Das Wort zum Alltag

Seit dem 1. Dezember 1968 gibt es von Montag bis Freitag um 17.00 Uhr und Samstag um 12.00 Uhr eine kurze Andacht mit Gebet, die von Orgelmusik gerahmt wird.
Wir möchten Menschen damit ermöglichen für ihre eigene Praxis pietatis eine regelmäßige Form zu finden. Zugleich birgt das Format die Möglichkeit auf die jeweils aktuellen Ereignisse in unserer Stadt und unserer Welt zu reagieren.

Während des Advents und der Friedensdekade hat das Wort zum Alltag einen besonderen Akzent. Das Wort zum Alltag wird in der Regel von der Dompredigerin, sowie von anderen Braunschweiger Pfarrerinnen und Pfarrern und Prädikanten gehalten. Die umrahmende Orgelmusik übernehmen die Kantoren des Braunschweiger Doms.

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Worte zum Alltag

  Zwischenzeit

Zwischenzeit

Heiko Frubrich, Prädikant - 27.05.2023

Sie werden mir zustimmen, wenn ich sage: Wir leben in einer komischen Zeit. Damit meine ich heute aber mal ausnahmsweise nicht die aktuelle politische Großwetterlage mit all ihrem Ärger-, Wut-, Verwunderungs- und Verzweiflungspotenzialen, sondern eher die Zeit, die uns unser Kirchenkalender vorgibt. Der eine ist weg, aber irgendwie auch nicht so richtig und der andere ist noch nicht da, um das entstandene Vakuum zu füllen oder besser gesagt, das Trio, die Dreifaltigkeit, in der uns unser Gott begegnet, zu komplettieren.
Es ist diese merkwürdige Zwischenzeit von Christi Himmelfahrt bis Pfingsten, in der wir uns gerade befinden und die morgen mit einem echten Paukenschlag endet. Christus hat 40 Tage nach seiner Auferstehung die Erde verlassen. Wir sagen ja immer, das die kirchlichen Feste ihre Strahlkraft verlieren. Doch dass Jesus zum Vater zurückgekehrt ist, das haben so viele Väter derartig ausgelassen gefeiert, dass die Folgen, was man so hört, trotz Aspirin und Alka Seltzer noch am Tag danach deutlich spürbar gewesen sein sollen. Endlich mal ein Feiertag mit Nachklang!
Und morgen ist dann also Pfingsten, der Geburtstag unserer Kirche und der Tag des Heiligen Geistes. Jesus hat diesen Geist als den Tröster angekündigt, doch er kann noch viel mehr. Ich finde, dass der Heilige Geist das ist, was unser Christsein ausmacht. Er hilft uns, zu beschreiben, was es überhaupt heißt, zu glauben. Er versetzt uns in die Lage unsere christliche Überzeugung zu leben und mit Leben zu füllen. Er ist für mich das Band der Gemeinschaft zwischen uns Menschen, der Antrieb, unser Tun und Lassen an Jesu Vorbild auszurichten und diese Welt so mitzugestalten, wie Gott es für uns gedacht hat.
Paulus schreibt: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Ich kann mich in dieser Beschreibung gut wiederfinden. Die Kraft, die wir aus unserem Glauben ziehen können, ist eine gute Quelle, um unsere Akkus immer wieder aufzufüllen und Hoffnung zu schöpfen gegen alles Schwere und Belastende. Die Liebe kann und soll die Maxime unseres Denkens, Redens und Handelns sein – gegenüber unseren Mitmenschen und auch gegenüber uns selbst. Und die Besonnenheit ist es, die uns im guten Sinne demütig werden lässt, weil wir erkennen, dass wir begrenzt sind in unserem Können und Verstehen und so eine Ahnung von Gottes Größe bekommen.
Kraft, Liebe und Besonnenheit sind wertvolle Gaben, die der Heilige Geist für uns bereithält. Und so wird die Botschaft von Pfingsten bei all ihrer theologischen Komplexität, über die zu sprechen ich nicht der Richtige bin, sehr konkret und relevant für Ihr und mein Leben. Morgen geht’s los. Freuen wir uns drauf. Amen.

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  "Gönn dich dir selbst..."

"Gönn dich dir selbst..."

Cornelia Götz, Dompredigerin - 26.05.2023

Manchmal, wenn es zwischen allem, was getan und bedacht sein will, ein bisschen eng wird und man alles „schnell noch“ macht, erinnere ich mich an Schwester Veronika. Die Benediktinerin hat mich, als es Not tat, geistlich begleitet und mit dem Rat nach Hause geschickt, nicht zu vergessen, dass in der Benediktsregel steht, dass auch der Abt (und darum sehr wahrscheinlich auch die Äbtissin und jeder andere Mensch) gebrechlich ist.
Wir haben Grenzen. Dann und wann vergessen oder ignorieren wir das – solange es gut läuft oder wir uns für unentbehrlich halten, solange wir gebraucht werden, funktionieren wollen und müssen.
Eben jener Benedikt hat das an seinen Mitmenschen offenbar schon vor 1000 Jahren beobachtet und sich Sorgen gemacht.
So kam es wohl auch, dass er in einem überaus weisen Brief an seinen Papst schrieb:
„Wo soll ich anfangen? Am besten bei deinen zahlreichen Beschäftigungen, denn ihretwegen habe ich am meisten Mitleid mit dir. Ich fürchte, dass du eingekeilt in deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb deine Stirn verhärtest; dass du dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und heilsamen Schmerz entledigst. Es ist viel klüger, du entziehst dich von Zeit zu Zeit deinen Beschäftigungen, als daß sie dich ziehen und dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem du nicht landen willst. … Auch du bist ein Mensch. Damit deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst du also nicht nur für alle anderen, sondern auch für dich selbst ein aufmerksames Herz haben. …
Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sag nicht: Tu das immer, ich sage nicht: Tu das oft, aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. …“
Gönn dich Dir selbst.
Und dann?
Wird es nicht dann erst eigentlich schwierig? So leicht lässt sich die Betriebstemperatur nicht runterfahren und der Berg unerledigter Dinge nicht verdrängen. Einerseits. Und andererseits: Wir sind hier, jetzt, gönnen uns innezuhalten, zu atmen, in uns hinein zu hören und uns stärken und kräftigen zu lassen. Es ist ganz einfach…

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  Die Gier, die...

Die Gier, die...

Cornelia Götz, Dompredigerin - 24.05.2023

Im Versöhnungsgebet aus Coventry heißt es in vorletzten Bitte:
„Die Gier, die Frauen, Männer und Kinder entwürdigt und an Leib und Seele missbraucht – Vater, vergib.“
Frühere Übersetzungen redeten vom „Rausch“.
Kerstin Claus, die Missbrauchsbeauftragte des Bundestages, hat eine schlimme Bilanz für das Jahr 2022, gezogen:
Jeden Tag werden 48 Kinder Opfer sexueller Gewalt.
Jeden einzelnen Tag.
Auch heute. Jetzt?
Jeden Tag werden Menschen von Menschen gebrochen, unheilbar verletzt.
Die Zahl ist stabil – mit anderen Worten: es bewegt sich nichts.
Und das ist nicht die Dunkelziffer.
Eine andere Zahl hingegen ist nicht stabil, sie verzwölffacht sich.
Es ist die Zahl der Kinder, die Missbrauchsdarstellungen und Jugendpornos besitzen, herstellen, erwerben, verbreiten.
Und wo es kein Material gibt, hilft die KI.
Wissen sie nicht, was sie tun?
Schlagen Scham oder Gewissen nicht mehr an?
Glaubt man, dass man im Internet darf, was im wahren Leben verboten ist?
Ratlosigkeit.
Während die einen Macht missbrauchen und einem anderen Menschen für immer die Unversehrtheit rauben, finden die anderen das …
Ach, ich will kein Wort dafür finden.
„Vater vergib“.
Nicht irgendwem. Sondern uns.
Mindestens sieben Mal muss ein Kind Vertrauen wagen und von seiner Not erzählen, bis ihm jemand glaubt. Und wer weiß wieviel Momente, in denen wir ahnen, dass nebenan Böses geschieht, vergehen, bis wir die Polizei rufen.
Unter uns werden Kinder und Jugendliche groß, die mit den Folgen der Pandemie und damit der endlosen Isolation genauso allein gelassen werden wie mit den digitalen Medien, der endlosen Verfügbarkeit gefährlicher Inhalte und der Gesichtslosigkeit der Benutzer*innen im wahrsten Sinne des Wortes heillos überfordert sind.
Vater vergib und HILF!

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  Unantastbar

Unantastbar

Henning Böger, Pfarrer - 23.05.2023

Es gibt Sätze, die müssten auf jeder Plakatwand stehen; auch auf Litfaßsäulen.
Vielleicht gelegentlich auch mal auf einer schmucklosen Hauswand.
Ein solcher Satz ist: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ So beginnt das deutsche Grundgesetz. Heute, am 23. Mai, hat dieses Grundgesetz Geburtstag. Es wird 74 Jahre jung. Ein schönes Alter mit einem ewig jungen ersten Satz:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde Deutschland von den alliierten Siegermächten behutsam und schrittweise in die staatliche Unabhängigkeit entlassen. Ein wichtiger und wertvoller Auftrag lautete dabei, für das Land eine neue, demokratische Verfassung zu schaffen. Das tat eine Gruppe von Frauen und Männern und schuf ein Gesetzeswerk, das am 23. Mai 1949 beschlossen und feierlich verabschiedet wurde.
Am Beginn des Grundgesetzes wird sofort festgelegt: Würde ist unantastbar. Sie ist wie eine kostbare Perle, die in uns liegt. Diese Würde gilt allen Menschen. Ohne Unterschied. Unter allen Umständen. Keine Macht dieser Welt darf sich daran vergreifen!
Diese Würde haben wir, weil wir als Menschen Ebenbilder Gottes sind, weiß die Bibel: „Was ist der Mensch, dass du, Gott, an ihn denkst? Wie wertvoll ist das Menschenkind, dass du dich um es kümmerst? Du schmückst den Menschen mit einer Krone,
die ihm Herrlichkeit und Würde verleiht." (Psalm 8)
Würde haben Kinder, sobald sie auf die Welt kommen; und auch die Alten haben sie, wenn sie ihre Sinne und Kräfte verlieren. Würde haben Polizist*innen und Sanitäter*innen, die heute oft angepöbelt werden. Würde haben Täter*innen,
auch wenn uns das manchmal nicht gefällt. Die Würde ist unantastbar, bei jedem Menschen, Gott sei Dank. Sie hängt von nichts ab. Man muss sie sich nicht verdienen, man kann sie nicht verlieren. Dieser Gedanke ist ein großes Glück, aber er ist niemals selbstverständlich.
Wie wertvoll dieser Grundsatz ist, sehen wir in Ländern, in denen es nicht so ist:
wo die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird und man kein Wort gegen die Regierung sagen darf, ohne dafür büßen zu müssen. Damit diejenigen, die die Würde von Menschen brechen, nicht das letzte Wort behalten, gehört dieser eine Satz
auf viele Wände und in alle Köpfe: „Die Würde des Menschen ist unantastbar."

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  Freude!

Freude!

