutrauen und werde doch hineingezogen - es muss mit dem großen Durst alles in allem zu tun haben.
„Kommt, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“
Da soll Hunger und Durst gestillt werden, für alle und ohne Bedingungen. Wunderbar! Aber muss zu mit Bildern des Marktes gesprochen werden? Wird einfach nur genutzt, dass wir verlässlich aufmerksam werden, wenn von Geld die Rede ist und es irgendwas umsonst gibt?
„Kommt! Kommt!“ Immer wieder ruft Gott.
Hat er das nötig? Bei diesem Angebot? Offenbar schon - denn es ist ja nicht sein erster Ruf an uns Menschen: Gott ruft den Abraham im Traum und durch Johannes in der Wüste. Er fragt von Anfang an - wo bist du denn, Mensch? Kommt! Kommt doch - ich seh doch in eure Herzen, ich weiß von Eurem Hunger nach Leben und dem Durst nach Liebe und der Sehnsucht nach Fülle. Ich weiß, dass ihr vor der Leere Angst habt und unruhig werdet, wenn nicht genug zu essen da ist, kein Wasser auf dem Weg.
Kommt und dann trinkt, bis der Durst weg ist.
Kauft! Aber ohne Geld. Ich will dieses brutale Tauschsystem gar nicht. Ich will nicht, dass ihr euch mit Leib und Seele verkaufen müsst, um zu überleben. Ich will nicht, dass ihr eure von mir geschenkte Lebenszeit gegen Geld eintauscht, schon gar nicht, um das Lebensnotwendige zu bekommen, ihr müsst mich nicht bezahlen. Erinnert euch an Josef und seine Brüder: die fanden das Silber, mit dem sie bezahlen wollten, wieder in ihren Getreidesäcken.
Denn es ist nicht das Geld, das die Welt zusammenhält und auch nicht Geld, dass eurem Leben Stabilität und Grund gibt, sondern ich bin es.
Hört doch!
Kommt doch!
Wie verzweifelt sehnsüchtig das klingt!
Kommt doch: bei mir ist alles da und alles gut. Es kostet dich nichts.
Und wer hören kann, nimmt wahr: es geht nicht nur um Mich und Honig, eben das was sich auch in der wilden Natur finden lässt. Es gibt auch Wein – Ausdruck von Kultur.
Wenn wir Wein und Milch bekommen ohne in den unbarmherzigen und ungerechten Kreislauf des Geldes geraten zu müssen, dann erzählt diese Vision etwas von Gerechtigkeit und Menschenwürde - und erst recht uns, weil hier überall für Trinkwasser und Notdurft gezahlt werden muss. Und diese Vision erzählt von Frieden und der Möglichkeit, Früchte der Arbeit und des Lebens zu ernten, Kultur teilen und erleben zu können. Es gibt Milch und Wein.
Es geht in dieser Verheißung eben nicht um Enteignung und allgemeine Gratisversorgung geht, sondern um eine grundsätzlichere Art des Sattwerdens. (Wieder Herta Müller eingedenk: „Nur darf man über den Hunger nicht reden, wenn man Hunger hat.“)
Kommt, ihr Mühseligen und Beladenen, ihr Hungrigen und Durstigen - kommt, ich will euch erquicken.
Aber das scheint uns nicht zu erreichen.
Denn was machen wir?
Offenbar geben wir Geld für etwas aus, - Jesaja - „was kein Brot ist, und unseren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht…“.
Wir wollen was zu kaufen haben! Wir besitzen gern für das schöne Dinge und wollen aus Appetit essen, mit Genuß trinken.
Egal, wie viel wir in uns hineinstopfen und hineingießen:
Der Durst lässt sich nicht durch immer mehr Trinken löschen,
der Hunger nicht durch Wachstum stillen,
die Leere nicht durch Social media füllen.
Es geht um etwas anderes.
Wo soll uns das herkommen in dieser glaubensarmen Zeit?
Und immer noch klingt es:
„Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“
Es scheint ganz einfach zu sein.
Ist das jetzt der Moment für das große Aber? Der Moment für die Ergebnisse kirchlicher Mitgliedschaftsstudien und die Vorschlähe kirchlicher Reformpapiere - oder fällt auch das alles unter teures Zeug, das wir in uns hineinstopfen ohne zu Hören?
Kommt doch!
Hört, so werdet ihr leben!
Ich habe letzte Woche ein schönes Wort gelernt: „Zukunftsmut.“ und heißt das nicht: Lasst uns an die Salbung in Bethanien denken, an kostbare wohltuende Zuwendung - auch für den Leib. Lasst uns Vertrauen wagen! Lasst uns unter Gottes Segen stellen - darum sind wir doch heute da.

Zuletzt:
Allermeist gieße ich das Wasser aus meiner Trinkflasche abends in die Blumen. Der Durst kam nicht vom Wasserhaushalt. Trotzdem nehme ich die Flasche am nächsten Tag wieder mit. Sollte ich auch, es wird heiß. Vor allem aber, damit sie mich erinnert: an Fülle und Dankbarkeit, lebendiges Wasser und Zukunftsmut.

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  Konfirmation

Konfirmation

Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.05.2025

Zu diesem Sonntag gehört also eine Gefängnisgeschichte.
Ja, mögen Sie denken, im Kirchenjahr haben wir ja auch Kantate und nicht Konfirmation. Da hätte ich auch was anderes nehmen können. Stimmt. Aber ich glaube, Gottes Worte finden uns eher als wir sie. Das Knaupeln an ihnen hilft zu hören, was wir uns nicht selber sagen können.
Heute geht es also um zwei Männer, Paulus und Silas, die sich zum Glauben an Jesus Christus in aller Öffentlichkeit bekannt haben, so wie Ihr das gleich tun werdet. Sie kriegen - milde formuliert - Probleme, sie werden gefoltert und ins Gefängnis gesperrt.
Das ist eine extrem harte Reaktion der Mächtigen. Sie lässt darauf schließen, dass die Angst haben. Angst vor einem Glauben an Gott, der von Menschenwürde und Gerechtigkeit spricht, der Partei ergreift für die Armen, die Sprachlosen, die Ausgegrenzten, der Anfänge ermöglicht und zur Veränderung ruft, der uns ruft und zur Freiheit befreit.
All das mögen die Mächtigen nicht.
Sie können nicht gebrauchen, dass die Menschen, die sie beherrschen wollen von wirklicher Freiheit träumen, dass sie sich angesehen, wert und würdig wissen, dass sie in einer Welt leben wollen, die anders ist als das, was sie jetzt erleben: menschlicher, gerechter, barmherziger.
Mächtige macht das nervös.
Sie versuchen deshalb die aus dem Verkehr zu ziehen, zu behindern und einzuschüchtern, die sich zu dem ohnmächtigen menschlichen Gott am Kreuz bekennen.
Eine alte und immer wieder aktuelle Geschichte.
Paulus und Silas trifft das auch.
Sie kommen in den innersten Teil des Gefängnisses - also in den Hochsicherheitstrakt - mit Fußfesseln und Dauerbewachung.
Damit sind wir – zu denen Gott mit dieser heute spricht - in einer ähnlichen Situation wie gestern Abend beim Rüstgottesdienst. Da hatte ich euch gesagt, dass das Abendmahl, das Brotwort zuerst Menschen galt, die hungern - und zwar nicht zuerst nach Gerechtigkeit und Liebe, sondern vor allem nach Nahrung. Wir dürfen vom Brot des Lebens auch zehren - aber eben nicht ohne den nackten Hunger der Welt zu vergessen.
So ist es mit der Gefängnissituation auch: wir dürfen und sollen das, was sie eröffnet auch in unser Leben mitnehmen - aber nicht ohne die Gefangenen in den Folterkellern unserer Zeit zu vergessen.
Und damit erlaube ich uns die Übertragung:
Auch wir sind ja manchmal gefangen und gefesselt von Vorurteilen, Angst oder Einsamkeit, von Krankheit. Wir kennen das, wenn uns Erwartungen erdrücken oder uns unser eingeschränktes Sichtfeld behindert.
Ihr liebe Komfirmandin, liebe Konfirmanden habt während der Corona-Pandemie erfahren was es bedeutet, sich nicht frei bewegen zu können, nicht treffen zu können, wen man treffen will, einsam zu sein oder sich auf engem Raum bedrängt zu fühlen - und: nicht singen zu dürfen!
Das konnten sogar Paulus und Silas!
Und wie sie singen!
Und was sie singen!
Es sind keine Klagelieder, kein großes Kyrie, es sind Loblieder!
Man stelle sich das vor: Da sitzen die beiden mitten in der Nacht im Gefängnis und singen: Großer Gott, wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke, ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe! Meine Zeit steht in deinen Händen.
Wohl dem, der ein paar Lieder kennt!
Die zwei singen und zwar um Mitternacht. Das ist kein Zufall.
Die Nacht ist schon immer die intensivste Zeit der Gottesbegegnung:
Gott zeigt Abraham den Sternenhimmel als Bild seiner Verheißung.
Dem Jakob erscheint Gott mit einer Himmelsleiter im Traum.
Den Eli ruft er in der Nacht bis der begreift, wer ihn ruft.
Die Jünger sitzen am Abend in Gethsemane beieinander als es dunkel wird.
Zu Osten gehen die Frauen noch in der Nacht los zum Grab.
Und Jona, der im nachtähnlichen dunklen Fischbauch sitzt, singt die ganze Zeit.
Auch Paulus und Silas singen. Atmen muss man ja sowieso. Aber damit man nicht vor lauter Angst hyperventiliert, damit einem nicht das Schluchzen den Hals verstopft, damit man nicht wort- und tonlos verkümmert oder vor Wut platzt, ist Singen ideal.
Es macht frei. Den Kopf, den Hals, das Herz.
Und andere hören es und wissen:
Ich bin nicht allein.
In unserer Geschichte stimmen die, die Paulus und Silas singen hören, nicht mit ein.
Vielleicht kennen sie die Lieder nicht.
Vielleicht kennen sie den Gott, von dem die beiden singen, nicht.
Vielleicht sitzen sie dem Irrtum auf, selbst nicht singen zu können.
Aber sie sind Ohr. Erreichbar.
Der Gesang füllt den Raum. Er wird groß und stark.
Und da wackelt die Erde, vielleicht sogar vom Singen, vom Gotteslob? Das ganze Gefängnis wackelt, die Türen springen aus den Angeln und die Fesseln gehen auf.
Herrlich!
Freiheitslieder haben eine große Tradition!
Und auch das Erdbeben ist ein symbolträchtiges Phänomen. Am Ostermorgen hatte es eins gegeben. Es war nötig, denn den riesigen schweren Stein hätten die beiden Frauen nicht wegrollen können. Sie wären in ihrer Trauer gefangen geblieben. Sie hätten nicht sehen und verstehen können, was längst passiert ist: das Grab ist leer. Tod und Gewalt, die Willkür der Mächtigen - all das hat ein Ende. Jesus lebt. Das Leben siegt und die Hoffnung auch.
Mariann Edge Budde, die Bischöfin aus Washington - manche von Euch haben sie auf dem Kirchentag erlebt - hat an dieses Erdbeben erinnert und es ein „Lifequake“ genannt.
Ein Lebensbeben.
Es passiert in einer scheinbar aussichtslosen Situation.
Menschen werden frei. Türen sind offen. Fesseln lose.
Nur der, der den Gesang nicht gehört hat, den das Lebensbeben erst noch erreichen muss, der versteht nicht, was passiert: er sieht, dass das Herrschaftssystem, dem er gedient hat, zusammengebrochen ist. Er sieht, dass die, die er eingesperrt und gequält hat, frei sind.
Und will sich vor lauter Angst vor dem, was nun mit ihm passiert, das Leben nehmen.
Aber Paulus hält ihn auf.
„Keine Angst!“ Ruft er. "Wir sind noch da“!
Sie sind nicht abgehauen obwohl man das verstehen könnte. Diese zwei wissen:
Die Freiheit der einen muss nicht auf Kosten der anderen gehen. In keine Richtung.
Freiheit heißt nicht, dass ich mich verpisse und nach mir die Sintflut - jetzt ist erstmal mein eigenes Leben und Wohlsein dran.
Das bedeutet nicht, hinter Mauern und Stacheldraht bleiben und leben zu müssen - das wäre zynisch. Es bedeutet, dass Mauern, Stacheldraht und riesige Steine, die Leben versperren, nichts in einer Welt zu suchen haben, in der die Menschlichkeit wohnt.
Der Kerkermeister versteht das zum Glück doch noch.
Er fällt den beiden zu Füßen, nimmt sie mit, macht gut, was er gut machen kann und dann lässt er sich und die Seinen taufen. Auch sein Leben wird gut, als das Unrecht vorbei ist. Auch sein Leben wird heil, als er ihre Wunden pflegt und sie in sein Haus einlädt. Diese Menschen werden einander zum Segen.
Wenn das mal kein guter Konfirmationstext ist:
Bekenntnis und Glaubensmut, Gottvertrauen voll Gesang, das Lebensbeben, das in die Freiheit führt und allen gilt, die Freude und das große Fest – weil einer – oder acht „Ja“ sagen.
Ja, das ist eine Gefängnisgeschichte. Sie erzählt davon, wie Gott zur Freiheit befreit und mit dem Kerkermeister einen neuen Anfang macht, ihn beim Namen ruft, wie Gott auf der Seite der Gefangenen und Entrechteten ist – und vor allem dass er da ist und hört Immer. Amen.

