Engel
Engel
Marc Bühner, Prädikant - 07.08.2025
Haben Sie schon einmal einen Engel gesehen? Also in echt, nicht am Weihnachtsbaum oder auf einer Postkarte oder als Schlüsselanhänger? Oder haben Sie schon mal etwas mehr über Engel nachgedacht?
Mit den Engeln ist das ja so eine Sache. Eine äußerst zwiespältige Sache genau genommen. Einerseits: Engel haben ganz viel mit uns zu tun: Schutzengel wünscht sich jeder an seiner Seite. Gerade wenn man von einer langen Autofahrt gut angekommen ist, dankt man seinem ganz persönlichen Schutzengel. Manchmal entdecken wir sogar den Engel in lieben Menschen: "Du bist unser Engelchen" sagen Eltern gerne zu ihren kleinen Kindern und wenn uns unverhofft Gutes widerfahren ist, dann sagen wir auch gerne: "Du bist wirklich ein Engel!"
Andererseits: Schon bei diesen kleinen Beispielen wird deutlich: Irgendwie sind Engel uns auch fern. Nicht einfach wie ein guter Freund immer per Telefon erreichbar, sondern unverfügbar. Freude und Schutz, die man selbst nicht geben kann, sollen sie bringen. Eben unplanbar eingreifen, gerade wenn uns Unplanbares widerfährt.
Und sie sind nicht nur unverfügbar, sondern auch unsichtbar und uns ganz fern, und man kann ihre Existenz gut begründet sogar gänzlich in Frage stellen.
"Sie leben hinterm Horizont, getrennt von uns unendlich weit,
sie müssen sich an Sterne krallen – ganz fest, damit sie nicht vom Himmel fallen;
Erst wenn die Wolken schlafen gehen, kann man uns am Himmel sehen, wir haben Angst und sind allein".
Auch das eine menschliche Beschreibung der Engel und in diese kann man schon einstimmen: "Gott weiß ich will kein Engel sein". So singt es die deutsche Band Rammstein in ihrem fast schon klassisch gewordenen Lied: Engel.
Engel sind nah und fern, sind machtvoll und schwach, im Himmel und auf Erden. Sie sind nicht göttlich, aber Gott doch viel näher als wir normalen Erdenbewohner.
Überhaupt: Wie ist das mit uns? Von Engeln zu reden, macht ja nur Sinn, wenn sie etwas mit uns zu tun haben. Und ja, wir haben was mit ihnen zu tun. Auch, wenn wir sie nicht sehen können und ihre Existenz nicht beweisen können. Und, wir haben etwas mit den Engeln gemeinsam: Wir sind alle von Gott geschaffen.
Wir - wir sind aber keine Engel und auch nicht wie Gott, aber wir sind von ihm geschaffen, durch ihn gerufen und durch ihn bestärkt.
"Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen." (Psalm 91, 11)
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Das Bild vom Frieden
Marc Bühner, Prädikant - 06.08.2025
Mittwochabend, Abendsegen mit Gebet für Versöhnung und Frieden.
Heute mal keine Andacht. Heute mal eine kleine Geschichte zum Thema "Frieden" zum Nachdenken und ein Bibeltext…
Es war einmal ein König, der schrieb einen Preis im ganzen Land aus. Er lud alle Künstlerinnen und Künstler dazu ein, den Frieden zu malen und das beste Bild sollte eine hohe Belohnung bekommen.
Die Malerinnen und Maler im Land machten sich eifrig an die Arbeit und brachten dem König ihre Kunstwerke. Von allen Bildern, die gemalt wurden, gefielen dem König zwei am besten. Zwischen denen musste er sich nun entscheiden.
Das Erste war eine perfekte Wiedergabe eines stillen Sees. In der Oberfläche spiegelten sich malerische Berge und man konnte jede kleine Wolke im Wasser erkennen. Alle, die das Bild sahen, dachten sofort an den Frieden.
Das zweite Gemälde war ganz anders. Auch hier waren Berge zu sehen, aber diese waren zerklüftet, rau und kahl. Am düsteren grauen Himmel über den Bergen jagten sich wütende Wolkenberge und man sah den Regen fallen, den Blitz zucken und konnte auch fast schon den Donner krachen hören. Keiner, der dieses Bild sah, verstand, wieso es hier um Frieden gehen sollte.
Doch der König sah einen kleinen Busch, der auf der zerklüfteten Felswand wuchs. Ein Vogelpärchen hatte in dem Strauch sein Nest gebaut. Dort in dem wütenden Unwetter an diesem unwirtlichen Ort saß die Vogelmutter auf ihrem Nest – in vollkommenem Frieden.
Welches Bild gewann den Preis?
Der König wählte das zweite Bild und erklärte seinen Leuten:
“Lasst Euch nicht von schönen Bildern in die Irre führen: Frieden ist nicht dort, wo es keine Probleme oder Kämpfe gibt. Echter Frieden bringt Hoffnung und bedeutet vor allem, auch unter schwierigsten Umständen und größten Herausforderungen, ruhig und friedvoll im eigenen Herzen zu sein.”
(Verfasser unbekannt)
Im Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde von Rom lesen wird:
Die Liebe sei ohne Heuchelei. Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten! Seid einander in brüderlicher Liebe zugetan, übertrefft euch in gegenseitiger Achtung!
Lasst nicht nach in eurem Eifer, lasst euch vom Geist entflammen und dient dem Herrn. Freut euch in der Hoffnung, seid geduldig in der Bedrängnis, beharrlich im Gebet!
Nehmt Anteil an den Nöten der Heiligen; gewährt jederzeit Gastfreundschaft! Segnet eure Verfolger; segnet sie, verflucht sie nicht! Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!
Seid untereinander eines Sinnes; strebt nicht hoch hinaus, sondern bleibt demütig! Haltet euch nicht selbst für klug! Vergeltet niemandem Böses mit Bösem! Seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! Soweit es euch möglich ist, haltet mit allen Menschen Frieden!
Download als PDF-Datei Verkündige das Wort, tritt dafür ein…!
Verkündige das Wort, tritt dafür ein…!
Marc Bühner, Prädikant - 05.08.2025
„Verkündige das Wort, tritt dafür ein…!“ so lautet die Tageslosung und ruft uns, wie alle Generationen vor uns und auch nach uns, auf das Gottes Reich mit aufzubauen, indem wir von seinen großen Werken berichten.
„Aber was kann ich als Einzelner schon erreichen?" Eine ganze Menge. Ich habe einmal von einer kleinen Dorfgemeinde in Brandenburg folgende Begebenheit gehört:
In jenem Ort gibt es eine wunderschöne, gotische Backsteinkirche. Seit Jahrhunderten lud die Glocke zum Gottesdienst ein. Aber dann wurden die Gottesdienste nicht mehr besucht und später nicht mehr abgehalten. Der Sozialismus brauchte Gott nicht. Die Menschen wollten selber die Gesellschaft verändern. Aber eine Frau blieb der Kirche treu. Sie versorgte das Gebäude so gut sie konnte, und läutete jeden Sonntagmorgen die Glocke. Die Botschaft von Gottes Liebe klang über die Gemeinde, auch wenn kein Gottesdienst mehr stattfand. An einem Sonntag gab es ein großes Dorffest mit einem feierlichen Aufmarsch, voran die Dorfkapelle. Sie spielte fröhliche Marschlieder. Als sie an der Kirche ankamen, unterbrachen die Musiker wie auf Kommando ihre Märsche und spielten "Großer Gott wir loben dich". Nachdem sie an der Kirche vorbei marschiert waren, nahmen sie ihre fröhlichen Marschmelodien wieder auf. Diese Botschaft wurde nicht vergessen, bald schon fanden in dieser Kirche wieder Gottesdienste statt. Es war und ist eine kleine Gemeinde, aber: "Solange die Kirchenglocke läutet, hält unser Dorf zusammen!"
Und so stehen wir vor dieser großen Aufgabe, das Reich Gottes zu bauen, die scheinbar nicht zu bewältigen ist. Oft denke ich angesichts der vielen Probleme, vor denen wir als Mitglieder seiner Kirche stehen: "Haben wir überhaupt eine Chance, Gottes Wort in einer Welt verständlich zu machen, die nach Unterhaltung sucht, die in Spiel und Spaß ihren Sinn sieht?" Damals war es auch nur eine kleine Schar von Jüngern, welche das Evangelium, die Botschaft von Jesus in die Welt trug. Wir dürfen uns nicht entmutigen lassen, sondern sollten Schritt für Schritt gehen im Vertrauen auf unseren Herrn.
"Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt", sagte ein junger Soldat, als er im Kaukasus bei Kriegsende entlassen wurde. Und er kam wirklich heim, weil er ging, Tag für Tag mit dem Ziel vor Augen, nach Hause zu kommen.
Durch die Taufe sind wir zu Jesu Jünger geworden. Wir sind keine Meister, wir sind "Lernende" ein Leben lang. Auf unserem Lebensweg mit Jesus haben viele von uns Erfahrungen gemacht und haben gelernt, dass Gott uns nicht allein gelassen hat. Deshalb können wir bezeugen: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage“ und das können wir verkünden.
Jünger sein, heißt Jesus nachfolgen, Tag für Tag und Schritt für Schritt, als "Lernende". Er hat uns zugesagt, uns nicht allein zu lassen und will uns bei unseren Aufgaben zur Seite stehen, uns helfen und darum ergeht auch an uns dieser Ruf: „Verkündige das Wort, tritt dafür ein…!“
Download als PDF-Datei Ich habe keine Zeit!
Ich habe keine Zeit!
Marc Bühner, Prädikant - 04.08.2025
Gestern war uns eine gut bekannte Geschichte aus der Bibel als Predigttext gegeben: Die Speisung der 5000, auch bekannt als Speisewunder oder Brotvermehrung.
Was wäre, wenn es in der Geschichte aber nun nicht um 5 Brote und 2 Fische gehen würde, sondern um Zeit? Dann würde die Geschichte vielleicht so lauten:
Und er sah eine große Menge Volkes, die Menschen taten ihm Leid und er redete zu ihnen von der unwiderstehlichen Liebe Gottes.
Als es dann Abend wurde, sagten seine Jünger: „Herr, schicke diese Leute fort, es ist schon spät, sie haben keine Zeit.“
„Gebt ihnen doch davon“, so sagte er, „gebt ihnen doch von eurer Zeit!“
„Wir haben selber keine“, fanden sie, „und was wir haben, dieses wenige, wie soll das reichen für so viele?“
Doch war da einer unter ihnen, der hatte wohl noch fünf Termine frei, mehr nicht, zur Not, dazu zwei Viertelstunden.
Und Jesus nahm, mit einem Lächeln, die fünf Termine, die sie hatten und die beiden Viertelstunden in die Hand. Er blickte auf zum Himmel, sprach das Dankgebet und Lob, dann ließ er austeilen die kostbare Zeit, durch seine Jünger an die vielen Menschen.
Und siehe da: Es reichte nun das wenige für alle. Am Ende füllten sie sogar zwölf Tage voll mit dem, was übrig war an Zeit, das war nicht wenig.
Es wird berichtet, dass sie staunten. Denn möglich ist, das sahen sie, Unmögliches bei ihm.
