6. Sonntag nach Trinitatis
6. Sonntag nach Trinitatis
Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.07.2025
Wir haben zu Hause eine Redewendung für die Momente, wenn wir uns das Kinoprogramm zu Gemüte geführt haben: „Ich möchte zarte bulgarische Ehedramen“ - kein Mord- und Totschlag, keinen Thriller - einfach nur ein zartes bulgarisches Ehedrama.
So geht es mir manchmal beim Predigtschreiben: Ich möchte etwas Helles und Heiteres sagen, von großem Frieden erzählen, die Wüste zum Blühen bringen, Zuversicht und Fröhlichkeit verströmen -
aber im Programm gibt es das einfach nicht.
Im Gegenteil: über diesem Sonntag steht ja eigentlich das Thema Taufe und damit ein lichter Horizont von Gottes „Ja“ zu uns und all dem Guten, was auf seinen Wegen möglich werden kann -
aber dann sind da die schrecklichen Bilder aus Gaza und unsere Hilflosigkeit, unser Schweigen,
dann ist da die - jedenfalls mich verstörende - isolierte Haltung unserer Regierung zu diesem Konflikt,
der ganze überhaupt nicht neue Korruptionsmist in der Ukraine,
die viele Gülle und deutsche Ignoranz gegenüber Verabredungen und Verträgen bei Landwirtschaft und Klimaschutz, ganz zu schweigen vom Asylrecht - man möchte eigentlich wie Elia einfach wegrennen, sich irgendwo in menschenleerer Gegend unter einen Baum legen und den Dienst quittieren.
Aber wir sind hier und geben uns Mühe.
Hören auf Gottes Wort und heute auf den ersten Petrusbrief - da hat sich ja offenbar ein Mensch wie wir, einer der getauft war und der guten Nachricht, dem Evangelium von Jesus Christus, etwas zutraute - Mühe gegeben, seinen Nächsten und durch die Zeit auch uns, etwas Hilfreiches zu sagen.
Erinnern Sie sich an die Bilder des Textes?
Da war zunächst von Muttermilch die Rede und dem Kindchen, das sie sucht und braucht, um zu gedeihen, einen guten Start ins Leben zu haben, ein gesundes Immunsystem gegen so vielerlei Gefährung aufbauen zu können. Das könnte eine Predigt über dieses Wunder werden: dass Mütter genau die Milch haben, die jeweils das Beste für dieses eine unverwechselbare Kind ist. Sie ist nicht nur frei von jedweder Verunreinigung und gerade so nahrhaft oder durstlöschend wie im Moment nötig, sie ist auch immer da, auf die unmittelbarste und innigste Weise verfügbar, hilft einen Schutz und Stabilität aufzubauen, damit man irgendwann sicher auf den eigenen Beinen steht.
Was für ein schönes - verblüffend mütterliches - Bild für die Taufe und Gottes große Zuwendung zu jedem von uns!
Ja!
Aber dann drängt sich Gaza dazwischen.
Und ich ahne, die Brüste der Mütter dort fließen nicht über, weil das Kindchen grade satt ist und ruhig schläft. Ich ahne, die Muttermilch dort ist nicht dick und sahnig, weil die Stillende gesundes gutes Essen hat, sondern dünn wie Molke.
Ich ahne, das Stillen ist nicht ein Moment großer Nähe zwischen Mutter und Kind, sondern eine Riesensorge, weil die Milch vor Angst und Stress wegbleibt oder sich staut und die Brüste entzündet.
Es könnte gut sein. Es ist alles gut eingerichtet.
Aber wir Menschen …
Und dann war da noch das Bild eines Bauwerkes.
Die Bauleute brauchen einen Eckstein - der muss von bester Qualität sein, ein Referenzprodukt sozusagen, denn das ganze Bauwerk richtet sich nach ihm aus. Er trägt und hält zusammen, lotet und ordnet. Ein wichtiger und wertvoller, darum schön behauener Stein. Aber auf dieser Baustelle ist ein Eckstein verbaut, den die Bauleute für ungeeignet gehalten haben. Was war mit dem? War er schief, uneben, aus schlechtem Material, zu bröcklig? Oder zu groß, unbehaubar, nicht in Form zu kriegen? Warum wird der dann trotzdem ein Eckstein - verantwortlich für das Ganze?
Damit man sich ordentlich ärgern kann?
Damit menschliches Scheitern dokumentiert wird?
Denn vom Ärger und Anstoß war ja auch was drin im Brief des Petrus.
Und dann sind da noch die lebendigen Steine - ein Widerspruch in sich. Alles was Leben ausmacht: Reizbarkeit, Stoffwechsel, Bewegung, Wachstum, Fortpflanzung, Evolution - kann ein Stein nicht. Ein Stein ist ein kompaktes Objekt, verfestigtes Sediment, Ausdruck von Stabilität und Dauer.
Hier soll offenbar etwas gebaut werden, was gar nicht geht oder was es so noch nicht gibt.
Was will Petrus uns schreiben?
Dass wir völlig andere Lebensstrukturen, Wohneinheiten, Verbindungselemente und Referenzpunkte brauchen als unter uns üblich? Das wir Gefahr laufen, in den Gebäuden, in denen wir uns verbauen lassen, einfügen und unsere Last tragen, zu toten Steinen zu werden - ohne jede Regung, was immer passiert?
Zeit, noch einmal in den Text zu gucken und dabei ein Experiment zu wagen:
Nächste Woche werde ich mit den Konfirmanden auf Segeltour gehen. Auf der Suche nach einem Unterrichtskonzept bin ich auf ein Projekt der Mitteldeutschen Kirche gestoßen: Denken wir uns die Bibel wie einen Fluss von Erfahrungen mit Gott. Lernen wir wieder lesen, was das mit uns zu tun hat und üben wir uns darin, zu sehen, dass sich fünf Themen wie große Ströme durch die ganze Bibel hindurchziehen:
Menschenwürde - Berufung - Neuanfang - Partei ergreifen - Gerechtigkeit.
Funktioniert das auch mit unserem Text?
Hören wir nochmal hin:
„So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede und … kommt zu ihm als zu dem lebendigen Stein...“
Neuanfang: Lasst hinter euch was ist und kommt - wachst dem Guten entgegen.
Berufung: Gott erwählt und ruft, die ihm kostbar sind.
„Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause.“
Menschenwürde: wir sind ihm ähnlich, lebendiger Stein wie er selbst und durch seinen Sohn, den Eckstein, miteinander verbunden.
„Darum steht in der Schrift: Siehe, .. wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.“
Die Bibel, der Fluss - er verbindet uns mit denen, die vor uns waren, geglaubt und von ihren Glaubensgeschichten erzählt haben und mit denen, die sich heute irgendwo anders über diesen Text beugen und mit denen, die unsere Nächsten sind, die Not leiden und hoffen, dass wir hören und verstehen.
„Für die aber, die nicht glauben, ist der Stein, den die Bauleute verworfen haben; ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses.“
Es ist nicht der einfache Weg. Es geht nicht um Glück, sondern um Gerechtigkeit, Parteilichkeit, Humanität - der Stein des Anstoßes sagt: „es ist dir gesagt Mensch, was gut ist.“ Und wir wissen ärgerlicherweise: Gerechtigkeit kann es nicht allen recht machen, darum ergreift Gott in Jesus Christus Partei für die Ohnmächtigen, die Friedfertigen, die Armen, die Gefangenen, die Witwen und Waisen.
„Ihr aber seid ein heiliges Volk.“
Berufung: Gott ruft uns. Jetzt.
Wir können und dürfen ein Volk sein - kein national aufgepumptes, sondern ein heiliges. Als solches haben wir Verantwortung in unserer Welt, damit aus der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden, Wirklichkeit wird.
Da liegt er - der Strom. Das Wasser fließt - es ist lebendig wie die lebendigen Steine. Wir können in diesen Fluss hineinsteigen wie unsere Eltern, Großeltern, Paten - uns verbinden, erinnern, ermutigen lassen - und dann Partei ergreifen, die Stimme erheben, uns einmischen.
Es ist einfach nicht die Zeit für zarte bulgarische Ehedramen. Ich hab eh noch keins gesehen.
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4. Sonntag nach Trinitatis
Cornelia Götz, Dompredigerin - 13.07.2025
„Einer trage des anderen Last…“ - so heißt es über diesem Sonntag und dieser Woche. Anspruchsvoll klingt das. Aber ich bin überzeugt, dass die allermeisten dazu im Grunde bereit sind.
Allerdings: Weiß man denn, woran ein Mensch schleppt?
Es sind ja nicht immer schwere Kisten, mit denen man behilflich sein kann.