Cornelia Götz, Dompredigerin - 22.05.2023

Heute Morgen ging der Tag zeitig los.
Während mein Mann sich für eine Dienstreise rüstete, habe ich noch schnell die Zeitung gesichtet.
Darin fand sich der Bericht über die Ermittlungen zum Sabotageakt an den Erdgasleitungen in der Ostsee. Das Radio lief auch: die Amerikaner haben alle Hände voll zu tun, um die Zahlungsfähigkeit der Regierung zu sichern und dann ist da noch Robert Habeck.
Ach Mann, dem hätte ich so gegönnt, dass ihm gelingt, was er anfasst und dass man es merkt. Es ist also ein bisschen wie immer, wenn man den Tag mit den Nachrichten beginnt. Nicht so erquicklich.
Aber dann kommen die Losungen. Und weil sie so schön ist, setzte ich mich zum Andachtschreiben auf den Balkon, höre den Vögeln zu und den Bauarbeitern gegenüber.
Denn über diesem Tag heißt es bei dem weisen Prediger Salomo:
„Ich pries die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein. Das bleibt ihm bei seinen Mühen sein Leben lang, das Gott ihm gibt unter der Sonne.“
Es fühlt sich an wie ein Vorzeichenwechsel.
Von Moll zu Dur.
Man, ich kann auch Anderes erzählen: Geschichten von Menschenfreundlichkeit.
Gestern zum Beispiel erlebt in einem vollständig überfüllten Regionalzug. Die Lautsprecheranlagen waren ausgefallen, die Toiletten weit jenseits der Kapazitätsgrenze. Man hätte erwarten können, dass die Menschen maulen und schimpfen. Aber es herrschte freundliches entspanntes Staunen wie viele Menschen reisen und etwas unternehmen und was das neue Ticket möglich macht. Der Schaffner teilte gutgelaunt mit, er schaffe alles, was er wolle - auch die Fahrkartenkontrolle im überfüllten Zug und sein junger hünenhafter äußerst gut aussehender Kollege zog galant eine Packung Tempos aus der Uniform als eine junge Frau vergeblich ein Taschentuch suchte.
Lächeln. Rundum.
Die Freude preisen und fröhlich sein. Das liegt an uns. Das bleibt uns. Unser Leben lang.

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  Wahltage

Wahltage

Cornelia Götz, Dompredigerin - 17.05.2023

In der Türkei wurde gewählt. Menschen, deren Namen wir nicht kennen, haben sich getraut als Wahlbeobachter zur Verfügung zu stehen und damit zu dokumentieren, dass sie es nicht für selbstverständlich halten, dass diese Wahl ordnungsgemäß, rechtskonform und geheim verläuft.
Für externe Beobachter kann das heikel sein. Für Menschen, die in der Türkei leben, ist das gefährlich, erst recht wenn Erdogan gewinnt. Sie haben es trotzdem gemacht und damit großen Mut bewiesen - ohne den Demokratie nicht möglich ist.
In mir ist angesichts dessen eine alte verschüttete Erinnerung aufgetaucht:
In meiner Schulzeit gingen meine kleine Schwester und ich in eine Laienspielgruppe. Irgendwie war das eine Möglichkeit, der Pflicht zu entgehen, an einer Arbeitsgemeinschaft teilzunehmen und noch mehr Zeit in der DDR-Schule zu verbringen. Die Theatergruppe wurde von einer Schneiderin geleitet und traf sich zum Proben in ihrer Wohnung oder während der Sommerferien in ihrem kleinen Gartenstück im Hinterhof. Alljährlich führten wir nach dem Sommer im Pionierhaus ein Märchen auf und dann und wann auch ein Stück in der Schule. Erstaunlich, denn ihre Söhne, älter als wir, kannten wir aus der Kirchengemeinde...
In einem Jahr führten wir ein kleines Stück im Foyer unserer Gründerzeitschule an einem Wahlsonntag auf. Sozusagen als Begleitprogramm. Ich erinnere mich, dass meine Schwester einen König spielte, der unglaublich stotterte und in jeder Hinsicht eine Lachnummer war. Damals plagten wir uns mit der Textlernerei und dem Lampenfieber.
Erst jetzt bemerke ich, was für ein unglaublicher politischer Affront das gewesen sein muss – zumal unsere Eltern nicht wählen gingen oder darauf bestanden, eine Wahlkabine zu nutzen, was bei DDR-Wahlen unüblich war. Geheim stand für „Nein“.
Irgendwann gab es die laienspielgruppe nicht mehr.
Die Wohnung der Schneiderin im Hochpaterre stand leer.
Ich weiß nicht, was passiert ist.
Ich weiß nicht, ob etwas passiert ist.
Ich habe nie mehr an diese bemerkenswerte Frau gedacht. Sie hätte wohl ein Denkmal verdient. So wie die, die jetzt in der Türkei Gesicht gezeigt haben.

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  Muttertag

Muttertag

Cornelia Götz, Dompredigerin - 13.05.2023

Vorgestern habe ich mich in Berlin mit zwei Künstlerinnen getroffen.
Schon lange denken wir, dass wir irgendwann einmal einen gemeinsamen Abend hier im Dom machen wollen. Vielleicht geht es dann um verlorene Heimaten oder darum, dass es ganz normal ist, sich immer irgendwie anders zu fühlen, ein bisschen fremd zu sein? Vielleicht geht es um die Gerichte, die uns trösten, weil sie nach früher schmecken, nach Zuhause und Geborgenheit - Joghurt mit Obst, Borschtsch, Kartoffeln und Möhren…
Oder um die Lieder, mit denen wir aufgewachsen sind, die für uns gesungen wurden, wenn wir nicht einschlafen konnten oder krank waren.
Vielleicht geht es auch um unsere Berufe und die Stellen, die vor uns keine Frau innehatte. Oder um all das, was unsere Mütter und Großmütter so gern geworden wären aber nicht konnten. Vielleicht geht es um Geschichte und wie sie sich in Familien einschreibt.
Mal sehen.
Erstmal hieß es eintauchen – sich gegenseitig Lebenswege anvertrauen.
Irgendwann sagte die jüngere der beiden:
„Alles was ich tue ist ein Liebesbrief an meine Familie.“
Das hat mich sehr angerührt und an einen kleinen Band mit Briefen erinnert.
Im Vorwort heißt es: „Menschen sind Briefe Gottes an uns.“
Vielleicht, hoffentlich sogar Liebensbriefe.
Ich habe das Buch nochmal zur Hand genommen. Es sind Briefe an Väter und Großväter, an Tanten, Großmütter, an Freunde, Ehemänner und Söhne, an Dichter, Engel, eine Urlaubsbekanntschaft und einen Tierarzt, sogar an einen DDR-Staatsratsvorsitzenden.
Aber kein einziger an eine Mutter.
Die Anleitung der Herausgeber hieß: „Stellen Sie sich vor, Sie sollten einem Menschen schreiben, der für Ihr Leben wichtig war …“
Niemand denkt dann an seine Mutter?! Was für eine Leerstelle!
Vielleicht muss dieser Brief noch geschrieben werden. Oder ginge das gar ciht?
Funktionieren Briefe an Mütter am Ende doch nur im geschützten Raum?
Morgen ist Muttertag.
Darum zwei Texte von Max Brewer und Eva Loos:

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  Davor und danach

Davor und danach

Cornelia Götz, Dompredigerin - 10.05.2023

In dieser Woche jährt sich das Kriegsende.
Welches? Warten wir nicht gerade händeringend auf eines?
Einmal mehr gilt es wahrzunehmen, dass sich unsere Geschichtswahrnehmung nicht etwa danach gliedert, ob irgendetwas vor oder nach der Entdeckung des Tuberkelbazillus 1882 durch Robert Koch passierte, oder ob die ersten klinischen Tests für die Entwicklung des Penicillins 1941 in Oxford schon gemacht worden waren. Ungeheuer wichtig war auch die Erkenntnis von Ignaz Semmelweiß, dass Mütter nicht mehr am Kindbettfieber sterben müssten, wenn sich die Ärzte die Hände desinfizieren würden …
All das sind keine Markierungen im Lauf der Welt.
Unser Geschichtsbild dominieren Kriege.
Vor, während oder nach des dreißigjährigen Krieges, der napoleonischen Kriege, des ersten Weltkrieges, des zweiten Weltkrieges, des Vietnamkrieges, des Ukrainekrieges…
Krieg ist immer. Wir sind immer davor oder danach.
„Suchet den Frieden und jaget ihm nach“ – so stand es über dem Jahr 2019 in der Jahreslosung aus Psalm 34. Wer weiß, wo wir jetzt wären, wenn wir das damals einträchtig und mit all unserer Kraft getan hätten…
In den Zeitungen dieser Tage wird an den sogenannten Schwur von Torgau erinnert. Das zugehörige Foto zeigt sowjetische und amerikanische Soldaten 1945 an der Elbe. Sie geben sich die Hand. Es ist der Friedensgruß – die Geste, die wir über der Coronapandemie fast vergessen haben.
Damals überquerte eine US- Patrouille mit einem Segelboot die Elbe. Gegen Mittag trafen Menschen aus zwei unterschiedlichen Welten, die praktisch nichts voneinander wussten, aufeinander. Informelle Toasts auf den Sieg, die Freundschaft, auf Frieden und Glück wurden in einander unbekannten Sprache ausgebracht und trotzdem von allen verstanden, Knöpfe, Uhren und Hemden getauscht.
Die Veteranen dieser Begegnung setzen sich – vergeblich - für einen Weltfriedenstag ein.
Es wäre zu schön, wenn wir in Friedenszeiten denken könnten.
Umso tröstlicher ist es, dass wenigstens unsere Zeitrechnung dem folgt, mit dessen Kommen Frieden auf Erden erhofft wird.

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  Voller Kopf, leeres Herz

Voller Kopf, leeres Herz

Henning Böger, Pfarrer - 09.05.2023

„Wir informieren uns zu Tode" - so lautet der Titel eines Buches, das der bekannte Neurobiologe Gerald Hüther gemeinsam mit dem Fernsehjournalisten Robert Burdy geschrieben hat.*
Was die beiden Autoren dabei umtreibt, beschreiben sie so: „Wir leben in einem
Zeitalter der Verwirrung, das alle Anstalten macht, die freiheitlichen Demokratien
in ihren Grundfesten zu erschüttern." Durch die Vielzahl der Informationen, die täglich verfügbar sind, und dem Drang vieler Menschen, immer auf dem neuesten Stand zu sein, entstehe oft ein heilloses Durcheinander, in dem bisweilen kaum noch überschaubar sei,
was richtig ist und was nicht; von den gezielten Falschmeldungen, den Fake News,
die Menschen verunsichern oder verängstigen wollen, ganz zu schweigen.
„Wir informieren uns zu Tode": Das Buch trifft noch einen anderen wunden Punkt unserer Informationsgesellschaft: In der Flut der Nachrichten, die alle gleich wichtig sein wollen, wird der Kopf immer voller - und das Herz zugleich oft leerer.
„Natürlich brauchen wir die Kompetenz des Wissens“, sagt dazu der Biologe Hüther,
„aber wir müssen sie mit einer ebenso wichtigen Kompetenz verbinden. Ich nenne sie unsere Berührbarkeit." Ich verstehe den Wissenschaftler so: Die Nachrichten unterstützen uns - im besten Fall - beim genauen Wissen über die Vorgänge in der Welt. Aber sie lehren uns nicht das Fühlen. Das müssen wir für uns und miteinander tun. Wir sollten
uns darin unterstützen, berührbar zu bleiben für die Nöte und Sorgen anderer.
Wissen tut not, ja, aber das Gefühl tut es auch. Nur beides zusammen ergibt Leben!
Dazu passt ein Satz aus der Bergpredigt im Matthäusevangelium. Jesus sagt dort:
„Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen."
Ich denke, dieses Versprechen Jesu zielt auf unsere Berührbarkeit und soll uns daran erinnern, dass wir eine „Entherzung“ unseres Denkens nicht zulassen dürfen.
Oder anders gesagt: Das Herz darf nicht leer werden bei der Fülle der Nachrichten. Unsere Seele erstarkt nicht durch mehr Wissen, sondern durch mehr Mitgefühl.
Dieses Mitgefühl kann uns schützen vor allem todsicheren Wissen dieser Welt.

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  Der 8. Mai – Auch Freiheit verpflichtet.

Der 8. Mai – Auch Freiheit verpflichtet.