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  Quasimodogeniti

Quasimodogeniti

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.04.2025

Eine Woche ist Ostern gerade her. Eben noch saßen zwei Engel im Grab und riefen Maria beim Namen, da hat sie verstanden! Ein wenig später durfte Thomas - der immer ein bisschen mehr Vergewisserung und Sicherheit braucht - Jesu Wunden berühren, um das Unglaubliche glauben zu können
Wir aber sind längst zurück im Alltag und haben den blechstrotzenden „Autofrühling“ vor der Tür, Putin und Trump am Ruder und immer noch sind die tot, die wir geliebt haben.
Wir müssen uns mit Erinnerungen und Texten wie dem ersten Petrusbrief vorhin begnügen, um an der großen Hoffnung festzuhalten, die ein für alle mal tragen, leuchten und trösten soll.
Aber wie geht das?
Kann man tatsächlich von der Hoffnung derer vor uns zehren?
Hilft uns der Blick zurück überhaupt - ist es nicht vielmehr so, dass wir dann einmal mehr sehen, dass wir nichts lernen und immer nur rückwärts verstehen, niemals vorwärts?
Und ist Erinnerung nicht ohnehin viel zu subjektiv?
Wie geht Erinnern und Ermutigen, wenn man kommende Generationen mit hineinnehmen will in das, was man selbst als umstürzend oder grundlegend erlebt hat, das was mich warnt, wach macht, ordnet, gründet?
Wie erzähle ich, die ich es erlebt habe und dabei war, wie die Maria und Thomas ins Jerusalem, von dem Land, in dem ich geboren wurde, das es nun nicht mehr gibt - der DDR? Wie von Diktatur und Gleichschaltung, von Staatssicherheit und Militarisierung, geschlossenen Grenzen und Zensur - so dass es den Blick nachhaltig für das schärft, was jetzt geschieht?
Wie erzähle ich von einer Kirche in der Minderheit und ohne großes Geld, die überaus relevant für mich war, die Räume anbot, in denen offen geredet werden konnte, in der es Menschen gab, denen man sich anvertrauen konnte, die Worte wagte, die der Klarheit und Wahrheit dienten?
Wie erinnere und erzähle ich diese unglaublichen Monate 1989 und 1990?
Und zwar so, dass Freiheit ein großes Wort wird - näher an der Freiheit eines Christenmenschen als an der ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren zu dürfen?
Und wenn schon das so schwer ist und von so vielen, die auch dabei waren, nicht oder anders gesehen wird, wie sollen wir dann vom berichten, was vor 2000 Jahren in Jerusalem passierte?
Wie können wir davon erzählen? Wir, die wir nicht dabei waren?
Ist da der erste Petrusbrief mit seinem schwurbeligen Pathos auch nur anflugsweise brauchbar? Oder halten diese Worte nur eine Leerstelle für Musik und Liturgie offen, weil Ostern mit dem Kopf nicht geht?
Immerhin: Einen Punkt macht der Petrusbrief als ich lese, dass Dietrich Bonhoeffer diesen Versen seine letzte Morgenandacht in Flossenbürg widmete.
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung …“
Wie muss das geklungen haben - an einem Frühlingsmorgen unmittelbar nach Ostern - kurz vor Kriegsende, in einem Konzentrationslager!
Gelobt sei Gott! Es kann nicht mehr lange dauern! Das Schlimmste ist überstanden.
Er hat uns wiedergeboren. Uns!
Da muss die Hoffnung, doch noch überleben zu dürfen, groß werden - für die „die aus Gottes Macht bewahrt werden.“
Wenn man denen, die davon erzählt haben, glauben kann, dann redete Dietrich Bonhoeffer nur Augenblicke vor seinem Todesurteil, zu Menschen wie uns - also denen mit eher ungeübten Ohren und störrischem Denken.
War es denen vor 80 Jahren so fremd wie uns, dass wir „zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe“ werden? Was nützt denn jetzt und hier, „was im Himmel aufbewahrt ist“, wenn man das Leben liebt und sehr konkrete Menschen auch?
Was fangen wir an mit einem: „Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen“?
Dann.
Dann. Wir leben aber jetzt.
Wir brauchen jetzt Hoffnung - viel Hoffnung, denn das Leben scheuert uns wund.
Will der, der hier schreibt, gar nicht leben und lieben, bauen und pflanzen,
will der gar nicht wirksam werden, die Welt verändern, widerstehen?
Will der nur glauben und sich an seiner Seelenseligkeit freuen?
Wenn ich das meinen Kindern schreibe, die Angst haben, dass Frieden und Demokratie den Bach runtergehen, die sich sorgen, welche Welt ihre Kinder erleben werden - voller künstlicher Macht, geclonter Terroristen ohne einen grünen Baum -wenn ich denen angesichts all der Themen, die uns über den Kopf wachsen, so komme - dann halten die mir falsche Frömmigkeit vor.
Sie wollen ja nicht als Märtyrer sterben - und dann errettet werden zu unaussprechlicher Freude.
Sie wollen leben!
Was hilft da ein Brief über „Glaube, der sich bewährt und für viel kostbarer befunden wird als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird“.
Schritt zurück:
Wer schreibt hier eigentlich?
Man weiß es nicht genau. Manche führten diesen Brief direkt auf Petrus, also einen Augenzeugen zurück, andere denken, er wurde erst 100 Jahre nach Jesu Auferstehung geschrieben. Erlebte und erzählte Erinnerung haben sich also längst vermischt.
Nehmen wir einmal an, dass Petrus diesen Brief geschrieben hat, warum macht er so große unnahbare Worte? Versteckt er, dass er lieber schweigen würde?
Er, der so gern vertraut hätte, der fast übers Wasser hatte gehen können, der Jesus verteidigen wollte und einem römischen Soldaten deshalb ein Ohr abschlug, der ihn trotzdem verleugnet und darüber bitterlich geweint hat - wie soll ausgerechnet er von der lebendigen Hoffnung erzählen - ohne Scham und Reue.
Er war doch so nah dran!!!
Hat er das Wunder nicht kommen sehen? Erlebte er, was Hertha Gordon-Walcher, eine Kommunistin, Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts so beschrieb: „Man redet immer nur vom Hauch der Geschichte. Aber wenn er dich streift, nimmst du ihn kaum wahr. Er ist nur ein Lüftchen…“.
Erst hinterher ahnst Du, was geschehen ist und bist längst ein Teil davon.
Das können wir verstehen.
Und da verstehe ich den Petrus oder wer immer da schreibt, dann doch.
Er weiß, dass er von sich selbst absehen darf und muss um von der Hoffnung zu reden, die allen gilt. Auch Bonhoeffer hat nicht von sich auf andere geschlossen, sondern von Gott und Jesus Christus auf uns. Unser eigenes Leben und Glauben, Scheitern und sich Bewähren muss Gott sei Dank kein Garant sein für die Hoffnung, die lebendig macht.
Denn diese Hoffnung leuchtet nicht aus der Vergangenheit.
Sie kommt uns entgegen!
Die Geschichten, die wir mit uns tragen, können vielleicht erklären, warum ich bin wie ich geworden bin, wir sollten sie uns erzählen, um zu teilen, was uns treibt und prägt, sorgt und glücklich macht, was wir gelernt und vielleicht sogar verstanden haben, warum wir diese eine große Hoffnung brauchen.
Aber die Ostergeschichte ist anders.
Sie ist nicht vergangen. Sie passt in keinen Zeitstrahl.
Wir müssen sie nicht durch Erinnerung und Erklärung lebendig halten. Wer wären wir! Sie scheint längst durch uns, die wir „wiedergeboren sind zu einer lebendigen Hoffnung“. Und unsere Kinder leuchten uns entgegen.

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  Osternacht 2025

Osternacht 2025

Dr. Christoph Meyns, Landesbischof - 19.04.2025

Ich lebe, und ihr sollt auch leben. (Joh 14,19)

Liebe Gemeinde!
Es hätte alles aus und vorbei sein müssen. Der Zimmermann Jesus von Nazareth war tot, hingerichtet am Kreuz nach nur kurzer Zeit seines Wirkens als Wanderprediger und Heiler. Er hatte den Anbruch eines neuen Zeitalters verkündet. Der Himmel ist kurz davor, auf der Erde auszubrechen. Und er ist schon jetzt so nahe, dass er an einigen Stellen durchscheint, so wie einzelne Sonnenstrahlen die Regenwolken durchbrechen. Gott gleicht weniger einem starken König oder einem strengen Richter als vielmehr einem liebevollen Vater. Ein liebevoller Vater wendet sich auch von seinen schwierigen Kinder nicht ab. Er bleibt ihnen zugewandt und ist für sie da, auch wenn sie auf Abwege geraten und sich von ihm distanzieren. Dieser tiefen Liebe Gottes gehört die Zukunft, und es ist klug, sich jetzt darauf einzustellen, sich abzukehren von der Finsternis und sich dem Licht zuzuwenden.
Von diese Botschaft beseelt, wanderte Jesus durch Galiläa, predigte und setzte Zeichen.
Dabei überschritt er immer wieder Grenzen, um sich Menschen zuzuwenden, die im Elend gefangen waren: Kranke und Aussätzige, Zöllner und Sünder, Ausländer und Prostituierte, ohne Rücksicht auf die Ordnungen, Gesetze, Tabus und Vorurteile seiner Zeit.
Um ihn herum entstand eine Bewegung von Menschen, die an das glaubten, was er predigte und die ihm nachfolgten, im Zentrum ein Kreis von zwölf Männern.
Jesus aber machte sich nicht nur Freunde. Sein Reden und Handeln erzeugten Ablehnung und Hass, besonders bei den Gesetzestreuen, den Gebildeten, den Wohlhabenden und den Mächtigen. Und als Jesus zum Passah-Fest nach Jerusalem kommt, greifen sie zu. Sie bestechen einen seiner Jünger. Der verrät seinen Aufenthaltsort. Sie verhaften Jesus. Seine Jünger fliehen. Jesus wird verhört, gefoltert und als Aufrührer am Kreuz hingerichtet. Sechs Stunden später ist er tot.
Damit hätte alles aus und vorbei sein müssen. Aber das war es nicht. Nach seinem Tod erschien er Menschen, die ihm nahe standen und mit Paulus erschien er sogar einem, der ihn gar nicht gekannt hatte und der seine Jünger verfolgte. Sie erkannten Jesus wieder, aber er war auch ein anderer: eine himmlische, lichte Gestalt, durch den Tod hindurchgedrungen hinein in ein neues, ewiges Leben in Gottes Gegenwart.
Und damit bekam sein Tod am Kreuz eine neue Bedeutung: kein Zeichen des Todes, sondern ein Zeichen des Sieges über die Macht des Todes. Und anders als bei den Helden der Antike deuteten sie das auch nicht als Belohnung, die Jesus allein zuteil wurde für ein gutes, gottgefälliges Leben. Sein Tod war für sie das Zeichen für eine universelle, stellvertretende Tat, in der Gott sich ein und allemal versöhnt hat mit dem Menschen.
Nicht, weil er das verdient hätte. Das hat er nicht. Der Mensch ist ein schwieriges Wesen, zutiefst geängstigt im Wissen um die eigene Sterblichkeit, immer wieder motiviert von Neid und Hass, immer wieder nur um sich selbst kreisend, dumm und mit einem großen Talent für Zerstörung und Selbstzerstörung und einem kurzen Gedächtnis. „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, so sagt Jesus im Johannesevangelium (Joh 14,19).
„Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, versöhnt mit Gott trotz all dem, kraft des Kreuzes Jesu Christi. Das ist die Botschaft am Osterfest für jeden einzelnen von uns: Nichts kann dich von Gott trennen: keine Armut, keine Krankheit, keine Unvollkommenheit, kein Versagen, kein Leid, nicht einmal der Tod. Gott sagt unverbrüchlich ja zu dir, und deshalb kannst du ja sagen zu dir selbst und zu deinem Leben, samt allen Dunkelheiten, Brüchen und Narben. Diese Zusage gilt nicht nur dir. Sie gilt allen Menschen ohne Ansehen der Person, egal welcher Herkunft, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Sprache, Kultur oder Religion. Das ist seit dem Ostermorgen die neue Grundsituation des Menschen vor Gott. Und sie strahlt aus in die Lebenssituationen zahlloser Menschen, auch in unser Leben hinein.
Für mich heißt das: Ich bin nicht auf meine Vergangenheit festgenagelt, meine Herkunft, mein Elternhaus, meine Geschichte. Es kann sein, dass ich etwas falsch gemacht habe.
Es kann sein, dass ich an mir oder anderen schuldig geworden bin. Es kann sein, dass ich gefangen bin in Lebenslügen oder mit schwierigen Problemen zu kämpfen habe. Aber ich darf mit allen vor Gott kommen. Ich darf ihm sagen, was mich bewegt, was mich freut, was mir angst macht, was mich belastet, was falsch gelaufen ist. Bei Gott führt kein Weg an der Wahrheit vorbei. Aber ich darf auch darauf hoffen, Vergebung zu erleben und neu anfangen zu können, mein Leben neu zu gestalten, und das nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Das gilt für mein eigenes Leben. Das gilt auch für das Zusammenleben in unserem Land und für das Zusammenleben der Völker und Nationen. Grenzen, die der angstvollen Selbstabschließung dienen und dabei das Leben anderen Menschen beschädigen, müssen überwunden werden. Davon inspiriert entstanden im Mittelalter die ersten Hospitäler.
Hermann August Francke, Friedrich Bodelschwingh, Johann Hinrich Wichern und viele, viele andere halfen dabei, die sozialen Probleme ihrer Zeit zu lösen und überschritten dabei immer wieder Grenzen. Das tun in der Nachfolge Jesu einzelne Christinnen und Christen, Gemeinden, Propsteien, Landeskirchen, kirchliche Einrichtunge, Klöster, die Diakonie und die Aktion „Brot für die Welt“ bis heute in vielfacher Weise. Dabei behandeln sie alle Menschen mit dem gleichen Respekt, der gleichen Aufmerksamkeit und der gleichen Hilfsbereitschaft: mit Bürgerrecht und ohne, Einheimische oder Geflüchtete, Deutsche oder Ausländer, Christen, Muslime oder Konfessionslose, Arme und Reiche, freie Bürger oder Strafgefangene.
Der Ostermorgen hat die Welt verändert – zum Besseren. Er strahlt aus auf unser Leben bis heute. Lasst uns festhalten an der Botschaft, die davon ausgeht. Und lasst uns erhellt von seinem Licht unser Leben gestalten in Gottvertrauen, Zuversicht und Nächstenliebe.
Amen.