Manches sieht man trotzdem: da geht einer krummer und krummer, kratzt sich eine die Haut oder zerbeißt die Nägel, wird einer dicker oder dünner, hat dunkle Ringe unter den Augen.
Dann kann man eine Bürde ahnen.
Schwerer machen es uns die Profis unter den Lastenträgern. Die, die stets aufgeräumt und tatkräftig unterwegs sind, gute Laune verbreiten und derartig viele Lasten anderer wegschleppen, dass man vergisst, ihre Belastbarkeit im Auge zu behalten.
Ein Mensch sieht eben bestenfalls, was vor Augen ist - wenn die denn heil sind.
Und hin du wieder hören wir auch - manchmal ganze Geschichten, dann wieder nur ein Satz.
Als junge Dorfpfarrerin habe ich mich einmal zu einem Geburtstagsbesuch aufgemacht. Ich war verwundert, weil ich von dem Hof, zu dem ich wollte, gar nicht wusste, dass dort noch jemand lebt. So klopfte ich an einer niedrigen Tür und stand einer schlohweißen kerzengeraden uralten Frau gegenüber. Sie hatte kornblumenblaue Augen. Ich war verblüfft, weil ich sie noch nie im Dorf gesehen hatte. Ob sie denn immer drinbliebe? Und sie sagte nach oben blickend: „Was soll ich unter diesem Himmel.“
Nur ein Satz. Und 60 Jahre Heimweh…
Kann man solche Last abnehmen, leichter machen?
Andere sind womöglich noch schwerer und noch gründlicher versteckt.
Und wenn sie einem dann unvermutet übergeben werden, so dass man glaubt, mit diesem Gewicht durch den Boden zu brechen, denken wir fassungslos: „Das alles schleppst Du mit…?“
Da hinein - irgendwie aus dem Zusammenhang aber auch in jeden Augenblick und jede Begegnung passend - hören wir:
„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“
Zack, zack, zack.
Manche Menschen machen gleich zu, wenn sie mit solch einem Schwung Imperative angeredet werden. Eigentlich möchte man sie dann schütteln: Hör doch mal zu!
Aber hab ich selbst zugehört?
Wer weiß, warum sie das nicht ertragen. Vielleicht sind sie ja ihr ganzes Leben lang rumkommandiert, hin- und hergeschubst worden.
Kann man denn die Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit dieser Aufforderungen ein bisschen bremsen - damit es barmherziger klingt? So vielleicht:
Seid doch barmherzig, richtet und verdammt nicht.
So ist es schon fast eine Bitte. So könnte man herauszuhören: das soll gar keine Überforderung sein. Es ist vielmehr eine unserer Möglichkeiten. Wir können das.
Barmherzig sein.
In dem alten Wort steckt das „barmen“ und „bärmeln“ - das klagen, jammern, armselig dran sein. Und auch das Herz. Denn Erbarmen braucht ein weites Herz und offene Augen, manchmal auch Geduld und starke Nerven.
Aber Erbarmen kommt ziemlich gut ohne unser Urteil aus - obwohl wir damit meistens schnell zur Hand sind. Genauer: Erbarmen braucht unser Urteil überhaupt nicht - richtet nicht, verdammt nicht.
Das steht uns nicht zu.
Wir würden uns wahrscheinlich irren, wir sehen ja nur, was vor Augen ist.
Und wir sehen nur aus unserem Blickwinkel, aus unserem Kopf heraus. Wir gehen in unseren Schuhen, stecken nicht in der anderen Haut, ahnen nichts von dem, was jemand aushalten und schaffen kann oder auch nicht. Was sie schon durchgemacht hat.
Dieser Imperative sind deshalb - so ahne ich - vor allem eine Sehhilfe. Für jede und jeden. Ich brauche Barmherzigkeit ja auch und bin dankbar, wenn ich nicht rechtfertigen und erklären muss, warum ich hier eine dünne Haut und dort eine kurze Leitung habe, für das eine Verständnis und ein großes Herz habe und anderes nicht hören will.
Wie? Ich seh mich ja selbst nur stückweise.
Muss man das gemeinsame und gegenseitige Durchtragen also ganz anders aufziehen? Nicht, indem man die Lasten der anderen nimmt - das wäre wohl auch totale Selbstüberschätzung, sondern:
„Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.“
Gebt. Von mir zu dir. Von dir zu mir. Von Mensch zu Mensch. Wir sind alle unvollkommen, endlich und verbunden, angewiesen aufeinander. Symbol dafür ist der Querbalken des Kreuzes. Das ist unsere Dimension und etwas ganz anderes als: ich über dich oder du über mich, wie das wäre, wenn wir urteilen und richten. Denn das wäre der Horizontalbalken. Und der steht allein Gott zu.
Gebt doch. Es ist möglich.
Und barmherzig, denn Geben ist nicht nur seliger als Nehmen, es ist auch einfacher: wer nimmt, muss zeigen, was er braucht, ein Bedürfnis, eine Sehnsucht, eine Leere offenbaren. Das kann schwer sein, braucht Vertrauen, das nicht jede hat.
Wer gibt, entäußert sich, sieht von sich selbst ab, bleibt sicher vor den urteilenden manchmal gar verdammenden Blicken anderer und erntet Dankbarkeit, Freude, Zufriedenheit - einen ganzen Berg, denn das Maß ist nicht glattgestrichen und exakt gemessen, sondern großzügig zugeteilt, mit Berg.
Ist das so.
Klar denke ich und lese:
„Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann denn ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?“
Was zu beweisen war.
Wie komme ich dazu, all das aufzuschreiben, aussprechen, mir anmaßen zu wollen?
Mein Kopf und Verstand bocken ein bisschen. Auch Blinde finden Wege… in Gruben müssen sie nur fallen, wenn eine ungesichert ist und plötzlich auftaucht, wenn jemand … - da ist es schon, das schnelle Urteil, das in der Grube Böswilligkeit vermutet.
Aber es geht hier nicht um blöde Unfälle. Es geht dem Lukas um Barmherzigkeit und immer wieder um das Sehen. So ist es in der Weihnachtsgeschichte und zu Ostern. So schreibt er es in der Apostelgeschichte, in der um die ersten Christen geht und ihre Versuche Gemeinde zu sein, eine der anderen Last zu tragen. Da heißt es: „Ich will sie retten und ihnen die Augen öffnen.“
Wie geht das?
Und da folgt das berühmte Gleichnis vom Splitter und den Balken.
Das haben wir gelernt zu lesen und zu hören, oder?
Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.
Wer schlechte Augen, soll sich kein Urteil anmaßen.
Wer nur stumpfe Umrisse sieht, soll nicht…
Das haben wir uns zu Herzen genommen und uns zu kleinen hässlichen Heuchlerinnen mit fetten Balken im Auge gemacht.
Aber ist das gemeint? Wo bleibt die Barmherzigkeit bei solch hartem Urteil?
Ich schaue das Bild an und denke:
Es ist eigentlich egal, ob ich einen Splitter oder Balken im Auge habe.
Das tränt und schmerzt in jedem Fall. Da braucht es keinen Erzieher. Da brauche ich einen Arzt. Da werde ich so lange jammern und bärmeln, bis sich einer erbarmt und mein Auge heilt und mein Herz wird sich zusammenziehen, wenn ich eines anderen verletztes Auge sehe.
Ich werde seine Last sehen und mit ihm barmherzig sein können.
So einfach ist.
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Sommersegen
Cornelia Götz, Dompredigerin - 29.06.2025
Ich habe zu Weihnachten eine wunderbare Flasche bekommen - sie geht im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin leicht auf und wiegt fast nichts. Und außerdem sie sie schön aus. Sie ist meine.
Und ich vermute, die große Mehrzahl hier unter uns hat jeweils auch ihre eigene zerschrammte, bunte oder einfarbige Flasche. Früher waren das Wanderflaschen für die Berge - jetzt sind es Lifestyleprodukt und ein Gegenwartsphänomen.
Fast alle haben immer eine Flasche dabei.
Kann eine Gesellschaft soviel Durst haben????
Haben wir ständig trockene Kehlen oder wonach haben wir so offensichtlich unstillbaren Durst?
Was fehlt uns?
Wir leben doch trotz aller Krisen im Überfluss.
Leiden wir Hunger und Durst?
Ich weiß, dass das nach Luxusdebatte klingen kann - angesichts der unzähligen Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und wirklich Hunger haben - aber wir hören heute einen Text, der uns dringlich einlädt und zerrt und wirbt, uns konfrontiert und zurückbindet und dabei eben die großen Metaphern von Wasser und Brot in den Vordergrund stellt.
Sie haben es vorhin aus dem Buch des Propheten Jesaja gehört:
„Auf, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“
Klingt nach alles gehört allen und jedem nach seinen Bedürfnissen.