„Ich habe keine Zeit!“ – Wie oft haben auch wir schon diese Aussage, so wie in dieser abgewandelten Version der Speisung der 5000, benutzt. Und mal ehrlich: Jedes Mal, wenn wir diese Aussage gebrauchen, dann lügen wir eigentlich. Wie können wir keine Zeit haben? Wir haben immer Zeit, und zwar genau die Zeit, die uns gegeben ist - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir haben also Zeit. Richtig müsste die Aussage also so lauten: „Ich möchte meine Zeit für etwas anderes nutzen!“ So wäre die Aussage korrekt. Man hat Zeit, nur mit was man seine Zeit verbringt, dass ist die Frage und muss jeder für sich entscheiden. Und das ist manchmal gar nicht so leicht. Wie oft vergeuden wir unsere Zeit mit Dingen, die doch so unnötig sind und nur, weil wir denken, dass wir doch noch soviel Zeit haben, unsere Ziele und Aufgaben zu erfüllen. Wie oft nehmen wir anderes wichtiger, als zum Beispiel Kindern Zeit zu schenken, als die darum baten, oder für einen Freund da zu sein, wenn Freundschaft sich bewähren musste. Ob es etwas bringen würde, wenn man einem Dreißigjährigen versuchen würde klar zu machen, was bereits von seiner Zeit vorbei ist? Es wäre schwer, denn (und ich spreche da auch von mir selbst) man glaubt, das man doch noch soviel Zeit hat. „Was man von der Minuten ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück“, diese Aussage kann ein alter Mensch, der die meiste Zeit seines Lebens hinter sich hat, in seiner tragischen Endgültigkeit besser einordnen als ein junger Mensch, weil er selbst erfahren hat, dass vertane Zeit nie wieder in die Gegenwart zurückzuholen ist.
Sie haben sich vor einigen Minuten entschieden, hier und jetzt ein wenig Zeit ihrer Zeit zu verbringen, zur Ruhe zu kommen, ein wenig dem Alltag zu entfliehen, kurz inne zu halten und vielleicht denkt der eine oder andere nun auch einmal daran und darüber nach, von wem wir unsere Zeit bekommen haben. Der Psalm 31 finden wir die Antwort: „Meine Zeit steht in Deinen Händen!“
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Glaubensorte – Orte des Glaubens!?
Marc Bühner, Prädikant - 01.08.2025
Der Braunschweiger Dom ist ein Ort des Glaubens! Da wird mir sicherlich jeder zustimmen. Aber was macht eigentlich dieses Gebäude zu einem Ort des Glaubens, zu einem Glaubensort? Die Tatsache, dass ein Herzog sich hier ein Denkmal setzen wollte? Na, wohl eher nicht! Das hier Gottesdienste gefeiert werden? Ja, das wohl schon eher! Oder ist an dieser Stelle, wo der Dom steht, etwas Wichtiges geschehen und ist deshalb dieser Ort ein Glaubensort?
Ich war in meinem bisherigen Leben drei Mal im Heiligen Land und habe dort viele Glaubensorte besucht und bei jeder Reise kamen neue hinzu. Ja, in diesem Land kann man diesen Orten gar nicht aus dem Wege gehen. Wo man auch hintritt, überall hat man das Gefühlt, man ist an einem Ort des Glaubens.
Und ich habe jedes Mal viele Menschen gesehen, die sich auch auf dem Weg zu diesen Orten gemacht haben. Die einen würde ich als „Rucksacktouristen“ bezeichnen, die nur einfach das mal gesehen haben wollten. Andere waren voller Glauben an diese Orte gekommen, um ihren Glauben zu vertiefen oder zu festigen.
Und wenn man dann an diesen Glaubensorten im Heiligen Land steht, dann stellen manche sich nun doch die Frage: War das, an was hier erinnert wird, wirklich an diesem Ort? Andere würden sich nie diese Frage stellen, denn sie sind sicher: Ja, hier war es. Hier ist der Glauben an einem richtigen Ort!
Unsere Reiseführerin sagte oft: „Es kann an diesem Ort gewesen sein, es kann aber auch wo anders hier in der Nähe gewesen sein. Wer weiß?“ Diese Antwort war für mich als Protestant soweit OK, aber für andere ein Grund sich aufzuregen und zu sagen: „Reiseführerin! Wir sind nicht so weit gereist, um irgendein Ort zu sehen. Wir wollen DEN Ort sehen, wo es war. Zeige uns den genauen Ort!“ Doch wie sollte die Reiseführerin dieses können. Sind doch viele Hinweise im Laufe der Zeit verloren gegangen und man kann nicht genau sagen, wo nun dieses oder jenes genau war.
Aber mal ehrlich: Ist es denn auch so wichtig, den genauen Ort zu kennen? Ist es nicht viel wichtiger, dass es Orte gibt, an denen wir uns an gewisse Dinge unseres Glaubens erinnern und an denen unser Glaube ein zu Hause hat? Muss das Geschehene genau an diesem Ort gewesen sein, um sich daran zu erinnern? Nein, ich denke nicht!
Und so ist nicht nur die Geburtskirche in Bethlehem oder die Grabeskirche in Jerusalem ein Glaubensort, sondern jeder Ort, an dem wir über unseren Glauben nachdenken und uns an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus erinnern ein Ort des Glaubens – so auch unser Dom zu Braunschweig!
„Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt!“ (Psalm 26, 8)
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Beten
Marc Bühner, Prädikant - 28.07.2025
Können Sie noch beten? Ich meine so richtig - aus tiefsten Herzen. Oder brauchen Sie jemanden dafür, der gut formulierte Gebete am Altar für Sie spricht?
Vielen ist das Beten heute fremd geworden und doch ist es eigentlich sehr einfach. Man braucht dazu keine reichlich ausgeschmückten Sätze und gute Formulierungen, es reicht doch auch ein „Gott hilf“ oder „Gott hab Dank“. Aber selbst das einfachste Gebet fällt vielen Menschen schwer.
Gut, dass Jesus uns da ein Gebet gelehrt hat, dass wir immer in allen Situationen beten können: Das „Vater unser“. Es ist das bekannteste Gebet der Christenheit. Egal in welcher Sprache, egal in welcher Kultur, in welchem Land, es sind Worte, die uns Christen verbinden und mit denen wir vor Gott im Gebet treten können. Doch auch diese Worte kommen Menschen immer schwerer über die Lippen, weil sie sie nicht mehr kennen. Musste man früher gewisse Texte noch auswendig lernen, so heute nicht mehr. Es steht doch alles im Smartphone, Google hilft. Aber die Worte nur ablesen bringt, denke ich, nicht viel. Sie sollen doch aus dem Herzen kommen.
Aber was soll ich dann machen, wenn mir die Worte fehlen, weil ich sie nicht auswendig kenne oder weil sie mir nicht über die Lippen kommen wollen? Wenn man in solch einer Situation ist, dann ein Vorschlag: Entzünden Sie eine Kerze, zuhause oder hier im Dom.
Das schlage ich nun nicht vor, um den Umsatz beim Kerzenverkauf hier im Dom zu erhöhen, sondern weil es ein schönes Zeichen ist. Außerdem die 60 Cent, die eine Kerze kostet, sind ja auch kein großes Opfer. Sie sind fast nichts von mir, fast nichts von meiner Arbeit, von meinem Geld nur ein geringer Teil. Sie kostet ja noch nicht einmal so viel wie eine einzige Mahlzeit.
Und jetzt werden Sie sagen: Eine Kerze ist doch kein Gebet. Richtig! Wie eben schon gesagt, sie soll auch nur ein Zeichen sein, und zwar dafür dass man einige Augenblicke schweigend vor Gott sein will. Ein Zeichen, dass man gekommen ist, weil man weiß, dass Gott da ist. Weil man weiß, dass Gott einen sieht. Und weil man weiß, dass Gott nicht fern ist: dem eigenen Leben, den Problemen und Schwierigkeiten, dem Haushalt, den eigenen Kindern, der Arbeit, den Sorgen, der Umgebung, der Zukunft, der Gesundheit und auch nicht dem Anliegen, dass man vor Gott bringen möchte, es aber nicht in Worte fassen kann.
Bieten Sie Gott eine Kerze (dieses Zeichen) an, mit der Gewissheit, dass alles, was wir jeden Tag brauchen, von Gott kommt. Und diese Gewissheit haben wir, weil Jesus uns gelehrt hat alles von Gott, unserem Vater zu erbitten.
Und noch etwas: Wenn Sie eine Kerze entzünden und schweigend sich ihr Licht anschauen, dann sehen Sie vielleicht auch schon sein Licht. Das Licht, das in die Welt gekommen ist für uns, damit wir nicht im Dunkeln bleiben.
„Ich bin das Licht der Welt! Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben!“
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Solange es Menschen gibt
Cornelia Götz, Dompredigerin - 26.07.2025
Gerade haben Sie musikalische Gedanken von Witold Dulski zu einem Lied gehört, dass wir – jedenfalls hier im Dom – eher selten singen, vielleicht überhaupt noch nicht gesungen haben:
„Solang es Menschen gibt auf Erden…“
Es findet sich im Gesangbuch unter der Rubrik Glaube – Liebe – Hoffnung / Erhaltung der Schöpfung.
„Solang es Menschen gibt auf Erden / durchzieht die Hoffnung ihre Brust: / es muss doch anders - besser werden, / des ist ein jeder sich bewusst.“
Ist das so? Oder sind wir vielmehr ängstlich drauf bedacht, dass sich ja nichts ändert, dass alles so bleibt wie es ist.
Ist das so? Leben wir aus der Hoffnung oder würden wir die Bissen von den Früchten des Baumes der Erkenntnis am liebsten wieder ausspucken – weil uns bewusst geworden ist, dass es so nicht weitergehen kann und wir doch dachten, die Rückkehr ins Paradies enthebt uns der Mühsal, tun zu müssen, was wir verstanden haben oder widersprechen zu müssen, wo wir es besser wissen?
Das gar nicht so alte Lied gehört jedenfalls in eine Zeit, in der es aufwärtsging: Wirtschaftswunder, kleine und große Erfolgsgeschichten. In der zweiten Strophe heißt es:
„Der eine schaut nach Reichtum - Ehre, / der andre nach Gesundheit aus.
Und alle möchten, dass einkehre / der Liebe Glück in Herz und Haus.
Sie haben alle ihre Ziele / und streben vorwärts Tag für Tag
und malen auf des Glückes Mühle, / bis sie sind alt, gebeugt und schwach. …“ Das klingt emsig – aber dahinter lauert eine große Sinnfrage, die Angst vor der Vergänglichkeit:
„Soviel sie aber auch erlangen / an Schätzen dieser Welt und Zeit,
sie hören drum nicht auf zu bangen / vor dem, was bringt die Ewigkeit.
Denn jeder weiß, es gilt zu scheiden / von allem, was er hier erreicht …“
Da sind sie wieder – die Beharrungsängste…
Wir hier kennen die auch. Wir hatten fette Jahre und auch unsere Kirchen haben sich weite Hosen geschneidert, die uns jetzt um die Hüften schlackern. Auf einmal bekommen wir Panik, schauen gebannt auf Zahlen, quälen uns mit all dem rum, was vermeintlich nicht mehr geht oder offensichtlich nicht mehr gebraucht wird, vergessen die Hoffnung.
Also schlage ich das Gesangbuch nochmal auf, suche eine Biege für diese Andacht und bin verwirrt. Der Text geht ganz anders – was habe ich denn da aus dem Internet geholt? Jetzt lese ich:
„Solang es Menschen gibt auf Erden, / solang die Erde Früchte trägt,
solang bist du uns allen Vater, / wir danken dir für das, was lebt.
Solang die Menschen Worte sprechen, / solang dein Wort zum Frieden ruft, / solang hast du uns nicht verlassen. / In Jesu Namen danken wir.“
Ein Glück, dann ist es gerade noch einmal gut gegangen!
Und mit dieser Erleichterung verabschieden wir uns für eine kleine oder mittlere Weile von diesem Format am Samstag im Dom.