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  Karfreitag

Karfreitag

Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.04.2025

Karfreitag 2025 - in einer Welt voller Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt wir nicht überprüfen können,
in einer Welt, in der man sich nicht wundern würde, wenn sich plötzlich die Sonne verdunkelt -
hält unser Alltag inne, stehen alle Räder still, weil in Jerusalem einer hingerichtet wird. Bizarr. Das passiert schließlich alle Tage irgendwo, ganz schweigen von den ungezählten Namenlosen, die an (unserer?) unterlassender Hilfeleistung sterben.
Was unterscheidet diesen einen - zu jung - sterbenden Menschen von allen anderen?
Warum sollten wir ausgerechnet angesichts dieses martialischen Sterbens in einer der unruhigsten Gegenden der Welt glauben, dass nicht das Leben vom Tod umfangen ist und wir immer nur auf den Tod zulaufen - sondern dass es genau andersherum ist: der Tod ist vom Leben umfangen.
Weil es uns leben hilft - und wahrscheinlich auch sterben - wenn wir verstehen, dass der da hängt und uns zum Zeichen wurde, der erste Freigelassene der Schöpfung ist.
Das sollen wir glauben. Das können wir sehen.
Und Johannes - der Evangelist, der wusste wie schwer es ist zu glauben ohne zu sehen, der wusste, dass der Zweifel immer mitgeht und der deshalb den Thomas ernst nimmt ohne ihn demontieren - der schaut nicht Matthäus, Markus und Lukas von „ferne“ zu, sondern zoomt ganz nah heran.
Kurze Erinnerung: den Blick aus der Ferne hatten wir vor ein paar Wochen, an Reminiszere (eben dem Sonntag „erinnert euch“) als Johannes uns von weit weg nach Golgatha schauen ließ: Damals erinnerte er uns an die Wüstengeschichte als Gott giftige Schlangen schickte, die den Menschen in die Füße bissen. An diesen Verletzungen starben alle außer denen, die ihren Blick hoben und auf die Eisenschlange schauten, die Mose in Gottes Auftrag hochhielt. Johannes bereitete uns damals vor: genauso sollen wir heute auf das Kreuz schauen! Nicht in dein oder mein Gesicht, nicht auf deine oder meine Schuld, nicht auf das Leid der Welt - das ist alles da, aber wenn wir daran nicht zugrunde gehen wollen, wenn wir leben wollen, dann müssen wir auf das Kreuz schauen.
Und also zoomt er jetzt ganz nah heran, damit wir sehen - hier wird eine Geschichte von Souveränität und Freiheit erzählt - im scharfen Kontrast.
Es ist zunächst eine Geschichte mit vielen Verben:
Es beginnt mit Pilatus, der überantwortete ihnen Jesus.
Pilatus beugt sich dem Willen der aufgebrachten Menschen und gibt seine Verantwortung ab. Er „über“antwortet, geht weiter als er muss. Pilatus kannte Hannah Arendt nicht, die sagte: „Keiner hat das Recht zu gehorchen.“ Sonst hätte er sich vielleicht freimachen können, seinem Gewissen zu folgen.
Die Soldaten kannten Hannah Ahrendt nicht. Auch sie glauben, keine Freiheit zu haben, und gehorchen zu dürfen. „Sie nahmen ihn.“
Als wäre er irgendein lebloser Körper und kein menschlicher Leib, der in dem wir uns alle wiederfinden.
Sie nehmen sich den Verurteilten. Ein verräterrisches Wort. Ein Urteil ist gefallen. Der den es trifft, der bekommt noch eine kleine Vorsilbe dazu: „ver“. Die kann das betreffende Wort als negativ oder schwierig markieren. In jedem Falle wird aber eine Veränderung angezeigt, eine Entwicklungsrichtung.
Man könnte darüber noch eine Weile grübeln. Aber Johannes zoomt schon auf Jesus Christus, der sein Kreuz nimmt. Unaufgefordert? Frei sogar? In jedem Falle souverän.
Er trägt es und bringt es dahin, wo die Soldaten es haben wollen.
Nimmt er ihnen die Last ab? Johannes schaut nicht länger hin. Er schaut auf den, der den Weg geht, zu dem er sich entschieden hat.
Und sie kreuzigen ihn. Johannes macht daraus keine brutale Blut-, Schweiß- und Tränenszene. Hier stirbt ein Mensch. Nur darauf kommt es an. Er stirbt inmitten anderer, die auch sterben. Rechts und links von ihm.
Und Johannes schwenkt nochmal zurück - aber ohne Abstand zu nehmen. Er bleibt mit seiner Aufmerksamkeit ganz nah am Kreuz.
Dort schreibt Pilatus unbeirrbar in verschiedenen Sprachen, damit es jede und jeder lesen kann: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Und Johannes bleibt sich treu, weil so auch für Pilatus, den Täter, gilt, dass der gerettet wird, wenn er sich nach dem erhöhten Menschensohn ausrichtet.
Und außerdem macht Platus einen wichtigen Punkt. Denn wir war das mit dem Königtums in Israel? Die Anfänge finden sich im ersten Buch Samuel: Gott hatte sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt. Er war mitgegangen und hatte durch Mose und die Propheten gesprochen. Seine Menschen konnten wissen, dass er sie einer großen Verheißung entgegenführen wollte. Aber sie wollten - selbst auf Kosten der eben erst geschenkten Freiheit - lieber sein wie alle anderen. Sie „ver“warfen lieber Gottes gute Pläne und ihre Identität als sein Volk. Sie wollten keinen Propheten. Sie wollten einen König und Heer. Sie wollten und würden wie alle drumherum kämpfen auch wenn das in Zerstörung enden und die Fremde führen würde.
Und Gott. Der gedachte seines Bundes, des Regenbogens, und geht auch diesen Weg mit. Seine Reaktion war nun nicht Verwerfung seinerseits sondern Erwählung. Und so wählt er dem Volk einen König. Saul.
Kurze Aktualisierung: Timothy Snyder, der jetzt mit seinem Buch über Freiheit und seine Entscheidung, die USA zu verlassen, in vieler Munde ist, hat in seinem Band über „Tyrannei“ darauf hingewiesen, dass vor derselben schützt, wenn wir Institutionen schützen. Jetzt verstärkt er das: Freiheit negativ verstanden gestaltet Zukunft nicht. Sie muss positiv gedacht werden - mit einem JA verbunden sein.
Das sehen wir auch in der Geschichte des Königtums in Israel: in diesem König, in dem Messias, auf den wir jetzt unsere Blicke richten, den Pilatus identifiziert hat, wird Gottes Erwählung, seine Freiheit sichtbar.
Johannes hält drauf.
Dann schwenkt er unter das Kreuz.
Die einen, die Soldaten, halten Freiheit für etwas, das man besitzen kann oder glauben, dass Besitz Freiheit schenkt. Darum vertiefen sie sich in das Haben und teilen Jesu Kleider unter sich auf. Sie werden Knechte bleiben.
Und dann zoomt Johannes noch ein Stück.
Zu denen, die mitgegangen sind und nun zurückbleiben: es sind drei Frauen und sein Lieblingsjünger. Jesus verbindet sie zu einer neuen Familie, damit das Leben weitergeht noch ehe es Ostern wird. Oder noch einmal mit Hannah Arendt: „Anzufangen, bevor es ein historisches Ereignis wird, ist die höchste Fähigkeit des Menschen.“
Hier unterm Kreuz fängt es an.
Und dann lässt Jesus ein letztes Mal seine Freiheit aufscheinen. Er bittet um ein Getränk und wird Essig trinken, wie es geschrieben steht. Er muss das nicht. Die Propheten haben nicht aufgeschrieben, was passieren muss sondern was passieren wird, wenn wir uns nicht ändern.
Niemand hätte ihm Essig geben müssen. Es hätte sicher auch Wasser oder Wein gegeben. Aber die, die kreuzigen, Haben ihre Menschlichkeit verloren und daran hat sich nichts geändert. Deshalb erfüllt sich die Schrift.

Und dann ist es vollbracht aber nicht zu Ende. Es muss Ostern werden. Sonst laufen wir noch Gefahr, Sinn aus dem Sterben anderer zu ziehen.


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  Palmarum

Palmarum

Cornelia Götz, Dompredigerin - 13.04.2025

„Hosianna, Hosianna, Hosianna“ haben wir eben gesungen - ich weiß gar nicht wie oft. „Hilfe! Hilfe! Hilfe!“ Aber wie Hilfeschreie hat es gar nicht geklungen. Eher wie: „Herrlich! Glücklich! Wunderbar!“ Oder: „Halleluja!“
Haben Elke und Robin uns falsche Töne gegeben? Im Gegenteil: Sie haben das absichtlich gemacht und auf einen Hallelujavers die Hosiannaworte gelegt, weil sich genau das heute mischt: große Willkommensfreude und Hilferufe.
Ihr habt es ja gehört: nachdem Jesus nun so lange durchs Land und über die Dörfer gezogen war und man sich schon so viele Geschichten über ihn erzählte, die alle irgendwie besonders klangen, wurde er nun endlich in Jerusalem erwartet!
Endlich, endlich kommt er auch hierher und die Menschen jubeln und empfangen ihn voller Freude - und Hoffnung, denn auch sie haben Sorgen und Probleme, Krankheiten und Not. Und ihre Stadt ist besetzt.
Jetzt! Denken sie. Jetzt kommt einer, der sich für uns interessiert und uns hilft.
Jetzt wird es endlich gut.
Hoffentlich.
Solche gespannte Erwartung auf jemanden oder etwas, worauf man sich riesig freut aber nicht ganz sicher ist ob es auch so werden wird, wie man hofft, kennen wir alle: man wartet ganz sehr aber, weil man sich zugleich vor einer Enttäuschung fürchtet, traut man sich gar nicht richtig, sich zu freuen.
Und manche verspannen sich dann noch richtig, weil es ja bitte nicht an uns liegen soll, wenn es nicht so wunderbar wird wie erhofft.
Darum singen wir beim Warten auf Weihnachten und heute auch: „Wie soll ich dich empfangen?! Und wie begegne ich Dir?“
Wie? Wir bereiten natürlich alles vor! Im Advent schmückt sich die ganze Stadt. Heute haben die Kinder für jede und jeden einen Palmzweig gebastelt. Wir sind bereit! Jetzt müssen wir nur noch warten und uns immermal auf die Zehen stellen, um bisschen besser sehen zu können und dabei merken wir:
Erwartung verändert uns.
Wenn wir auf ein Ereignis oder einen Menschen sehr warten - vorfreudig warten, dann richten wir uns innerlich wie eine Kompassnadel aus.
Unsere Erwartung teilt sogar die Zukunft in davor und danach ein, obwohl wir gar nicht wissen, wie es sein wird.
Das malen wir uns aber mit den allerschönsten Farben aus - und sind dabei gefährdet, uns auszutricksen. Denn wir stellen es uns so schön vor, wie es beim besten Willen nicht werden kann. So sorgen wir selber dafür, dass es sowieso anders kommt als gedacht und planen die Enttäuschung schon mal ein. Das halten wir für Realismus und wundern uns dann, warum Menschen so misstrauisch, unzufrieden und kleingläubig sind.
Dabei sind wir nur schlecht im Warten und Freuen.
Denn sich vorfreuen und der Zukunft Wunder zutrauen zu können, ist eine Gabe.
Ihr Kinder habt sie. Darum gehört Euch das Himmelreich!
Und dann ist da noch ein zweiter Punkt:
Erwartung macht ehrlich. Wir können gar nicht ignorieren, worauf wir hoffen und wonach wir uns sehnen.
Meist hat es was mit Liebe zu tun, mit irgendwas, was wir von einem anderen für uns erhoffen - dass es mir endlich geschieht!
Und jenseits unserer heimlichen Herzenswünsche hoffen wir ja auch noch und nicht zu knapp - wie die Menschen vor 2000 Jahren auch - dass endlich einer kommt,
der sich wirklich um die kümmert, die nicht selbst für sich sorgen können,
der dafür sorgt, dass das Land sich in einer guten Verfassung befindet und vorgesorgt ist, falls das Geld knapp wird oder es mal eine Zeit lang nicht regnet,
mit dem es gerecht zugeht und friedlich ist
und auch ein bisschen schön. Für alle.
Von dem, auf den wir heute warten, von Jesus Christus, hat man schon allerlei Gutes gehört: er kann reden und begeistern, heilen und satt machen, die Wüste wird grün, wo er sich lagert und der Sturm legt sich.
Merkt Ihr schon, wie das Herz glüht, wenn man sich das alles ausmalt!
Und er ist sogar ein König!
Solche Erwartung steckt auch Erwachsene an! Darum haben Menschen, wenn sie eine große Hoffnung teilen, die größer werden soll, oft etwas, woran sie sich erkennen können: in Belarus das Herz aus Händen und weiße Rosen oder in Honkong einen Regenschirm.
Zu unserer Hoffnung gehören Palmenzweige.
Aus gutem Grund: Palmen, so sagt es ein orientalisches Sprichwort, „wollen ihre Füße im Wasser und ihr Haupt im Feuer des Himmels baden.“ Wo Palmen wachsen, geht es Menschen gut. Es gibt Wasser, Licht und herrliche Früchte. Aus Palmzweigen kann man Matten und Körbe flechten. Und mit dem Holz bauen.
Palmen sind der Inbegriff von Fülle und Segen.
So wird es sein!
Genau! Und da kommt er auch endlich!
Und? Stutzen: Er reitet auf einem mickrigen Esel und hat nichts, wirklich gar nichts an sich, das besonders aussieht. Im Gegenteil: er sieht genauso aus wie man es nicht erwartet hat. Abgekämpft, verschwitzt, müde. Blasen an den Füßen hat er auch.
Er ist gar kein König.
Er ist ein Mensch.
Die Arme sinken herunter. Was für eine Enttäuschung. Hat ja eigentlich auch gar nicht anders sein können. Fast schämt man sich für seine große Hoffnung. Wie naiv wir sind! Als würde jetzt aus unserem Wasserhahn Wein kommen und die Schulden, der Krieg und der Krebs weg sein und…
Hoffentlich hat es niemand gemerkt, dass wir vorhin so laut gesungen haben!
Nur schnell das Herz wieder abriegeln.
Stille. Komm, wir gehen.
Aber einer knarzt noch rum. Er hat wirklich keine schöne Stimme. Aber der singt:
„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit …
Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit / Das Grün bricht aus den Zweigen / Wir wollen es allen zeigen / Dann wissen sie Bescheid.“
Der hat Nerven.
Obwohl:
Wird es nicht grün draußen?
Ist es nicht unsere Freiheit, Ja zu sagen?
Ist es nicht unsere Freiheit, dem der da ohne Gewalt und Pomp kommt, der sich nicht auf Kosten anderer profiliert, sondern ein Mensch ist und uns erinnern will, dass wir auch welche sind, alles zuzutrauen?
Könnte der, der so anders ist als die Mächtigen, die wir kennen, vielleicht doch alles verändern und zum Guten wenden?
So hat es noch nie einer versucht!
Der kommt gar nicht erst als Held. Der kann uns nicht enttäuschen.
Der wird scheitern? Nein. Das wird er nicht. Er wird sterben. Das ist nicht dasselbe. Das ist menschlich. Und eine große Liebesgeschichte. Wollten wir dich nicht?
Doch. Aber… Kein. Aber. Der wird uns helfen?
Hosianna. Halleluja.