Das hatten wir ja irgendwie schon und es ist schrecklich schief gegangen. Unter Stalin, Mao und Kim il Sung wurde erst recht gehungert.
Es wäre schön, wenn es funktionieren würde. Aber offenbar geht das mit normalen Menschen nicht.
Also lieber dichtmachen und vorbeirauschen lassen? Sich lieber nicht verführen lassen?
Oder doch noch einmal der großen Hoffnung nachgehen?
Ich zögere, diesen Bildern, dieser Vision noch etwas zuzutrauen und werde doch hineingezogen - es muss mit dem großen Durst alles in allem zu tun haben.
„Kommt, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!“
Da soll Hunger und Durst gestillt werden, für alle und ohne Bedingungen. Wunderbar! Aber muss zu mit Bildern des Marktes gesprochen werden? Wird einfach nur genutzt, dass wir verlässlich aufmerksam werden, wenn von Geld die Rede ist und es irgendwas umsonst gibt?
„Kommt! Kommt!“ Immer wieder ruft Gott.
Hat er das nötig? Bei diesem Angebot? Offenbar schon - denn es ist ja nicht sein erster Ruf an uns Menschen: Gott ruft den Abraham im Traum und durch Johannes in der Wüste. Er fragt von Anfang an - wo bist du denn, Mensch? Kommt! Kommt doch - ich seh doch in eure Herzen, ich weiß von Eurem Hunger nach Leben und dem Durst nach Liebe und der Sehnsucht nach Fülle. Ich weiß, dass ihr vor der Leere Angst habt und unruhig werdet, wenn nicht genug zu essen da ist, kein Wasser auf dem Weg.
Kommt und dann trinkt, bis der Durst weg ist.
Kauft! Aber ohne Geld. Ich will dieses brutale Tauschsystem gar nicht. Ich will nicht, dass ihr euch mit Leib und Seele verkaufen müsst, um zu überleben. Ich will nicht, dass ihr eure von mir geschenkte Lebenszeit gegen Geld eintauscht, schon gar nicht, um das Lebensnotwendige zu bekommen, ihr müsst mich nicht bezahlen. Erinnert euch an Josef und seine Brüder: die fanden das Silber, mit dem sie bezahlen wollten, wieder in ihren Getreidesäcken.
Denn es ist nicht das Geld, das die Welt zusammenhält und auch nicht Geld, dass eurem Leben Stabilität und Grund gibt, sondern ich bin es.
Hört doch!
Kommt doch!
Wie verzweifelt sehnsüchtig das klingt!
Kommt doch: bei mir ist alles da und alles gut. Es kostet dich nichts.
Und wer hören kann, nimmt wahr: es geht nicht nur um Mich und Honig, eben das was sich auch in der wilden Natur finden lässt. Es gibt auch Wein – Ausdruck von Kultur.
Wenn wir Wein und Milch bekommen ohne in den unbarmherzigen und ungerechten Kreislauf des Geldes geraten zu müssen, dann erzählt diese Vision etwas von Gerechtigkeit und Menschenwürde - und erst recht uns, weil hier überall für Trinkwasser und Notdurft gezahlt werden muss. Und diese Vision erzählt von Frieden und der Möglichkeit, Früchte der Arbeit und des Lebens zu ernten, Kultur teilen und erleben zu können. Es gibt Milch und Wein.
Es geht in dieser Verheißung eben nicht um Enteignung und allgemeine Gratisversorgung geht, sondern um eine grundsätzlichere Art des Sattwerdens. (Wieder Herta Müller eingedenk: „Nur darf man über den Hunger nicht reden, wenn man Hunger hat.“)
Kommt, ihr Mühseligen und Beladenen, ihr Hungrigen und Durstigen - kommt, ich will euch erquicken.
Aber das scheint uns nicht zu erreichen.
Denn was machen wir?
Offenbar geben wir Geld für etwas aus, - Jesaja - „was kein Brot ist, und unseren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht…“.
Wir wollen was zu kaufen haben! Wir besitzen gern für das schöne Dinge und wollen aus Appetit essen, mit Genuß trinken.
Egal, wie viel wir in uns hineinstopfen und hineingießen:
Der Durst lässt sich nicht durch immer mehr Trinken löschen,
der Hunger nicht durch Wachstum stillen,
die Leere nicht durch Social media füllen.
Es geht um etwas anderes.
Wo soll uns das herkommen in dieser glaubensarmen Zeit?
Und immer noch klingt es:
„Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!“
Es scheint ganz einfach zu sein.
Ist das jetzt der Moment für das große Aber? Der Moment für die Ergebnisse kirchlicher Mitgliedschaftsstudien und die Vorschlähe kirchlicher Reformpapiere - oder fällt auch das alles unter teures Zeug, das wir in uns hineinstopfen ohne zu Hören?
Kommt doch!
Hört, so werdet ihr leben!
Ich habe letzte Woche ein schönes Wort gelernt: „Zukunftsmut.“ und heißt das nicht: Lasst uns an die Salbung in Bethanien denken, an kostbare wohltuende Zuwendung - auch für den Leib. Lasst uns Vertrauen wagen! Lasst uns unter Gottes Segen stellen - darum sind wir doch heute da.
Zuletzt:
Allermeist gieße ich das Wasser aus meiner Trinkflasche abends in die Blumen. Der Durst kam nicht vom Wasserhaushalt. Trotzdem nehme ich die Flasche am nächsten Tag wieder mit. Sollte ich auch, es wird heiß. Vor allem aber, damit sie mich erinnert: an Fülle und Dankbarkeit, lebendiges Wasser und Zukunftsmut.
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Konfirmation
Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.05.2025
Zu diesem Sonntag gehört also eine Gefängnisgeschichte.
Ja, mögen Sie denken, im Kirchenjahr haben wir ja auch Kantate und nicht Konfirmation. Da hätte ich auch was anderes nehmen können. Stimmt. Aber ich glaube, Gottes Worte finden uns eher als wir sie. Das Knaupeln an ihnen hilft zu hören, was wir uns nicht selber sagen können.
Heute geht es also um zwei Männer, Paulus und Silas, die sich zum Glauben an Jesus Christus in aller Öffentlichkeit bekannt haben, so wie Ihr das gleich tun werdet. Sie kriegen - milde formuliert - Probleme, sie werden gefoltert und ins Gefängnis gesperrt.
Das ist eine extrem harte Reaktion der Mächtigen. Sie lässt darauf schließen, dass die Angst haben. Angst vor einem Glauben an Gott, der von Menschenwürde und Gerechtigkeit spricht, der Partei ergreift für die Armen, die Sprachlosen, die Ausgegrenzten, der Anfänge ermöglicht und zur Veränderung ruft, der uns ruft und zur Freiheit befreit.
All das mögen die Mächtigen nicht.
Sie können nicht gebrauchen, dass die Menschen, die sie beherrschen wollen von wirklicher Freiheit träumen, dass sie sich angesehen, wert und würdig wissen, dass sie in einer Welt leben wollen, die anders ist als das, was sie jetzt erleben: menschlicher, gerechter, barmherziger.
Mächtige macht das nervös.
Sie versuchen deshalb die aus dem Verkehr zu ziehen, zu behindern und einzuschüchtern, die sich zu dem ohnmächtigen menschlichen Gott am Kreuz bekennen.
Eine alte und immer wieder aktuelle Geschichte.
Paulus und Silas trifft das auch.
Sie kommen in den innersten Teil des Gefängnisses - also in den Hochsicherheitstrakt - mit Fußfesseln und Dauerbewachung.
Damit sind wir – zu denen Gott mit dieser heute spricht - in einer ähnlichen Situation wie gestern Abend beim Rüstgottesdienst. Da hatte ich euch gesagt, dass das Abendmahl, das Brotwort zuerst Menschen galt, die hungern - und zwar nicht zuerst nach Gerechtigkeit und Liebe, sondern vor allem nach Nahrung. Wir dürfen vom Brot des Lebens auch zehren - aber eben nicht ohne den nackten Hunger der Welt zu vergessen.
So ist es mit der Gefängnissituation auch: wir dürfen und sollen das, was sie eröffnet auch in unser Leben mitnehmen - aber nicht ohne die Gefangenen in den Folterkellern unserer Zeit zu vergessen.
Und damit erlaube ich uns die Übertragung:
Auch wir sind ja manchmal gefangen und gefesselt von Vorurteilen, Angst oder Einsamkeit, von Krankheit. Wir kennen das, wenn uns Erwartungen erdrücken oder uns unser eingeschränktes Sichtfeld behindert.