Wir sind zu wenige, die Andachten halten – aber Gott sei Dank haben wir genug Musiker. Orgelmusik um 12.00 wird es weiter geben, Gebet und Segen auch. Und irgendwann wächst uns vielleicht wieder eine Ressource zu – oder … wer weiß.
Solange es hier Menschen gibt…
Download als PDF-Datei Salamu alaikum, Schalom und Friede sei mit euch!
Salamu alaikum, Schalom und Friede sei mit euch!
Marc Bühner, Prädikant - 23.07.2025
„Guten Tag“, „Hallo“, „Hi“, „Na“ oder wenn man im Norden ist „Moin“ oder im Süden „Grüß Gott“, so begrüßen wir uns einander, wenn man sich begegnet. Begrüßungsformeln, die im Laufe der Zeit sich eingebürgert haben. Im Laufe der Zeit verändern diese sich natürlich auch immer wieder. Unsere heutigen Begrüßungsformeln sind doch recht schlicht und es fehlt irgendwie irgendetwas.
Der Islam hat sich da bis heute was bewahrt. Im Islam ist die übliche Begrüßungsform, dass man seinem Gegenüber den Frieden Gottes wünscht. Wie schön ist das doch, schon bei der Begrüßung Frieden zu wünschen. Damit wird gleichzeitig der Charakter der Einheit aller hervorgehoben, denn der Friedensgruß wird von allen Muslimen aller Kultur und Sprachen in Arabisch ausgesprochen. Auch das ist eine schöne Vorstellung: Egal wo auf dieser Welt ich hinkomme, ich werde immer mit denselben Worten begrüßt. Gemäß muslimischer Vorstellung war Adam der Erste, der den Friedensgruß aussprach und es ist eine im Heiligen Koran festgelegte Aufforderung einen Gruß in mindestens gleichschöner Weise oder noch schöner zu erwidern. Denn der Friedensgruß ist auch ein Vorgeschmack auf den Gruß im Paradies. Auch das ist eine schöne Sache, denn wie oft bekommen wir auf unser „Guten Tag“ nur ein kurzes „Hi“ zurück. Der islamische Friedensgruß in seiner längsten Form lautet: "As-salamu alaikum wa rahmatu Allahi wa barakatuh" - "Der Friede sei mit dir und Allahs Barmherzigkeit und sein Segen". Im täglichen Gebrauch verwendet man die Kurzform „Salamu alaikum“ - „Frieden sei mit dir".
Aber nicht nur im Islam, auch im jüdischen begrüßt man sich mit „Frieden“, denn dort sagt man „Schalom“ zur Begrüßung. Schalom bedeutet im Tanach, der jüdischen Bibel, zunächst Unversehrtheit und Heil. Im Judentum ist Schalom ein zentraler Begriff, der nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sondern auch Gesundheit, Wohlfahrt, Ruhe und Glück umfasst. „Schalom“ an Wochentagen, „Schabbat Schalom“ – „Friedlicher Sabbat“ oder auch „Gesegneter Sabbat“ halt am Sabbat drückt als Grußformel den Wunsch nach Frieden und Wohlstand für die angesprochene Person aus.
Bei uns ist der Friedensgruß aus dem Alltag verschwunden und nur noch Teil in der Abendmahlsliturgie, wo der Liturg nach dem „Vater unser“ die Gemeinde grüßt: „Der Friede des Herrn sei mit euch allen“ und die Gemeinde antwortet: „Friede sei mit dir.“ oder als Kanzelsegen nach der Predigt: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“
Wäre es nicht ein erster Schritt zum Frieden, wenn wir uns Frieden (den die Welt bitter nötigt hat) wieder gegenseitig wünschen würden und uns so im Alltag ständig daran erinnern, dass Frieden nicht von selbst entsteht, sondern uns braucht, dass Frieden wächst.
„Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.“ (Kolosser 3,15)
Darum sagt ich heute: Salamu alaikum, Schalom und Friede sei mit euch! Amen.
Download als PDF-Datei Wahr, gut und notwendig...
Wahr, gut und notwendig...
Marc Bühner, Prädikant - 22.07.2025
Kennen Sie das: Sie sind auf der Arbeit oder mit Bekannten unterwegs oder treffen gelegentlich jemanden wieder und dann immer diese tollen und meistens sinnlosen Gespräche oder sogar noch schlimmer, diese ewigen Lästereien.
Muss das sein? Gibt es in solchen Situationen nichts Vernünftiges, über das man sich unterhalten könnte?
Wir sollten uns in diesen Situationen einmal diese kleine Geschichte von Sokrates zu Herzen nehmen:
Eines Tages kam Kritias zu Sokrates. Aufgeregt rief er: „Höre, das muss ich dir erzählen, wie ein Freund…“ „Halt ein!“, unterbracht ihn der Weise, „lass sehen, ob das, was du erzählen willst, durch die drei Siebe geht.“ „Drei Siebe?“, fragte Kritias voll Verwunderung. „Ja, mein Freund, drei Siebe! Das erste Sieb ist die Wahrheit. Ist das, was du mir erzählen willst, wahr?“ „Nun, ich weiß nicht, ich hörte es erzählen und…“ „Aber vielleicht hast du es im zweiten Sieb geprüft, dem Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, wenn schon nicht als wahr erwiesen, wenigstens gut?“ Zögernd sagte Kritias: „Nein, das nicht, im Gegenteil…“ „Dann“, unterbrach ihn der Weise, „lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden: Ist es notwendig, mir zu erzählen, was dich so erregt?“ „Notwendig nun gerade nicht…“ Also“, lächelte Sokrates, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“
Ja, das ist es – eigentlich. Aber lieber Sokrates, das ist doch langweilig. Es macht doch so´n Spaß, über einen Anderen zu erzählen, zu lästern. Und wenn man dann noch über den Schaden eines Anderen erzählen kann – naja, Schadenfreude ist doch die beste Freude, vor allem wenn man es weiter erzählen kann.
Es macht vielleicht Spaß, aber es ist unchristlich. Schon im Alten Testament lesen wir: "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. (2.Mose 20,16)". Und Jesus sagt uns: "Wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch. (Lukas 6,31)". Oder einmal anders formuliert: Wenn du nicht willst, dass man über dich redet, dann hör auch auf selber über andere zu reden.
Also, liebe Andachtsbesucher, prüfen wir stets, ob das, was wir erzählen wollen, wahr und gut ist und ob es notwendig ist.
Download als PDF-Datei B - Brot
B - Brot
Cornelia Götz, Dompredigerin - 21.07.2025
B – Brot
Das hebräische Wort „Lehem“ – uns vertraut aus dem Ortsnamen „Bethlehem“ bedeutet nicht nur Brot, sondern bezeichnet das „Nahrungsmittel“ schlechthin. Denn Brot war - wie in den meisten agrarischen Kulturen - auch in Israel das wichtigste Nahrungsmittel überhaupt.
In biblischer Zeit wurde es vor allem aus Gerste oder Weizen gebacken, den beiden Hauptgetreidearten im alten Israel. Allerdings geht es, wenn im Alten Testament vom Brot die Rede ist, höchstens nebenbei darum, welches Mehl verwendet wurde.
Benannt wird es im zweiten Buch der Könige. Dort vollbringt der Prophet Elisa ein Speisungswunder. Folgendes wird erzählt: „Es kam aber ein Mann und brachte dem Mann Gottes – also Elisa - Erstlingsbrot, nämlich zwanzig Gerstenbrote, und neues Getreide in seinem Beutel. Er aber sprach: Gib’s den Leuten, dass sie essen! Sein Diener sprach: Wie soll ich davon hundert Mann geben? Er sprach: Gib den Leuten, dass sie essen! Denn so spricht der Herr: Man wird essen und es wird noch übrigbleiben. Und er legte es ihnen vor, dass sie aßen; und es blieb noch übrig nach dem Wort des Herrn.“
Später wird Jesus Christus Brot vermehren, das Brot brechen, sich selbst damit identifizieren – und in all dem auf eine lange Tradition zurückgreifen, Bilder und Geschichten erinnern und wieder lebendig werden lassen.
Dann würde man sich vielleicht wieder erzählen, dass unter Gideon in uralter Zeit Männer geträumt hatten, dass ein riesiges Gerstenbrot über das Heerlager der Midianiter rollen und Gott sie so den Israeliten in die Hände geben würde.
Oder man würde sich von Hesekiel erzählen, der zeichenhaft die Schuld Israels trug und Brot für Notzeiten buk, indem er Weizen und Gerste mit Bohnen, Linsen und Dinkel verlängerte.
Die Brotzubereitung war – so berichten es die alten Geschichten – Aufgabe der Frauen. Sara knetete Teig aus „drei Maß feinem Mehl“ als Gott den Abraham in Mamre besuchte. Im ersten Samuelbuch bereitet eine Frau ungesäuertes Brot zu, um den entkräfteten Saul zu stärken.
Solche Brote waren im alten Orient eher dünne Teigfladen, auf heißen Steine, in Glutasche oder der Innenwand des Ofens gebacken, mit Salz und Sauerteig oder ungesäuert zu rituellen Zwecken.
Brot war und ist bis heute ein Symbol, ob Menschen Hunger leiden oder nicht. Darum galt es als eine Art Mindestlohn. Daher trägt die Aktion „Brot für die Welt“ diesen Namen.
Und ja: über das Brot gibt es noch sehr viel mehr zu sagen. Ein andermal.
Download als PDF-Datei A - Alabaster
A - Alabaster
Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.07.2025
Als ich vor reichlich elf Jahren hier meinen Dienst antrat, fand ich mich wenige Wochen später da hinten and der Westwand auf einem Gerüst wieder. Am einem der Epitaphien musste eine Reparatur vorgenommen werden und nun brauchte es eine Entscheidung darüber, wie mit dem Alabaster umgegangen werden sollte.
Das habe ich nicht studiert. Alabaster kannte ich bis dahin nur von kleinen Döschen und aus der eindrücklichen Geschichte der Salbung in Bethanien. Das kostbare Nardenöl, das die Jünger für verschwendet hielten, befand sich wahrscheinlich in einem Alabasterfläschchen.
War das noch womöglich wertvoller als das Öl?
Zweite Runde Bibelkunde – wir beginnen wieder von vorn:
A – Alabaster
Alabaster, in der Antike wie heute als besonders schönes und wertvolles Material zur Herstellung von Kunstgegenständen bekannt, findet sich im Zusammenhang mit Kalkstein fast im gesamten Mittelmeerraum.
Alabaster gibt es als feinkörnige durchscheinende Variante des Gipses oder als mikrokristallinen Atlasspat.
Frisch abgebauter „Calcit-Alabaster“ ist gelblich-braun. Aber im Sonnenlicht gebleicht bekommt Alabaster seine Mamoranmutung.
Dann fein polieren und schon hat der Alabaster seinen edlen Schimmer.
Die Herkunft des Wortes „Alabaster“ kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Zum einen kann es vom griechischen „alabastros - Salbenfläschchen“ abgeleitet werden. Vielleicht kommt der Name aber auch aus der gleichnamigen ägyptischen Stadt Alabastron.
Im Alten Testament taucht der Alabaster im Hohelied auf: Die Beine der Liebsten – so heißt es - seien schön wie Alabastersäulen.
Aber der bekannteste biblische Beleg für Alabaster bleibt die oben erwähnte Geschichte von der Salbung im Hause des Simon. Unmittelbar vor dem Passahfest und dem Verrat des Judas wird von einer der letzten Tischrunden Jesu erzählt. Man sitzt beisammen und eine Frau kommt dazu, um für Jesus das zu tun, was sie für die größte ihr mögliche Wohltat hält. Sie salbst ihm mit einem Öl, das so kostbar ist, dass es auch eine wertvolle Verpackung hat: eben ein Alabasterfläschchen.