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  JL 2025

JL 2025

Cornelia Götz, Dompredigerin - 06.01.2025

Eines der Highlights für 2025 in unserer Region wird hoffentlich der Kirchentag Anfang Mai in Hannover. Zu den Liedern, die ich mit dem Kirchentag verbinde, gehört eins unmittelbar zur Jahreslosung (Text und Musik kommen von Lothar Veit): „Prüft, prüft, prüft genau - und wählt das Gute, nehmt Euch in acht vor den Schrecken dieser Zeit - prüft, prüft, prüft genau und wählt das Gute, sucht mit Geduld nach der Spur der Freundlichkeit.“
Es könnte ganz einfach sein mit dieser freundlichen Spur, denn irgendwie kommen wir immer von Weihnachten her oder laufen auf Weihnachten zu - immer leuchtet der Stern von Bethlehem und zeigt uns eine Spur der Menschenfreundlichkeit Gottes und unserer Möglichkeit, einander zugewandt zu bleiben – denn anders als zugewandt kann man schließlich nicht an der Krippe knien.
Wir schaffen es trotzdem, wenn es heller wird, die Sonne blendet, die Tage lang und voller Energie sind, leichtherzig, übermütig oder gleichgültig falsch abzubiegen und denen nachzulaufen, die uns leichtes Geld und billige Gnade versprechen, Verantwortung abnehmen oder einfache Lösungen anbieten.
Darum brauchen wir Gegengeschichten, Vorbilder und Geleit, Prüfsteine und hin und wieder auch einen Engel, der im Weg steht und uns nicht durchlässt, sondern sagt:
„Prüft genau, prüft alles und wählt das Gute, nehmt euch in acht vor den Schrecken dieser Zeit:“
Wem das gesagt wird, der lebt in der Vielfalt, der hat etwas zu wählen - der sieht verschiedene Lebensentwürfe, Narrative und Argumente. Wir haben die Freiheit uns zu entscheiden und sollten nicht gleich bei der ersten Prüfung schlampig sein: es gibt nicht nur die Wege des geringsten Übels, des geringsten Widerstandes. Es ist nicht alternativlos. Die gründliche Prüfung ergibt:
Das Gute ist möglich.
Immer und zu allen Zeiten.
Und ehe Sie sich jetzt schütteln und vor lauter Imperativen und Moral innerlich in Deckung gehen, lasst uns auf zwei Frauen schauen, biblische Figuren, die unbekannt und im „who is who der Bibel“ und Calvers großem Bibellexikon vergessen und übersehen - an ihrem Ort, in ihrem Leben genau das tun:
Prüfen, sich in achtnehmen, das Gute wählen.
Sie heißen Schifra und Pua.
Mit ihnen beginnt der Exodus, der Auszug der Kinder Gottes in die Freiheit.
Das zweite Buch Mose erzählt davon: Jakob war mit den Familien seiner Söhne dorthin geflohen - um Hunger und Not zu entkommen, um zu überleben. So wurden sie Einwanderer, Fremde, Arme, Abhängige - willkommen nur als Arbeitskräfte. Die Bibel erzählt, dass sie dennoch Familien gründeten und Kinder bekamen, mehr wurden - bis „das ganze Land voll von ihnen war“.
Hätten sie dazugehören können? Vielleicht.
Das Gute ist möglich. Aber es wird nicht gewählt.
Denn die Existenz der Fremden macht Angst und löst statt Fantasie und Tatkraft, Hass und Gewalt aus. Das ist das uralte und zugleich aktuelle Bild einer unversöhnten Gesellschaft - und steht nicht nur für gescheiterte Integration und Migration, sondern auch für ungelöste soziale Konflikte, Missachtung von Menschenrechten und Menschenwürde.
Der König prüft die Situation. Aber er tut es nicht genau. Ihn interessiert nicht, was warum geschieht. Es heißt: „Er wusste nichts von Josef und seinem Volk“.
Das macht es einfacher, am Guten vorbeizusehen. Er will es ja seine Leute anweisen, die Anderen, die Fremden, die Unliebsamen niederzuhalten, sie auszuzehren durch schwere Arbeit. Auch da passiert das…
Es geht nicht um den Lebensunterhalt oder einen Beitrag für eine gemeinsame Zukunft - es geht um Macht und Gewalt und sind nur ganz wenige Verse bis der König seine Seele verliert Auch er ist ein Machthaber, der das Undenkbare erst denkt und dann tut.
Dieser König sagt zu den „hebräischen Hebammen, von denen eine Schifra und die andere Pua heißt“ - man könnte ihre Namen also durchaus im Bibellexikon erwähnen - „wenn ihr den hebräischen Frauen bei der Geburt helft, dann seht auf das Geschlecht und wenn es ein Sohn ist, dann tötet ihn; ist es aber eine Tochter, so lasst sie leben.“
Prüft und entscheidet über Leben und Tod.
Diese beiden haben es in der Hand.
Es sind nur zwei Frauen - so unbedeutend, dass man sie leben lassen kann.
Es sind zwei Frauen, die eine Berufung haben, ein Ethos.
Es sind zwei Frauen, wie jede und jeder von uns auch: an einen konkreten Ort gestellt.
Sie könnten sich missbrauchen lassen.
Sie könnten einfach nur gehorchen und Verantwortung abschieben,
Sie könnten vergessen, dass es auch auf sie ankommt.
Aber all das tun sie nicht. Sie prüfen und entscheiden sich.
Die Bibel erzählt:
„Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder leben.“
Man möchte - erst recht am Beginn eines neues Jahres - hoffen und hören, dass diese widerständige tapfere Haltung Eindruck macht, die Mächtigen berührt und in ihrem Blutrausch stoppt. Aber so ist es nicht.
Die Bibel erzählt keine Märchen und wir erleben allermeist auch keine.
Die beiden Hebammen werden zur Rechenschaft gezogen und verteidigen sich klug: Die Mütter sind stark und brauchen keine Hilfe. Daher kommen sie gar nicht zum Zuge.
Schifra und Pua haben Glück, man lässt sie laufen (oder Pech, weil niemand ihre Unbeugsamkeit ernstnimmt). Aber Gott sieht sie und - so heißt es: er „Tut ihnen Gutes.“
Der König hingegen rast.
Das Unheil ist nicht abgewendet.
Dann sollen eben alle Jungs in den Nil geworfen und ertränkt werden.
Ist also alles sinnlos? Lohnt es gar nicht, zu hoffen und diese Welt besser machen zu wollen?
„Prüft genau!“ Gebt nicht zu schnell auf. Seht genau hin - das Wunder passiert immer wieder. Menschen wählen das Gute und retten unsere Menschlichkeit.
Damals hat eine es nicht übers Herz gebracht, den kleinen Mose ertrinken zu lassen und in ein Körbchen gelegt, eine andere findet ihn, lässt ihn nicht weitertreiben, sondern nimmt sich seiner an.
Das Gute ist möglich. Immer.
Dort und hier, damals und heute finden sich mutige Menschen… - die „genau prüfen“, sich und die Situation, die „das Gute wählen“, weil sie es können, weil es in ihrer kleinen Macht liegt.
Sie sorgen dafür, dass die Geschichte der Menschlichkeit nicht zu Ende ist, sondern uns erreicht und weitergeht, damit in allem, was passiert - und auch dem, was wir nicht abwenden können - die Spur der Freundlichkeit sichtbar bleibt.

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  Christnacht

Christnacht

Cornelia Götz, Dompredigerin - 24.12.2024

„Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein.“
Weihnachten lebt - jedenfalls hier oben auf der Nordhalbkugel - vom Kontrast zwischen kalt und warm, dunkel und hell, unbehaust und heimelig. Darum darf Weihnachten hemmungslos kitschig sein, urgemütlich zwischen Kerzen und Tannengrün.
Wobei: das ist ja eigentlich eher das Weihnachtsgefühl.
Weihnachten an sich ist doch eher - und jetzt sage ich es mal ganz groß und pathetisch - eine wahre und ernste, eine heilige Angelegenheit.
Darum meint der Liederdichter Dieter Trautwein es auch ganz ernst, wenn er schreibt:
„Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein.“
Sie kann nicht traurig sein - was immer geschieht. Punkt.
Mehr muss man über Weihnachten eigentlich nicht wissen.
Dass sich jetzt mit Ihnen noch einen Moment an weiterdenke, ist nur Vertiefung, Vergewisserung.
Der Liederdichter also, der 1928 geboren war und dessen Kindheit und Jugend in eine elend tiefe Nacht fielen, schleppte offenbar die Erinnerung mit sich, wie traurig und verloren Nächte sein können.
Und leider: Je älter man wird, desto größer werden nachts die Sorgen.
Dichtern kann man dabei getrost unterstellen, dass die „Nacht“ für mehr steht als nur die Zeitscheide zwischen einem Tag und dem nächsten.
Es geht auch nicht um irgendeine Nacht, sondern um „unsre“.
Das muss ich nicht ausmalen, die kennt jede und jeder selbst - und darauf wie rabenschwarz sie ist, kommt es heute auch nicht an - sondern auf das Gegenteil:
„Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein.“
Egal wie, und das ist nicht so leicht daher gesagt, wie es klingen mag, egal wie: Unsere je eigene Nacht kann nicht traurig sein. Auf keinen Fall.
Denn Gott, „der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar.“
Hier schreibt einer unerschrockenen gegen alle Zweifel und Eventualitäten an und nein: der lebte nicht in besseren Zeiten - weder im Blick auf Glaubenskraft noch hinsichtlich der allgemeinen Umstände. Hier sagt nur einer, was Weihnachten ist und was auch nicht.
Weihnachten ist nicht, dass Gott jetzt erst nahe kommt, dass Gott jetzt erst da ist - das war er immer schon.
Weihnachten ist, dass Gott sich jetzt in Menschengestalt zeigt - vielleicht damit wir verstehen, ja: er kann sich einfühlen, er weiß, wie Nacht und Schmerz quälen - er ist nicht der unberührbare unverletzliche Gott, für den alles immer nur ein Wimpernschlag lang währt - sondern er kommt uns als Mensch, nah, der, wie wir Nähe braucht und sucht, Liebe schenken und erfahren will, auf Zuflucht und Geborgenheit angewiesen ist.
Weihnachten ist, dass Gott sich als ganz kleiner Mensch zeigt, als Kind und damit auf Allmacht und Allgewalt verzichtet, sondern sich vielmehr in Abhängigkeit begibt, Ohnmacht wagt.
„Bist Du der eignen Rätsel müd…“ - klingt es weiter.
Bist Du es leid, dich immer wieder zu fragen, warum und warum ich?
Bist Du mürbe davon, an immer den gleichen Punkten zu scheitern und immer wieder dieselben Fehler zu machen?
Bist Du zerkaut von der Frage, warum Du ausgerechnet in diesem Leben, in dieser Haut, in dieser Zeit unterwegs sein musst?
Bist du dessen müde, immer nur nach dir selbst zu fragen und anderen dabei zuschauen oder zuzuhören, wie sie das tun?
Dann schau: „es kommt einer, der alles kennt und sieht.“
Es kommt einer, dem nichts Menschliches fremd ist, vor dem du dich nicht schämen, nicht verstecken, nicht verteidigen, nicht aufplustern, nicht hübsch machen musst. Lass es. Er kenn dich eh und wird dich nicht klein machen und deine Durchsichtigkeit ausnutzen.
Er kennt dich schon längst. Weil er dich ansieht und wahrnimmt. Das bist du. Genau. Und dann lächelt. So wie ein Kind lächelt - wenn es angelächelt wird.
Und dann lächeln wir auch - und sei unter Tränen.
Wie dunkel und grau unser Selbstbild auch schattiert sein mag:
„Es kann nicht traurig sein.
Er sieht dein Leben unverhüllt, zeigt dir zugleich ein neues Bild.“
Es ist nicht mehr nötig, irgendwem irgendwas vorzumachen und sei es, weil wir uns so sehr anstrengen, um anderen recht zu sein - und das ist ja eigentlich ein großartiges Motiv.
Gott sieht in unser Herz. Und sieht es unverhüllt, nicht ich oder du: Gott sieht.
Aber damit konfrontiert er mich nicht.
Vielmehr zeigt er ein neues Bild.
Weihnachten geschieht immer dort, wo wir diese andere Möglichkeit unserer Selbst erleben: die warmherzige, zugewandte, ungeschützte Menschlichkeit, die jedem ein liebenswertes Antlitz schenkt.
Zärtlich in der Nacht, die einfach nicht traurig ist.
Das passiert, weil Gott in tiefster Nacht erscheint und darum:
„Nimm an des Christus Freundlichkeit.“
Lass es zu. Wehr dich nicht länger.
Auch wenn dein Verstand dir sagt, das ist bestenfalls eine schöne Geschichte,
auch wenn deine rationalen Schutzmechanismen lieber an der nüchternen Fassade festhalten: lass es geschehen! Lasst Freundlichkeit an euch wirken und schaut, was passiert:
Die Traurigkeit geht weg. Die Besessenheit und Arbeitswut.
Das Geltungsbedürfnis.Die Lust an der Selbstwirksamkeit.
Vor lauter Freundlichkeit freundlich gesonnen sein. Wo führt das hin?
„Wir werden seinen Frieden in die Zeit tragen.“
Das ist Weihnachten. Das leuchtet.
Und Wege scheinen auf … - mitten in der dunklen Ausweglosigkeit der Nacht von Menschenschuld und Menschenleid, von Gewalt und Tränen, von Krankheit und Einsamkeit, von Trauer und Gleichgültigkeit - kommt Gott, ganz nah, in Menschengestalt, ein Kind - „es kann nicht traurig sein!“
Und auch wenn, „dich der Menschen Widerstand schreckt“ - auch wenn du nicht eine Sekunde daran glaubst, dass im Januar noch ein Rest von weihnachtlicher Versöhnungsbereitschaft und Friedfertigkeit, Zugewandheit und Offenheit, Friedensfähigkeit und Sanftmut übrig ist - „bleib ihnen, den andern Menschen, dennoch zugewandt.“
Das bleibt unsere Möglichkeit. Weil Gott sich auch in den Halbstarken und Überstarken und all den Alltagsmenschen zeigt, die uns begegnen, wenn abgeschmückt ist.
Zugewandt bleiben. Das können wir. Und das ist nicht nichts. Im Gegenteil - so geht die Dunkelheit vorüber. Denn: „Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht endlos sein.“