Ihr liebe Komfirmandin, liebe Konfirmanden habt während der Corona-Pandemie erfahren was es bedeutet, sich nicht frei bewegen zu können, nicht treffen zu können, wen man treffen will, einsam zu sein oder sich auf engem Raum bedrängt zu fühlen - und: nicht singen zu dürfen!
Das konnten sogar Paulus und Silas!
Und wie sie singen!
Und was sie singen!
Es sind keine Klagelieder, kein großes Kyrie, es sind Loblieder!
Man stelle sich das vor: Da sitzen die beiden mitten in der Nacht im Gefängnis und singen: Großer Gott, wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke, ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt, damit ich lebe! Meine Zeit steht in deinen Händen.
Wohl dem, der ein paar Lieder kennt!
Die zwei singen und zwar um Mitternacht. Das ist kein Zufall.
Die Nacht ist schon immer die intensivste Zeit der Gottesbegegnung:
Gott zeigt Abraham den Sternenhimmel als Bild seiner Verheißung.
Dem Jakob erscheint Gott mit einer Himmelsleiter im Traum.
Den Eli ruft er in der Nacht bis der begreift, wer ihn ruft.
Die Jünger sitzen am Abend in Gethsemane beieinander als es dunkel wird.
Zu Osten gehen die Frauen noch in der Nacht los zum Grab.
Und Jona, der im nachtähnlichen dunklen Fischbauch sitzt, singt die ganze Zeit.
Auch Paulus und Silas singen. Atmen muss man ja sowieso. Aber damit man nicht vor lauter Angst hyperventiliert, damit einem nicht das Schluchzen den Hals verstopft, damit man nicht wort- und tonlos verkümmert oder vor Wut platzt, ist Singen ideal.
Es macht frei. Den Kopf, den Hals, das Herz.
Und andere hören es und wissen:
Ich bin nicht allein.
In unserer Geschichte stimmen die, die Paulus und Silas singen hören, nicht mit ein.
Vielleicht kennen sie die Lieder nicht.
Vielleicht kennen sie den Gott, von dem die beiden singen, nicht.
Vielleicht sitzen sie dem Irrtum auf, selbst nicht singen zu können.
Aber sie sind Ohr. Erreichbar.
Der Gesang füllt den Raum. Er wird groß und stark.
Und da wackelt die Erde, vielleicht sogar vom Singen, vom Gotteslob? Das ganze Gefängnis wackelt, die Türen springen aus den Angeln und die Fesseln gehen auf.
Herrlich!
Freiheitslieder haben eine große Tradition!
Und auch das Erdbeben ist ein symbolträchtiges Phänomen. Am Ostermorgen hatte es eins gegeben. Es war nötig, denn den riesigen schweren Stein hätten die beiden Frauen nicht wegrollen können. Sie wären in ihrer Trauer gefangen geblieben. Sie hätten nicht sehen und verstehen können, was längst passiert ist: das Grab ist leer. Tod und Gewalt, die Willkür der Mächtigen - all das hat ein Ende. Jesus lebt. Das Leben siegt und die Hoffnung auch.
Mariann Edge Budde, die Bischöfin aus Washington - manche von Euch haben sie auf dem Kirchentag erlebt - hat an dieses Erdbeben erinnert und es ein „Lifequake“ genannt.
Ein Lebensbeben.
Es passiert in einer scheinbar aussichtslosen Situation.
Menschen werden frei. Türen sind offen. Fesseln lose.
Nur der, der den Gesang nicht gehört hat, den das Lebensbeben erst noch erreichen muss, der versteht nicht, was passiert: er sieht, dass das Herrschaftssystem, dem er gedient hat, zusammengebrochen ist. Er sieht, dass die, die er eingesperrt und gequält hat, frei sind.
Und will sich vor lauter Angst vor dem, was nun mit ihm passiert, das Leben nehmen.
Aber Paulus hält ihn auf.
„Keine Angst!“ Ruft er. "Wir sind noch da“!
Sie sind nicht abgehauen obwohl man das verstehen könnte. Diese zwei wissen:
Die Freiheit der einen muss nicht auf Kosten der anderen gehen. In keine Richtung.
Freiheit heißt nicht, dass ich mich verpisse und nach mir die Sintflut - jetzt ist erstmal mein eigenes Leben und Wohlsein dran.
Das bedeutet nicht, hinter Mauern und Stacheldraht bleiben und leben zu müssen - das wäre zynisch. Es bedeutet, dass Mauern, Stacheldraht und riesige Steine, die Leben versperren, nichts in einer Welt zu suchen haben, in der die Menschlichkeit wohnt.
Der Kerkermeister versteht das zum Glück doch noch.
Er fällt den beiden zu Füßen, nimmt sie mit, macht gut, was er gut machen kann und dann lässt er sich und die Seinen taufen. Auch sein Leben wird gut, als das Unrecht vorbei ist. Auch sein Leben wird heil, als er ihre Wunden pflegt und sie in sein Haus einlädt. Diese Menschen werden einander zum Segen.
Wenn das mal kein guter Konfirmationstext ist:
Bekenntnis und Glaubensmut, Gottvertrauen voll Gesang, das Lebensbeben, das in die Freiheit führt und allen gilt, die Freude und das große Fest – weil einer – oder acht „Ja“ sagen.
Ja, das ist eine Gefängnisgeschichte. Sie erzählt davon, wie Gott zur Freiheit befreit und mit dem Kerkermeister einen neuen Anfang macht, ihn beim Namen ruft, wie Gott auf der Seite der Gefangenen und Entrechteten ist – und vor allem dass er da ist und hört Immer. Amen.
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Quasimodogeniti
Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.04.2025
Eine Woche ist Ostern gerade her. Eben noch saßen zwei Engel im Grab und riefen Maria beim Namen, da hat sie verstanden! Ein wenig später durfte Thomas - der immer ein bisschen mehr Vergewisserung und Sicherheit braucht - Jesu Wunden berühren, um das Unglaubliche glauben zu können
Wir aber sind längst zurück im Alltag und haben den blechstrotzenden „Autofrühling“ vor der Tür, Putin und Trump am Ruder und immer noch sind die tot, die wir geliebt haben.
Wir müssen uns mit Erinnerungen und Texten wie dem ersten Petrusbrief vorhin begnügen, um an der großen Hoffnung festzuhalten, die ein für alle mal tragen, leuchten und trösten soll.
Aber wie geht das?
Kann man tatsächlich von der Hoffnung derer vor uns zehren?
Hilft uns der Blick zurück überhaupt - ist es nicht vielmehr so, dass wir dann einmal mehr sehen, dass wir nichts lernen und immer nur rückwärts verstehen, niemals vorwärts?
Und ist Erinnerung nicht ohnehin viel zu subjektiv?
Wie geht Erinnern und Ermutigen, wenn man kommende Generationen mit hineinnehmen will in das, was man selbst als umstürzend oder grundlegend erlebt hat, das was mich warnt, wach macht, ordnet, gründet?
Wie erzähle ich, die ich es erlebt habe und dabei war, wie die Maria und Thomas ins Jerusalem, von dem Land, in dem ich geboren wurde, das es nun nicht mehr gibt - der DDR? Wie von Diktatur und Gleichschaltung, von Staatssicherheit und Militarisierung, geschlossenen Grenzen und Zensur - so dass es den Blick nachhaltig für das schärft, was jetzt geschieht?
Wie erzähle ich von einer Kirche in der Minderheit und ohne großes Geld, die überaus relevant für mich war, die Räume anbot, in denen offen geredet werden konnte, in der es Menschen gab, denen man sich anvertrauen konnte, die Worte wagte, die der Klarheit und Wahrheit dienten?
Wie erinnere und erzähle ich diese unglaublichen Monate 1989 und 1990?
Und zwar so, dass Freiheit ein großes Wort wird - näher an der Freiheit eines Christenmenschen als an der ohne Geschwindigkeitsbegrenzung fahren zu dürfen?
Und wenn schon das so schwer ist und von so vielen, die auch dabei waren, nicht oder anders gesehen wird, wie sollen wir dann vom berichten, was vor 2000 Jahren in Jerusalem passierte?
Wie können wir davon erzählen? Wir, die wir nicht dabei waren?
Ist da der erste Petrusbrief mit seinem schwurbeligen Pathos auch nur anflugsweise brauchbar? Oder halten diese Worte nur eine Leerstelle für Musik und Liturgie offen, weil Ostern mit dem Kopf nicht geht?
Immerhin: Einen Punkt macht der Petrusbrief als ich lese, dass Dietrich Bonhoeffer diesen Versen seine letzte Morgenandacht in Flossenbürg widmete.
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung …“
Wie muss das geklungen haben - an einem Frühlingsmorgen unmittelbar nach Ostern - kurz vor Kriegsende, in einem Konzentrationslager!