Heiko Frubrich, Prädikant - 08.05.2023

Der 8. Mai, ein denkwürdiger Tag der jüngeren deutschen Geschichte. Heute vor 78 Jahren endet der zweite Weltkrieg, der Millionen von Menschen das Leben gekostet hatte. Und es endete die Nazi-Gewaltherrschaft, das Unrechtsregim, das so viel Leid und Schmerz und Tod über die Welt brachte.
Am 8. Mai 1945 hat das Recht über das Unrecht gesiegt, die Freiheit über die Unterdrückung, die Menschenwürde über den Hass. Man könnte sagen, dass sich die Werte durchgesetzt haben, die Jesus Christus uns vorgelebt hat. Doch es bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn auch die Kirche hat sich teilweise vehement auf die Seite der Unterdrücker und Verbrecher geschlagen.
Die Gewaltherrschaft der Nazis war Menschenwerk und die Menschen, die sie getragen und unterstützt hatten, in der Politik, beim Militär, in den Verwaltungen, in den Schulen und auch in der Kirche, sie waren auch nach dem 8. Mai 1945 noch immer da. Wir wollen hier am Dom morgen Abend in einer politischen Andacht darauf schauen, was aus diesen Menschen und aus ihrer Vergangenheit geworden ist. Und diese Andacht trägt ihren Titel zurecht. Es sind zum Teil „Gefährliche Erinnerungen“.
Doch sie müssen wachgehalten werden, diese Erinnerungen und die im wahrsten Sinne des Wortes Notwendigkeit dafür wird immer größer. Nach neusten Meinungsumfragen kann eine in Teilen rechtsextreme und verfassungsfeindliche Partei in unserem Lande drittstärkste Kraft werden, in den östlichen Bundesländern steht sie teilweise auf Nummer 1. Diese Partei bedient sich gekonnt aus dem Werkzeugkoffer der Nazi-Propaganda, in dem sie Vorurteile, Desinformationen und Hass schürt. Das offensichtlich zu machen, ist bitter nötig.
Ja, die Herausforderungen, vor denen wir in Deutschland, in Europa und in der gesamten Welt stehen, sind groß. Aber es besteht die Chance, sie gemeinsam zu lösen und zwar so, dass niemand dabei auf der Strecke bleibt. Doch das setzt voraus, dass wir die Würde und die Freiheit eines jedes Menschen hoch achten, dass wir dem Hass und dem Misstrauen Einhalt gebieten und einander in Respekt begegnen.
Unbestritten ist und bleibt der 8. Mai 1945 ein Tag der Befreiung. Doch dieser Tag verpflichtet uns auch dazu, aus dieser Freiheit etwas zu machen. Er verpflichtet uns dazu, diese Freiheit zum Wohle aller zu nutzen und uns dafür einzusetzen, dass wir weiterkommen auf dem Weg, Lebensmittel und Lebenschancen gerechter zu verteilen und dem Frieden und der Versöhnung zu dienen.
Jesus Christus ermuntert uns dazu, wenn er uns verspricht: „Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Amen.

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  Versperkirche und Autofrühling

Versperkirche und Autofrühling

Cornelia Götz, Dompredigerin - 06.05.2023

Bei dem weisen Prediger Salomo heißt es:
„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“ - so ist es mit dem Mai und der Kastanienblüte, mit dem Spargel und dem Heuschnupfen, der Frühjahrsmüdigkeit, dem Löwenzahn. Und erst recht mit unseren Plänen und Vorstellungen vom guten Leben.
So ist es mit Blick auf existentiellen Grundfragen. Darum hat eben alles seine Zeit:
Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit…“
Und doch scheint es auch Unzeiten zu geben. Eine - jedenfalls für mich ganz offensichtliche Ungleichzeitigkeit ist die Parallelität von Vesperkirche und Autofrühling. Während hier draußen vor der Tür viel zu große Autos präsentiert werden, die nur noch kaufen kann, wer ein Verdrängungskünstler ist, gibt es ein paar hundert Meter weiter einen dreiwöchigen Versuch, die soziale Spaltung unserer Gesellschaft wenigstens für ein paar Stunden zu überwinden, Teilhabe möglich zu machen – sich bzw. die je anderen nicht aus den Augen zu verlieren.
Dass das zusammenhängt, beschreibt die kluge Carolin Emcke heute in der Süddeutschen Zeitung: „Es gibt nicht hier die Klimakrise und dort die soziale Frage, …es gibt nicht hier die ökologische Transformation und dort die Frage nach der Würde der Arbeit, sondern es ist ein und dieselbe Frage. Die soziale Frage … ist der Klimakrise immanent.“
Im Duktus des alten Textes heißt das. Jegliches hat seine Zeit. Jetzt ist Zeit - weiter mit Carolin Emcke: „über die ethisch-politische Kategorie der Zumutbarkeit nachzudenken.“ Denn nach dieser Erde wäre da keine für die, die nach uns kommen.
Dass das schwer ist und ich vielleicht auch eine Zumutung bin, wussten die die vor uns waren schon, denn es heißt:
„Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.
Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.“

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  Menschen mit besonderen Fähigkeiten

Menschen mit besonderen Fähigkeiten

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.05.2023

Der heutige 5. Mai ist seit 1992 ein Europäischer Protesttag und da steht uns Protestanten gut an, zumindest mal zu schauen, wofür oder wogegen protestiert wird. Und tatsächlich geht es um ein ehrenwertes Ziel, nämlich die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. Das ist eine weitreichende Aufgabe, die viele gesellschaftliche aber auch individuelle Lebensbereiche betrifft.
Ein erster Ansatzpunkt ist der Begriff selbst: Menschen mit Behinderungen. Allein dadurch, dass wir so von diesen Menschen sprechen, grenzen wir sie ab und bisweilen auch aus. Denn es gibt nach dieser Beschreibung eben zwei Gruppen: die, der Menschen ohne und die, der Menschen mit Behinderungen.
Desweiteren ist das Wort „Behinderungen“ eher negativ belegt. Sichtbehinderungen im Theater, Verkehrsbehinderungen auf der Autobahn sind nur zwei Beispiele dafür. Und dem logisch folgend, schauen wir bei Menschen mit Behinderungen meist zuerst auf das, was sie nicht oder nicht so gut können, wie andere. Doch es gibt auch eine umgekehrte Sicht, die meines Erachtens viel zu kurz kommt.
Wenn Sie schon einmal hier im Dom den gemeinsamen Gottesdienst mit der Evangelischen Stiftung Neuerkerode mitgefeiert haben, dann wird Ihnen ganz sicher aufgefallen sein, dass die Menschen, von denen wir sagen, dass sie eine Behinderung haben, über Fähigkeiten verfügen, mit denen sie uns Menschen ohne Behinderungen mitunter weit voraus sind. Es ist die ehrliche Herzlichkeit, mit der sie ihren Mitmenschen begegnen. Es ist die Lebensfreude, die sie ausstrahlen und die so wunderbar ansteckend ist. Und es ist eine andere Art von Zugang zum Glauben und zu Gottes Botschaft, die mich schon mehrfach tief beeindruckt und bewegt hat.
Insofern sind Menschen mit Behinderungen eben auch sehr, sehr oft Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Doch unsere Gesellschaft, in der das „Höher-Schneller-Weiter“ ja so wichtig ist und auch wir fokussieren uns schnell auf die Defizite. Die Folge ist dann eben, dass diese Menschen nicht so ohne weiteres gleichgestellt sind, sondern vielfach ausgegrenzt und an den Rand gedrängt werden.
Menschen mit Behinderungen machen in unserem Land einen Anteil von etwa 10r Bevölkerung aus. Damit sind sie in der Minderheit und das macht es für sie zusätzlich schwer, denn Mehrheiten tun sich oftmals schwer mit der Rücksichtnahme auf die Belange von Minderheiten, völlig losgelöst davon, was die Minderheit von der Mehrheit unterscheidet.
Und zugegebenermaßen fällt uns eine Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen nicht in den Schoß. Sie erfordert, dass wir daran arbeiten und wohl auch, dass wir an uns selbst arbeiten. Gleichgestellt sind sie allerdings unbestreitbar vor Gott. Sie sind Gotteskinder, so, wie wir alle. Und allein das sollte uns Ansporn sein, den Protest für die Gleichstellung auch in allen anderen Lebensbereichen zu unterstützen und im Zweifel bei uns selbst damit anzufangen. Amen.

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  An der Tür

An der Tür

Cornelia Götz, Dompredigerin - 04.05.2023

Im fünften Buch Mose heißt es: „Schreibe dir die Lebensworte Gottes an die Türpfosten deines Hauses und auf deine Tore.“
Darum befindet sich an traditionellen jüdischen Häusern an jedem Türrahmen (außer Bädern, Toiletten und Kellerräumen) eine Mesusa. Diese kleinen Schriftkapseln bergen ein paar Worte, das Schma Israel: „Höre Israel, der Herr unser Gott ist einer.“
Wo immer eine Mesusa hängt, zeigt sie an, dass in diesem Zimmer gegessen oder geschlafen werden kann. Und hängt sie schief, dann ist das absichtlich, weil nur Gott Schiefes zurecht bringen und gerade machen kann.
Auch draußen an Haustüren und Toren findet sich solch ein Kästchen.
Jedes Mal, wenn man durch die Tür tritt oder davor stehen bleibt, um den Schlüssel zu suchen oder zu warten, bis jemand aufmacht, fällt der Blick darauf oder man berührt die Mesusa sogar – und so schreibt sich das Schma ins Herz. Man vergisst es nicht.
An unseren Häusern finden sich solche Erinnerungsstützen für das, was wirklich wichtig ist und nicht vergessen werden soll, nicht.
Dabei könnte das eine Lebenshilfe sein, die uns beschirmt.
In einem Lesebuch „Wenn wir zusammen gehen…“ finde ich:
„Sich Lebensworte an den Spiegel kleben und jeden Morgen sagen: ich liebe – das sind Schutzmaßnahmen in schwierigen Zeiten. Damit bestreiten wir andere Sätze wie es hat alles keinen Sinn oder ich kann mich nicht lieben …“
Die Autorin hat sich an die jüdischen Lebensworte erinnert.
Daran, dass sie Hilfestellungen sein können um sich nicht überrennen zu lassen oder um der Erschöpfung zu entkommen, um sich zu erinnern, dass wir liebenswert und liebenswürdig sind auch wenn unsere Welt toxische Wahrnehmungen produziert.
Oder daran, dass immer etwas geht und möglich bleibt:
Wenn wir alle jeden Morgen beim Zähneputzen auf dem Spiegel lesen würden: „Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben“ oder „Suchet den Frieden und jaget ihm nach“ – dann würden wir uns vielleicht nicht von schlechten Nachrichten zermürben lassen, sondern dem tag zutrauen, dass er eine gute Wendung und wir darin zu was nütze sein können. Einen Versuch ist es wert.

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  Komm nicht!

Komm nicht!