Mit dem neuen Wissen, dass dieses Material erst wirklich schön wird,
wenn Licht darauf fällt – und nicht, wenn man für sich im Verborgenen hütet und versteckt – finde ich die Geschichte noch schöner, denn die behutsame Zugewandtheit der Frau, die Jesus mit dem überschüttet, was ihr das Beste scheint, schimmert so noch ein bisschen mehr.
Download als PDF-Datei Sommerzeit – Trinitatiszeit
Sommerzeit – Trinitatiszeit
Marc Bühner, Prädikant - 17.07.2025
Wir sind nun mitten drin, in der Sommerzeit, aber noch am Anfang der Trinitatiszeit. Nach dem Trinitatisfest zählen wir die Sonntage einfach durch, bis in den Spätherbst rein. Wie gesagt, noch sind wir am Beginn dieser Zeit, die insgesamt in diesem Jahr 20 Sonntage umfasst. So viele Sonntage mit diesem Namen „Trinitatis“ und wenn man mal fragt, was das Trinitatisfest ist, kann kaum jemand eine Antwort geben.
Trinitatis, das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit. Es ist eines der großen kirchlichen Feste, aber es rangiert deutlich im Schatten der großen kirchlichen Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten.
Das Weihnachtsfest wird als Fest der Geburt des Gottessohnes gefeiert, doch der Handelnde ist der schöpferische Vatergott. Das Osterfest erinnert eindeutig an die Geschichte des Gottessohnes. Hier ist Jesus Christus der handelnde, leidende und vom Tod auferstandene Gottessohn. Und das Pfingstfest, begangen als das Geburtsfest der Kirche, ist das Fest des Wirkens von Gottes Heiligem Geist.
So gesehen feiert die Kirche in jedem ihrer großen Feste eine Dimension der Dreieinigkeit Gottes: Weihnachten als Werk Gottvaters, Ostern als das Werk des Gottessohnes und Pfingsten als das Werk von Gottes Heiligem Geist. Das Trinitatisfest könnte dann eigentlich der Höhepunkt der Feste im Kirchenjahr sein, weil in ihm die heilsgeschichtlichen Ereignisse von Weihnachten, Ostern und Pfingsten in einem Fest zusammengefasst sind.
Und da finde ich es doch schade, dass das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit so unbekannt ist. Es ist schade, denn es soll uns doch daran erinnern, dass Gott, Jesus Christus und der Heilige Geist eine göttliche Einheit bilden. Anders ausgedrückt, wenn wir von Jesus Christus und dem Heiligen Geist reden, dann reden wir von Gott, der in Jesus Christus Gott ist und Mensch wurde und dann reden wir vom Heiligen Geist, in dem uns Gott begegnet und Kraft und Erkenntnis schenkt.
Alles in allem heißt es Gott-Vater, Gott-Sohn und Gott-Heiliger Geist und so soll nun Gott in allen drei Dimensionen seines Wirkens gelobt und gepriesen werden. Dies sollten wir tun, nicht nur in der Trinitatiszeit, sondern immer und uns zum dreieinigen Gott bekennen.
So wünsche ich Ihnen nun nicht nur eine schöne Sommerzeit, sondern auch eine gesegnete Trinitatiszeit.
Download als PDF-Datei Wo ist Gott?
Wo ist Gott?
Marc Bühner, Prädikant - 14.07.2025
Die heutige Tageslosung steht bei Jeremia im 2. Kapitel und lautet: „Wo sind denn deine Götter, die du dir gemacht hast? Lass sie aufstehen; lass sehen, ob sie dir helfen können in deiner Not!“
Ja, wo sind die Götter? Die Götter, die wir Menschen uns geschaffen haben. An irgendwas muss ein Mensch ja glauben und da kommt man schon auf Ideen und da wurden oder werden auch immer noch auch mal Götter geschaffen. Manche kann man sogar sehen. Ob sie einem helfen können, mag ich zu bezweifeln.
Anders bei uns Christen. Wir haben keine Götter, wir haben nur einen Gott. Und wir haben diesen einen Gott auch nicht geschaffen, sondern er hat uns geschaffen.
Doch wo ist unser Gott? So könnte man ja auch gefragt werden.
Sind Sie schon mal Gott begegnet? Haben Sie ihn schon mal gesehen? Nein? Aber woher wissen Sie das so genau? Kann es nicht sein, dass er schon direkt vor Ihnen stand und Sie haben es einfach nur nicht mitbekommen?
Zu einem Weisen kam einer und klagte: „Ich suche nun so viele Jahre nach Gott und kann ihn nicht finden.“ Der Weise sah ihn freundlich an und erzählte: Es war einmal ein Mann namens Nasruddin. Er ging immer hin und her über die Grenze, an verschiedenen Zollstellen, einmal mit einem Esel, einmal auch mit zweien oder dreien. Auf den Eseln transportierte er große Lasten Stroh. Die Zöllner wussten, dass er ein bekannter Schmuggler war, und so durchsuchten sie ihn immer wieder, stachen mit Stöcken in die Strohballen, und manchmal verbrannten sie das Stroh und suchten in der Asche nach dem, was er schmuggelte. Aber sie fanden nichts, und Nasruddin wurde reicher und reicher. Schließlich wurde er alt, zog in ein anderes Land und setzte sich zur Ruhe. Dort begegnete ihm einer der früheren Grenzwächter und fragte: „Nasruddin, jetzt könnt Ihr es mir ja sagen. Was habt Ihr geschmuggelt, was wir nie gefunden haben?“ Nasruddin lächelte und antwortete: „Esel!“ Siehst du, sagte der Weise, so sucht mancher nach Gott, und Gott ist vor seinen Augen!
So wie diesem einen, so ergeht es vielen Menschen. Sie suchen nach Gott. Wollen ihn finden. Suchen nach Beweisen für seine Existenz. Sie suchen und suchen – finden aber nichts. Sie schauen und schauen – sehen aber nichts. Warum? Weil diese Menschen nicht richtig hinsehen - weil sie oberflächlich durchs Leben gehen.
Und wie kann ich Gott nun in unserer Welt entdecken? Also einen genauen Tipp, was man machen muss, naja, den kann ich Ihnen auch nicht sagen. Halten Sie einfach die Augen auf, dann sehen Sie ihn schon! Vielleicht im Lächeln eines geliebten Menschen. Im Blick eines dankbaren Kindes. In einer Geste der Zuneigung. In einem Moment des Glücks.
Und wenn sie Gott, trotz aller Mühe, mit Ihren Augen nicht finden sollten, dann nehmen Sie doch statt Ihrer Augen einmal Ihr Herz und schauen damit nach Gott! Denn wie heißt es beim kleinen Prinzen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
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Geh aus - die Zweite
Cornelia Götz, Dompredigerin - 12.07.2025
Am letzten Montag habe ich beim Abendsegen ein bisschen auf dem berühmten Paul-Gerhard-Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“ rumgekaut. Das hat den Domorganisten für das heutige Mittagsgebet inspiriert.
Ich hatte am Wochenanfang einmal mehr bei einem Trauergespräch vergeblich widersprochen, als man mir sagte, dass dieser Sommerschlager nun wirklich nicht auf den Friedhof gehört … - was für ein Irrtum! Zumal ja schon die allerersten Worte des Liedes helfen, vom Friedhof zurück ins Leben zu gehen.
Und außerdem hatte ich einen Deutschlandfunkbeitrag über die goldene Zukunft der „Deathbots“ in den Knochen. Was das ist? Digitale Interaktion mit Verstorbenen. Man füttert den Deathbot mit allen möglichen E-Mails, Nachrichten, Videos, Social-Media-Posts oder Sprachdateien um ihn so zu trainieren, dass er den Toten imitieren und später stellvertretend im Gespräch bleiben kann.
Nur ja nicht loslassen müssen, trauern oder gar einsehen, dass Menschen sterblich sind, dass Ihre und meine Zeit ein Ende haben wird.
Weltmeisterliche Verdrängung. Die leisten wir uns auch, wenn wir in „Geh aus mein Herz“ nur das freudige sommerliche Wandeln in blühenden Gärten, Vogelgesang, goldenen Weizen und perlenden Bäche hören – auch wenn die Freude über Gottes wunderbare Schöpfung unbedingt gesungen werden muss!
Aber es geht in dem alten Lied um mehr, um Trost, Trotzkaft, Unruhe und Sehnsucht nach einer anderen Welt jenseits unserer irdischen Grenzen.
Paul Gerhardt schrieb das Lied fünf Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Er hatte an den Gräbern seiner Frau einiger seiner Kinder gestanden und gemerkt, wie ihn trotz allem das Leben umtreibt.
Er hat Worte gefunden dafür, dass das Leben weitergeht – ohne zu verdrängen, dass wir lernen müssen zu sterben und auch ohne alles nichtig werden zu lassen. Und so schreibt er:
„Ich selber kann und mag nicht ruhn, / des großen Gottes großes Tun, erweckt mir alle Sinnen“ – ist das nicht Auferstehungshoffnung und Osterfreude, die aus dem Herzen rinnen muss? Und muss es nicht, wenn die Natur hier schon so berauschend schön ist, bei Gott dereinst unbegreiflich herrlich sein? Am Ende dürfen wir heimkommen und das wird gut sein.
Trotzdem leben wir jetzt hier.
Angesichts des Todes. Angesichts der Welt.
Und jede, jeder trägt „dieses Leibes Joch“ – wir sind eben keine Idee und auch keine digitale Möglichkeit, wir sind Menschen aus Fleisch und Blut. Mit einem Körper, der Scherereien macht, Herzen, die weh tun, Muskeln, die sich verspannen, Augen und Ohren, die nachlassen.
Umso eindrücklicher, dass Paul Gerhardt darum bittet, dass unser Geist gesegnet werden möge, dass wir in Gottes Garten hier und dort Geschöpfe sind, die Freude machen – gepflanzt an den Wassern des Lebens.
Bienen, Tulpen und Narzissen sind poetische Bilder.
Aber sie eröffnen keinen Sommerkitsch sondern Gottes Geistes Raum.
So möge es denn klingen!!!
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Irdisches Haus - ewiges Haus
Marc Bühner, Prädikant - 11.07.2025
Über diesen Tag steht ein Satz aus dem 2. Brief des Apostels Paulus an die christliche Gemeinde in Korinth: "Wir wissen: Wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel."
Hütten, also Gebäude werden von uns Menschen erbaut und werden wieder abgerissen. Einige stehen länger, einige nur kurz. Einige müssen weichen, weil etwas anderes an die Stelle soll, andere bleiben stehen und bleiben sich selbst überlassen und zerfallen. Einige werden im Krieg zerstört und andere stehen über viele Jahrhunderte, so wie unser Dom, und bieten Schutz und Heimat. Doch irgendwann sind alle Gebäude einmal wieder weg und auch unsere „Hütte“, unser „Lebenshaus“ hier auf Erden wird einmal wieder weg sein. Vielleicht zerstört durch eine schwere Krankheit oder weil wir alt geworden sind. Wie auch immer, wir können beruhigt sein, denn Gott hat ein Haus im Himmel, das ewig stehen wird, so Paulus.
Nun gut. Reden wir aber nicht nur von Abriss und Zerstörung, sondern wir sollten erst einmal überlegen was es braucht, damit ein Gebäude erst einmal errichtet werden kann und nicht gleich in sich zusammen fällt. Die Antwort ist, denke ich, ganz klar: Dafür braucht es ein gutes Fundament. Die Bauleute für unseren Dom z.B. haben einen guten Grund geschaffen, so dass diese Kirche so fest über eine lange Zeit stehen kann. Es war sicherlich nicht ganz so einfach, hier einen festen Grund für den Bau eines so großen Gebäudes zu schaffen, aber die Bauleute schafften es.