Gelobt sei Gott! Es kann nicht mehr lange dauern! Das Schlimmste ist überstanden.
Er hat uns wiedergeboren. Uns!
Da muss die Hoffnung, doch noch überleben zu dürfen, groß werden - für die „die aus Gottes Macht bewahrt werden.“
Wenn man denen, die davon erzählt haben, glauben kann, dann redete Dietrich Bonhoeffer nur Augenblicke vor seinem Todesurteil, zu Menschen wie uns - also denen mit eher ungeübten Ohren und störrischem Denken.
War es denen vor 80 Jahren so fremd wie uns, dass wir „zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe“ werden? Was nützt denn jetzt und hier, „was im Himmel aufbewahrt ist“, wenn man das Leben liebt und sehr konkrete Menschen auch?
Was fangen wir an mit einem: „Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen“?
Dann.
Dann. Wir leben aber jetzt.
Wir brauchen jetzt Hoffnung - viel Hoffnung, denn das Leben scheuert uns wund.
Will der, der hier schreibt, gar nicht leben und lieben, bauen und pflanzen,
will der gar nicht wirksam werden, die Welt verändern, widerstehen?
Will der nur glauben und sich an seiner Seelenseligkeit freuen?
Wenn ich das meinen Kindern schreibe, die Angst haben, dass Frieden und Demokratie den Bach runtergehen, die sich sorgen, welche Welt ihre Kinder erleben werden - voller künstlicher Macht, geclonter Terroristen ohne einen grünen Baum -wenn ich denen angesichts all der Themen, die uns über den Kopf wachsen, so komme - dann halten die mir falsche Frömmigkeit vor.
Sie wollen ja nicht als Märtyrer sterben - und dann errettet werden zu unaussprechlicher Freude.
Sie wollen leben!
Was hilft da ein Brief über „Glaube, der sich bewährt und für viel kostbarer befunden wird als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird“.
Schritt zurück:
Wer schreibt hier eigentlich?
Man weiß es nicht genau. Manche führten diesen Brief direkt auf Petrus, also einen Augenzeugen zurück, andere denken, er wurde erst 100 Jahre nach Jesu Auferstehung geschrieben. Erlebte und erzählte Erinnerung haben sich also längst vermischt.
Nehmen wir einmal an, dass Petrus diesen Brief geschrieben hat, warum macht er so große unnahbare Worte? Versteckt er, dass er lieber schweigen würde?
Er, der so gern vertraut hätte, der fast übers Wasser hatte gehen können, der Jesus verteidigen wollte und einem römischen Soldaten deshalb ein Ohr abschlug, der ihn trotzdem verleugnet und darüber bitterlich geweint hat - wie soll ausgerechnet er von der lebendigen Hoffnung erzählen - ohne Scham und Reue.
Er war doch so nah dran!!!
Hat er das Wunder nicht kommen sehen? Erlebte er, was Hertha Gordon-Walcher, eine Kommunistin, Zeitzeugin des 20. Jahrhunderts so beschrieb: „Man redet immer nur vom Hauch der Geschichte. Aber wenn er dich streift, nimmst du ihn kaum wahr. Er ist nur ein Lüftchen…“.
Erst hinterher ahnst Du, was geschehen ist und bist längst ein Teil davon.
Das können wir verstehen.
Und da verstehe ich den Petrus oder wer immer da schreibt, dann doch.
Er weiß, dass er von sich selbst absehen darf und muss um von der Hoffnung zu reden, die allen gilt. Auch Bonhoeffer hat nicht von sich auf andere geschlossen, sondern von Gott und Jesus Christus auf uns. Unser eigenes Leben und Glauben, Scheitern und sich Bewähren muss Gott sei Dank kein Garant sein für die Hoffnung, die lebendig macht.
Denn diese Hoffnung leuchtet nicht aus der Vergangenheit.
Sie kommt uns entgegen!
Die Geschichten, die wir mit uns tragen, können vielleicht erklären, warum ich bin wie ich geworden bin, wir sollten sie uns erzählen, um zu teilen, was uns treibt und prägt, sorgt und glücklich macht, was wir gelernt und vielleicht sogar verstanden haben, warum wir diese eine große Hoffnung brauchen.
Aber die Ostergeschichte ist anders.
Sie ist nicht vergangen. Sie passt in keinen Zeitstrahl.
Wir müssen sie nicht durch Erinnerung und Erklärung lebendig halten. Wer wären wir! Sie scheint längst durch uns, die wir „wiedergeboren sind zu einer lebendigen Hoffnung“. Und unsere Kinder leuchten uns entgegen.
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Osternacht 2025
Dr. Christoph Meyns, Landesbischof - 19.04.2025
Ich lebe, und ihr sollt auch leben. (Joh 14,19)
Liebe Gemeinde!
Es hätte alles aus und vorbei sein müssen. Der Zimmermann Jesus von Nazareth war tot, hingerichtet am Kreuz nach nur kurzer Zeit seines Wirkens als Wanderprediger und Heiler. Er hatte den Anbruch eines neuen Zeitalters verkündet. Der Himmel ist kurz davor, auf der Erde auszubrechen. Und er ist schon jetzt so nahe, dass er an einigen Stellen durchscheint, so wie einzelne Sonnenstrahlen die Regenwolken durchbrechen. Gott gleicht weniger einem starken König oder einem strengen Richter als vielmehr einem liebevollen Vater. Ein liebevoller Vater wendet sich auch von seinen schwierigen Kinder nicht ab. Er bleibt ihnen zugewandt und ist für sie da, auch wenn sie auf Abwege geraten und sich von ihm distanzieren. Dieser tiefen Liebe Gottes gehört die Zukunft, und es ist klug, sich jetzt darauf einzustellen, sich abzukehren von der Finsternis und sich dem Licht zuzuwenden.
Von diese Botschaft beseelt, wanderte Jesus durch Galiläa, predigte und setzte Zeichen.
Dabei überschritt er immer wieder Grenzen, um sich Menschen zuzuwenden, die im Elend gefangen waren: Kranke und Aussätzige, Zöllner und Sünder, Ausländer und Prostituierte, ohne Rücksicht auf die Ordnungen, Gesetze, Tabus und Vorurteile seiner Zeit.
Um ihn herum entstand eine Bewegung von Menschen, die an das glaubten, was er predigte und die ihm nachfolgten, im Zentrum ein Kreis von zwölf Männern.
Jesus aber machte sich nicht nur Freunde. Sein Reden und Handeln erzeugten Ablehnung und Hass, besonders bei den Gesetzestreuen, den Gebildeten, den Wohlhabenden und den Mächtigen. Und als Jesus zum Passah-Fest nach Jerusalem kommt, greifen sie zu. Sie bestechen einen seiner Jünger. Der verrät seinen Aufenthaltsort. Sie verhaften Jesus. Seine Jünger fliehen. Jesus wird verhört, gefoltert und als Aufrührer am Kreuz hingerichtet. Sechs Stunden später ist er tot.
Damit hätte alles aus und vorbei sein müssen. Aber das war es nicht. Nach seinem Tod erschien er Menschen, die ihm nahe standen und mit Paulus erschien er sogar einem, der ihn gar nicht gekannt hatte und der seine Jünger verfolgte. Sie erkannten Jesus wieder, aber er war auch ein anderer: eine himmlische, lichte Gestalt, durch den Tod hindurchgedrungen hinein in ein neues, ewiges Leben in Gottes Gegenwart.
Und damit bekam sein Tod am Kreuz eine neue Bedeutung: kein Zeichen des Todes, sondern ein Zeichen des Sieges über die Macht des Todes. Und anders als bei den Helden der Antike deuteten sie das auch nicht als Belohnung, die Jesus allein zuteil wurde für ein gutes, gottgefälliges Leben. Sein Tod war für sie das Zeichen für eine universelle, stellvertretende Tat, in der Gott sich ein und allemal versöhnt hat mit dem Menschen.
Nicht, weil er das verdient hätte. Das hat er nicht. Der Mensch ist ein schwieriges Wesen, zutiefst geängstigt im Wissen um die eigene Sterblichkeit, immer wieder motiviert von Neid und Hass, immer wieder nur um sich selbst kreisend, dumm und mit einem großen Talent für Zerstörung und Selbstzerstörung und einem kurzen Gedächtnis. „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, so sagt Jesus im Johannesevangelium (Joh 14,19).