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  Christvesper 2024

Christvesper 2024

Cornelia Götz, Dompredigerin - 24.12.2024

Als ich vor ein paar Jahren hier die Weihnachtsgeschichte des Lukas ein bisschen verdrehte und statt der Engel die Hirten „gen Himmel fuhren“ ließ, hätte das wahrscheinlich niemand gemerkt, wenn ich mich nicht selbst wegen des komischen Gefühls unterbrochen hätte. Gehört hatte ich es nicht.
Denn diese alten Worte sind so tief in mir eingegraben, dass ich sie nicht bewusst sprechen muss. Sie sind eher meine Grundmelodie dafür, dass doch mehr ist als ich vor Augen hab und begreifen kann, dass es trotz allem gut werden kann - mit uns und unter uns.
Die Weihnachtsgeschichte ist größer und anders als die Geschichten, die ich auch unzählige Male gehört und gelesen habe, mit mir trage: „Von der kleinen Seejungfrau“, „Heidi“ und „Jim Knopf…“
Die Weihnachtsgeschichte ist anders, weil ich mit ihr glauben lernen kann.
Sie ist der Grund, warum wir hoffen, mutig und menschlich sein können.
Sie fängt bei mir an. Und bei jeder und jedem von euch auch.
Nicht mit denen, die wir gern wären, sondern mit denen, die wir sind.
Geborene. Wir alle waren so klein und verletzlich wie das Kind in der Krippe - abhängig von der Fürsorge anderer ohne die niemand von uns auch nur irgendwas geworden wäre.
Wir alle haben das erlebt. Um jede und jeden von uns hat sich jemand gekümmert.
Erstaunlich. Während ich das noch denke und mir das Neugeborenen ansehe, warte, ob es die Augen öffnet, reißt die alte Geschichte unseren Himmel auf:
Sterne und Engel, Licht und Musik, Jubel und Freude, Anbetung!
Ein Wunder! Es passiert immerzu. Ein Mensch ist geboren. Gott auch. Alle spüren es. Laufen herbei. Fallen auf die Knie. Ich auch.
Alle Jahre wieder.
Dieses Wunder gehört zum Rhythmus meines Lebens wie Schneeglöckchen und Erdbeerzeit, Sommergewitter und Novemberwetter.
Es passiert egal in welcher Verfassung wir heute hier ankommen.
Es wird Weihnachten!
In dieser Gewissheit bin ich Zuhause wie in meiner Muttersprache.
Weihnachten kann man nicht abschaffen, Gott kommt ja!
Das glaube ich und werde damit lebenslang nicht fertig. Muss ich auch nicht. Im Gegenteil Es ist meine Herkunftsgeschichte. Und Ihre auch!
Sie reicht tief und hat Wurzeln.
Und wir damit auch. Diese Wurzeln reichen hinab zu alten Worten, voller Glaubwürdigkeit und Wahrheit. Durch sie ziehen wir Lebenskraft und Zukunft.
Dass ich hoffen, lieben und glauben kann - trotz allem für das so schmerzhaft jetzt „Magedburg“ steht – verdanke ich diesen Wurzeln. Ihr habt sie auch.
Wisst ihr noch, dass uns gesagt ist?
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.
Und über denen, die da wohnen, scheint es hell.“?
So oft gelesen und doch nie gehört – vielleicht musste meine Wurzel um einen Widerstand rumwachsen. Aber jetzt zieht sie und ich merke:
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.
Das Licht SEHEN die, die sich bewegen, die unterwegs sind, heimatlos, suchend, unruhig, aufgeschreckt, verstört aber auch: sehnsüchtig, neugierig, erwartungsvoll!
Und über denen, die da wohnen, scheint es hell.“?
BESCHIENEN werden die, die da wohnen - im finstern Lande.
BESCHIENEN werden die, die sich eingerichtet haben in der Wirklichkeit, die in dem wohnen, wie es eben ist: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten – aber diese ist die unsere“. Sagte Jean Paul Sartre.
Womöglich kommt es den Beschienen gar nicht soo dunkel vor oder sie sind mit ihrem Leben so beschäftigt, dass sie gar nicht merken, ob es dunkel ist.
Und ich befürchte, manche haben gar keine Kraft mehr, um den Kopf zu heben, sich aufzurichten, umzuschauen.
Das tun aber die, die es nicht mehr aushalten.
Das tun die, die träumen und sich vorstellen können, wie es sein könnte.
Das tun die, die nicht still sitzen können und laufen und sich bewegen müssen.
Das tun die, die angstvoll warten und immer wieder ans Fenster gehen.
Das tun die, die nicht bleiben können wo sie sind.
Das tun die, die Wunder für möglich halten.
Die sehen das Licht.
Kein Zweifel: Da IST ein Licht und es leuchtet nicht irgendwo für irgendwen, sondern über uns, über unserer Welt, in der Menschen eine Bleibe suchen und Kinder geboren werden, in der man Steuern zahlen muss und sich mit Staatswesen abfinden, in der schlimme Dinge passieren…
Kein Zweifel! Da ist Licht und es ist anders als alle Lichter sonst.
Es hat nicht den Glamour eines Stars und auch nicht die verlogene Strahlkraft von Ideologien, es will nicht verführen wie Weichzeichner.
Es leuchtet, wie Wahrheit einleuchtet.
Es leuchtet, wie Klarheit erhellt.
Es leuchtet wie Menschen leuchten, wenn sie lieben.
Es ist ein Stern. Gott hat ihn an den Himmel gesetzt, damit gleich klar ist: dieses Licht haben nicht Menschen angeknipst egal ob sie guten oder bösen Willens sind.
Und schon singt Jesaja wie in der Weihnachtsgeschichte.
„Jubel! Freude! UNS ist ein Kind geboren. Und er heißt…“
Auch in den Wurzeln steckt schon das!
Immer wieder dieses Wunder.
Ein Kind ist geboren. Wie heißt es denn? Leon oder Marlene oder ?
Dieses Kind hat einen tollen Namen:
Wunder - Rat. Dieser Rat wirkt Wunder, er ist nicht interessengeleitet, nicht angstgesteuert, nicht auf Reichweite und Hörgewohnheiten aus. Sein Rat ist wie er: ein Mensch.
Gott - Held. Keiner sonst muss ein Held. Keiner sonst kann ein Held sein. Unser Gott definiert, was uns imponieren und beeindrucken soll: ein Mensch.
Ewig - Vater: wir dürfen ihn so nennen. Dabei bleibt es, wie verirrt, unsäglich, unmöglich, hartherzig und brutal wir uns auch benehmen. In seinen Augen sind wir ein für allemal: ein Mensch.
Friede - Fürst: wenn er regiert, dann wird endlich Frieden. Kein Diktatfrieden, kein ungerechter Frieden, kein Krieg, nicht Angst und Geschrei. Dann erleben wir Gerechtigkeit und einander als Menschen.

Jesaja erzählt, was passieren wird.
Und wir ERLEBEN es und strecken uns aus, um das Licht zu sehen und fühlen wie tief die Wurzeln unseres Glaubens, den wir oft für so wacklig halten, doch reichen und merken wie die Hoffnung groß wird, weil aus dieses Wurzeln Leben in unsere Adern fließt und unser Herzen aufgeregt und fröhlich schlagen lässt.
Hirten und Engel, Gott und Kind, Frieden auf Erden.
Ein Wunder?
Die ganze Wahrheit.

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  Magnifikat

Magnifikat

Cornelia Götz, Dompredigerin - 22.12.2024

Ja, das ist mein Lieblingssonntag im Jahr, weil Texte und Musik dank Vokalensemble so zusammenkommen, dass sich - wie Maria vor 2024 Jahren gesungen hat - meine Seele erhebt und mein Geist sich Gottes meines Heilandes wirklich freut.
Heute passt alles - das tapfere widerständige Mädchen, das revolutionäre Lied und ein Gott, der uns - so! - ganz nah kommt.
Ja, der vierte Advent ist mein Lieblingssonntag.
Bestimmt auch, weil ich selber in der Nacht vor dem vierten Advent ein Kind bekommen habe. Ein Mädchen. Es war eine bitterkalte sternenklare Nacht. Das Jahr war schwer gewesen.
Aber dann wurde Weihnachten.
Und wird immer wieder. Am vierten Advent, wenn das Licht so spät kommt und die Sonne so tief steht, dass man die Lichtquelle nicht sieht, nur das Leuchten kommt von irgendwo woher - dann kann sich der geplagte Geist bereit machen und einsehen: jetzt geschieht etwas, das wir mit unseren Gedanken nicht fassen können - aber die Seele, das Herz, die können es!
Auf meinem Schreibtisch steht in diesem Jahr eine Karte - Sie haben sie auch - mit einer Zeile aus dem Magnifikat und einem Gebet voll adventlicher Kraft. Eine Freundin hat es geschrieben - für eine andere Frau.
Für Maria Kalesnikowa.
Sehen Sie sie noch vor sich? Die schöne Frau mit den kurzen blonden Haaren, das Strahlen, die Hände zum Herz. Sie hat es mit dem Regime Lukaschenko aufgenommen und ihren Schwestern und Brüder mit ihren eigenen Worten zugesungen:
„Er stößt die Gewaltigen vom Thron und die Hungrigen füllt er mit Gütern, er gedenkt der Brmherzigkeit und hilft seinen Dienern auf.“
Die Mächtigen haben es gehört und sich gefürchtet. Vor dieser Frau und denen, die sich mit ihr verbinden, vor ihrer Menschlichkeit und der Kraft, die aus der Ohnmacht kommt.
Die Mächtigen haben Angst - wie vor ihnen Herodes - und ihnen ist jedes Mittel recht.
Sie lassen Kinder ermorden und Mütter einsperren, foltern Väter, peitschen ihre Geschwister aus.
Aber sie schaffen es nicht.
Immer wieder erklingt von irgendwoher das alte Lied:
„Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“
Ja, es sind erniedrigende Umstände aber Maria weiß - wer weiß woher - wie Hagar und Ruth: „Gott sieht mich.“ Er sieht mich an und sieht mich wirklich. Das ist Gnade.
Und so geht jetzt endlich dieses Bild um die Welt.
Sie sehen ihr Gesicht auf der Vorderseite der Karte:
Monatelang hat es kein Lebenszeichen von Maria Kalesnikowa gegeben.
Sieht so eine Frau aus, die fast zwei Jahre in Isolationshaft gesessen hat?
So sieht eine Tochter aus, die ihrem Vater und denen, die um sie bangen, nicht das Herz brechen will.
Ich erinnere mich an ein anderes Lebenszeichen von ihr. Auch das kam aus einem belarussichen Gefängnis. Es war ein Brief an ihren Vater und darin schreibt sie, wie sie eines Tag an seinem Küchentisch sitzen und ihr Lieblingsessen vor sich haben wird - er wird es für sein Kind gekocht haben. Er, der Vater mit den tiefen Kummerfalten im Gesicht, Josef, der Mann mit der Laterne - der mit aushalten muss, was diese besondere Tochter Gottes durchsteht.
Maria, die eine eine Flötistin, ihr Zeichen sind die zum Herz geformten Hände.
Die andere ein Mädchen aus uralter Zeit und zugleich aus einer Gegend, die sich mit ihren Nachrichten in Alpträume schreibt.
Die Wege durch den Dornwald scheinen endlos weit zu sein, steinig, mühsam, schmerzhaft.
Dort gehen so viele.
Auch Darja Kosyrewa, ganz jung, keine zwanzig - lächelt sie hinter russischen Gittern, schuldig für Gedichte und blinkende Herzen an symbolischen Orten.
Und Katerina Gordeeva, die Russin, die die Schmerzensgeschichten ihrer ukrainischen Schwestern erzählt und - das ist vielleicht das eigentliche Wunder - sie von ihnen erzählt bekommt:
„Katja: es ist nicht einfach nur ein Krieg… Das ist ein Kampf zwischen Licht und Dunkel, Gut und Böse. Gegen wen haben sie in unserem Dorf gekämpft? Es war kein einziger ukrainischer Soldat hier, nichts von strategischer Bedeutung, nur Menschen, die in ihren Häusern gelebt, ihre Kinder, ihre Hunde und ihr Land geliebt haben. Geliebt…
Sie sind gekommen, um das zu zerstören… Es ist so leicht, seine Menschlichkeit zu verlieren…“
Ja, stimmen wir traurig und bestürzt nach dem Anschlag in Magdeburg ein.
Und umso deutlicher wird an Marias Gesicht, an Darjas Lächeln, an Katerinas Texten:
Weihnachten ist mitnichten kitschig.
Es ist eine bitterernste schmerzhafte wirklich erlösende Geschichte.
Es tut weh. Du denkst, es zerreißt Dich. Du schaffst es nicht mehr.
Und dann geschieht ein Wunder.
Ein vollkommenes zartes Wunder.
So ein klitzekleines Kind, stark genug, die Geburt zu überstehen und sich aus der Geborgenheit in diese raue Welt zu begeben - manchmal sieht man noch die Fontanelle auf dem Köpfchen pochen - alles ist kaputtbar - auch dieses Kind -
aber nicht heute.
Eine andere Geschichte wird möglich sein.
Während die eine und die andere Maria so tapfer ihren Weg geht, werden aus Dornen Rosen schlagen, aus hartem Holz, das die Haut aufreißt und verletzt, werden duftende weiche Blüten wachsen.
Die Hoffnung blüht.
Es beginnt, jetzt.
„Ich sehe dich in tausend Bildern, / Maria lieblich ausgedrückt, /
Doch keins von allen kann dich schildern, / Wie meine Seele dich erblickt.“
So dichtete Novalis.
Tausend Bilder. Eines haben Sie in der Hand. So viele Gesichter.
Eine Geschichte der Menschlichkeit.
Maria.
Es gibt kostbare Madonnen und sehr schlichte Mariendarstellungen - manchmal tragen sie idealisierte Gesichter, dann wieder schaut uns ein Mädchen an, das der, der es geschaffen hat, geliebt haben muss.
Maria, zu der so viele Menschen hingedacht haben, deren großes Lied nicht nur durch die Weihnachtszeit klingt, die Paulus in seinen Texten mit keinem Wort erwähnt - wer mag sie gewesen sein und in wem begegnet sie uns heute?
Wie lebendig wird sie für uns - die schwangere ledige junge Frau im besetzten Land - die Schmerzensmutter, in deren Schoß ihr toter Sohn liegt?
Schlimmer kann es nicht kommen.
In Magdeburg ist es gerade passiert.
Eine andere Mutter, Diane Foley, deren Sohn vom IS vor laufender Kamera enthauptet wurde - schreibt: „weder im Englischen noch im Spanischen, Französischen oder in irgendeiner anderen Sprache … gibt es ein eigenes Wort für Eltern, die ihr Kind verlieren…“
Es gibt kein Wort.
Wer ist sie? Diese Frau, die ein Lied singt, dass sie an so vielen Orten unserer Welt hinter Gitter bringen würde?
Ist sie uns ein Trost oder eine Herausforderung, ein Seelenbild, eine Schwester, eine Fremde?
Das vorab: sie zu vereinnahmen wir uns nicht gelingen, zum Glück.
Denn sie ist die, mit der Gott noch einmal beginnt.
An unserer weichsten Stelle, dort wo wir unsere Menschlichkeit noch nicht verloren haben.
Sie ist die, die singt: „Er gedenkt der Barmherzigkeit.“
Keine Diktatur hat sich gewagt, dieses Lied zu vereinnahmen.
Vierter Advent. Magnifikat.
Das bete und das glaube ich.
Amen