Aber nicht nur Gebäude, sondern auch wir brauchen einen guten Grund für unser Leben, für unser Lebenshaus! Was ist also mit dem Grund, auf dem mein Lebenshaus steht? Da fiel mit ein, was Jesus einmal sagte: „Ein Haus, auf einen Felsen gegründet, hält Wind und Wetter stand. Wenn ein Haus auf Sand steht, dann fällt es beim ersten Sturm und Platzregen um.“ Ja, einleuchtender geht es wohl nicht und wirklich: Das kann jeder verstehen und es gibt wohl niemanden, der hier widersprechen würde. Warum wird dann aber doch so häufig nicht auf Felsen, sondern auf Sand gebaut? Warum hören dann doch so wenige Menschen darauf, was Jesus ihnen sagen will? Das muss daran liegen, dass sein Wort oft nicht als Fels erkannt wird, auf dem wir unser Lebenshaus bauen können. Und es liegt daran, dass so viele andere Worte sich als fester Halt und verlässlicher Grund ausgeben, auf dem wir sicher wohnen. Dass es oft nicht so ist, wissen wir. Wie aber können wir hier unterscheiden? Wie vermeiden wir es, unser Leben auf Sand falscher Versprechen und eigensüchtiger Ziele zu gründen?
Schauen wir uns einmal an, welcher „Baugrund“ uns heute so angeboten wird: Es ist zum Beispiel der „Konsum“ oder der blanke „Egoismus“, die „Esoterik“ und auch der „sportliche Lebensentwurf“ gehört dazu. Und was bietet Jesus uns dagegen an: „Darum, wer meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baut.“ Jesus bietet uns sein Wort und seine Begleitung an. Er bietet uns Gemeinschaft mit anderen Menschen und Gemeinschaft mit Gott an. Das ist alles! Und das ist auch genug! Sicher, wenn wir auf Jesus hören, werden wir in unserem Leben nicht von Unglück, Trauer, Leid und Schmerzen verschont. Aber wenn ein Sturm in unserem Leben auf uns zukommt, dann hält unser Lebenshaus stand, weil es nicht auf Sand, sondern auf dem Fels Jesus Christus gebaut ist. Und soll ich Ihnen noch sagen, was das Beste ist? Der Baugrund Jesus Christus wird kostenlos angeboten!
Und wenn dann doch einmal die Zeit gekommen ist, dass unser Lebenshaus in sich zusammen fällt, dann können wir es beruhigt geschehen lassen, denn wir wissen, dass wir im Hause unseres Herrn eine ewige Bleibe haben werden.
Download als PDF-Datei Wann haben wir???
Wann haben wir???
Cornelia Götz, Dompredigerin - 09.07.2025
Haben Sie schon einmal ein ESTA beantragt?
Das ist eine zähe Angelegenheit - auch dann, wenn man nur touristisch in die USA einreisen will, ein Rückreiseticket hat und diesbezüglich strapazierfähig ist, weil man seiner DDR-Vergangenheit wegen noch immer halbwegs bereitwillig stundenlang Formulare ausfüllt, um reisen zu können.
Dennoch hinterlässt der Marathon durch Dokumentenscanns und allerlei weitreichende Fragen zu Eltern und diversen Social-Media-Accounts einen bitteren Beigeschmack und lässt mich - wirklich nur - anflugsweise ahnen, was Menschen hinter sich bringen, die Sicherheitsinterviews führen und die Voraussetzungen des deutschen Aufnahmeprogramms bewältigen müssen.
In Pakistan sitzen Menschen fest, die das hinter sich haben und auf Herz, Nieren und in jeder Hinsicht sonst geprüft worden sind, dass sie keinerlei Gefahr darstellen und ein Recht auf die Einreise in unser Land haben.
Sie kommen aus Afghanistan und haben sich auf ein deutsches Versprechen verlassen, dass ihre Mithilfe beim Versuch, das Land demokratischer zu gestalten, nicht darin enden wird, dass man sie der Rache und dem Fanatismus der Taliban zu überlässt.
Nun haben sie bittere Erfahrungen gemacht. Mit uns.
Die sogenannten westlichen Mächte haben das Land fluchtartig verlassen.
Die Bilder der Flugzeuge, an die sich Menschen in Todesangst hängten, waren grauenvoll.
Wer sich auf das Wort unserer Regierung verlassen hat, sah sich nun genötigt, sich allein nach Pakistan durchzuschlagen und dort nach allen Screenings hören zu müssen, dass wir das Programm gestoppt haben.
Ja. Es ist nötig, dass Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden - aber hier reden wir über Wortbruch und verstörende Unbarmherzigkeit.
Dabei hören wir, die wir uns etwas auf christliche Werte einbilden und das C im Namen von Parteien wissen und Personen wählen, die Gottes Hilfe beim Regierungsantritt in Anspruch nehmen, mindestens einmal im Kirchenjahr hören wir aus dem Matthäusevangelium:
„Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden auch sie antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient?“
Wann? Fragen sie. Wann war das?
Jetzt.
Jetzt ist das so.
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Die Selliner Himmelsleiter
Cornelia Götz, Dompredigerin - 07.07.2025
Ferien. Endlich.
Und Zeit „Geh aus mein Herz und suche Freud“ zu singen - obwohl das Lied ja wahrscheinlich ganz irrtümlich ein Sommerschlager ist - weil eben von den Gärten Zier die Rede ist, von Bienen und Weizen und frischen Bächen.
Aber genau besehen, ist es eher einer Trostlied.
Ein Trotzkaftlied. Ein Sehnsuchtslied.
Eines, das menschliches Leben als endlich begreift und versteht, was der sächsische Landesbischof Tonias Bilz am Samstag bei der Verabschiedung unserem jetzigen Altbischof mitgeben hat: möge er das, was kommt als erquicklich erleben.
Denn Erquickung ist Trost und Erfrischung zugleich.
Die brauchen wir - nicht nur an heißen Tagen, sondern überhaupt. Und also geht das nach all der herrlichen Naturbeschreibung über zu unserer Rastlosigkeit, der Arbeit, die trotz Ferien kein Ende nimmt und dem guten Rand, sich an die herrliche Natur einfach dranzuhängen und mitzusingen wenn alles singt, mitzulachen und zu leuchten, wenn es die Natur auch tut.
Gedankensprung:
Mir fällt die Selliner Himmelsleiter ein.
Auf Rügen, im Ostseebad Sellin, einem Feriensehnsuchtsort, an dem hinter den Kulissen natürlich knochenhart gearbeitet wird, damit andere sich erholen und genießen können, gibt es eine wunderschöne alte Seebrücke. Sie ist mit dem Ort durch eine spektuläre Treppe verbunden ist, weil Sellin an einem Hochufer liegt. 86 Holzstufen hat die „Himmelsleiter“.
Und es gibt ein herrliches Foto aus den Anfängen des letzten Jahrhunderts, auf dem sich Menschen zum Foto platziert haben: sie sitzen vor allem unten rechts und links - als wollten sie den Blicken Anschwung nach oben gönnen. Nur ein paar Verwegene stehen auf der Treppe.
Es sind keine mondänen Strandschönheiten - sondern ganz normale Menschen und Gesichter; eben Fotos aus einer Zeit, die keiner Filter zur Bearbeitung der Bilder kannte und Menschen nicht dünner, jünger und glatter aussehen ließ.
Sie schauen in die Kamera und ich sehe sie an und denke mir: ihr wart also auch da? Habt ihr gearbeitet in Sellin oder in der Umgebung. Seid zur Sommerfrische hergekommen oder zusammengelaufen, damit dieses Bild möglich wird. Habt ihr die vielen Stufen gezählt?
Ich mag an dem Foto, dass man oben die Häuser der Wilhelmstraße und des Hochufers erkennt. Diese Himmelsleiter ist nicht mit Engeln bestückt und führt nicht ins Paradies, sondern ins wahre schöne anstrengende Leben - und es ist als wollte man realistisch, zuversichtlich, demütig, fröhlich singen:
„Doch gleichwohl will ich, weil ich noch / hier trage meines Leibes Joch, / auch nicht gar stille schweigen; / mein Herze soll sich fort und fort / an diesem und an allem Ort/ zu deinem Lobe neigen.“
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Ich bin das Brot des Lebens
Marc Bühner, Pfarrhelfer am Braunschweiger Dom - 27.06.2025
Waren Sie schon einmal in einer griechisch-orthodoxe Kirche, in einem griechisch-orthodoxen Gottesdienst? Es ist schon ein Erlebnis und mit unserem Gottesdienst nicht groß zu vergleichen. Diese Gottesdienste haben eine ganz eigene und besondere Atmosphäre. Als erstes fällt einem auf, es gibt in vielen Kirchen keine Bänke, die Menschen stehen die ganze Zeit. Und so ein Gottesdienst kann man eben bis zu 4 Stunden oder auch mehr gehen. Da ist es verständlich, dass die Menschen nicht die ganze Zeit im Gottesdienst bleiben – es ist ein ständiges rein und raus. Und die Liturgie, kaum gesprochenes Wort - ein kleiner Männerchor z.B. singt die Liturgie im Wechsel mit dem Diakon und nach der Predigt segnet der dienstältesten Priester das Brot. Manchmal erlebt man, dass ein Kreuz aus dem Brot geschnitten wird, um es für die Kommunion zu weihen. Und dann gegen Ende kann man manchmal etwas sehr Schönes erleben. Das restliche Brot wird feierlich dem Küster übergeben, der es zur Kirchentür unter andächtigem Gesang der Gemeinde trägt. Dort wird es auf einen Tisch gelegt, um es in kleine Stücke zu schneiden und in kleine Tütchen zu verpacken. Beim Auszug erhält jeder Gottesdienstbesucher eines dieser Tütchen mit, um es einem daheimgebliebenen, vielleicht kranken Menschen zu geben. Man nimmt das heilige Brot mit, als Zeichen des Lebens wird für die Kranken, Daheimgebliebenen, um sie so zeichenhaft teilnehmen zu lassen am Gottesdienst. Doch nicht nur für diese Gruppe von Menschen, ganz besonders gilt das heilige Brot dem Xenos, dem Fremden, dem Gast, egal wer er ist, was er denkt oder glaubt. Er soll sehen und schmecken: "Hier bist Du willkommen!"
Zeichen des Lebens - manches Mal habe ich mir schon gewünscht, wir hätten diese schöne Geste des gesegneten Brotes auch in unseren Gemeinden beibehalten.
"Ich bin das Brot des Lebens", sagt Jesus. Bei ihm findet sich die Antwort auf die Frage nach Grund und Ziel des Lebens. Hunger und Durst nach Leben werden gestillt - wo Jesus Menschen wiedergibt, was ihnen zum Menschsein fehlt.
Das kann das Stück Brot sein für den alltäglichen Nahrungsbedarf. Das kann das Wort sein, das er zu dem Kranken spricht: "Steh auf, nimm dein Bett und gehe hin!" Das kann das freisprechende Wort sein, das er zu der Frau spricht: "Geh hin und sündige nicht mehr." Das kann das Trostwort sein, das er zu dem Verbrecher am Kreuz spricht: "Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradies sein."
Hunger und Durst nach Leben werden gestillt, wo Jesus im Namen Gottes unserem Leben einen unendlichen Wert und eine unzerstörbare Würde zusagt.