Cornelia Götz, Dompredigerin - 03.05.2023

„Komm zu mir in die Hütte. Ich vermisse dich.
Hier gibt es zur Begrüßung immer Tee
Und trübes Licht, das nicht verlischt.“
In eine dunkle oder doch schummrige Hütte eingeladen zu werden, ist eine merkwürdige Erfahrung. Die wenigen Male, in denen ich das in Namibia, Äthiopien oder Indien erlebt habe, fühlte ich mich fehl am Platz.
Zu groß. Zu weiß. Zu unbrauchbar.
Es waren immer die Gastgeberinnen, – ja wirklich, es sind immer Frauen gewesen – die mir geholfen haben, einen Platz zu finden, mit der Situation umzugehen, mich durch die Armut nicht beschämen sondern von der Herzlichkeit beschenken zu lassen.
Selbst da sind wir immer die, die nehmen…
Gast auf Erden. Gast unter Menschen, die in mir wirklich eine Nächste sehen, eine Schwester. So fühlte es sich jedenfalls immer an.
„Komm zu mir in die Hütte. Ich vermisse dich.
Hier gibt es zur Begrüßung immer Tee
Und trübes Licht, das nicht verlischt.“
Der kleine Text geht weiter:
„Komm besser nicht.“
Ist das unsere Art er Einladung? Komm besser nicht. Das Boot ist voll. Wir wollen dich nicht. ??? Nein, der kleine Text geht anders weiter – nur der Assoziationshorizont brummt. Im Text heißt es:
„Angst haben muss man nicht, aber ein Tag ist wie der andere
Und einen Sinn, eine Wahrheit gibt es nicht.“
Komm besser nicht. Nicht, weil ich dich nicht hierhaben will, sondern weil es hier nicht gut ist. Ich will dir das ersparen.
Ich sehe vor mir das Porträt dessen, der das geschrieben hat an, sein freundliches offenes junges Gesicht.
Maxim Znak heißt er. Ich käme gern.
Aber seine Hütte ist eine Gefängniszelle in Belarus.
Er ist der Anwalt von Maria Kalesnikowa, derer wir letzte Woche gedacht haben.
Es waren sieben Tage, in denen wir gelebt haben, gingen wohin wir wollten, Gottesdienst feierten, frei hatten. Sieben Tage, die schnell vergingen.
Für Maria Kalesnikowa, Maxim Znak oder die Gestrandeten an Europas grenzen, die Zurückgebliebenen in der Ukraine waren es sieben lange Tage…
Fast unwirklich klingt über uns allen die Tageslosung aus dem 1. Buch Mose: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig“ in die unheiligen Umstände hinein. Aber sie erinnert uns an Ebenbildlichkeit und Menschenwürde.
Sie gilt. Wir verlieren sie, wenn wir sie verletzen.




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  Nicht allein im Schmerz

Nicht allein im Schmerz

Henning Böger, Pfarrer - 02.05.2023

Sokratis ist Arzt von Beruf. Viele Wochen war er zuletzt in der Türkei im Einsatz und hat Opfer des Erdbebens medizinisch versorgt. In einem Zelt des Roten Kreuzes, auch im Freien, wenn es sein musste. Mit den Kolleginnen und Kollegen seiner Hilfsorganisation war er Anfang Februar einer der ersten Helfenden, die dem Nachbarland zur Hilfe eilten.
Zum orthodoxen Osterfest vor knapp zwei Wochen ist Sokratis wieder heimgekehrt. Im Gespräch mit griechischen Medien erzählt er, was er erlebt und gesehen hat. Während
er spricht, stockt ihm immer wieder die Stimme. So etwas wie diese Katastrophe, sagt er, habe er noch nicht erlebt. Und dann berichtet er von einer kleinen Begegnung, die ihn besonders bewegt hat: „Da war immer ein kleiner Junge, der uns zusah. Eines Tages dann hatte der Junge etwas in der Hand. Eine Packung mit Keksen. Er kam auf mich zu und drückte mir die Kekse in die Hand: ‚Die sind für dich. Danke!‘“.
So viel Liebe in einem kleinen Geschenk, so große Dankbarkeit in einer kleinen Geste! Die Welt kann noch so düster sein und das Unheil noch so groß - es gibt immer auch
das Andere: die kleinen Zeichen der Liebe und der Dankbarkeit. Überall gibt es sie.
In jedem Schmerz. Man muss sie nur sehen und erkennen wollen.
Dort, wo sie geschehen und gesehen werden, geht aus ihnen eine große Hoffnung hervor. Niemand soll allein bleiben im Schmerz, sagt diese Hoffnung. Überall sind Menschen, die Liebe geben. Familie und Nachbarn, Freunde oder Fremde. Menschen, die sehen und tun, was gerade nötig ist. Die Wunden versorgen, trösten oder Hände halten.
Auch damals wird es so gewesen sein, in Jerusalem. Was den Jüngerinnen und Jüngern blieb nach der Katastrophe des Karfreitags, mit der alle Zukunftshoffnung zerstört erschien, war das Zusammenstehen: einander Halt geben mitten im Unheil durch kleine Zeichen der Liebe. Bis Gott sich den Bekümmerten wieder zeigte am Morgen des
dritten Tages und ihnen die schweren Steine vom Herzen nahm.
Niemand soll allein bleiben in Kummer und Scherz. Die größte Osterhoffnung sind Menschen, die einander lieben und beistehen. Je dunkler es um andere steht, desto heller leuchten sie.

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  1. Mai

1. Mai

Heiko Frubrich, Prädikant - 01.05.2023

Erster Mai, Tag der Arbeit. Eigentlich hätten heute auch mal die Hauptamtlichen hier am Dom frei, und trotzdem hat unser Domvogt Mario Freienberg die Türen aufgeschlossen und Kantor Witold Dulski hat sich an die Orgel gesetzt. Das hat zwei Gründe. Der erste: Es ist seit Jahrzehnten gute Tradition, dass in unserem Dom an 365 Tagen im Jahr Gottes Wort zu hören ist und da machen wir auch am 1. Mai und am 3. Oktober, die beide gesetzliche Feiertage sind, keine Ausnahme.
Und zweitens ist der 1. Mai auch ein guter Anlass, um mal darauf zu schauen, was denn Tag der Arbeit und das Evangelium miteinander zu tun haben. Vordergründig ist das vielleicht nicht sehr viel, denn die Bibel berichtet weder von Tarifverhandlungen zwischen Hohepriestern und Tempeldienern noch von Streiks der babylonischen Lokomotivführer. Und doch gibt es verbindende Themen, so zum Beispiel die Gerechtigkeit und das Wohlergehen der Menschen.
Die Arbeiterbewegung, auf die der heutige Feiertag zurückgeht, hatte beides im Blick. Menschen sollten für ihre Arbeit fair entlohnt werden und die Arbeitsbedingungen sollten so sein, dass sie menschenwürdig sind und niemand durch seine Arbeit körperlich oder seelisch zu Schaden kommt. Das sind Ziele, für die auch Jesus von Nazareth eingetreten ist und wie so vieles, was er proklamierte, ist auch das heute noch höchst aktuell.
Zweifellos hat die körperliche Belastung bei der Arbeit durch den immer weitergehenden Einsatz von Maschinen deutlich abgenommen. Zumindest in unseren Breiten muss niemand mehr sein gesamtes Arbeitsleben lang im Steinbruch mit dem Vorschlaghammer Steine quadern. Doch der Leistungsdruck hat deswegen keinesfalls abgenommen. Und in den Bereichen, in denen man keine hochqualifizierten Menschen braucht, ist noch immer nicht sichergestellt, dass eine Vollzeitbeschäftigung ausreicht, um eine Familie stabil zu versorgen.
Beides, zu hoher Leistungsdruck und unzureichende Bezahlung, tun den Betroffenen auf Dauer nicht gut. Sie fügen ihnen Schaden zu, weil sie aus unterschiedlichen Richtungen in eine Überforderung führen. Es ist in diesen Zusammenhängen dann immer wieder zu hören, dass sich Menschen aufgeopfert haben, für den Arbeitgeber oder für die Familie. Da gab es dann in der leitenden Position nur noch 60-Stunden-Wochen oder aber es musste der Zweitjob angetreten werden, weil das Geld aus dem erstem einfach nicht ausreichte.
Eine gute und gesunde Balance zwischen Arbeit und Leben, auch das ist ein gemeinsames Thema des 1. Mai und der christlichen Botschaft. Sich aufzuopfern, für was auch immer, ist zum einen nicht gut für uns und zum anderen auch nicht in Jesu Sinne. Selbst er, Jesus von Nazareth, hat sich immer wieder Auszeiten genommen, hat sich zurückgezogen, um Kraft zu sammeln, um zu beten, um zu sich selbst zu finden. Auch daran dürfen wir uns durchaus ein Beispiel nehmen.
Zum Glück sind wir keine Maschinen. Wir brauchen Erholung, wir brauchen Zufriedenheit und wir brauchen Lebensfreude, auch um Gottes Willen. Daran zu erinnern, ist der 1. Mai ein gutes Datum. Amen.

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  Salz der Erde

Salz der Erde

Cornelia Götz, Dompredigerin - 28.04.2023

Manchmal türmen sich die Fragen, wohin das eigentlich gehen soll mit unserer Kirche und unserem Glauben.
Junge Leute wundern sich, dass ich meine Lebenszeit in einen Beruf und damit in eine Sache stecke, die sehr viele Menschen komplett irrelevant finden. Ein ehemaliger Kollege schreibt mir, dass es vor dreißig Jahren undenkbar gewesen wäre, parallel zum Gottesdienst im Grünen nicht noch einen im Dom anzubieten. Ja…
Aber vor dreißig Jahren war auch undenkbar, dass nicht an jeder Innenstadtkirche mindestens zwei Pfarrer arbeiten. Und Pfarrerinnen schon gar nicht. Deshalb waren die Menschen wahrscheinlich nicht frömmer. Es war anders. Und wird immer anders bleiben.
Und wer weiß, wie Kirche in dreißig Jahren in Brauschweig aufgestellt sein wird, wie Menschen dann mit Glaubensfragen umgehen, ob sie gottesdienstliche Gemeinschaft suchen ob sie sich an den Schwellen des Lebens christlich begleiten lassen wollen.
Letzteres beschäftigt mich dieser Tage bei einer sehr altmodischen Angelegenheit: in der Familie meiner Mutter gibt es seit vielen Generationen einen Trau- und Taufteppich. Er ist groß genug, damit ein Brautpaar darauf sitzen oder Eltern und Paten mit dem Täufling darauf stehen können. Auf der einen Seite sind große rosa und rote Blüten auf schwarzem Grund flächig gestickt – das muss unendlich lange gedauert haben. Auf der Rückseite stehen die Namen meiner Vorfahren, meiner Großeltern, Eltern und Geschwister, zuletzt auch die unserer Kinder – die alle auf diesem Teppich getraut oder getauft worden sind.
Der Teppich wird weitergereicht von Generation zu Generation immer an die Tochter mit den meisten Töchtern und wenn es da Gleichstand gibt, dann an die, die sticken kann. So ist er nun bei mir und ich werde jetzt den Namen meines Sohnes und seiner Braut einsticken, wenn die sich im Sommer darauf haben trauen lassen.
Und dann? Werde ich ein Enkelkind haben, das sticken kann???
Werden kommende Generationen sich noch trauen lassen oder ihre Kinder taufen? Werden sie sich unter Gottes Segen stellen und mit seiner Hilfe „ja“ sagen?
Ich weiß es nicht. Aber ich ahne: selbstverständlich war es nie.
Im Matthäusevangelium heißt es: „Ihr seid das Salz der Erde.“
Geschmeichelt könnte man sich fühlen und denken: Wir sind die Würze. Ohne uns ist alles fad. Und ja – ohne Intensität ist Salz überflüssig. Aber das Bibelwort sagt in meinen Ohren vor allem: Ihr seid bestenfalls eine Prise. Ganz wenig. Nicht die vielen. Nicht die Masse.
So war es immer. Ich glaube: so wird es bleiben.