„Ich lebe, und ihr sollt auch leben“, versöhnt mit Gott trotz all dem, kraft des Kreuzes Jesu Christi. Das ist die Botschaft am Osterfest für jeden einzelnen von uns: Nichts kann dich von Gott trennen: keine Armut, keine Krankheit, keine Unvollkommenheit, kein Versagen, kein Leid, nicht einmal der Tod. Gott sagt unverbrüchlich ja zu dir, und deshalb kannst du ja sagen zu dir selbst und zu deinem Leben, samt allen Dunkelheiten, Brüchen und Narben. Diese Zusage gilt nicht nur dir. Sie gilt allen Menschen ohne Ansehen der Person, egal welcher Herkunft, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Sprache, Kultur oder Religion. Das ist seit dem Ostermorgen die neue Grundsituation des Menschen vor Gott. Und sie strahlt aus in die Lebenssituationen zahlloser Menschen, auch in unser Leben hinein.
Für mich heißt das: Ich bin nicht auf meine Vergangenheit festgenagelt, meine Herkunft, mein Elternhaus, meine Geschichte. Es kann sein, dass ich etwas falsch gemacht habe.
Es kann sein, dass ich an mir oder anderen schuldig geworden bin. Es kann sein, dass ich gefangen bin in Lebenslügen oder mit schwierigen Problemen zu kämpfen habe. Aber ich darf mit allen vor Gott kommen. Ich darf ihm sagen, was mich bewegt, was mich freut, was mir angst macht, was mich belastet, was falsch gelaufen ist. Bei Gott führt kein Weg an der Wahrheit vorbei. Aber ich darf auch darauf hoffen, Vergebung zu erleben und neu anfangen zu können, mein Leben neu zu gestalten, und das nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Das gilt für mein eigenes Leben. Das gilt auch für das Zusammenleben in unserem Land und für das Zusammenleben der Völker und Nationen. Grenzen, die der angstvollen Selbstabschließung dienen und dabei das Leben anderen Menschen beschädigen, müssen überwunden werden. Davon inspiriert entstanden im Mittelalter die ersten Hospitäler.
Hermann August Francke, Friedrich Bodelschwingh, Johann Hinrich Wichern und viele, viele andere halfen dabei, die sozialen Probleme ihrer Zeit zu lösen und überschritten dabei immer wieder Grenzen. Das tun in der Nachfolge Jesu einzelne Christinnen und Christen, Gemeinden, Propsteien, Landeskirchen, kirchliche Einrichtunge, Klöster, die Diakonie und die Aktion „Brot für die Welt“ bis heute in vielfacher Weise. Dabei behandeln sie alle Menschen mit dem gleichen Respekt, der gleichen Aufmerksamkeit und der gleichen Hilfsbereitschaft: mit Bürgerrecht und ohne, Einheimische oder Geflüchtete, Deutsche oder Ausländer, Christen, Muslime oder Konfessionslose, Arme und Reiche, freie Bürger oder Strafgefangene.
Der Ostermorgen hat die Welt verändert – zum Besseren. Er strahlt aus auf unser Leben bis heute. Lasst uns festhalten an der Botschaft, die davon ausgeht. Und lasst uns erhellt von seinem Licht unser Leben gestalten in Gottvertrauen, Zuversicht und Nächstenliebe.
Amen.
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Karfreitag
Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.04.2025
Karfreitag 2025 - in einer Welt voller Nachrichten, deren Wahrheitsgehalt wir nicht überprüfen können,
in einer Welt, in der man sich nicht wundern würde, wenn sich plötzlich die Sonne verdunkelt -
hält unser Alltag inne, stehen alle Räder still, weil in Jerusalem einer hingerichtet wird. Bizarr. Das passiert schließlich alle Tage irgendwo, ganz schweigen von den ungezählten Namenlosen, die an (unserer?) unterlassender Hilfeleistung sterben.
Was unterscheidet diesen einen - zu jung - sterbenden Menschen von allen anderen?
Warum sollten wir ausgerechnet angesichts dieses martialischen Sterbens in einer der unruhigsten Gegenden der Welt glauben, dass nicht das Leben vom Tod umfangen ist und wir immer nur auf den Tod zulaufen - sondern dass es genau andersherum ist: der Tod ist vom Leben umfangen.
Weil es uns leben hilft - und wahrscheinlich auch sterben - wenn wir verstehen, dass der da hängt und uns zum Zeichen wurde, der erste Freigelassene der Schöpfung ist.
Das sollen wir glauben. Das können wir sehen.
Und Johannes - der Evangelist, der wusste wie schwer es ist zu glauben ohne zu sehen, der wusste, dass der Zweifel immer mitgeht und der deshalb den Thomas ernst nimmt ohne ihn demontieren - der schaut nicht Matthäus, Markus und Lukas von „ferne“ zu, sondern zoomt ganz nah heran.
Kurze Erinnerung: den Blick aus der Ferne hatten wir vor ein paar Wochen, an Reminiszere (eben dem Sonntag „erinnert euch“) als Johannes uns von weit weg nach Golgatha schauen ließ: Damals erinnerte er uns an die Wüstengeschichte als Gott giftige Schlangen schickte, die den Menschen in die Füße bissen. An diesen Verletzungen starben alle außer denen, die ihren Blick hoben und auf die Eisenschlange schauten, die Mose in Gottes Auftrag hochhielt. Johannes bereitete uns damals vor: genauso sollen wir heute auf das Kreuz schauen! Nicht in dein oder mein Gesicht, nicht auf deine oder meine Schuld, nicht auf das Leid der Welt - das ist alles da, aber wenn wir daran nicht zugrunde gehen wollen, wenn wir leben wollen, dann müssen wir auf das Kreuz schauen.
Und also zoomt er jetzt ganz nah heran, damit wir sehen - hier wird eine Geschichte von Souveränität und Freiheit erzählt - im scharfen Kontrast.
Es ist zunächst eine Geschichte mit vielen Verben:
Es beginnt mit Pilatus, der überantwortete ihnen Jesus.
Pilatus beugt sich dem Willen der aufgebrachten Menschen und gibt seine Verantwortung ab. Er „über“antwortet, geht weiter als er muss. Pilatus kannte Hannah Arendt nicht, die sagte: „Keiner hat das Recht zu gehorchen.“ Sonst hätte er sich vielleicht freimachen können, seinem Gewissen zu folgen.
Die Soldaten kannten Hannah Ahrendt nicht. Auch sie glauben, keine Freiheit zu haben, und gehorchen zu dürfen. „Sie nahmen ihn.“
Als wäre er irgendein lebloser Körper und kein menschlicher Leib, der in dem wir uns alle wiederfinden.
Sie nehmen sich den Verurteilten. Ein verräterrisches Wort. Ein Urteil ist gefallen. Der den es trifft, der bekommt noch eine kleine Vorsilbe dazu: „ver“. Die kann das betreffende Wort als negativ oder schwierig markieren. In jedem Falle wird aber eine Veränderung angezeigt, eine Entwicklungsrichtung.
Man könnte darüber noch eine Weile grübeln. Aber Johannes zoomt schon auf Jesus Christus, der sein Kreuz nimmt. Unaufgefordert? Frei sogar? In jedem Falle souverän.
Er trägt es und bringt es dahin, wo die Soldaten es haben wollen.
Nimmt er ihnen die Last ab? Johannes schaut nicht länger hin. Er schaut auf den, der den Weg geht, zu dem er sich entschieden hat.
Und sie kreuzigen ihn. Johannes macht daraus keine brutale Blut-, Schweiß- und Tränenszene. Hier stirbt ein Mensch. Nur darauf kommt es an. Er stirbt inmitten anderer, die auch sterben. Rechts und links von ihm.
Und Johannes schwenkt nochmal zurück - aber ohne Abstand zu nehmen. Er bleibt mit seiner Aufmerksamkeit ganz nah am Kreuz.
Dort schreibt Pilatus unbeirrbar in verschiedenen Sprachen, damit es jede und jeder lesen kann: „Jesus von Nazareth, der König der Juden.“ Und Johannes bleibt sich treu, weil so auch für Pilatus, den Täter, gilt, dass der gerettet wird, wenn er sich nach dem erhöhten Menschensohn ausrichtet.
Und außerdem macht Platus einen wichtigen Punkt. Denn wir war das mit dem Königtums in Israel? Die Anfänge finden sich im ersten Buch Samuel: Gott hatte sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt. Er war mitgegangen und hatte durch Mose und die Propheten gesprochen. Seine Menschen konnten wissen, dass er sie einer großen Verheißung entgegenführen wollte. Aber sie wollten - selbst auf Kosten der eben erst geschenkten Freiheit - lieber sein wie alle anderen. Sie „ver“warfen lieber Gottes gute Pläne und ihre Identität als sein Volk. Sie wollten keinen Propheten. Sie wollten einen König und Heer. Sie wollten und würden wie alle drumherum kämpfen auch wenn das in Zerstörung enden und die Fremde führen würde.