"Ich bin das Brot des Lebens", sagt Jesus und ruft uns in seine Nachfolge. Er ruft uns damit heraus aus dem Kreis des um sich, um sein Heil selbst sorgenden Menschen, ruft dazu auf, Leben zu wagen um seinetwillen.
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Bruce allmächtig
Marc Bühner, Pfarrhelfer am Braunschweiger Dom - 26.06.2025
Neulich Abend lief im Fernsehen mal wieder der Film „Bruce allmächtig“ mit Jim Carrey. Ja, er ist schon einige Jahre alt, aber immer wieder witzig. Witzig, aber auch irgendwie tiefgründig. Sicherlich, es ist ein typisch amerikanischer Film und es wird auch so einiges sehr überzogen. Einige sagen auch: „Wie können die nur! Morgan Freeman als Gott? Wie kann man Gott darstellen? Man soll sich doch kein Bildnis machen!“ Gott als Mensch in einem weißen Anzug. Sieht so Gott aus? Nein, sicherlich nicht. Aber darum geht es auch nicht.
Es geht da um etwas ganz anderes: Ein Mensch, der mit seinem Leben nicht zufrieden ist und die Schuld auf Gott schiebt. Es ist ja auch so einfach. Einfach die Schuld auf andere schieben und auf Gott die Schuld zuschieben ist noch leichter. Schließlich wehrt der sich nicht und hat keine Widerworte. Wie oft schieben wir Schuld auf Gott?
Bruce hat nun in dem Film das Glück Gott zu treffen und sagt zu Gott, dass er es besser machen könnte. Und so soll es kommen: Gott stattet Bruce mit der göttlichen Allmacht aus. Nun kann Bruce beweisen, ob er es wirklich besser machen kann als Gott. Doch was macht Bruce mit der Allmacht? Er nutzt die Kraft nur für sich und um sein Leben zu ändern. Alle anderen Menschen übersieht er. Solange, bis die Gebete, die er hört, immer lauter werden und er allen ihre Wünsche erfüllt, nur um wieder Ruhe zu haben. Doch damit macht er alles nur noch schlimmer. Am Ende ist sogar seine Beziehung hin und er muss sich eingestehen: Nein, ich kann es nicht besser machen als Gott.
So sucht er Gott und bittet ihn ihm zu helfen. Und was macht Gott? Er wischt mit Bruce erst einmal den Boden einer großen Halle. Als sie fertig sind, sagt Gott: „Weißt du was das Schönste ist? Ganz egal wie dreckig etwas wird, man kann es immer wieder sauber machen!“
Was für eine einfache und dennoch klare und vor allem passende Aussage.
Ja, Gott kann alles wieder sauber machen, anders gesagt: Er kann uns von unseren Sünden befreien. Was für eine Aussage doch in diesem Film steckt! Ob die Macher dieses Films es bewusst so gemacht haben? Hatten Sie einen Hintergedanken bei diesem Film? Und wenn ja, bei wie vielen Zuschauern ist die Botschaft dann angekommen? Haben es die Leute verstanden? Oder war alles doch nur, um möglichst viele einfach nur zu unterhalten?
Wenn es so ist, dann soll wenigstens uns heute dieser Film zwei Dinge sagen:
Zum einen: Gott kann uns unsere Sünden vergeben! Und die zweite Botschaft: Gott sagt zu Bruce im Film noch: „Du willst ein Wunder? Dann sei selber das Wunder!“
Warten wir also nicht darauf, dass wir ein Wunder sehen, sondern seien wir selbst das Wunder!
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Josef und seine Brüder
Marc Bühner, Pfarrhelfer am Braunschweiger Dom - 25.06.2025
Sie kennen doch sicherlich die biblische Geschichte von "Josef und seinen Brüdern". Sie ist eine geniale Weltliteratur. Eine doppelt spannende Geschichte. Die Handlung ist spannend und auch die Psychologie: Wie gehen Menschen miteinander um?
Da ist der Neid auf den anderen. Aus Neid erwächst Hass. Aus dem Hass entsteht die böse Tat, das Verbrechen.
Wahrscheinlich wollten die Brüder am Anfang dieses furchtbare Verbrechen nicht begehen, doch dann war der Hass stärker. lm Zweiten Weltkrieg sind kultivierte Menschen zu Bestien geworden. Familienväter haben im Krieg vergewaltigt und gemordet. Der Hass hatte aus Menschen wilde Tiere gemacht! Und auch heute noch wiederholen sich diese furchtbaren Geschehnisse: Menschen lassen ihren Hass überkochen und werden zu wilden Bestien. Wir brauchen nur den Fernseher einschalten und hören in den Nachrichten die Geschehnisse in aller Welt.
Aus Neid und Hass haben die eigenen Brüder Josef in die Sklaverei verkauft. Josef erlebt und erleidet schlimme Abenteuer. Doch dank der Hilfe Gottes macht er Karriere; Josef wird Vizekönig von Ägypten. Durch eine Hungersnot in ihrer Heimat müssen die Brüder ausgerechnet bei ihm Nahrungsmittel kaufen. Josef könnte sich nun rächen, doch stattdessen läßt er die ganze Sippe mit dem Vater nach Ägypten kommen. Warum nimmt der Josef keine Rache? Warum zahlt er es den Brüdern nicht heim? Ach ja, da ist noch der alte Vater Jakob. Solange Jakob noch lebt, wird Josef seinen Brüdern nichts antun!
Doch jetzt ist der Vater tot; jetzt gibt es nichts mehr, was Josef von seiner Rache abhalten kann. Rache ist süß! ln Ägypten gibt es viele Bergwerke, wo die Brüder nun als Arbeitssklaven schuften könnten. Oder sollte Josef gleich den Henker rufen lassen? Nichts kann Josef mehr zurückhalten! So denken die Brüder. So denken doch die meisten Menschen: Böses muss gerächt werden! Aber Josef ist anders! Er ist seinen Brüdern haushoch überlegen. lch meine nicht seine Macht als Vizekönig! lch meine seine seelische Größe. Josef ist eine ganz große Persönlichkeit! Er sagt nämlich NEIN! Zu kleinlicher Rache und zur böses Vergeltung! Josef kann, was die meisten Leute nicht können: Josef kann vergeben!
Seine seelische und geistliche Größe hat er von Gott. Seine Dankbarkeit hat ihn so groß gemacht! Josef hat nichts vergessen: weder das Böse noch das Gute! lhm ist schlimmes angetan worden und er hat im tiefsten Dreck gelegen. Doch Gott hat ihm zu höchster menschlicher Würde erhoben. Er ist Vizekönig von Ägypten, ein mächtiger Mann, doch immer noch steht er unter seinem Gott! Gott hat das Böse zum Guten gewendet, weil er viele Völker am Leben erhalten will!
Wir leben in einem Land, in dem Frieden herrscht und wir können dankbar sein, wie sehr doch das Böse des Zeiten Weltkrieges zum Guten gewandelt worden ist. Aus dieser Dankbarkeit heraus sollten wir alles tun, was dem Frieden dient. Die Josefsgeschichte zeigt es ganz klar: Der Friede beginnt im persönlichen Bereich: in den Familien, bei den Nachbarn, bei den Arbeitskollegen. „Klein, ganz klein, hat das Große begonnen. Klein, ganz klein, fängt alles an!", so heißt es in einem Lied und es stimmt.
Seien wir also dankbar. Denn wer dankbar ist, der braucht nicht neidisch zu sein. Wer dankbar ist, kennt keinen Hass! Wer dankbar ist, hat nachgedacht und weiß, wie sehr Gott das Gute für seine Menschenkinder will.
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Sprichwörter
Martina Raschdorf-Jahn - 23.06.2025
Welchen Sinn haben Sprichwörter und was geschieht, wenn Menschen Sprichwörter „ernst nehmen“? Vielleicht haben sie bereits einmal darüber nachgedacht? Ich habe das bis vor ein paar Tagen noch nicht getan. Dies geschah erst als mir eine Freundin von der „Grasbeißerbande“ erzählt hat. Sie ist durch Zufall in die Ausstellung eben dieser „Grasbeißerbande“ geraten und war sehr bewegt, bei dem, was sie dort erfahren hat. In jedem Jahr sterben ca. 5.000 Kinder noch vor ihrem 15. Lebensjahr an einer lebensverkürzenden Erkrankung.
Eines dieser Kinder war Max. Er war an Leukämie erkrankt und hat auf die Aufforderung, er solle sich seine Zähne putzen, folgendes geantwortet: „Warum soll ich mir die Zähne putzen, wenn ich sowieso ins Gras beiße?
Da ist es, ein Sprichwort. Für uns nur ein Sprichwort. Vielleicht mal so daher gesagt und vielleicht auch nicht weiter über seine Bedeutung nachgedacht. Doch für Max hatte dieses eventuell so daher gesagte Sprichwort eine große Bedeutung. Er hatte seinen Tod vor Augen und hat dieses Sprichwort auf seine aktuelle Lebenssituation übertragen.
Für die Erwachsenen, die Max begleitet haben, sicherlich eine Aussage, die sie so nicht erwartet haben und deren Umgang damit, ihnen nicht leichtgefallen sein dürfte.
Die Autoren, Karsten und Susan Starnberger haben zwei Jahre lang zahlreiche Kinderhospize besucht und Fragen und Gedanken zusammengetragen, die sich lebensverkürzend erkrankte Kinder in ihrem eigenen Sterben stellen.
Max war eines dieser Kinder. Und die Aussage von Max hat dazu geführt, dass sie ihr Buch mit all den Gedanken und Fragen dieser Kinder die „Grasbeißerbande“ genannt haben.
Immer wieder sind sie konfrontiert worden mit Aussagen von Kindern, die sich in ihrer jeweiligen Lebenssituation an einem Sprichwort orientiert haben.
So zum Beispiel Finn, 8 Jahre alt. „Oma sagt, das letzte Hemd hat keine Taschen. Wenn das stimmt, wo stecke ich dann den Zettel mit meinen Geheimnissen hin, die ich mit ins Grab nehme? Wir kennen das alle. Es gibt viele Situationen in unserem Leben, die wir mit einem Sprichwort versehen. Hier stellt sich die Frage, ob wir uns auch jedes Mal der Bedeutung dieses jeweiligen Sprichwortes bewusst sind?
Doch kommen wir zurück zu der Eingangsfrage: Warum gibt es Sprichwörter? Sprichwörter dienen als kurzgefasste Lebensweisheiten, die Erfahrungen und Ratschläge von Generation zu Generation weitergeben.Sie helfen, Situationen zu verstehen, Entscheidungen zu treffen und das Leben zu meistern.
Oder auch: Sprichwörter können trösten, das Handeln erklären oder motivieren und somit die Lebensqualität verbessern. Möge dies so sein. Amen
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Maria
Heiko Frubrich, Prädikant - 14.06.2025
Wer war Maria? Wer ist Maria? Was charakterisiert sie? Was bedeutet sie für unseren Glauben? Keine leichten Fragen, schon gar nicht, wenn man sie in einer evangelischen Kirche stellt. Auch die Musik, die Kantor Robin Hlinka für heute zusammengestellt hat, hilft nur begrenzt weiter. Wie hat der Lobgesang der Maria, ihr Magnificat, geklungen, mit dem sie ihrer Cousine Elisabeth berichtet hat, was ihr passiert war? War es so wie bei Matthias Weckmann – triumphal, hell und voller Begeisterung aber auch leise und dankbar demütig? Oder doch eher so, wie wir es später bei Johann Sebastian Bach hören werden: klar strukturiert und strahlend konstruiert in der abschließenden Fuge?