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  Geburtstagsfrühstück

Geburtstagsfrühstück

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.04.2023

Heute Morgen haben wir Geburtstagsfrühstück gemacht. Einmal im Quartal bereiten alle die, die dann Geburtstag hatten für das Team einen fürstlichen Frühstückstisch. Das rollt fröhlich durchs Jahr – denn immer hat ja irgendwer Geburtstag…
Diese Woche hatte auch Maria Kolesnikowa Geburtstag.
Sie ist 41 geworden und ich kann mir vorstellen, dass es zahllose Menschen gibt, die ihr liebend gern ein Geburtstagfrühstück bereiten würden – aber sie sitzt im Gefängnis. Die belarussische Flötistin und Bürgerrechtlerin ist seit mehr als 1000 Tagen inhaftiert.
Maria Kolesnikowa wurde wegen "Gefährdung der Nationalen Sicherheit", wegen "Gründung einer extremistischen Gruppierung" sowie wegen "Verschwörung zum Zwecke der verfassungswidrigen Machtergreifung" zu elf Jahren Haft verurteilt. Im Dezember war sie so krank, dass sie auf die Intensivstation musste. Um Weihnachten schrieb sie an ihren Vater:
"Mir geht es noch nicht gut, aber ich bin guter Dinge und optimistisch, ich will gesund werden! Also mach dich bereit: deine Pfannkuchen und Spieße stehen auf Platz 1 meiner zukünftigen Speisekarte.“
Es wird hoffentlich nicht noch Jahre dauern, bis die schöne kluge Frau, die so vielen Menschen Mut macht, die noch im Gericht andere zuversichtlich anstrahlt und ihre Hände zu einem Herz formt, bei ihrem Vater zu Tisch sitzen und mit denen, die sie liebt, Geburtstag feiern kann.
Im Geburtstagsbrief, den wir in diesem Jahr vom an alle Geburtstagskinder verschicken, steht ein kleiner Text von Almut Haneberg:
„Segen – handgreiflich. / Umarmung Gottes, / lasse ich dich zu, / lasse ich dich / an mir handeln, / an mir geschehen? / Wenn ja / wird mich
deine Berührung verändern.“
In Gedanken schicke ich diesen Brief auch nach Belarus. Ich vermute, dass sich Maria Kolesnikow nicht fragen wird, ob sie eine heilsame Umarmung zulassen will. Sie wird sich darin bergen, damit Gottes Berührung sie stärken und beschützen möge.
Uns aber wird seine Berührung hoffentlich verändern. Damit wir nicht vergessen, wie kostbar Frieden, Freiheit und Demokratie sind. Damit wir angesichts der Nöte und Sorgen unsres Lebens nicht die vergessen, die es so viel schwerer haben. Damit wir uns in Anspruch nehmen lassen.

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  Glauben – trotz allem Offensichtlichen

Glauben – trotz allem Offensichtlichen

Heiko Frubrich, Prädikant - 26.04.2023

Am vergangenen Sonntag wurde unser Nagelkreuz in einem feierlichen Gottesdienst in Coventry von Dean John Witcombe gesegnet. Da seit dem Brexit die Post- und Zolllaufzeiten kaum kalkulierbar sind, haben wir es persönlich abgeholt, damit wir am Pfingstmontag die offizielle Verleihung nicht ohne Kreuz feiern müssen – so wie es der St. Michael-Gemeinde in Jena Mitte März ergangen ist. Es ist also schon hier und wird ab Pfingsten dort auf dem Marienaltar stehen, was uns alle sehr freut.
Mir ist dieser Tage ein Zitat von Jim Wallis, einem amerikanischen Pfarrer, in die Hände gefallen. Der hat gesagt: „Hoffnung bedeutet, trotz allem Offensichtlichen zu glauben und dann zu beobachten, wie sich das Offensichtliche verändert.“
Zur Nagelkreuzgemeinschaft zu gehören bedeutet, in besonderer Weise für Versöhnung einzutreten und hierauf einen Schwerpunkt der Arbeit zu legen. Der Dom will genau das tun. So wird der Arbeitskreis Nagelkreuz am 9. Mai in einer politischen Abendandacht aufzeigen, wo in unserer Stadt Versöhnung mit der eigenen Geschichte und mit Menschen, die sie gestaltet haben, notwendig war, versucht wurde, gelungen, aber auch gescheitert ist. Und wie so oft zeigt sich auch hier, dass man gut daran tut, auf Aspekte zu achten, aus denen man aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen kann. Fehler zu wiederholen ist vermeidbar und der Bedarf an Versöhnung wächst rasant – im Kleinen wie im Großen.
Und ja, man darf durchaus fragen, ob so ein Kreuz aus viel Nägeln, dass hier auf unserem Altar stehen wird, tatsächlich die Kraft hat, die Welt zu verändern. Hat es die Kraft, das erneut begonnene Wettrüsten zu stoppen? Hat es die Kraft, den Lügen Einhalt zu gebieten, mit denen Menschen in die Irre geführt werden? Hat es die Kraft, der Gewalt, der Unterdrückung und der Vertreibung ein Ende zu machen? Oder können wenigstens wir Menschen, die wir uns um dieses Kreuz versammeln, dafür etwas tun? Können wir etwas in Bewegung setzen, das segensreich ist?
„Hoffnung bedeutet, trotz allem Offensichtlichen zu glauben und dann zu beobachten, wie sich das Offensichtliche verändert.“ Es ist genau diese Hoffnung, die Menschen immer wieder in sich gespürt haben. Es ist genau diese Hoffnung, die nicht untergehen darf, wenn Frieden und Liebe und Versöhnung eine Chance haben sollen. Dass diese Hoffnung berechtigt ist, hat uns Gott im Licht des Ostermorgens gezeigt: Jesu Untergang am Karfreitag war für alle offensichtlich. Doch in nur drei Tagen hat Gott das Offensichtliche radikal verändert. Die Chance dazu ist da. Und unsere Hoffnung auch. Amen.

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  Dein Wille geschehe.

Dein Wille geschehe.

Heiko Frubrich, Prädikant - 24.04.2023

Dörte Hansen schildert in ihrem Roman „Altes Land“ die Geschichten verschiedener Menschen, deren Lebenswege sich im Alten Land, der Region zwischen Hamburg und Stade, treffen. Es sind berührende Einblicke in Hoffnungen und Enttäuschungen, Gelungenes und Gescheitertes, verpasste Chancen und große Zukunftspläne. Und es ist die Beschreibung, was all das mit Menschen macht und was Menschen aus all dem machen. Einer der Hauptcharaktere ist Heinrich Lührs, ein alter Obstbauer, dessen Söhne den väterlichen Betrieb nicht übernehmen wollen, und der nun weitermacht, auch noch im hohen Alter, getrieben von Verantwortungsgefühlen, Disziplin aber auch von Unbeweglichkeit, ohne wirklich zu wissen, wofür und für wen all das.
Als seine Frau verstirbt und er damit ganz allein in seinem prachtvollen Bauernhaus zurückbleibt, bricht er, der kantige und unbeugsame Heinrich Lührs, mit Gott und seinem Glauben. Dörte Hansen schreibt: „Heinrich Lührs, der es in allen Dingen sehr genau nahm, würde nie wieder ein Vater Unser sprechen, weil er erfahren hatte, was es heißen konnte: Dein Wille geschehe.“
Wie ist das eigentlich mit uns, mit Ihnen, mit Euch und mit mir? Sind wir uns der Tragweite dieser Worte bei jedem Mal, wenn wir sie beten, auch bewusst? Dein Wille geschehe. Kann das nicht auch wie eine persönliche Bankrotterklärung klingen? Wozu sich dann überhaupt noch anstrengen, wozu sich krummlegen, um die eigenen Ziele zu erreichen, das eigene Leben zu gestalten, wenn ich doch indirekt alle Verantwortung aus der Hand gebe und sage: Dein Wille geschehe?
Einer, der das auch gesagt hat, ist Jesus Christus. Als er am Gründonnerstag im Garten Gethsemane Gott darum bittet, ihn zu verschonen, beendet er sein Gebet mit genau diesen Worten: Doch nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Doch dieser Satz aus Jesu Mund war alles andere als eine Bankrotterklärung. Dieser Satz war die Bestätigung eines unerschütterlichen Vertrauens. Dieser Satz war keine Unterwerfung unter eine unberechenbare Macht, sonders ein Sich-Anvertrauen an einen liebenden Gott, auf den wir uns in allen Lebenslagen blind verlassen können.
Heinrich Lührs konnte diesen Schritt nicht gehen, er konnte und er wollte das Heft des Handelns nicht aus der Hand geben, wobei er nicht sah, dass so vieles gar nicht in seiner Hand lag. Doch loszulassen und auf Gott zu vertrauen, ist mitunter eine der schwersten Aufgaben, vor die wir gestellt werden. Heinrich Lührs ist an ihr gescheitert. Wir hoffentlich nicht. Amen.

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  Eingeschrieben in mir und in dir

Eingeschrieben in mir und in dir

Cornelia Götz, Dompredigerin - 22.04.2023

Dieser Tage hat meine Schülerliebe Geburtstag. Es ging nur einen Sommer lang. Später kreuzten sich unsere Wege manchmal, aber inzwischen haben wir seit vielen Jahren nichts voneinander gehört. Trotzdem - jetzt denke ich an ihn. Wie jedes Jahr. Er fällt mir einfach ein.
Er hat sich mir eingeschrieben.
Vorgestern habe ich Sara Mardini kennengelernt, die syrische Schwimmerin, die 2015 mit ihrer Schwester Yusra drei stundenlang eine havariertes Flüchtlingsboot Richtung Strand schleppte und schob. Ihr Mut und ihre Kraft, ihre Sprachlosigkeit sind mir nahe gegangen. Ich werde mich an sie erinnern, wann immer es um das Sterben im Mittelmeer geht.
Auch sie trage ich von nun an mit.
Wie meine Kinder und die Ovambofrau Betty, die mich vor vielen Jahren in ihren Stamm adoptiert hat.
Wir Menschen hinterlassen in anderen Spuren. Vielleicht weil jede und jeder einzigartig und besonders ist; vielleicht weil wir alle zu einer Familie gehören, verbunden durch den, der Anfang und Ende ist.
Eva Strittmatter dichtete:
„Vielleicht erinnert sich wer meiner.
Einer, der geht durch Leningrad.
Oder ein andrer in Kaluga.
Und wer in einer deutschen Stadt.
In dieser Stunde scheint mir sicher:
Wir sind Gefäß für fremden Wein.
In mir sind alle, die mich trafen.
So möchte ich in allen sein.“
An der letzten Zeile habe ich mich immer ein bisschen gerieben.
Ich weiß gar nicht, ob ich in allen sein möchte. Ich möchte eigentlich auch nicht alle, mit denen ich zu tun hatte, ungern länger in meinem Leben haben.
Aber so leicht ist es nicht. Sie haben sich eingeschrieben. Wie ich mich auch. Wozu kann diese Verbindung gut sein? Ändert sich unsere Art, einander zu begegnen und zuzuhören, fremde Menschen mitzudenken?
Ahnen wir, dass auch Gott, der die Liebe ist und der gute Hirte, der Weg, die Wahrheit und das Leben, sich uns eingeschrieben hat? Dass er Spuren hinterlässt in uns? Es wäre ein tröstlicher Gedanke.

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  Stell dir vor..

Stell dir vor..

Cornelia Götz, Dompredigerin - 21.04.2023

Stellen wir uns vor: Da ist ein junger Mann aus mindestens soliden wenn nicht sogar sehr behüteten und wohlhabenden Verhältnissen. Er studiert und brilliert gelegentlich sogar, er schlägt über die Stränge, tanzt und liebt, feiert mit seinen Freunden. Er gönnt sich einen extravaganten Stil. Er kniet sich leidenschaftlich in seine Studien.
Seine Eltern freuen sich. Die Vorrechte der Jugend, die Unbeschwertheit des Wohlstandes gönnen sie ihm. So hätten sie es auch gern gehabt. Er macht sein Zeug ja gut und soll eines Tages Verantwortung übernehmen. Der Ernst des Lebens wird ihn früh genug erreichen.
Aber dann steigt er aus.
Nicht nur ein bisschen. Sondern radikal.
Er verschenkt seinen Besitz und schlägt sein Erbe aus.
Er verlässt sein Elternhaus und lebt auf der Straße, verweigert jede Übernachtung in einem Haus, weil er das als Freiheitsentzug empfindet. Er ernährt sich von Resten und Spenden. Er bettelt. Er spricht mit den Tieren.
Mit einem Wort: es ist ein Jammer. Er ist verrückt geworden.
Man kann ihn bestenfalls belächeln und freundlich unter die Arme greifen.
Vielleicht besinnt er sich ja noch.
Aber das tut er nicht. Im Gegenteil.
Er steckt andere damit an und reißt sie mit.
Er erklärt, dass er sich mit Haut und Haar Gott hingeben will.
Er will zeigen, dass man ohne Besitz glücklich sein kann.
Das wird – so ist in einem Buch über ihn zu lesen – keineswegs überall mit Begeisterung aufgenommen.
- Text –
Tja, wo soll das hinführen? Was wollen die jungen Radikalen eigentlich?
Wie wollen wir unseren Wohlstand erwirtschaften, wenn sich die Idealisten und Träumer durchsetzen?
Seinerzeit entstand eine Bewegung.
Vielleicht war es eine Revolution.
Ich spreche von Franz von Assisi.
Er lebt vor 800 Jahren. Damals wurde unser Dom gebaut. Der steht noch.
Und seine Hingabe? Ist die noch lebendig? Seine Sanftmut, sein Vertrauen, seine Glaube?