Und Gott. Der gedachte seines Bundes, des Regenbogens, und geht auch diesen Weg mit. Seine Reaktion war nun nicht Verwerfung seinerseits sondern Erwählung. Und so wählt er dem Volk einen König. Saul.
Kurze Aktualisierung: Timothy Snyder, der jetzt mit seinem Buch über Freiheit und seine Entscheidung, die USA zu verlassen, in vieler Munde ist, hat in seinem Band über „Tyrannei“ darauf hingewiesen, dass vor derselben schützt, wenn wir Institutionen schützen. Jetzt verstärkt er das: Freiheit negativ verstanden gestaltet Zukunft nicht. Sie muss positiv gedacht werden - mit einem JA verbunden sein.
Das sehen wir auch in der Geschichte des Königtums in Israel: in diesem König, in dem Messias, auf den wir jetzt unsere Blicke richten, den Pilatus identifiziert hat, wird Gottes Erwählung, seine Freiheit sichtbar.
Johannes hält drauf.
Dann schwenkt er unter das Kreuz.
Die einen, die Soldaten, halten Freiheit für etwas, das man besitzen kann oder glauben, dass Besitz Freiheit schenkt. Darum vertiefen sie sich in das Haben und teilen Jesu Kleider unter sich auf. Sie werden Knechte bleiben.
Und dann zoomt Johannes noch ein Stück.
Zu denen, die mitgegangen sind und nun zurückbleiben: es sind drei Frauen und sein Lieblingsjünger. Jesus verbindet sie zu einer neuen Familie, damit das Leben weitergeht noch ehe es Ostern wird. Oder noch einmal mit Hannah Arendt: „Anzufangen, bevor es ein historisches Ereignis wird, ist die höchste Fähigkeit des Menschen.“
Hier unterm Kreuz fängt es an.
Und dann lässt Jesus ein letztes Mal seine Freiheit aufscheinen. Er bittet um ein Getränk und wird Essig trinken, wie es geschrieben steht. Er muss das nicht. Die Propheten haben nicht aufgeschrieben, was passieren muss sondern was passieren wird, wenn wir uns nicht ändern.
Niemand hätte ihm Essig geben müssen. Es hätte sicher auch Wasser oder Wein gegeben. Aber die, die kreuzigen, Haben ihre Menschlichkeit verloren und daran hat sich nichts geändert. Deshalb erfüllt sich die Schrift.
Und dann ist es vollbracht aber nicht zu Ende. Es muss Ostern werden. Sonst laufen wir noch Gefahr, Sinn aus dem Sterben anderer zu ziehen.
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Palmarum
Cornelia Götz, Dompredigerin - 13.04.2025
„Hosianna, Hosianna, Hosianna“ haben wir eben gesungen - ich weiß gar nicht wie oft. „Hilfe! Hilfe! Hilfe!“ Aber wie Hilfeschreie hat es gar nicht geklungen. Eher wie: „Herrlich! Glücklich! Wunderbar!“ Oder: „Halleluja!“
Haben Elke und Robin uns falsche Töne gegeben? Im Gegenteil: Sie haben das absichtlich gemacht und auf einen Hallelujavers die Hosiannaworte gelegt, weil sich genau das heute mischt: große Willkommensfreude und Hilferufe.
Ihr habt es ja gehört: nachdem Jesus nun so lange durchs Land und über die Dörfer gezogen war und man sich schon so viele Geschichten über ihn erzählte, die alle irgendwie besonders klangen, wurde er nun endlich in Jerusalem erwartet!
Endlich, endlich kommt er auch hierher und die Menschen jubeln und empfangen ihn voller Freude - und Hoffnung, denn auch sie haben Sorgen und Probleme, Krankheiten und Not. Und ihre Stadt ist besetzt.
Jetzt! Denken sie. Jetzt kommt einer, der sich für uns interessiert und uns hilft.
Jetzt wird es endlich gut.
Hoffentlich.
Solche gespannte Erwartung auf jemanden oder etwas, worauf man sich riesig freut aber nicht ganz sicher ist ob es auch so werden wird, wie man hofft, kennen wir alle: man wartet ganz sehr aber, weil man sich zugleich vor einer Enttäuschung fürchtet, traut man sich gar nicht richtig, sich zu freuen.
Und manche verspannen sich dann noch richtig, weil es ja bitte nicht an uns liegen soll, wenn es nicht so wunderbar wird wie erhofft.
Darum singen wir beim Warten auf Weihnachten und heute auch: „Wie soll ich dich empfangen?! Und wie begegne ich Dir?“
Wie? Wir bereiten natürlich alles vor! Im Advent schmückt sich die ganze Stadt. Heute haben die Kinder für jede und jeden einen Palmzweig gebastelt. Wir sind bereit! Jetzt müssen wir nur noch warten und uns immermal auf die Zehen stellen, um bisschen besser sehen zu können und dabei merken wir:
Erwartung verändert uns.
Wenn wir auf ein Ereignis oder einen Menschen sehr warten - vorfreudig warten, dann richten wir uns innerlich wie eine Kompassnadel aus.
Unsere Erwartung teilt sogar die Zukunft in davor und danach ein, obwohl wir gar nicht wissen, wie es sein wird.
Das malen wir uns aber mit den allerschönsten Farben aus - und sind dabei gefährdet, uns auszutricksen. Denn wir stellen es uns so schön vor, wie es beim besten Willen nicht werden kann. So sorgen wir selber dafür, dass es sowieso anders kommt als gedacht und planen die Enttäuschung schon mal ein. Das halten wir für Realismus und wundern uns dann, warum Menschen so misstrauisch, unzufrieden und kleingläubig sind.
Dabei sind wir nur schlecht im Warten und Freuen.
Denn sich vorfreuen und der Zukunft Wunder zutrauen zu können, ist eine Gabe.
Ihr Kinder habt sie. Darum gehört Euch das Himmelreich!
Und dann ist da noch ein zweiter Punkt:
Erwartung macht ehrlich. Wir können gar nicht ignorieren, worauf wir hoffen und wonach wir uns sehnen.
Meist hat es was mit Liebe zu tun, mit irgendwas, was wir von einem anderen für uns erhoffen - dass es mir endlich geschieht!
Und jenseits unserer heimlichen Herzenswünsche hoffen wir ja auch noch und nicht zu knapp - wie die Menschen vor 2000 Jahren auch - dass endlich einer kommt,
der sich wirklich um die kümmert, die nicht selbst für sich sorgen können,
der dafür sorgt, dass das Land sich in einer guten Verfassung befindet und vorgesorgt ist, falls das Geld knapp wird oder es mal eine Zeit lang nicht regnet,
mit dem es gerecht zugeht und friedlich ist
und auch ein bisschen schön. Für alle.
Von dem, auf den wir heute warten, von Jesus Christus, hat man schon allerlei Gutes gehört: er kann reden und begeistern, heilen und satt machen, die Wüste wird grün, wo er sich lagert und der Sturm legt sich.
Merkt Ihr schon, wie das Herz glüht, wenn man sich das alles ausmalt!
Und er ist sogar ein König!
Solche Erwartung steckt auch Erwachsene an! Darum haben Menschen, wenn sie eine große Hoffnung teilen, die größer werden soll, oft etwas, woran sie sich erkennen können: in Belarus das Herz aus Händen und weiße Rosen oder in Honkong einen Regenschirm.
Zu unserer Hoffnung gehören Palmenzweige.
Aus gutem Grund: Palmen, so sagt es ein orientalisches Sprichwort, „wollen ihre Füße im Wasser und ihr Haupt im Feuer des Himmels baden.“ Wo Palmen wachsen, geht es Menschen gut. Es gibt Wasser, Licht und herrliche Früchte. Aus Palmzweigen kann man Matten und Körbe flechten. Und mit dem Holz bauen.
Palmen sind der Inbegriff von Fülle und Segen.
So wird es sein!
Genau! Und da kommt er auch endlich!
Und? Stutzen: Er reitet auf einem mickrigen Esel und hat nichts, wirklich gar nichts an sich, das besonders aussieht. Im Gegenteil: er sieht genauso aus wie man es nicht erwartet hat. Abgekämpft, verschwitzt, müde. Blasen an den Füßen hat er auch.
Er ist gar kein König.
Er ist ein Mensch.
Die Arme sinken herunter. Was für eine Enttäuschung. Hat ja eigentlich auch gar nicht anders sein können. Fast schämt man sich für seine große Hoffnung. Wie naiv wir sind! Als würde jetzt aus unserem Wasserhahn Wein kommen und die Schulden, der Krieg und der Krebs weg sein und…
Hoffentlich hat es niemand gemerkt, dass wir vorhin so laut gesungen haben!