So vielfältig die Interpretationen über das, was Maria selbst gesagt hat, so sind es auch die Klangfarben der an Maria gerichteten Gebete. Da hören wir Latry mit leisen, sphärischen Bitten, die sich dramatisch steigern, als es um uns als die aus dem Paradies Verbannten geht. Und wir hören einen sich vorsichtig vorantastenden Reger, dessen „Ave Maria“ sich im pianississimo im Nichts zu verlieren scheint.
Wer also war sie, diese sehr junge jüdische Frau, die vielleicht sogar noch eher ein Mädchen war, als ihr der Engel Gottes Pläne mitgeteilt hat. Sie war keine Prinzessin, keine von den oberen Zehntausend, keine, die bekannt, berühmt und bedeutend war. Sie was die Verlobte eines Tischlers und führte wahrscheinlich ein gottesfürchtiges einfaches Leben.
Und dann wird sie zur Gottesmutter, im wahrsten Sinne des Wortes „aus heiterem Himmel“, und alles, aber auch wirklich alles ist von jetzt auf gleich anders. Da werden sich weltliche Überforderung mit frommer Dankbarkeit und Begeisterung abgewechselt haben, ein Wechselbad aus verstehen wollen und nicht glauben können, eine Welle von Fragen, gefolgt von einer Flut aus Gottvertrauen.
Und dieses Gottvertrauens bedarf sie reichlich. Unehelich schwanger, aber nicht von ihrem Verlobten, die Niederkunft in einem schmuddeligen Stall, Engel, Hirten, Herodes, Bedrohung, Flucht. Und später dann die tiefe Angst einer Mutter um ihren Sohn und die Qual, ihn in den Tod am Kreuz begleiten zu müssen.
All das musste sie aushalten, all das konnte sie aushalten, weil sie Gott an ihrer Seite wusste. Und ganz egal, wie wir persönlich zu Maria stehen und welche Bedeutung sie für unser Glaubensleben hat: Wir können ihr dankbar sein für das Vorbild, das sie uns gegeben hat – fest im Glauben und erfüllt von Bereitschaft, Gottes Ruf zu folgen. Denn Gott hatte etwas vor mit Maria – wie mit Ihnen und Euch und mir im Übrigen auch. Ave Maria! Amen.
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Erinnerung tut gut!
Heiko Frubrich, Prädikant - 13.06.2025
Wir haben Pfingsten im Rücken, das Fest des Heiligen Geistes und den Geburtstag unserer Kirche. Und wir haben gefeiert – ganz besonders fröhlich und ausgelassen am Pfingstmontag. Getroffen haben wir uns dazu in St. Aegidien, der großen katholischen Pfarrkirche an der Stobenstraße. Wir haben erstmals ökumenisch gefeiert, Magni, Aegidien und Dom. Die Kinderchöre unserer Domsingschule sind in vollem Ornat von hier aus losgepilgert, mit Taufschale und Taufkrug in den Händen, denn wir haben uns in diesem fröhlichen Gottesdienst an unsere Taufe erinnert. Sie ist unsere gemeinsame Basis und das Band, das uns über alle Konfessionsgrenzen hinweg miteinander verbindet.
Als es dann losging, war St. Aegidien so voll, dass die Sitzplätze nicht ausreichten und die Orgel Mühe hatte, hörbar zu bleiben, weil wir als Gemeinde so kräftig gesungen haben. Und dann war da dieser besondere Moment der Tauferinnerung. Jede und jeder einzelne, katholisch und evangelisch bunt gemischt, bekam ein Kreuz mit Taufwasser auf die Hand oder die Stirn gezeichnet und dazu ein persönliches Segenswort zugesprochen.
„Ich bin getauft!“ Diesen Satz soll Martin Luther mit Kreide auf einen Tisch geschrieben haben als seine ganz persönliche Tauferinnerung, als Zeichen und Mahnung für sich selbst und gegen seine Angst. Wir glauben, dass uns Gott in unserer Taufe bei unserem Namen gerufen hat, dass wir damit geborgen sind in seiner Liebe und seiner Fürsorge – für immer. In fast jedem Leben gibt es Zeiten, in denen unser Glaube und unsere Beziehung zu Gott etwas in den Hintergrund rutschen. Doch Gottes „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst“ gilt auch dann. „Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht“, so haben wir es gerade aus dem 121. Psalm gehört.
Zu Gott zu gehören, bedeutet nicht, unter einer Glaskuppel zu leben, die alles an Leid und Angst und Ärger dauerhaft von uns abhält. So ist Leben nicht, auch nicht für einen Christenmenschen. Zu Gott zu gehören bedeutet aber sehr wohl, gewiss sein zu dürfen, dass wir durch all das nicht alleine gehen müssen. Diese Gewissheit kann helfen, das Leid zu lindern, die Angst zu vertreiben und den Ärger zu vergessen.
Taufe machts möglich und daher ist es so wohltuend, dass wir uns daran erinnern. Vielleicht schauen Sie bei Betreten unseres Domes demnächst immer mal wieder kurz nach links Richtung Imervard. Denn da steht unser Taufstein. Und lassen Sie sich dabei Luthers Worte durch den Kopf gehen: Ich bin getauft! Amen.
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Nicäa
Heiko Frubrich, Prädikant - 12.06.2025
Vor 1700 Jahren trafen sich in Nicäa, dem heutigen Iznik, etwa 140 km südlich von Istanbul, mehrere hundert Bischöfe und andere Kleriker zu einem Konzil. Eingeladen dazu hatte der römische Kaiser Konstantin, der nach seinem Sieg über den oströmischen Kaiser Licinius nun Herrscher des gesamten römischen Reiches war. Konstantin protegierte den christlichen Glauben und sah sich nun vor die Aufgabe gestellt, einige grundlegende Fragen der christlichen Lehre zu klären. Das sollte durch das Konzil von Nicäa erfolgen.
Auf der Tagesordnung standen unter anderem eine Regelung für ein einheitliches Osterdatum, die Bedeutung von Diakoninnen in den Gemeinden und ganz zentral die christologische Frage nach der Stellung von Jesus Christus zu Gott, dem Vater und dem Heiligen Geist. Man einigte sich schließlich auf das gemeinsame Glaubensbekenntnis von Nicäa, nach dem Christus eines Wesens mit dem Vater ist und es somit in der Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist keine Hierarchien gibt.
Man einigte sich darauf, wobei es wohl durchaus Druck von kaiserlicher Seite gegeben haben soll. Denn neben dem Wunsch, dogmatische Fragestellungen zu klären, hatte Kaiser Konstantin natürlich auch ein starkes Interesse daran, die Stabilität seines neuen großen Reiches zu sichern. Und dabei wären Streitigkeiten innerhalb des Klerus wenig hilfreich gewesen. Also drängte er wohl so manchen Bischof dazu, die im Konzil formulierten Vereinbarungen zu unterschreiben und damit anzuerkennen.
Achtung Spoiler: Am kommenden Sonntag feiern wir Trinitatis, das Fest der Heiligen Dreifaltigkeit. Auch da wird es also um den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist gehen und darum, dass es trotz seiner Dreigestaltigkeit ein Gott ist. An diesem Trinitatissonntag werden gern in den Predigten mehr oder weniger hinkende Vergleiche herangezogen, um die Dreifaltigkeit unseres Gottes zu erklären. Gern genommen ist das Bild das Wassers, das wir in dreierlei Form kennen: flüssig, fest und gasförmig. Weniger elegant ist hingegen das Schweizer Taschenmesser mit Korkenzieher, Schere und Schraubendreher.
Aber braucht es das wirklich? Was bringt es mir für mein Glaubensleben, wenn ich den Eindruck habe, von Gottes Wesensart einen Hauch mehr verstanden zu haben? Es liegt in unserer Natur, dass wir möglichst alles ergründen und erforschen, unser Wissen mehren und möglichst wenig unbeantwortet lassen wollen. Aber bei Gott stoßen wir eben an unsere Grenzen. Er ist und bleibt unergründlich – ob uns das nun passt oder nicht.
Viel wichtiger ist doch, dass wir uns auf ihn verlassen können, dass er uns liebt wie ein Vater und eine Mutter, dass er uns in Christus vergibt und uns seinen Geist schickt, der uns miteinander zu leben hilft. Wir dürfen auf ihn vertrauen. Und was die Dreifaltigkeit angeht: Es reicht, wenn Gott sie verstanden hat. Amen.
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Y - Ysop
Cornelia Götz, Dompredigerin - 11.06.2025
Y – Ysop
Fremd, bitter, blutig?
Zeichen von Grausamkeit?
Bibelkunde zum Friedensgebet:
Zunächst: Der eigentliche Ysop (Hyssopus officinalis) ist eine blau blühende Pflanze und kommt im Land der Bibel gar nicht vor. Wo also vom Ysop geredet wird, ist wahrscheinlich eine andere Art derselben Pflanzenfamilie gemeint. Sie blüht weiß und kann 50-80 hochwerden. Mit ihrem geraden Stängel und Blättern, die mit einer zarten Wolle bedeckt sind, ist die Pflanze ideal geeignet, um in Flüssigkeit getaucht und als Sprengwedel verwendet zu werden.
Einen seiner bestürzenden Auftritte neben dem vielleicht berühmtesten in der Kreuzigungsszene hat der Ysop in Ex 12,22.
Dort wird mit einem Bündel Ysop das Blut des Passalammes an Türstürzen und Türpfosten der Häuser der Israeliten gestrichen.
Kurz vor dem Auszug in die Freiheit überzog Jahwe die Ägypter wegen der Hartherzigkeit des Pharaos mit zehn schrecklichen Plagen. Die letzte und schlimmste war die Tötung der Erstgeborenen. An den mit Blut markierten Türen zog die Katastrophe vorbei. Was für ein Bild! Schützt Blut davor, ein Opfer zu werden???
Der Ysop kann nichts dafür. Er wurde gebraucht – vor allem im Zusammenhang mit den vielen Reinheitsgeboten des Judentums. So sollte man nach Lev 14 Wasser oder Blut mit Ysopstängeln auf verunreinigte Personen oder Häuser sprengen. Um Unheil abzuwehren fügte man frischem Quellwasser eine spezielle Asche zu, nachdem man eine geschächtete rötliche Kuh, Zedernholz, Karmesin / Purpur und eben auch Ysop verbrannt hatte. Ysop – heilsam, klärend, reinigend.
Und der Ysop am Kreuz?
Jedenfalls war das eine sehr langstielige Pflanze, womöglich gar kein Ysop sondern Kaffernhirse, die eher dem Mais ähnelt und bis zu zwei Metern hoch werden kann.
Trotzdem lesen wir, dass dem sterbenden Jesus am Kreuz in der Passionsgeschichte des Johannes ein Schwamm mit Essig auf einem Ysoprohr gereicht wurde; ganz sicher ein Bezug zum Blut des Passahlamms.
Und ich frage mich: ist er der Erstgeborene, der nicht verschont wird?
Muss hier angesichts dieses ohnmächtigen unschuldig Sterbenden noch einmal an alle Gewalt erinnert werden? Oder reinigt dieser Ysop den Essig und die harten Herzen?
So ist es mit der Bibelkunde – immer wieder finden sich Spuren zu neuer Lesart und neuen Fragen…
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Freuet Euch!
Heiko Frubrich, Prädikant - 07.06.2025
Waren Sie heute schon auf dem Wochenmarkt am Altstadtrathaus? Ich finde, dass die Marktbeschicker gerade um diese Jahreszeit beinahe Eintritt verlangen könnten, einfach nur dafür, dass man zwischen den Ständen hindurchgehen darf. Ich kann mich gar nicht sattsehen an den Farben, die man dort präsentiert bekommt. An den Blumenständen erwartet man das ja vielleicht so, aber selbst beim Gemüse leuchtet es in Rot, Grün, Gelb und Weiß. Und von den Gerüchen mal gar nicht zu reden. Da duftet es nach frisch gebackenem Brot, nach Lauch und Zwiebeln, nach Kuchen, Honig und Kräutern.