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  Jetlag

Jetlag

Cornelia Götz, Dompredigerin - 17.04.2023

Mein Mann hat ein Jetlag.
Letzte Woche kam er aus Canada – er war erfüllt von einer spannenden Reise und sagte, dass es sich dieses Mal mit dem Jetlag gut anfühlen würde und er hoffnungsvoll sei, schnell in den hiesigen Rhythmus zurückzufinden.
Aber jetzt puzzelt er nachts und bügelt, guckt Fernsehen oder liest.
Die innere Uhr will sich nicht so schnell überzeugen lassen, dass Schlafenszeit ist.
Die innere Uhr… so nennen wir das, was uns Zeitgefühl gibt oder dafür sorgt, dass wir immer zur gleichen Zeit wachwerden. Sie zu stören ist anstrengend. Menschen im Schichtsystem wissen das.
Vielleicht ist sie so zäh, weil in uns etwas Größeres tickt: der Schöpfungsrhythmus.
„Solange die Erde steht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
So heißt es im ersten Buch Mose.
Es gibt einen Wechsel und Kreislauf der Jahreszeiten und des Tageslichts. Wenn sie durcheinander kommen, dann frieren wir oder fällt die Ernte aus, dann sitzen wir nachts wach in der Küche.
Letzteres ist in all dem harmlos, denn wir finden uns irgendwann wieder ein – der große Gleichklang der Schöpfung nimmt uns wieder mit und dann wird wieder Abend und morgen und ein neuer Tag.
So ist das Jetlag nicht nur ein aus-dem-Takt-geraten des Biorhythmus sondern auch eine Erinnerung daran, dass Gott unsere Welt mitsamt ihrem inneren Gleichgewicht eingerichtet hat und in all dem unsere Zeit in Händen hält.
Auch heute – am Montag, am Wochenbeginn, den wir dann spüren, wenn Sonntag ein Sonntag war. Heilige Zeit.

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  Nix verstanden?

Nix verstanden?

Cornelia Götz, Dompredigerin - 13.04.2023

Zu dieser Woche nach Ostern gehört auch die Geschichte der Emmausjünger.
Sie laufen nach allem was war weg von Jerusalem, sie wollen Abstand schaffen und laufen tut ohnehin gut.
Wenn Kopf oder Herz zu voll sind – dann hilft das:
Gehen, einfach nur gehen.
Man muss nicht reden. Aber gerade im Gehen bewegen sich Gedanken und Erinnerungen und so fließt die Worte irgendwann doch, auch wenn man glaubte, gar keine zu haben.
So ergeht es auch diesen beiden.
Sie teilen die Erschütterung und die Trauer, die verlorene Hoffnung - eben all das was passiert war. Wahrscheinlich tasteten sie sich auch an die unglaubliche Nachricht heran, dass das Grab leer gewesen sei.
Was denkst Du? Was ist da passiert? Wie kann das sein?
Da gesellt sich einer dazu, hört ein bisschen mit, fragt nach.
Die beiden können es nicht fassen:
„Hast Du etwa nicht davon gehört?“
Das kann doch gar nicht sein!
Weißt Du das etwa nicht?
Beschäftigt dich nicht, was da passiert ist?
Aus ihrer Perspektive ist das verständlich – die Verurteilung und Kreuzigung Jesu hatte die ganze Stadt erlebt. Jeder redete darüber.
Aber wenn sich zu uns einer dazugesellte?
Dann würde uns auch wundern, dass er fragt – aber wahrscheinlich nicht, dass er nichts weiß.
Denn wir haben uns schon längst daran gewöhnt, dass kaum einer weiß, was wir an Ostern feiern, was da passiert ist, was es bedeutet und dass es nicht nur eine Erschütterung unserer kleinen Welt ist - keine kleingedruckte Nachricht im Lokalteil.
In der alten Geschichte ist auch Jesus fassunglos.
Er, der Auferstandene, er, der den Weg mitgeht, ist seinerseist fassungslos mit wieviel Fragezeichen er erzählt bekommt, was passiert ist.
Die haben nix verstanden! Denkt er.
Wie kann man ein so träges Herz haben!!! Fragt er.
Muss er uns auch fragen? Oder leuchtet die Osterfreude? Hoffentlich.

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  Zeit zum Feiern

Zeit zum Feiern

Heiko Frubrich, Prädikant - 12.04.2023

Unsere Zeit ist schnelllebig. Das merkt man allerorten. Wenn Sie heute jemandem „Frohe Ostern“ wünschen, kann es Ihnen passieren, dass Sie „Ist doch schon vorbei!“ als Antwort erhalten. In der Tat liegen die Osterfeiertage, die auch so heißen, schon hinter uns, doch wir feiern hier einfach fröhlich weiter, denn die österliche Freudenzeit, wie sie in unserem Kirchenkalender heißt, reicht bis Pfingsten. Das ist auch gut so, wie ich finde, denn wir haben uns schließlich mit einer langen Passionszeit darauf vorbereitet und es uns so auch irgendwie verdient.
In diesem Jahr fiel der Todestag Dietrich Bonhoeffers auf den Ostersonntag. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis im KZ Flossenbürg ermordet. „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln“, dieser Satz stammt von ihm. Bonhoeffers Zuversicht, so, wie wir sie aus seinen Briefen und Aufsätzen her kennen, war nahezu unerschütterlich. Selbst in den dunkelsten Zeiten seines Lebens, als er in Berlin, Buchenwald und zuletzt in Flossenbürg inhaftiert war, wo miterleben musste, wie seine Mitgefangen gefoltert und umgebracht wurden, hat er die Hoffnung niemals aufgegeben.
„Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ Dieses Wort Jesu hat ihn getragen und ihm die Kraft gegeben, in tiefer Ruhe und Gelassenheit auch in den eigenen Tod zu gehen. Kurz vor seiner Hinrichtung bat er einen Mitgefangenen, folgendes an seinen Freund, den englischen Bischof George Bell, weiterzugeben: „Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Anfang.“

Ostern ist das Fest der Hoffnung. Im Licht des Ostermorgens hat Gott uns gezeigt, dass keine Dunkelheit ewig ist. Er hat uns gezeigt, dass wir auch in den schwersten Phasen unseres Lebens darauf hoffen dürfen, dass es wieder bergauf geht. In der Vorstellung vieler Menschen ist die größte vorstellbare Katastrophe der eigene Tod. Für Bonhoeffer war das nicht so und auch für uns soll es nicht so sein.
Ostern verändert alles! Auch uns! Denn mit dieser Erkenntnis, mit dieser Gewissheit im Kopf und im Herzen können wir anders durchs Leben gehen. Ostern will unsere Angst vertreiben, Ostern will uns unsere Verzweiflung nehmen, Ostern will uns herausholen aus unserer Resignation. Ostern hat die Kraft, es hell werden zu lassen – um uns und in uns.
Und weil das so ist, sind die Tage bis Pfingsten fast zu wenig, um das gebührend zu feiern. Denn der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja! Amen.

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  Osterbotschaft 2023

Osterbotschaft 2023

Dr. Christoph Meyns, Landesbischof - 09.04.2023

Ich grüße Sie zum Osterfest mit dem traditionellen Osterruf: „Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.“
In diesem Jahr werden wir die Gottesdienste am Osterfest zum ersten Mal seit 2019 wieder ohne einschränkende Vorgaben feiern. Überall brennen wieder die Osterfeuer; auch damit wird vielerorts an das angeknüpft, was vor der Pandemie war. Dabei zeigt sich mitunter, dass sich nicht alles so einfach wiederbeleben lässt.
Meine Gedanken sind in diesen Tagen bei den Menschen in der Ukraine und in den Erdbebengebieten in der Türkei und in Syrien. Dort geht es jetzt darum, Hilfe zu leisten, Städte, Dörfer und zerstörte Infrastruktur wiederaufzubauen. Auch in der Ukraine, in der Türkei, in Syrien und anderen von Krieg oder Katastrophen betroffenen Regionen, werden die Menschen nicht einfach zudem zurückkehren können, was vorher war.
Und doch können Vertrauen und Zuversicht wachsen, wenn Menschen in Zeiten der Not die Erfahrung machen, dass sie nicht allein gelassen werden. Darum lege ich Ihnen die Kollekte für Brot für die Welt besonders ans Herz.
Als Christinnen und Christen glauben wir daran, dass Gott selbst in Jesus Christus unser menschliches Dasein mit uns teilt, im Leben, in Freude und Leid, und auch im Tod und über den Tod hinaus: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.“ Dieser Ruf stellt alles infrage, was wir über das Leben und den Tod zu wissen glauben. Ostern durchbricht die Ambivalenz unserer Erfahrungen, und rückt alles Vorläufige und Unvollkommene in das strahlende Licht des Sieges Jesu Christi über Sünde, Tod und Teufel.
Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie fröhlich und beherzt in diesen Ruf einstimmen können.
Ihnen allen ein frohes und gesegnetes Osterfest!

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  Ins Licht!

Ins Licht!

Heiko Frubrich, Prädikant - 08.04.2023

Ich bin so unendlich müde und trotzdem habe ich keinen Schlaf gefunden, nicht eine Minute. Gut, dass Maria Magdalena hier war. So waren wir beide nicht allein in der letzten Nacht, konnten miteinander reden, miteinander schweigen, miteinander weinen. Heute Morgen habe ich keine Tränen mehr. Meine Augen brennen, und ich sehe immer wieder diese Bilder vor mir, wie er da am Kreuz hängt, mein Sohn. Ich sehe seinen geschundenen Körper. Wenn er sich als Kind beim Spielen wehgetan hatte, kam er zu mir und ich habe mich gekümmert, habe ihn auf den Arm genommen, das aufgeschürfte Knie mit kühlem, klaren Wasser abgewaschen und ihn getröstet. Doch gestern konnte ich nichts für ihn tun, konnte nur da sein, für ihn da sein, damit er wenigstens nicht so allein fühlen musste.
Warum bloß hatte er nicht auf uns gehört. Es war seit langem klar, dass das alles nicht länger gutgehen wird. Er hätte noch so viel Gutes tun können. Er hatte diese Gabe, diese wunderbare Gabe, Menschen zu heilen, ja sie sogar aus dem Tod zurückzuholen. Diese Sache mit Lazarus war doch erst ein paar Tage her. Ich habe die Worte des Engels noch im Ohr, die er damals zu mir gesagt hat: „Und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob.“ Aber er musste sich ja unbedingt anlegen mit den Mächtigen hier in Jerusalem. Er war sich seiner Sache so sicher. Aber jetzt hat sich wohl auch der Herr von ihm abgewandt.
Ich weiß gar nicht, wo ich die Kraft herhatte, ihn gestern noch zu begraben. Ich war vollkommen im Tunnel, habe nur funktioniert. Die Pharisäer haben uns angetrieben: „Schnell, schnell, er muss im Grab sein, ehe der Sabbat beginnt. Das wisst ihr dich! Beeilt euch!“ Wir konnten ihn nur eilig in ein Tuch wickeln, so wie er war, ohne Salböl, ohne Kräuter. Und dann haben sie diesen riesigen Stein vor sein Grab gerollt. Es war noch nicht einmal Zeit für einen kurzen Abschied. Zum Glück dürfen wir morgen noch einmal zu ihm – wenigstens das.
Ich werde diesen Tag gestern niemals vergessen. Seine Blicke in unsere Richtung. Er muss so gelitten haben, und doch hat er uns mit so viel Liebe angesehen, so, als wollte er uns trösten und uns mit seinen Augen sagen, dass alles gut werden wird. Er ist bis zuletzt von seinem Weg nicht abgewichen. Er war so stark.
Um die sechste Stunde ist dann dunkel geworden. Die Sonne hat sich verfinstert. Die Stimmung war kaum auszuhalten. Bis zur neunten Stunde war es dunkel. Und dann wurde es wieder hell. Ja, das fällt mir jetzt erst auf. Es wurde wieder hell, kurz bevor er starb. Sollte er doch mit allem Recht gehabt haben? Hat sich für sein Sterben der Himmel geöffnet? O, wie sehr ich es ihm wünsche! Und ja, ich will es einfach glauben, dass er nicht in die Dunkelheit gegangen ist, sondern ins Licht – in das Licht, das er selber immer war.