Nur schnell das Herz wieder abriegeln.
Stille. Komm, wir gehen.
Aber einer knarzt noch rum. Er hat wirklich keine schöne Stimme. Aber der singt:
„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit …
Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit / Das Grün bricht aus den Zweigen / Wir wollen es allen zeigen / Dann wissen sie Bescheid.“
Der hat Nerven.
Obwohl:
Wird es nicht grün draußen?
Ist es nicht unsere Freiheit, Ja zu sagen?
Ist es nicht unsere Freiheit, dem der da ohne Gewalt und Pomp kommt, der sich nicht auf Kosten anderer profiliert, sondern ein Mensch ist und uns erinnern will, dass wir auch welche sind, alles zuzutrauen?
Könnte der, der so anders ist als die Mächtigen, die wir kennen, vielleicht doch alles verändern und zum Guten wenden?
So hat es noch nie einer versucht!
Der kommt gar nicht erst als Held. Der kann uns nicht enttäuschen.
Der wird scheitern? Nein. Das wird er nicht. Er wird sterben. Das ist nicht dasselbe. Das ist menschlich. Und eine große Liebesgeschichte. Wollten wir dich nicht?
Doch. Aber… Kein. Aber. Der wird uns helfen?
Hosianna. Halleluja.
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JL 2025
Cornelia Götz, Dompredigerin - 06.01.2025
Eines der Highlights für 2025 in unserer Region wird hoffentlich der Kirchentag Anfang Mai in Hannover. Zu den Liedern, die ich mit dem Kirchentag verbinde, gehört eins unmittelbar zur Jahreslosung (Text und Musik kommen von Lothar Veit): „Prüft, prüft, prüft genau - und wählt das Gute, nehmt Euch in acht vor den Schrecken dieser Zeit - prüft, prüft, prüft genau und wählt das Gute, sucht mit Geduld nach der Spur der Freundlichkeit.“
Es könnte ganz einfach sein mit dieser freundlichen Spur, denn irgendwie kommen wir immer von Weihnachten her oder laufen auf Weihnachten zu - immer leuchtet der Stern von Bethlehem und zeigt uns eine Spur der Menschenfreundlichkeit Gottes und unserer Möglichkeit, einander zugewandt zu bleiben – denn anders als zugewandt kann man schließlich nicht an der Krippe knien.
Wir schaffen es trotzdem, wenn es heller wird, die Sonne blendet, die Tage lang und voller Energie sind, leichtherzig, übermütig oder gleichgültig falsch abzubiegen und denen nachzulaufen, die uns leichtes Geld und billige Gnade versprechen, Verantwortung abnehmen oder einfache Lösungen anbieten.
Darum brauchen wir Gegengeschichten, Vorbilder und Geleit, Prüfsteine und hin und wieder auch einen Engel, der im Weg steht und uns nicht durchlässt, sondern sagt:
„Prüft genau, prüft alles und wählt das Gute, nehmt euch in acht vor den Schrecken dieser Zeit:“
Wem das gesagt wird, der lebt in der Vielfalt, der hat etwas zu wählen - der sieht verschiedene Lebensentwürfe, Narrative und Argumente. Wir haben die Freiheit uns zu entscheiden und sollten nicht gleich bei der ersten Prüfung schlampig sein: es gibt nicht nur die Wege des geringsten Übels, des geringsten Widerstandes. Es ist nicht alternativlos. Die gründliche Prüfung ergibt:
Das Gute ist möglich.
Immer und zu allen Zeiten.
Und ehe Sie sich jetzt schütteln und vor lauter Imperativen und Moral innerlich in Deckung gehen, lasst uns auf zwei Frauen schauen, biblische Figuren, die unbekannt und im „who is who der Bibel“ und Calvers großem Bibellexikon vergessen und übersehen - an ihrem Ort, in ihrem Leben genau das tun:
Prüfen, sich in achtnehmen, das Gute wählen.
Sie heißen Schifra und Pua.
Mit ihnen beginnt der Exodus, der Auszug der Kinder Gottes in die Freiheit.
Das zweite Buch Mose erzählt davon: Jakob war mit den Familien seiner Söhne dorthin geflohen - um Hunger und Not zu entkommen, um zu überleben. So wurden sie Einwanderer, Fremde, Arme, Abhängige - willkommen nur als Arbeitskräfte. Die Bibel erzählt, dass sie dennoch Familien gründeten und Kinder bekamen, mehr wurden - bis „das ganze Land voll von ihnen war“.
Hätten sie dazugehören können? Vielleicht.
Das Gute ist möglich. Aber es wird nicht gewählt.
Denn die Existenz der Fremden macht Angst und löst statt Fantasie und Tatkraft, Hass und Gewalt aus. Das ist das uralte und zugleich aktuelle Bild einer unversöhnten Gesellschaft - und steht nicht nur für gescheiterte Integration und Migration, sondern auch für ungelöste soziale Konflikte, Missachtung von Menschenrechten und Menschenwürde.
Der König prüft die Situation. Aber er tut es nicht genau. Ihn interessiert nicht, was warum geschieht. Es heißt: „Er wusste nichts von Josef und seinem Volk“.
Das macht es einfacher, am Guten vorbeizusehen. Er will es ja seine Leute anweisen, die Anderen, die Fremden, die Unliebsamen niederzuhalten, sie auszuzehren durch schwere Arbeit. Auch da passiert das…
Es geht nicht um den Lebensunterhalt oder einen Beitrag für eine gemeinsame Zukunft - es geht um Macht und Gewalt und sind nur ganz wenige Verse bis der König seine Seele verliert Auch er ist ein Machthaber, der das Undenkbare erst denkt und dann tut.
Dieser König sagt zu den „hebräischen Hebammen, von denen eine Schifra und die andere Pua heißt“ - man könnte ihre Namen also durchaus im Bibellexikon erwähnen - „wenn ihr den hebräischen Frauen bei der Geburt helft, dann seht auf das Geschlecht und wenn es ein Sohn ist, dann tötet ihn; ist es aber eine Tochter, so lasst sie leben.“
Prüft und entscheidet über Leben und Tod.
Diese beiden haben es in der Hand.
Es sind nur zwei Frauen - so unbedeutend, dass man sie leben lassen kann.
Es sind zwei Frauen, die eine Berufung haben, ein Ethos.
Es sind zwei Frauen, wie jede und jeder von uns auch: an einen konkreten Ort gestellt.
Sie könnten sich missbrauchen lassen.
Sie könnten einfach nur gehorchen und Verantwortung abschieben,
Sie könnten vergessen, dass es auch auf sie ankommt.
Aber all das tun sie nicht. Sie prüfen und entscheiden sich.
Die Bibel erzählt:
„Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie der König von Ägypten gesagt hatte, sondern ließen die Kinder leben.“
Man möchte - erst recht am Beginn eines neues Jahres - hoffen und hören, dass diese widerständige tapfere Haltung Eindruck macht, die Mächtigen berührt und in ihrem Blutrausch stoppt. Aber so ist es nicht.
Die Bibel erzählt keine Märchen und wir erleben allermeist auch keine.
Die beiden Hebammen werden zur Rechenschaft gezogen und verteidigen sich klug: Die Mütter sind stark und brauchen keine Hilfe. Daher kommen sie gar nicht zum Zuge.
Schifra und Pua haben Glück, man lässt sie laufen (oder Pech, weil niemand ihre Unbeugsamkeit ernstnimmt). Aber Gott sieht sie und - so heißt es: er „Tut ihnen Gutes.“
Der König hingegen rast.
Das Unheil ist nicht abgewendet.
Dann sollen eben alle Jungs in den Nil geworfen und ertränkt werden.
Ist also alles sinnlos? Lohnt es gar nicht, zu hoffen und diese Welt besser machen zu wollen?
„Prüft genau!“ Gebt nicht zu schnell auf. Seht genau hin - das Wunder passiert immer wieder. Menschen wählen das Gute und retten unsere Menschlichkeit.
Damals hat eine es nicht übers Herz gebracht, den kleinen Mose ertrinken zu lassen und in ein Körbchen gelegt, eine andere findet ihn, lässt ihn nicht weitertreiben, sondern nimmt sich seiner an.
Das Gute ist möglich. Immer.
Dort und hier, damals und heute finden sich mutige Menschen… - die „genau prüfen“, sich und die Situation, die „das Gute wählen“, weil sie es können, weil es in ihrer kleinen Macht liegt.
Sie sorgen dafür, dass die Geschichte der Menschlichkeit nicht zu Ende ist, sondern uns erreicht und weitergeht, damit in allem, was passiert - und auch dem, was wir nicht abwenden können - die Spur der Freundlichkeit sichtbar bleibt.
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