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  Erntedank

Erntedank

Cornelia Götz, Dompredigerin - 06.10.2024

Wieder einmal sind Menschen zusammengekommen, viele.
Es ist nicht das erste Mal,
dass sie Gottes Nähe suchen,
dass sie Trost und Stärkung brauchen,
dass sie sich vom Leuchten in den Gesichtern anderer anstecken lassen wollen.
Wieder lassen sie die Alltagsarbeit liegen, unterbrechen sie sich.
Es treibt und zieht sie, da jetzt mitzugehen, dabei zu sein.
Markus schreibt, Sie haben es gehört, es seien viertausend gewesen.
Zwei Kapitel vorher waren es sogar fünftausend.
Wir sind weniger und auch erst heute Morgen aufgebrochen - aber wir stoßen dazu,
• weil uns das Herz, zwischen all dem was passiert, überläuft
• weil wir uns sorgen, wo die verlogenen gierigen Töne um uns herum uns noch hinführen
• weil uns beunruhigt, dass wir geschehen lassen woran wir schuld sein werden.
Darum ist es ein Segen zu wissen, wohin mit mir in solcher Zeit.
So schließen wir uns denen an, die eine andere Art Unruhe erleben - keine, die Angst macht - sondern eher eine aus der Mitte, der Quelle des Lebens her.
Und wieder, schreibt Markus, gab es nichts zu essen.
In den Geschichten des Neuen Testamentes muss man das wörtlich nehmen.
Der Hunger war allgegenwärtig.
Die, die auf Jesus Christus hofften, litten ihn erst recht.
So ist es geblieben.
Auch unter uns sind Menschen, die sich sehr genau überlegen müssen, was sie kaufen können und wie lange es satt macht.
Und alle leben nicht vom Brot allein.
Wir alle hungern nach Klarheit, nach Ermutigung, nach Hoffnung, nach Liebe und Gemeinschaft.
So viel Erwartung.
So leere Hände.
Jesus, Gott, sieht das und es jammert ihn.
Dieses „es jammert mich“ ist leider aus unserer Sprache verschwunden. Zu schade, denn es hat einen ganz eigenen Sinn: wen es jammert, der ist nicht einfach nur traurig oder mitleidig, sondern angefochten von dem, was er sieht. Wen es jammert, der ist nicht nörgelig und gefrustet, dem zieht es das Herz zusammen, der macht nicht dicht - der sieht noch hin. Wir jammern Gott.
Er sieht, wie wir warten - bei ihm und auf ihn.
Er sieht, dass wir kommen - immer wieder und versuchen, unsere Hoffnung auf ihn zu setzen.
Er weiß, dass wir in uns lauschen, ob da endlich ein großer starker Glaube blüht.
Er sieht es und es jammert ihn, dass wir hungrig bleiben und nicht satt werden, matt und erschöpft sind.
Gott sieht das alles und es ist ihm nicht egal.
Er sieht uns in einer Verfassung, in der er uns nicht gehen lassen kann - so aus uns heraus schaffen wir es nicht mehr lange und die, die von weit her kommen, die es etwas kostet, auf ihn zu setzen, obwohl sie seinen Schutz und Segen bisher nicht gespürt haben - die brauchen jetzt dringend etwas zu beißen, etwas, das stärkt und kräftigt.
Was nun? Zeit für alte Wunder?
O ja, es wäre gut, wenn es Manna und Wachteln regnen würde und alle vor der Tür finden würden, was sie zum Leben brauchen.
O ja, es wäre gut, wenn Gott als Wolken- und Feuersäule mitginge, damit wir uns zwischen den Fata Morganas von Freiheit und Wohlstand und in der Nacht von Hass und Hetze nicht dauernd verlaufen.
Ja, es wäre wahrscheinlich sogar gut, wenn Gott grollend und donnernd, zornig und strafend dazwischen führe, wenn wir wider besseres Wissen anderem huldigen.
Aber so kommt es nicht.
Da müsste uns eigentlich Gott jammern, denn das hat er ja alles versucht …
Und also stehen die Seinen, wir, ratlos und fragen sich:
Wovon können wir denn satt werden?
Wir haben überhaupt nichts in der Hand, um gegen die große Einsamkeit, die große wirtschaftliche Ungerechtigkeit, den ganzen Irrsinn anzugehen.
Wir sitzen in der säkularen Wüste und legen die letzten Oasen mit kleinmütigen Strukturdebatten selber trocken.
Da sitzen wir und es jammert uns.
Aber Gott, Jesus Christus, will unsere Mängelliste nicht hören.
Was habt Ihr denn? fragt er.
Irgendwas muss doch da sein?!
• und an dieser Stelle muss eine herrliche Szene aus dem Film: „Eine Nacht im Grandhotel“ her: Da lehnt der penible, ewig misslaunige Küchenchef bei seinem Kollegen an der Bar und ist verzweifelt. Er vergrault alle. Und nun hat ihn auch noch seine Frau verlassen. Der Barkeeper diagnostiziert eine akute Krise und schiebt Zettel und Stift über den Tresen: „Wenn mich das befällt, schreib ich alles auf, was ich an mir gut finde“, sagt er. Der Küchenchef braucht dafür keinen ganzen Zettel. Ihm reicht ein schmaler Streifen. Es gibt nur eins, was er an sich gut findet: „Dass man sich immer auf mich verlassen kann“ schreibt er auf. Der Barmann reißt die Augen auf: "Und du glaubst, das ist nichts??? Das ist viel mehr als die meisten von sich sagen können!“
Was habt Ihr, fragt Jesus.
Die Menschen schauen sich um und finden sieben Brote.
Und ihr meint, das ist nichts???
Jesus dankt und segnet das Brot und teilt es aus. Während noch das Brot geteilt wird, tauchen auch einige Fische auf und auch für die wird gedankt und ein Segenswort gesprochen. Auch sie werden ausgeteilt.
So essen sie und werden satt, dann brechen sie auf.

Und wir? Was haben wir?
Ich zähle man auf, was ich sehe:
• Frau Gollub an der Domaufsicht, Mario Freienberg und Witold Dulski, Heiko Frubrich, Landfrauen
• Menschen im Dom, die immer da sind und hier Zuhause und solche, die zu Gast sind, sich eingeladen wissen
• einen unglaublich schön geschmückten Altar mit Blumen und Früchten, Brot und Gräsern, dazu eine Erntekrone - liebevoll per Hand gemacht, extra für uns
• Orgel und Gesangbuch, Bibel,
• Abendmahl.
Ich werde nicht fertig, langsam füllen sich die Körbe …
Solches lässt sich nicht ausrechnen oder irgendwie prognostizieren - man muss es erfahren, erleben. Darum ist Erntedank so ein wunderbares Fest.
Wenigstens einmal im Jahr das Staunen und die Dankbarkeit größer werden lassen als alle Sorgen und dann gestärkt weitergehen.

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  Michaelis

Michaelis

Cornelia Götz, Dompredigerin - 29.09.2024

An solch einen Sonntag muss man vielleciht zweischrittig herangehen - erstmal auf den Predigttext aus dem ersten Petrusbrief zum 18. Sonntag nach Trinitatis hören, denn wir Christen haben Gottes Wort, das so klar ist, dass es eigentlich keiner weiteren Boten und Mittler bedarf.
Und dann kommt als willkommene Eskalation - während wir stur wie Bileam in die Richtung zu reiten, die wir richtig finden - die AT-Lesung zum Michaelissonntag mit Gott Engel mitten im Weg.

Ich beginne also mit dem 1. Petrusbrief, der zunächst eine Zeit- und Ortsbestimmung für uns vornimmt, mithin das, was der Kontext ist, in dem wir leben und in den hinein wir hören.
„Das Ende der Dinge ist nah.“
Das kann man in zwei Richtungen hören:
Entweder im Sinne der letzten Generation: das Ende unserer Welt steht unmittelbar bevor. Wenn wir jetzt nicht sofort umkehren (eine alte prophetische Vokabel, die auch den Bileam betrifft), wird diese Erde untergehen.
Oder: Das Ende ist nahe und Gottes Reich steht unmittelbar bevor. Es wird kein Streit und Geschrei mehr sein und gibt lebendiges Wasser für alle umsonst.
So ist es gesagt. Das müsste Konsequenzen haben, so oder so.
Aber: vermutlich schütteln und distanzieren wir uns und reiten weiter. So radikal wird es schon nicht gemeint sein. Das glauben nur dumme Esel.
Den Verfasser des Petrusbriefes schreibt indes weiter und die Übergänge sind genauso steil, wie ich es hier sage - ich lasse kein einziges Wort weg:
„Seid besonnen und bewahrt einen klaren Kopf, damit ihr beten könnt.“
Die Folgerung auf die Zeitansage wird nicht mit einem „darum“ oder „deshalb“ eingeleitet. Es ist mithin egal, ob wir glauben, dass das Ende der Zeit nahe ist. Der Verfasser des Briefes hält sich mit unserer Ignoranz nicht auf, sondern sagt:
Seid besonnen und klar - nicht, um keine falschen Entscheidungen zu treffen, keine Unfälle zu bauen, andere nicht zu verletzen, euch nicht provozieren oder manipulieren zu lassen oder um schlau den besten Schnitt zu machen - sondern: um beten zu können!
Nun ist unsere Besonnenheit und Klarheit dabei sicher nicht für Gott nötig.
Er weiß, was wir - oder Bileam - gleich sagen werden; denn - mit dem 139. Psalm: „es ist kein Wort auf meiner Zunge, dass du Herr nicht schon wüsstest“.
Wir brauchen Besonnenheit und Klarheit, damit wir uns klar werden, damit wir ihm vertrauen und uns in ihm gründen, damit wir „richtig wünschen“ und mit Herz und Kopf auf seinen Wegen unterwegs sind – denn andernfalls produzieren wir diffuse eigensinnige Sturheit und quälen die, die unsere Last tragen.
Nächster Vers:
„Darum haltet vor allem mit Ausdauer an der Liebe fest, denn die Liebe deckt jede Menge Sünden zu.“
Wir sollen ja, so sagte es das zentrale Gebot Jesu, lieben mit aller Kraft, aus ganzer Seele und Gemüt - und das nicht punktuell, sondern geduldig, dauerhaft, gegen den Trend. Nicht, weil es dann unter uns kuschliger und netter ist, sondern weil unsere Sünden dann nicht dominieren, wie wir miteinander umgehen und wir uns nicht damit aufhalten oder ablenken, andere verantwortlich zu machen, wenn es nicht weitergeht.
Vielmehr - direkt anschließender nächster Vers, um den wir mit Sicherheit ganz entspannt herumreiten und drüberweghören wollen:
„Seid gastfreundlich ohne Murren.“
Wir können uns jetzt angesichts all unserer nichtwegzuredenden gesellschaftlichen Probleme dieser Ansage verwehren. Wir können auch auf den Esel einschlagen, bocken und brüllen. Davon verschwindet weder das Thema noch Gottes Anspruch an uns. Und ganz gewiss kommen wir keinen Meter von der Stelle. Der Briefschreiber weiß es und schreibt:
„Dient einander ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“
So klar. So einfach. So absolut unmachbar. Und damit schwenke ich zu Bileam.

Der war ein frommer Mann. Allerdings kein Israelit, sondern in deren Augen ein Ausländer, dem nachgesagt wurde, dass gesegnet sei, wen er segnet und verflucht, wen er verflucht. Er zieht nicht mit dem Gottesvolk. Er lebt im fremden Land und taucht in der Weggeschichte Israels an einer Stelle auf, an der die großem Klärungen der Wüstenwanderung (Manna, Wachteln, Wolken- und Feuersäule, Gebote, Bundesschluss) schon geschehen sind und man sich streitend und unzufrieden Richtung verheißenes Land schleppt, selbst Ausländer ist und das fremde Land, durch das man zieht, wie eine riesige Herde abgrast.
Der Herrscher dieses strapazierten Landes, Balak, versucht die ungebetenen Gäste loszuwerden, indem er nach Bileam schicken lässt, damit der die Fremden verflucht.
Wo käme man hin mit Gastfreundschaft ohne Murren?
So gerät Bileam, der von Gott weiß - ihn ehrt und fürchtet - zwischen zwei Instanzen, zwischen die Logik dieser Welt und Gottes klarem Auftrag: Zunächst lässt sich noch auf Gott hören. Bileam weigert sich und geht einfach nicht mit zu Balak. Darauf schickt der König eine zweite - höherrangige - Delegation. Diesmal gebietet Gott dem Bileam mitzugehen. Aber er wütet dabei.
Bileam könnte also sofort wissen, dass er sich auf einen grundsätzlich falschen Weg macht. Aber er muss erst in den Konflikt und in die Enge getrieben werden, um das auch klar zu sehen, selbst nicht zu wollen.
Und dahin gehört der Engel-Text an diesem Michaelissonntag. (Num 22,31-35)
- TEXT -
Gottes Engel ist ein Hindernis. Er trägt den Bileam nicht fürsorglich aus der Misere. Er ist nicht der freundliche Begleiter. Sondern einer, der sich so nachhaltig in den Weg stellt, dass Bileam das Falsche nicht machen kann.
Wir neigen dazu, in Gottes Engel sanften Schutz zu sehen - gleich singen wir eins meiner Lieblingslieder, das nun als Predigtlied gar nicht mehr passt, denn wenn wir genau hinsehen -
• sei es der Engel, der Abraham daran hindert, blind zu gehorchen und seinen Sohn zu opfern
• sei es der Fremde, der mit Jakob am Jabbok ringt, damit der sich endlich mit seinem Bruder versöhnt
• sei es der, der Bileam im Weg, Fremde zu verfluchen
dann zwingen Gottes Boten, die Augen aufzureißen, zu erkennen, was jetzt dran ist und uns dazu hindurchzuringen, seinen Willen zu tun. Dann leistend die Engel uns Widerstand bis wir begreifen und selbst das Richtige tun.
Bileam wird die Fremden segnen.
Und wir?
Wie lange wird es dauern, bis wir aufhören, um uns zu schlagen, auf der Stelle zu treten, falsche Pläne zu verfolgen und die Augen aufmachen, gastfreundlich sind - ohne zu murren? Oder noch anders: Wird es ein Fremder sein, dessen Segen wir zum Leben brauchen?
Der Petrusbrief endet mit den Worten: „Wenn jemand dient, dann tue er es aus der Kraft, die Gott gewährt, damit in allem Gott gepriesen werde.“
Wie das geht? Bisher scheinen es nur die Esel zu wissen…