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  Gegenseitig dienen

Gegenseitig dienen

Heiko Frubrich, Prädikant - 06.04.2023

Wer schon einmal in der Türkei oder in Tunesien oder Ägypten war, wird sie gesehen haben, die Schuhputzer auf dem Flughafen und in den Straßen der Städte. Für ein paar Cent kann man sich dort im Vorübergehen die Schuhe auf Hochglanz bringen lassen. Manchmal sitzt man dazu auf einem erhöhten Stuhl und der Schuhputzer kniet davor.
Ich weiß, dass die Menschen mit diesem Dienst ihren Lebensunterhalt verdienen und doch habe ich ihn noch nie in Anspruch genommen, weil ich mich dabei nicht wohlfühle. Ich finde, dass in dieser Situation ein Oben und ein Unten so deutlich spürbar wird, wie selten. Und ich möchte einfach nicht, dass andere Leute mir den Dreck von den Schuhen putzen, den ich mir selbst eingetreten habe.
Ähnlich scheint es zunächst auch Petrus zu gehen. Er wehrt sich geradezu dagegen, als Jesus ihm beim letzten Abendmahl die Füße waschen will: „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“ sagt er. Doch Jesus lässt sich nicht beirren und das hat seinen Grund.
„Wenn ich als Euer Herr und Meister euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr euch auch untereinander die Füße waschen, denn ich habe euch ein Beispiel geben, damit ihr es tut, wie ich es getan habe“, so lautet seine Botschaft an seine Jünger.
Das Bild des Füße-Waschens ist ein Bild des Dienens. Und Jesu Auftrag an seine Jünger und somit auch an uns ist, dass wir einander dienen sollen. Das heißt nicht, dass wir „nur“ jedermanns Diener sein sollen. Denn die Gegenseitigkeit, die Jesus ausdrücklich betont, bedeutet auch, dass wir uns dienen lassen.
Jesus sieht uns in der Rolle des Gebenden genauso wie in der Rolle des Nehmenden. Und unser Leben wird uns zeigen, was für uns gerade dran ist. In Zeiten der Stärke und der Fülle können wir abgeben, wovon wir reichlich haben: Lebensfreude, Glauben, Zeit, Liebe.
Doch wenn wir Leere in uns spüren, ist es in Jesu Sinne, dass wir uns von anderen helfen lassen, diese Leere zu füllen. Manchmal ist es schon eine große Hilfe, mit jemandem gemeinsam zu überlegen, was mir überhaupt fehlt.
Es gibt Menschen, denen fällt es schwer, Hilfe anzunehmen, weil sie meinen, dass darin die eigene Schwachheit für andere sichtbar würde. Ja, das mag so sein. Doch sie gehört zu uns dazu. Niemand ist nur stark und perfekt und auf alles, was kommt, vorbereitet.
Und es ist nicht wirklich clever, in Momenten, in denen unsere eigene Kraft nicht reicht, weitere Kraft darauf zu verwenden, genau das vor anderen zu verbergen. Denn damit wird alles nur noch schlimmer.
Auch Jesus steht zu seiner Schwachheit. Er hat Angst vor dem, was auf ihn zukommt und er schreit diese Angst im Garten Gethsemane im Gebet heraus. Er schämt sich ihrer nicht. Auch darin gibt er uns ein Beispiel. Amen.

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  Wir wollen Jesus sehen!

Wir wollen Jesus sehen!

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.04.2023

Jesus ist in Jerusalem und nach dem triumphalen Einzug gibt es wohl auch so etwas wie Alltag in dieser Woche. Im Johannesevangelium wird berichtet, dass an einem dieser Tage einige Griechen auf den Jünger Philippus zukommen und sagen: „Wir wollen Jesus sehen.“ Mehr erfahren wir nicht über diese Menschen und auch ihre Motivation bleibt im Dunkel.
Doch in ihrem „Wir wollen Jesus sehen!“ schwingt mehr mit, als bloße Neugierde, mehr als der Wunsch, nur mal einen kleinen Blick auf den neuen Superstar am religiösen Himmel zu erheischen. Da scheint es ein sehr konkretes Anliegen zu geben, einen Wunsch, ja vielleicht sogar eine tiefe Sehnsucht.
Können Sie sich in diesen Menschen wiederfinden? Wollen Sie auch Jesus sehen, und sei es auch nur im übertragenen Sinne? Wofür steht er? Was hat er uns vorgelebt? Nächstenliebe fällt mir ein, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Hilfe und Unterstützung für die Schwachen und Unterdrückten. Das verbindet sich für mich mit seinem Namen.
Mir fallen die Menschen in den zerstörten Städten in der Ukraine ein und ich denke, dass sie sich nach all dem sehnen. Ich denke an die Eltern des jungen Russen, der in den Krieg ziehen sollte, und der sich aus Verzweiflung darüber das Leben genommen hat. Ihnen ist so zu wünschen, dass sie in ihrer Trauer und Verzweiflung Jesus sehen!
Jesu Reaktion auf die Bitte der Griechen ist merkwürdig. Er fängt an zu reden, aber auf den geäußerten Wunsch geht er gar nicht ein. Er sagt nicht etwa: Im Moment ist es blöd, sagt ihnen, sie sollen morgen wiederkommen. Oder: Super! Ich freue mich! Gebt mir fünf Minuten, ich ziehe mir nur noch was Anderes an. Nichts dergleichen!
Und so scheint es so, als würde der Wunsch der Menschen, die nach Jesus fragen, unerfüllt bleiben. Doch beim genaueren Hinsehen, kann man das auch anders verstehen. Jesus schildert im Folgenden, dass er gekreuzigt werden wird. Die Zeit, für ein Treffen mit ihm ist noch nicht reif. „Erst, wenn ich erhöht werde von der Erde, dann will ich alle zu mir ziehen.“
Am Palmsonntag haben die Menschen Jesus als ihren neuen König begrüßt. Doch sie hatten falsche Vorstellungen. Es war ein Missverständnis, denn der König, der da kam, war keiner nach weltlichen Maßstäben. Jesus will alle weiteren Missverständnisse verhindern. Und vielleicht ahnt er, dass auch die Griechen, die nach ihm gefragt haben, unter falschen Voraussetzungen zu ihm wollen.
Und deshalb sagt er: Erst wenn ich gestorben und wieder auferstanden bin, dann will ich alle Menschen um mich sammeln, denn dann wird allen klar sein, was für ein König ich tatsächlich bin. Aber eben erst dann!
Wir sind da besser dran. Uns schickt Jesus nicht in Warteschleife. Wir dürfen sofort zu ihm kommen. Wenn wir Jesus sehen wollen, ist er für uns da. Doch wir müssen ehrlich sein, auch gegen uns selbst. Wenn wir uns für ihn entscheiden, dann ist das eine dauerhafte und durchaus auch lebensverändernde Weichenstellung.
Wenn wir dabei mit Herz und Verstand bei der Sache sind, wird sich Jesus vor uns nicht verschließen. Dessen bin ich mir sicher! Amen.

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  Menschliche Abgründe

Menschliche Abgründe

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.04.2023

Jerusalem und umzu vor knapp 2.000 Jahren. Bei vielen herrscht eine euphorische Stimmung. Ein paar Tage zuvor hatte Jesus Lazarus, den Bruder von Maria und Martha von den Toten auferweckt und aus dem Grab gerufen. Viele Menschen hatten das miterlebt und waren nachvollziehbarerweise tief beeindruckt. Sie hatten ein Wunder gesehen und der, der das bewirken konnte, musste der langersehnte Messias sein.
Andere sind überhaupt nicht begeistert. Als die Nachricht von der Auferweckung des Lazarus bei den Pharisäern und Schriftgelehrten ankommt, berufen sie den Hohen Rat ein, denn sie sehen ihre Felle wegschwimmen. Die Römer halten das Land besetzt, doch sie tolerieren den jüdischen Glauben der Menschen, die dort leben. Die Hohepriester dürfen den Tempelkult pflegen und sie dürfen auch weiterhin eine Art Staat im Staate sein, solange sie sich nicht gegen den römischen Kaiser stellen. Doch nun sahen sie ihre Position massiv bedroht weil immer mehr Menschen glaubten, dass dieser Wanderprediger Jesus von Nazareth der langersehnte Messias ist.
Und so beschließt der Hohe Rat, Jesus töten zu lassen. „Es ist besser, dass ein einzelner für das Volk sterbe, als dass das ganze Volk verderbe.“ So fasst es der Hohepriester Kaiphas zynisch zusammen.
Ich bleibe bei diesen Schilderungen immer wieder bei der Frage hängen, wo die Grenzen liegen zwischen dem Plan Gottes und den Plänen der Menschen. Es steht für mich außer Frage, dass Jesus den Weg durch Leid und Tod gehen musste, um Gottes neuen Bund mit uns Menschen tatsächlich zu schließen. Jesu Kreuzestod war der einzige Weg, alles Störende und Trennende zwischen uns und Gott ein für allemal zu beseitigen. Jesus hat es mit in den Tod genommen und es damit erledigt. Und Jesus Sterben war unabwendbar, um für uns alle die Macht des Todes zu brechen und uns die Gewissheit zu schenken, dass es mit uns weitergeht, auch wenn unser Leben im Hier und Jetzt ein Ende findet.
Doch wir kommen eben nicht umhin, auf dem Weg zum Kreuz auch in menschliche Abgründe zu blicken. Davon gibt es in der Passionsgeschichte mehr als genug. Das Verhalten der Mitglieder des Hohen Rates ist ein Beispiel dafür, weitere werden folgen.
Manches davon ist schwer auszuhalten, denken Sie an den Kuss des Verräters, die Brutalität der Folterknechte, die Feigheit vieler vermeintlicher Freunde. Doch durch all das verändert sich auch unsere Rolle in dieser Geschichte. Wir können nicht mehr nur Zuschauer sein, weil diese menschlichen Abgründe die Zeit seit Jesu Passion überdauert haben. Sie existieren noch heute und sie sind auch in uns. Niemand ist frei davon. Und es bleibt eine lebenslange Aufgabe, diesen Teil unseres Wesens unter Kontrolle zu halten, unseren freien Willen dazu zu verwenden, das Gute zu tun, zu dem wir fähig sind und das uns eben jener Jesus von Nazareth vorgelebt hat.
Dass wir dabei auch immer wieder Niederlagen erleben werden, gehört zu unserem Leben dazu. Diese Niederlagen sind oft schmerzlich, denn wir scheitern damit an unseren eigenen Werten. Doch Gott weiß das. Und er ist bereit, zu vergeben. Wir sollten es auch sein – vergebungsbereit gegenüber uns selbst und gegenüber unseren Mitmenschen. Jesus ist gestorben, auch, damit wir das können. Amen.