„Freuet euch der schönen Erde, denn sie ist wohl wert der Freud. O was hat für Herrlichkeiten unser Gott da ausgestreut!“ Über diesen Choral hat Domorganist Witold Dulski gerade improvisiert. Philipp Spitta hat den Text geschrieben, der uns anfordert, uns zu freuen. Gründe für echte Freude zu finden, ist durchaus schwieriger geworden. Unsere Welt verändert sich gerade in eine Richtung, die, wie ich finde, nicht die beste ist.
Not, Elend, Hunger und Ungerechtigkeit sind in vielen Regionen dieser Welt auf dem Vormarsch und Staatschefs beglückwünschen sich gegenseitig, wenn ihre Länder möglichst viel Geld für Waffen ausgegeben haben. Die Autokraten werden immer lauter, die Spaltung nimmt in vielen Gesellschaften zu – auch in unserer. Vor diesen Hintergründen klingt eine Aufforderung, sich zu freuen, fast wie ein schlechter Witz.
Und doch hat Spitta recht! Denn Gott lässt sich von all unserem menschlichen Fehlverhalten nicht die Stimmung verderben. Vor allen Dingen bleibt er treu und zugewandt und sieht uns freundlich an. Seine Güte und Großzügigkeit sind grenzenlos und ich finde, dass uns insbesondere diese Jahreszeit immer wieder daran erinnert.
Ja, gerade wir Protestanten tun uns mitunter schwer damit, trotz aller Probleme auch mal fröhlich aus der Wäsche zu gucken. Als hätte das bereits Paulus geahnt schreibt er: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ Seine Adressaten waren die Menschen in der Gemeinde in Philippi, die vor lauter Zank und Streit über das richtige Verständnis der frohen Botschaft gar nicht mehr froh werden konnten. Angesichts unserer aktuellen innerkirchlichen Diskussionen, ahne ich ein bisschen, wie die Stimmung damals gewesen sein könnte.
Und deshalb um so deutlicher: Wir haben trotz allem Grund zur Freude, weil wir einen Gott an unserer Seite haben, der uns über alles liebt. Und wenn wir mal wieder deutliche Zeichen seiner Liebe brauchen: Ein Spaziergang durch den Bürgerpark, die Heide, den Harz oder über den frühlingshaften Braunschweiger Wochenmarkt liefert ganz sicher Inspiration. Freuet euch der schönen Erde! Amen.
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Unsere Zeit in seinen Händen
Heiko Frubrich, Prädikant - 06.06.2025
Heute vor 150 Jahren wurde Thomas Mann geboren. Er war einer der bedeutendsten Erzähler des 20. Jahrhunderts und wurde mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. „Die Buddenbrooks“, „Der Zauberberg“ oder „Tod in Venedig“ sind auch noch heute bedeutende und bekannte Werke dieses großen deutschen Schriftstellers. Heute, wie gesagt, vor 150 Jahren wurde er geboren.
Heute vor 150 Jahren wurden aber auch viele andere Menschen geboren, über die heute niemand mehr spricht. Wahrscheinlich waren es weltweit mehrere Zehntausend neue Erdenbürger, die zusammen mit Thomas Mann das Licht eben dieser Welt erblickten. Vielleicht waren sogar Verwandte von Ihnen darunter, die Urururgroßmutter, ein entfernter Cousin oder dessen erste große Liebe.
Über all diese Menschen, über ihr Leben, Lieben, Lachen und Leiden ist die Zeit hinweggegangen und kaum jemand hat solche Spuren hinterlassen, dass man sie heute noch zu finden könnte. Nicht jeder, der am 6. Juni 1875 geboren wurde, war ein Thomas Mann.
Übrigens wird es den meisten von uns genauso ergehen. 150 Jahre nach unserem Geburtstag wird sich wahrscheinlich niemand mehr daran erinnern, dass es uns gab. Es gibt Menschen, bei denen diese Erkenntnis echte Panik auslöst und ich hoffe, dass Sie nicht dazugehören. Denn es gibt keinen Grund zur Panik, jedenfalls nicht für uns Christenmenschen.
„Meine Zeit steht in deinen Händen“, heißt es im 31. Psalm. Was für eine beruhigende Erkenntnis. Da ist jemand, der sich um mich kümmert. Da ist jemand, der für mich vorausgedacht hat, jemand, von dem die großen Bögen auf meinem Lebensweg vorgezeichnet sind und der es am Ende gutmachen wird mit mir.
Unsere Zeit steht in Gottes Händen. Und sie ist auf dieser Erde nun einmal begrenzt, für einen Thomas Mann aus Lübeck genauso, wie für Lieschen Müller aus Klein Biewende. Aber nochmal: Das ist kein Grund zur Panik.
Vor knapp sechs Wochen haben wir Ostern gefeiert und spätestens, wenn wir uns daran erinnern, sollte sich jegliche Panik in Luft auflösen und von freudiger Neugierde abgelöst werden. Denn wir dürfen ja wissen, dass es weitergehen wird. „Ich lebe, und ihr sollte auch leben“, hat uns Christus versprochen. Und das gilt.
Und vor diesem Hintergrund kann es uns doch herzlich egal sein, ob man sich in 150 Jahren noch an uns erinnert oder nicht. Denn einer erinnert sich immer an uns, unser Gott, aus dessen Liebe wir niemals herausfallen können. Amen.
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Weltumwelttag
Heiko Frubrich, Prädikant - 05.06.2025
Seit über 50 Jahren ist der 5. Juni Weltumwelttag. 150 Staaten beteiligen sich weltweit mit jeweils nationalen Aktionen und Themenschwerpunkten daran. In Deutschland steht der Tag in diesem Jahr unter dem Motto: „Das Wasser wertschützen“.
Wie wichtig, ja, wie lebenswichtig Wasser ist, haben selbst wir hier in Deutschland in den vergangenen Jahren und auch in diesem Frühling eindringlich vor Augen geführt bekommen. Regen hat gefehlt, gerade in der Phase, als die Natur so richtig durchstarten wollte. Im Ergebnis mussten die Landwirte bereits Anfang April mit der künstlichen Bewässerung ihrer Felder beginnen und die Schifffahrt auf dem Rhein musste eingeschränkt werden. Sowas gab es in der Vergangenheit nur in sehr trockenen Sommern. Der Klimawandel ist mittlerweile auch bei uns unübersehbar.
Wasserknappheit führt zu Interessens- und Zielkonflikten. Was ist wichtiger – die samstägliche Autowäsche oder der sattgrüne Rasen im Garten, die Befüllung des privaten Swimmingpools oder die Beregnung von Getreidefeldern? Seit zwei Jahren gibt es in Deutschland eine nationale Wasserstrategie, die derlei Fragen beantwortet und eine sichere Wasserversorgung auch in langen Dürreperioden zum Ziel hat.
Ohne Wasser, kein Leben, oder anders formuliert: Nur da, wo Wasser ist, kann es überhaupt Leben geben. Nicht zuletzt deshalb ist es Forschern so wichtig, auf anderen Planeten nach Wasser zu suchen. Denn wenn es Spuren davon gibt, könnte es auch Leben geben. Aber eben nur dann.
Diesen Zusammenhang – erst Wasser, dann Leben – kennt auch die Bibel. Die allerersten Worte lauten: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.“ Wasser war von allem Anfang an. Aus ihm und mit ihm ist Leben entstanden, auch unseres. Und im letzten Kapitel der Bibel, in der Offenbarung des Johannes sagt Jesus zu uns allen: „Wen dürstet, der komme; wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.“
Es gilt achtsam damit umzugehen, mit diesem, im wahrsten Sinne des Wortes, „Lebenselixier“. Für das im geistlichen Sinne ist göttlicherseits gesorgt. Das Wasser des Lebens, das Christus uns anbietet, müssen wir nur annehmen. Für jenes, das wir physisch zum Leben brauchen, müssen wir allerdings selbst sorgen, darauf achten, dass jede und jeder freien Zugang dazu hat und das es nicht zum Objekt von Geschäftemacherei wird.
Wie von allem, was wir zum Leben brauchen, gibt es auch vom Wasser genug. Wir müssen es nur fair-teilen. Amen.
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Prora
Cornelia Götz, Dompredigerin - 04.06.2025
Im Sommer 1985 lernte ich auf einer Schülerfreizeit an der Ostsee drei Martins kennen. Mit allen dreien schrieb ich Briefe. Einer verschwand vom Radar, einen habe ich geheiratet - dem Dritten begegnete ich beim Studium wieder.
Dazwischen lagen Jahre, in denen ich eine Ausbildung gemacht und weiter viele Briefe geschrieben habe - etliche fanden sich später in der Stasiakte meines Vaters wieder. Warum?
Um zu dokumentieren, dass seine Tochter im regen Briefwechsel mit einem Bausoldaten stand?
Der war stationiert in Prora auf Rügen - von Karl-Marx-Stadt aus eine Weltreise weit weg. Ich weiß nicht mehr, was er eigentlich schrieb - er wollte, dass es vorbei ist, zählte Tage und war immer voller Hoffnung auf einen kleinen Urlaub, der nicht viel mehr bedeutete als nach stundenlanger Reise ganz kurz zu Hause reinschauen zu dürfen.
Ich erzählte von meinem Internatszimmer zu acht, von der Härte der Ausbildungsschwestern im Krankenhaus, von der Studentengemeinde und dass ich vielleicht auch noch Theologie studieren würde.
Dann traf ich ihn wieder.
Der sanftmütige langhaarige Pfarrerssohn hatte sich verändert.
Damals konnte ich nicht erkennen, was es war - jetzt weiß ich, man hatte ihn gebrochen. Er hatte durchgehalten. Und es doch nicht geschafft.
Bausoldaten waren die, die den Dienst mit der Waffe verweigerten. Sie wurden dennoch eingezogen, grundausgebildet, über Eskaladierwäne gejagt, gedrillt und schikaniert - sie waren schließlich anerkannte Systemfeinde.
Heute vor einer Woche war ich in Prora.
Dort gibt es ein Dokumentationszentrum. Block an Block reiht sich den breiten Sandstrand entlang. Nazibauten. Kraft durch Freude. Den Hafen Mukran kann man nur ahnen. Die meisten Blöcke sind saniert und chicgemacht.
Nur zwei sind geblieben wie sie waren.
Dort also bin ich hingelaufen, es war nasskalt und trüb - die sechsstöckigen Gebäude grau und baufällig, manche Fenster eingeschlagen, manche vergittert. Drinnen war es eiskalt. Steinstufen, graues und braunes Linoleum, Ölsockel an den Wänden - schmutziges rotbraun oder graugrün. Stuben für sechs. Waschräume für Dutzende. Kaltes Wasser aus dem Hahn, keine Dusche, warme schon gar nicht.
Mir zog die Kälte in die Knochen und in die Seele.
Ich konnte es kaum aushalten.
Da war er also. Zwei trübe nasskalte Winter und einen Sommer lang.
Und Tausende andere auch. Sie haben sich der Militarisierung verweigert und einen unglaublich hohen Preis gezahlt. Sie sind fast vergessen.
Sie haben versucht die Hoffnung vorzubereiten, von der der Prophet Micha schreibt: Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Winzermessern machen. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf. Ja, der Mund des HERRN der Heerscharen hat gesprochen.“
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