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  Beim Namen nennen

Beim Namen nennen

Cornelia Götz, Dompredigerin - 16.06.2024

Da sind wir und sitzen mit unseren mehr oder weniger geradlinigen Lebensgeschichten neben der Schreibwerkstatt der Aktion „Beim Namen nennen“ und werden wieder einmal nicht damit fertig werden.
Nicht mit dem Schreiben, nicht mit dem Lesen, schon gar nicht mit dem Begreifen.
Eine Generation umfasst die Liste inzwischen - seit 1993 finden sich Namen und Todesumstände derer, die auf dem Weg nach Europa verloren gegangen sind. Über 60 000 sind es inzwischen - und das sind nur die, von denen wir es genau wissen.
Verlorene Väter und Mütter, Töchter.
Verlorene Söhne.
Es ist eine alte Geschichte.
Weltbekannt. Eine Variante erzählt Lukas.
Sehr kurz zusammengefasst geht sie so:
Wenn es nicht einen Sohn gibt sondern zwei, dann gibt es Kain und Abel, Jakob und Esau und nur ganz selten Max und Moritz. Die Kleinen sind die Benjamins und Josefs oder eben Abel und Jakob - auf denen scheint das Auge freundlicher zu ruhen; egal ob sie es verdient haben.
Darum bewirkt die Geschwisterkonstellation unterschiedliche Rollen in der Familie, erleben sich nah Verwandte als sehr verschiedene Menschen.
Es gibt Söhne, die arbeiten verlässlich und ohne Aufhebens auf dem Feld der Familie. Für das tägliche Brot ist gesorgt. Es gibt Sonne und Wind, Trockenheit und Regen. Alles hat seine Zeit. Sie bleiben und glauben an die Ordnung der Dinge. Sie werden dort geboren wo sie sterben. Ihr Leben währt wenn es gut geht siebzig oder achtzig Jahre.
Und es gibt Söhne, die gehen fort, versuchen das Leben anderswo, haben Erfolg oder scheitern, können wurzeln oder haben Heimweh, kommen zurück oder sterben in der Fremde.
Und dann gibt es noch Väter, die bangen um beide und wissen manchmal nicht, warum der eine so und der andere so geworden ist und wissen es doch und tragen an diesem Wissen schweigend und hoffen, dass ihre Kinder leben, sich vertragen und nicht verloren gehen.
Es ist eine alte Geschichte und immer wieder neu.
Jede Variante hat zahllose Leerstellen - auch die des Lukas:
„Ein Mensch hatte zwei Söhne…“
Das gleich vorweg: Frauen kommen in dieser Version nicht vor. Keine Mütter und keine Töchter, keine Ehefrauen, keine Liebste. Es wäre eine andere Geschichte.
„Der Jüngere von ihnen sprach zum Vater: Gib mir das Erbteil, das mir zusteht. Und der Vater teilte Hab und Gut unter sie.“
Es gibt kein Warum.
Kein einziges Fragezeichen zwischen dem Vater und diesem Sohn.
Also fragen wir:
Was treibt ihn?
Ist es die Erkenntnis, dass für ihn kein Platz ist - die Stelle dessen, der Haus und Hof besorgt, ist schon besetzt. Ist es die Einsicht, dass dieser Hof ihn nicht auch noch ernähren wird? Ist es die Angst nicht genügen zu können, nicht hineinzupassen in ds alte Bild. Oder ist es Neugier, Lebenslust, Übermut, Sehnsucht - die Freiheit des Jüngeren, der nicht festgelegt ist von Familientraditionen.
Lukas nennt keinen Grund. Jeder ist möglich.
Manche mögen auch für die gelten, an die hier jetzt nur ein Stoffstreifen erinnert.
Bei Lukas ist es so:
Der erste übernimmt den Hof und wünscht sich, es hätte ihn einer gefragt, ob er das will oder kann. Der zweite stellt seine Füße auf weiten Raum.
Kein Warum. So ist es.
Du bist in deine Haut geboren. Welche Farbe sie hat, ob sie heil ist oder wund, von Sonne gegerbt oder von Kälte angegriffen, ob sie Taufwasser spürt oder nicht –
du wirst nicht gefragt.
Der Vater weiß das und zögert nicht. Er war selbst ein Sohn.
Er gibt dem Sohn, worum er bittet.
Der erbittet nichts, was die anderen ruinieren würde. Der griechische Text unterscheidet fein: Es geht nicht um „oußia“ die Existenz, es geht um „bios“, das was man zum Leben braucht. Es geht nicht um gleiche Teile. Der Ältere erbt den Hof und die Pflicht, die Fürsorge für die Alten. Der Jüngere, was er zum Leben braucht.
Ob der Jüngere viel bekommt?
Wir wissen es nicht. Lukas lässt auch das offen.
Vielleicht birgt das Erbe eine große Chance. Vielleicht ist es nur eine Überlebensration. Vielleicht sieht es nach mehr aus als es ist. Nicht jeder Acker ist fruchtbar, nicht jede Währung wertvoll. Das Erbe kann die Welt öffnen oder alles verstellen.
Der Vater weiß es. So oder so ist das Leben.
„Und nicht lange danach….“ schreibt Lukas weiter.
„Gib mir noch eine kleine Weile Zeit, ich will die Dinge so wie keiner lieben“ - dichtet Rainer Maria Rilke.
Der Jüngere bricht nicht sofort auf. Er ist nicht reisefertig. Will er überhaupt weg?
Was passiert in dieser kleinen Weile?
Versucht er zu verarbeiten, dass niemand gefragt hat, warum?
Versucht er, ein anderes eigenes Leben zu entwerfen?
Wartet er auf ein Wort? Tut es weh?
Auch hier fragt niemand: was hast Du vor?
All das Schweigen lässt erahnen wie unerzählt diese Geschichten sind.
Was wissen wir schon…
Warum sind sie losgezogen, die verlorenen Söhne?
Wollen wir es verstehen?
Zunächst wird uns, die wir allermeist brav auf unserer Scholle arbeiten und bleiben, wohin das Leben uns gestellt hat, das Urteil leicht gemacht: Der Jüngere kann mit dem Geld nicht umgehen. Es gelingt ihm nicht, davon zu leben. Er verschleudert es und scheitert.
Tja. Wärst Du mal zuhause geblieben, sagt die wohlfeile Hartherzigkeit.
Dabei kommt der eigentliche Genickbruch unverschuldet, von außen, durch eine Hungersnot. Immer wieder ist es der Hunger. Josefs Brüder trieb er und die vielen, die Jesus hinterliefen auch. Hunger kennen alle. Viele auf den Streifen dort auch.
Diesen hier bringt der Hunger nicht nur in existentielle Gefahr, sondern - er ist ja in der Fremde - in eine zutiefst demütigende Situation.
Jetzt verliert er sich ganz. Mit Schweinen und an deren Trog, kann er als Jude nicht tiefer sinken. So dreht er um. Die letzte Kraft gilt einem neuen Anfang.
Er will sich nicht rechtfertigen. Vielmehr ist er voller Schuldgefühle, was er anderen zugemutet hat. Er hofft auf ein Zuhause.
Er will nicht als Sohn heimkommen.
Er weiß, dass er kein Bruder mehr ist.
Aber ein Mensch.
Der Vater sieht ihn kommen. Und lässt alles stehen und liegen.
Er rennt ihm entgegnen.
Er will nichts hören.
Es zählt nur eins:
Er lebt.
Du lebst!
Mein Kind hat überlebt.
Alles andere ist egal.

Der Vater würde jeden seiner Söhne so willkommen heißen. Und er würde jeden gleich betrauern. Die Soziologin Judith Butler nennt diese gleiche Betrauerbarkeit der Nahen und Fernen den Kern der Gewaltlosigkeit. Nur dann - wenn wir sie alle gleichermaßen betrauern.- ist uns nicht egal, ob irgendwo irgendwer stirbt, nur dann liegt uns die Verteidigung der Eigenen nicht näher am Herzen als die der Kinder anderer. Ist das naiv?
Lukas ist es jedenfalls nicht. Denn:
Es jammert den Vater. Das ist das biblische Wort für Barmherzigkeit.
Darum ist alles andere unwichtig. Nur eines nicht:
Er lebt.
Gott sei Dank.

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  Trinitatis

Trinitatis

Cornelia Götz, Dompredigerin - 26.05.2024

Da kommt einer, Nikodemus, in der Nacht zu Jesus.
Aus irgendeinem Grund will er dabei nicht gesehen werden.
Vielleicht ist es ihm peinlich, dass andere bemerken, dass er diesem tatsächlich zutraut, der eine zu sein.
Vielleicht hat er sich nicht getraut, Zeit, die Menschen mit wirklichen Gebrechen von Jesus Christus brauchen - damit sie endlich wieder sehen oder gehen können, den schrecklichen Hunger loswerden - für sein verqueres Zweifeln in Anspruch zu nehmen.
Vielleicht braucht er die Nacht, um konzentriert denken zu können und nicht abgelenkt zu werden von all den Glücksversprechen, Ratgebern und Sinnverneblern um sich herum.
Vielleicht hat er auch die x-te Nacht nicht schlafen können, weil ihn um den Verstand bringt was um ihn herum passiert, dass das doch alles nicht gut gehen kann und weil er trotz aller Anstrengung, die er in sein Denken und Tun investiert hat, einfach nicht sieht,
dass das, was er versucht, greift und nützt, tröstet und leben hilft,
dass sich etwas ändert,
dass er dem Rad in die Speichen fallen kann.
Er hat es sich nicht leicht gemacht und Anstrengung nicht gescheut. Als Pharisäer hat er die Schriften gelesen und gelernt, er hat die vielen kleinen und großen Regeln, so mühsam und befremdlich für andere sie auch sein mögen, eingehalten, er hat Gott nicht passend und alltagstauglich gemacht, sondern ihm die Ehre gegeben.
Heilig, heilig, heilig.
Und trotzdem nagt es an ihm.
Ist da ein Gott?
Und richtet er sein Leben auf die richtige Sache aus?
Haben die vielen recht, die längst ohne Gott auskommen können oder für jeden Teilbereich des Lebens einen anderen Garanten gefunden haben?
Ist er womöglich einfach nur feige, wenn er sich vor dem „da ist nichts“ fürchtet?
Ist er allein mit diesem: Heilig, heilig, heilig?
Und jetzt kommt dieser junge Mensch, tut Zeichen und Wunder, stellt alles infrage, nimmt alles in Anspruch: Das strenge Regelwerk ist es gar nicht, was Gott von uns möchte. Es ist nur ein Geländer für ein gottesfürchtiges Leben. Welche Wege Gott eigentlich meint, kann man an ihm, an Jesus, sehen - so hört er.
An einem, der ohne alles kommt und geht.
Und Menschen derart in Bewegung bringt, dass sie alles für ihn stehen und liegen lassen.
Er, Nikodemus, konnte sie mit Mühe überzeugen, am Sabbat wenigstens ruhig zu halten und Gottes Namen nicht wie ein Modewort im Mund zu führen. Aber taten sie das, weil sie glaubten, dass es etwas auf sich hat mit diesem dreifachen:
Heilig, heilig, heilig?
Nikodemus quält sich. Er versteht ja: ein junger Revolutionär, der auf das pfeift, was die Alten vorleben, ist immer anziehend: Brot und Rosen, Blumen und Liebe, lange Haare und Sandalen, was kostet die Welt?
Aber das ist es nicht allein.
Mit diesem verändert sich wirklich etwas:
• In seiner Nähe geht es Menschen wirklich besser.
• Er hält all die Dämonen und Besessenheiten, die uns entfremden und verführen, in Schach.
• Er versucht gar nicht erst neutral zu sein, sondern erklärt ein Programm mit eindeutigen Optionen: Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit, Barmherzigkeit.
Irdische Maßeinheiten für Erfolg – Besitz, Leistung, Macht – kommen bei ihm nicht vor.
Nikodemus schmeißt sich im Bett hin und her, dann steht er auf, zieht sich an, geht raus und sucht ihn und fragt:
„Warum kannst Du das? Warum funktioniert das? Was ist es? Es sieht so aus als ob alles, was ich so sehr von Gott erhoffe und erbitte, alles, was ich versucht und erhofft habe, erst mit Dir und auf deine Weise funktionieren kann. Ist Gott auf deiner Seite? Ist er mit Dir? Warum? Was machst Du anders? Ich kann es nicht begreifen.“
Eigentlich wollte er fragen: „Bist du es?“ - aber das traut er sich nicht mal zu denken. Der Gott, den er glaubt, dem durfte man nicht ins Gesicht sehen.
Und doch, noch während er spricht, ist auch für ihn ein Wunder schon passiert:
Nikodemus hat IHN, er hat Gott, angetroffen.
Er ist nicht ziellos durch die Nacht gestolpert.
Gott hat sich - so wie er es versprochen hat, von einem, der ihn mit ganzem Herzen sucht, finden lassen.
Hat er das gemerkt?

Wir kennen nur Jesu Antworten auf seine Fragen. Die sind ungeheuer sperrig:
„Ich sage dir, nur wenn jemand neu geboren wird, aus Wasser und Geist, kann er das Reich Gottes sehen... Der Wind bläst wo er will … aber niemand kommt in den Himmel, der nicht von dort herkommt “
Und dann kommt noch etwas von Gottes Sohn, der hingegeben wird.
Wie geht das Gespräch aus? Johannes erzählt es nicht.
Geht Nikodemus ermutigt oder verstört nach Hause? Wird er verstehen?
Jedenfalls wird er Myrrhe und Aloe für die Salbung des Leichnams bringen.
Sein Name heißt übersetzt: „Sieger aus dem Volk“.
Irgendwie, irgendwas, hat er gewonnen.

Ein anderer - nach ihm - wird versuchen, Worte zu finden.
Auch er hat sich weidlich gequält: Paulus.
Er kennt diese Geschichte von Nikodemus. Er hat das alles auch durch. Er hat die Schriften studiert und sich nichts erspart, er hat die Gesetze strengstens eingehalten und mit aller Kraft, ja auch mit Gewalt, versucht, die Verrückten, die sich auf diesen einen berufen, zum rechten Glauben zurückzuholen.
Und dann hat „es“ ihn von den Füßen gerissen.
Er hat solches Neugeborenwerden erlebt.
Er bekam einen neuen Namen und öffnete die Augen noch einmal für den ersten Blick.
Er ahnt jetzt, was Jesus dem Nikodemus sagen will und auch, was die Kreuzigung und das leere Grab, das seltsame Erlebnis der Verständigung durch einen Sturm, einen Geist bedeuten - er spürt, wie es zusammenhängt, drei in einem, heilig, heilig, heilig und auch, dass dieses Reich, von dem Jesus Christus redete eine andere aber reale Wirklichkeit ist.
Jetzt er rennt er über Stock und Stein, bis nach Europa.
Er macht sich Feinde. Egal.
Er redet und schreibt und redet und schreibt.
Das einzige, was er unbedingt will, ist, dass alle davon hören und begreifen.
Aber was? Und wie soll er es sagen?
Und dann haut er einen wahnsinnigen Satz raus, vierzehn Verse lang und da kommt alles drin vor:
“Loben, erwählen, haben, wissen, hoffen, vorherbestimmen, versiegeln, verheißen, widerfahren , Klugheit, Reichtum, Wahrheit, Gnade, Geheimnis, Grund, Liebe, Herrlichkeit, Kinder, Erde, Zeit, Vergebung, Weisheit, Segen“
Und das ist längst nicht alles, was er in diesen einen Satz packt - den ersten des Epheserbriefes. Ich lese ihn jetzt nicht vor. Es ist eine Quälerei und außerdem hat er die Würde vergessen.
Aber er meint wohl das, was wir heute feiern: heilig heilig heilig.
Gott über uns und in uns und durch uns.
Amen


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  Ostern

Ostern

Cornelia Götz, Dompredigerin - 31.03.2024

Ostern
Unbeschreiblich
Unbegreiflich
So wunderbar, dass es unsere Vorstellungskraft sprengt und dafür eigentlich – nein, nicht eigentlich, sondern überhaupt – keine Worte gibt.
Es braucht Lieder, Gedichte und Bilder, die unbekannte Räume eröffnen und über das hinausweisen, was wir formulieren können.
Es braucht - mit Christian Lehnert, dem Dichter und Theologen - die Einsicht, dass Glauben nicht immer auf Lebensfragen antwortet, sondern manchmal noch viel größere aufwirft.
Dann wird aus dem Fragen Sehnsucht und aus dem Hoffen das Suchen von Spuren, die auf einen größeren Horizont verweisen:
Spuren von Licht und Leben, von Wundern.
Von denen gibt es viele.
Viele von denen, vielleicht sogar alle, die bis Gründonnerstag oder bis unters Kreuz am Karfreitag mitgegangen sind, haben solche Wunder erlebt – in ihrem wirklichen Leben – durch Jesu Nähe.
Sie sind gesund geworden und satt, sie haben Mistreiter*innen gefunden, Trost und Sinn, Liebe!
Sie haben gemerkt, auf mich kommt es an, ich bin gemeint.
Sie sind mit ihm durch weites Land gelaufen, haben zugehört und zugesehen:
Wie ein Sturm gestillt wurde und der stinkende Lazarus aus dem Grab kam, wie zwei Brote und fünf Fische für unzählige Menschen reichten und alle satt wurden und auch, dass man mit denen in Frieden zusammenleben kann, die man eigentlich nicht gern dabei hat.
Sie haben endlich begriffen, dass Gesetze nicht eingehalten werden müssen wegen der Gesetze, sondern wegen der Einübung in ein menschenfreundliches und gottesfürchtiges Leben.
Sie waren nicht reicher geworden.
Sie lebten nicht sicherer.
Aber sie waren frei.
Sie hoben die Köpfe und es öffnete sich ein neuer Blick, weitete sich der Horizont.
Das Reich Gotte schimmerte auf und leuchtete aus all diesen - kleinen, mittleren und ziemlich großen Wundern.
Von denen die Evangelien zwar erzählen - die aber später, als man Glaubensbekenntnisse formulierte und alles in Ostern gipfelt, nicht mehr der Rede wert waren.
So ist es eben in Jesu Nähe.
So kann es jedenfalls sein.
Man kann davon erzählen und staunen und feiern.
Geheilte Gebrechen, gestillter Hunger, befriedeter Sturm: all das ist diesseits fassbar.
Das kommt schon manchmal vor.
Aber Ostern? Auferstehung von Toten?
Das nicht.
Das ist mehr!
Heller, schöner, unbegreiflicher!
Ostern ist das Wunder des Lebens, größer als alles, was unter uns an Wundern geschieht.
Ostern trägt Gottes Handschrift.
Nur seine.
Gibt es einen Adapter für unseren Verstand?
Irgendwas um anzuknüpfen an diese Erfahrung, damit die Hoffnung groß wird unter uns, damit wir uns vom Glauben überrumpeln lassen können. Ganz arglos. Glücklich.
Der Verstand versucht es im Morgennebel.
So erzählen es die biblischen Geschichten und so beschreibt es Fulbert Steffensky, der sich mit seinen 90 Jahren eigentlich keinen Essay über Ostern mehr zutraute: Im Morgennebel begegnet ein Gärtner, da erscheint ein fremder Wanderer zum Geleit.
Der Glaube muss sich entscheiden, ob das Bild geschärft werden soll.
Das Herz tut es, weil es Hoffnung braucht.
Und schon sind wir wieder gefährdet, das Unglaubliche auf ein erklärbares Maß zu reduzieren.
Erinnerung:
Brannte nicht unser Herz?
Erinnerung?
Vielleicht liegen die Adapter ja in den immer unglaublicheren Geschichten selbst: wir erzählen sie einander und hören sie und dehnen unsere Vorstellungskraft - durch Glaube, Liebe, Hoffnung.
Erst: gesunde Beine und ein gestillter Sturm.
Dann: ein Kind, ein vollkommenes Wunder.
Hannah, die Unfruchtbare, bekommt es nach vielen Jahren voller Tränen und Appetitlosigkeit, voller Trauer und Selbstzweifel. Der Morgennebel hebt sich, schon wird das Licht klarer und heller. Freude perlt und- Sie haben es vorhin - „Hanna betete: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan, … denn ich freue mich deines Heils. Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner und ist kein Fels, wie unser Gott ist!“
Hanna betet und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das spricht.
Ich denke, sie singt.
„Fröhlich soll mein Herze springen und wir wollen alle fröhlich sein, denn in dir ist Freude“ und „mit Freuen zart“- ja zart auch.
Voller Freude über dieses Wunder.
Ein Geschenk des Lebens.
Aber auch von Hannas Kind steht nichts im Glaubensbekenntnis - obwohl dieses Kind ganz sicher ein Gottesgeschenk war, ein Wunder, mit dem kein Mensch rechnen, das keiner erzwingen kann.
So ist es eben, wenn Gott unsere Gebete hört.
So kann es ein.
Auch das muss man nicht mit mühsam gefunden Worten, schwierigen theologischen Formeln bekennen. Das kann man wirklich erleben.
Und Gott wirkt immer größere Wunder.
Maria begegnet einem Engel und wird schwanger aus lichtem Himmel. Was? Ich?
Das hat den Weg ins Glaubensbekenntnis geschafft – da hat unser Verstand seine Grenze erreicht.
Jetzt kriegt der Glaube etwas zu tun.
Jetzt wird auch die Nacht langsam hell.
Freude über Freude. Alle Engel singen mit!
Wird jetzt alles gut?
Ja und nein. Alles durcheinander.
Jesus, Gott selbst, wird von Menschen ans Kreuz geschlagen.
Das kann man nicht begreifen.
Darüber muss man sich wundern bis man ganz wund ist oder reif für das letzte große Staunen - am Ostermorgen als sich alle Nebel gehoben haben und die Sonne ins leere Grab scheint.
Da kommen sie uns doch über die Lippen, Worte aus der Tiefe, aus der Höhe, aus dem Gestern, aus dem Morgen - noch einmal mit Fulbert Steffensky:
„Christus lebt und wir mit ihm. Weiß Gott, was wir da sagen! Gott weiß es, und das genügt.“
Und wir?
Wir haben leichtfüßig eine Grenze passiert und alle Zweifel hinter uns gelassen.
Christ erstanden! Halleluja.

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  Jahreslosung 2024

Jahreslosung 2024

Cornelia Götz, Dompredigerin - 01.01.2024

Mit den Jahreslosungen ist es so eine Sache. Manches Jahr weiß ich sie im Oktober noch nicht auswendig und in anderen Jahren geht sie mit - von Anfang an.
So war es im vergangenen Jahr.
Aus dem 1. Buch Mose hieß es: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Hagar hatte das an einem Scheidepunkt, einer Wegkreuzung des Lebens, verstanden.
Gott sieht mich. Er sieht das Gelingende und das Scheitern, er sieht, was ich versuche und verdränge, womit ich konfrontiert bin - er sieht das Zuviel und das Zuwenig.
Er übersieht mich nicht.
Sein Blick macht mich nicht fix und fertig, so dass ich vor lauter Komplexen, Schuldgefühlen oder überhöhten Erwartungen an mich selbst und das, was ein glückliches Leben sein soll, nicht mehr weiter kann.
Sein Blick hilft, einen gangbaren Weg zu finden.
Nicht ideal, aber möglich, menschlich.
So geht es denke ich auch für uns:
Solche Vergewisserung hilft, wenn all das passiert, was man vermutet hat oder nicht kommen sah - im Guten wie im Bösen.
So haben wir es auch über die Schwelle vom alten zum neuen Jahr geschafft - mitsamt der Erfahrung, dass nicht nur das Kind in der Krippe verletzlich ist, sondern wir auch
• wenn das Wetter kommt und das Wasser, dem weder ein Stall gewachsen ist noch eine Strohschütte
• wenn die Nachrichten über Krieg und Gewalt kein Ende nehmen
• das Mutmachen für die angeschlagenen Demokratien mühsam ist…
Und dann sind da ja noch die Steine auf dem Herzen, die zum Glück nicht jeder sieht.
Und jetzt sind wir hier und Gott sieht uns.
Er sieht hinter unsere Stirnen und in unsere Herzen.
Er sieht, was wir uns zusammenreimen oder vorgenommen haben, wovor wir uns fürchten.
Was wird das für ein Jahr werden?
Wird es sein, wie Thüringens Innenminister Georg Maier gerade sagte: „Ich habe manchmal das Gefühl, wir schlafwandeln in ein ziemliches Desaster hinein und wachen am 2. September in einem autoritären System auf.“
Wie wird sich auswirken, dass Gletscher schmelzen und Böden auftauen während Kriege geführt werden, die Unsummen verschlingen …
Was ist mit den Völkerwanderungen, dem Hunger, dem Verteilungskampf?
Was sieht Gott, wenn er uns sieht?
Ohnmacht, Wut, Lethargie?
Vermutlich.
Aber hoffentlich nicht nur.
Ich hoffe, dass er Zuversicht und Mut sieht, klein vielleicht aber kräftig genug, um sich nicht unterkriegen zu lassen.
Ich hoffe, dass er Vertrauen sieht - in Menschen und Menschlichkeit, in ihn.
Ich hoffe, dass er Kraft sieht, weiterzugehen über die nächste Kreuzung hinaus.
Und auch, dass wir im neuen Jahr nicht vergessen, dass er uns sieht.
So gerüstet, hoffnungsvoll, dankbar für ein altes Jahr, in dem wir behütet und bewahrt worden sind, bin ich Ohr für das, was nun die Überschrift sein soll.
Was sagt er also zum neuen Jahr mit all den Risiken, in die hinein wir unser kleines begrenztes Leben gebaut haben?
„All eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“
Puuh.
Nachdem Gottes Antlitz über uns leuchtet und wir uns schon fast in Gott Arm kuscheln wollten, nun die Ansage: ich seh Dich, Du kannst das, Du hast ja grad gemerkt, wie gut es tut, liebevoll angesehen zu werden, auf geht’s!
2024 lass alles! - nicht nur das, was deine Liebsten betrifft oder woran dein Herz hängt, sondern alles - lass in der Liebe geschehen.
Staubwischen, Steuererklärung, Wahlzettel ausfüllen, tanken, einkaufen, Fahrradfahren, Hände waschen, Haare kämmen, Pläne schmieden, Whattsapp-schreiben. Alles.
Das wird die Diktatur des diakonischen Lächelns und ich bin, wie Ildiko von Kürthy so fantastisch schreibt, eine sprechende Duftkerze.
Ach, es ätzt sich gut und passt nicht zur Jahreslosung, die ernstgenommen werden will.
2. Versuch:
„All eure Dinge lasst - 2024 - in der Liebe geschehen.“
Paulus schreibt das eine ganze Bibel und alle Arten zwischenmenschlicher Vorfälle und lebensgeschichtlicher Standardsituationen später als das Mosewort.
Am Ende eines Briefes.
Schlussformeln und letzte Worte haben es in sich, egal was vorher alles geschrieben war. Am Ende, was kommt dann?
Ein „bis uns wiedersehen“? Oder eine Zärtlichkeit? Vielleicht ein „dein“, das eines meint…
Nein, Paulus schreibt keine Liebesbriefe, jedenfalls nicht solche.
Er erklärt, erinnert, ermahnt, klagt manchmal. Teilt Pläne mit und Erwartungen. Nicht zu knapp. Er weiß ja: Gott sieht uns. Wir können das. Und also hören wir:
„Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark!“ und dann schiebt er gleich hinterher: „und all eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“
Taumelt nicht gedankenlos ins neue Jahr, ängstlich, verschreckt - dafür steht zuviel auf dem Spiel.
Passt auf, vertraut, seid tapfer. Und Achtung! Es hängt alles zusammen:
Wachsamkeit, Mut und Stärke ohne Liebe können gefährlich werden.
Ohne Liebe führt Wachsamkeit zu Misstrauen, Kontrollzwang, Angst.
Ohne Liebe wird fester Glaube zu Ideologie und hartherziger Enge.
Ohne Liebe führt Mut und Stärke zu Gewalt, Selbstüberschätzung, Terror.
Darum: „Lasst alles in der Liebe geschehen.“
Ja… Aber wie? Wie kann einer das verlangen?
Ich habe gelesen, solche Ermahnung funktioniert wie Prinzenerziehung.
Befähigung und Begabung werden nicht bezweifelt, denn die Adressatin ist nicht auswechselbar. Darum wird auch nicht geschimpft sondern ermutigt.
Solche Ermahnung hofft alles und glaubt alles.
Wie die Liebe.
Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen - sehr liebevoll - dass wir diese Jahreslosung mit uns herumtragen und immer wieder neu zu Herzen nehmen.
Möge 2024 in der Liebe geschehen.
Unter Gottes Segen und vor seinem Angesicht, damit ihn freut, was er sieht.

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durch Mitglieder der DomführerGilde
In der Zeit von Anfang Januar bis Mitte März sowie an Feiertagen finden keine öffentlichen Führungen statt!