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  Ein baum, eine Bank, eine Laterne

Ein baum, eine Bank, eine Laterne

Cornelia Götz, Dompredigerin - 01.04.2023

Fernando Aramburo erzählt in „Patria“ die Geschichte einer Familie, die Opfer eines Terroranschlages der ETA geworden ist. Bittori, die Witwe des Ermordeten, kommt nach Jahren zurück nach Hause - unter die Menschen, die Zeugen und Täter gewesen sind. Sie will wieder unter ihnen leben, der Verbitterung entgehen, irgendwie weitermachen.
Neu anfangen – vielleicht.
Aber so leicht ist es nicht.
Die Menschen haben Herzen aus Stein und wenn es anders ist, dann zeigen sie es nicht.
Darum schreibt Aramburo: „Später auf dem Heimweg, legte sie eine Hand an den rauhen Stamm eines Baumes und murmelte: Danke für deine Menschlichkeit. Danach legte sie ihre Hand an eine Hauswand und wiederholte ihre Worte. dasselbe tat sie - im Vorübergehen - bei einer Mülltonne, einer Parkbank, einer Straßenlaterne und weiterem Mobiliar des öffentlichen Raumes, an dem sie vorbeikam.“
Danke für deine Menschlichkeit …
Das sind die Worte, die sie noch hat. Aber es fehlen ihr die Adressaten.
So dankt sie dem Baum, der ihr den Weg beschirmt und der Hauswand, die ihr Halt gibt, der Mülltonne, die den Dreck abnimmt, der Bank, die ihr eine Pause ermöglicht, der Laterne, die auf die Straße scheint, damit sie sich nicht den Fuß stößt.
Es ist ein Bild unendlicher Einsamkeit - aber merkwürdigerweise keins von Verlorenheit.
Denn da geht ein Mensch und ist sich seiner Menschlichkeit bewusst.
So wie Jona, der ganz allein im Fischbauch sitzt und nicht weiß, ob es nochmal gut wird - aber der singt und Gott lobt, dennoch. So wie Maria, die allein bleibt als der Engel sich verabschiedet und als die Hirten wieder gegangen sind und die die gute Worte in ihrem Herzen aufhebt. So wie Jesus Christus, der nach und nach von allen verlassen wird, weil sie ihn verraten, verleugnen oder einschlafen - und der seine Menschlichkeit nicht verliert, damit wir sie nicht verlieren müssen.
Morgen ist Palmarum.
Morgen kommt er an in Jerusalem, ganz allein zwischen den vielen Menschen, Mauern, Bäumen. Er reitet auf einem Eselchen – und vielleicht dankt er ihm - wie Bittori dem Baum, der Bank, der Laterne.

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  Paul und Paula

Paul und Paula

Cornelia Götz, Dompredigerin - 31.03.2023

In dieser Woche wurde Heiner Carows Film, ach was heißt „Film“, Kultfilm „Die Legende von Paul und Paula“ fünfzig Jahre alt. Angelika Domröse, die damals die weibliche Hauptrolle spielte, Paula eben, sagte später, dass ein Film dann ein Kultfilm ist, wenn er über Generationen gesehen und geliebt wird. „Paul und Paula“, ein DDR-FIlm, wurde fast verboten - wäre also beinahe verlorengegangen - aber Erich Honecker gab in letzter Minute persönlich grünes Licht. Am Ende sahen ihn Millionen …
Es ist eine herzzerreißende großartige Liebesgeschichte.
Paul, ein schlaksiger Winfried Glatzeder, der auch noch in NVA-Uniform und mit Koteletten gut aussieht, könnte glücklich werden. Er passt ins System und in die Neubauwohnung, zu seiner hübschen Frau und seinem Sohn und auch sein systemnaher Job macht ihn nicht fertig. Aber er wird nicht glücklich. Er traut sich nicht. Dennoch: Man muss ihn mögen.
Und erst recht als er sich in Paula verliebt, die Alleinerziehende, die Hippieprinzessin zwischen gelben Blumen in der Altbauwohnung, die Frau an der Kasse und beim Leergut in der Kaufhalle, die die unbedingt leben und lieben will, koste es was es wolle.
Sie tut es. Es kostet viel. Zuletzt kostet es alles.
Aber vorher singen die Puhdys und werden mit dem Film berühmt:
„Wenn ein Mensch kurze Zeit lebt, / sagt die Welt das er zu früh geht. / Wenn ein Mensch lange Zeit lebt, / sagt die Welt es ist Zeit . . .
Meine Freundin ist schön, / als ich aufstand ist sie gegangen, / weckt sie nicht, bis sie sich regt, / ich hab' mich in ihren Schatten gelegt.
Jegliches hat seine Zeit, / Steine sammeln - Steine zerstreun. / Bäume pflanzen - Bäume abhaun, / leben und sterben und Streit.“
Der weise Prediger Salomo als Soundtrack? Kann das der DDR-Führung Angst gemacht haben? Oder war es die systemstürzende Macht der Liebe?
Denn die ist gefährlich.
Zu allen Zeiten.
Wer mit der Liebe rechnet, erlebt einen anderen Horizont.
Gott macht es vor - zu Weihnachten, zu Ostern und dann wenn er seinen Menschen, die Liebe ins Herz senkt und sie beginnen, darauf zu hören.

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  Gesehen werden

Gesehen werden

Cornelia Götz, Dompredigerin - 30.03.2023

Über diesem Jahr heißt es aus dem ersten Buch Mose „Du siehst mich.“
Du siehst mich und wir haben gelernt zu lesen und zu hören, dass dieses Gesehen werden weit mehr ist als eine Bestätigung von Sehkraft.
Es geht weit darüber hinaus - egal , ob wir im Bildausschnitt erscheinen, uns mitten im Gewühl bewegen oder am Rande stehen, egal ob wir aussehen wie alle anderen um uns herum oder doch anders: Gott sieht uns als die, die wir sind: voller Hoffnung und Zuversicht, voller Zweifel und Sorgen, am Bahnsteig des Lebens oder in der Sackgasse. Er sieht uns und meint damit nicht eine Art - weiße westliche Frau oder berufstätige Stadtbewohnerin - sondern einen einzelnen Menschen. Gottes Blick vermisst uns nicht. Er normiert auch nicht. Er verleiht keine Prädikate. Er sieht uns. Und weil wir glauben dürfen, dass er uns liebevoll ansieht, ist es ein wohltuender Blick.
Von einer ganz anderen Art des Hinsehens erzählt der Film „Der vermessene Mensch.“ Er erzählt die Geschichte eines Ethnologen, der entschlossen ist, einen Lehrstuhl zu erobern und so in den Sog pseudowissenschaftlicher Rassenlehre zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerät. Während der sogenannten Völkerschau in Berlin lernt er Kezia Kambazembi kennen, eine Dolmetscherin der Herero. Sie ist seine Chance auf einen menschenfreundlichen Blick. Er vertut sie - wenn auch nicht gleich. Denn zunächst weiß er sehr klar: das Format „Völkerschau“ hat nichts mit dem „Sehen“ zu tun, von dem die Jahreslosung erzählt. Es ist ein Gaffen, dass die Fremden ihrer Würde und Freiheit beraubt.
Aber so macht man keine Karriere, denn die Wissenschaftler wähnen sich darüber erhaben. Sie vermessen die Schädel und notieren Zahlen, die eigene Überlegenheit beweisen sollen.
Was zu Beginn eine bizarre und demütigende Veranstaltung der Berliner Universität ist, wird im Zuge der Niederschlagung des Hereroaufstandes gegen die deutsche Kolonialmacht ein Vernichtungskrieg und ist der Grund für die vielen Schädel in deutschen Museen.
Es ist eine beschämende Geschichte; sowieso.
Und bestürzend, dem jungen Wissenschaftler dabei zuzusehen, wie er das, was er wahrnimmt über Bord wirft und verleugnet, um das zu zeigen, was gesehen werden soll.
Am Ende ist es nicht nur die Geschichte eines schrecklichen Unrechtes, sondern auch eine Mahnung, eigene Bilder zu überprüfen, dem Augenschein zu misstrauen und sich immer wieder darin einzuüben, mit Gottes Augen hinzuschauen, dankbar dafür zu sein, dass er uns nicht auf das reduziert, was er sieht.

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  Wir dürfen leuchten!

Wir dürfen leuchten!

Heiko Frubrich, Prädikant - 29.03.2023

Erinnern Sie sich noch an das diesjährige Motto der EKD-Fastenaktion? Wir sollen leuchten und sieben Wochen ohne Verzagtheit leben. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, so sagen wir, wenn wir finden, dass jemand zu bescheiden und zu zurückhaltend ist mit dem, wie er ist, mit dem, was er weiß, mit dem, was er kann. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel hat biblischen Ursprung. Es geht zurück auf die Bergpredigt, in der Jesus seinen Zuhörern sagt: „Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“
Wir sollen also das Licht der Welt sein – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Das ist schon eine große Aufgabe und eine große Verantwortung, die Jesus uns hier überträgt, finden Sie nicht auch? Und nur, um das noch einmal einzuordnen: Jesus sagt das nicht etwa in Richtung der hauptamtlichen Geistlichkeit in Jerusalem oder mit der Einschränkung, dass seine Worte nur denen gelten, die sich zukünftig in einer Festanstellung bei irgendeiner kirchlichen Körperschaft befinden. Jesus sagt das seinen Jüngerinnen und Jüngern, die Fischer, Netzmacher, Zöllner und was weiß ich waren, aber keine studierten Theologen.
Er sagt es denen, die sich ihm zugehörig fühlen, so wie wir es tun, und damit sagt er es eben auch uns. Wir sollen das Licht der Welt sein, wir sollen leuchten. Aber wie? Ganz sicher ist uns nicht jeden Tag in gleicher Weise danach, strahlend durchs Leben zu gehen. Auch und vielleicht sogar gerade als Christinnen und Christen macht uns das Leid und die Ungerechtigkeit in dieser Welt betroffen. Wir lassen sie möglichweise intensiver an uns heran als andere, will wir verstehen, dass uns in dem Menschen, der davon betroffen ist, unser Nächster begegnet.
Doch wir können, wie ich finde, damit auch besser umgehen, weil wir wissen, dass wir die Lasten unseres eigenen Lebens und die Lasten anderer nicht allein tragen müssen. Wir dürfen uns von Gott gewollt und geliebt fühlen, dürfen annehmen, dass er uns begleitet und uns hilft. Denn neben der Aufgabe, das Licht der Welt zu sein, sagt uns Jesus zu, uns aufzuhelfen, wenn wir mühselig und beladen sind und bei uns zu sein alle Tage bis an der Welt Ende.
Wenn wir das verinnerlicht haben, und es in uns abrufbar ist, wenn wir es brauchen, dann kann uns diese Gewissheit tatsächlich zum Leuchten bringen – aus Zuversicht, aus Dankbarkeit und aus Freude. Dann können wir gut das Licht der Welt sein – mit Gottes Hilfe und in Jesu Namen. Amen.

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  Lobe den Herrn, meine Seele

Lobe den Herrn, meine Seele

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.03.2023

Die Digitalisierung erleichtert durchaus unser Leben und sie kann es auch bereichern, sogar, was unseren Glauben angeht. Ich bekomme die aktuelle Herrnhuter Tageslosung und den dazugehörenden Lehrtext auf mein Handy geschickt. Als ich heute Morgen draufgeschaut habe, fiel mein erster Blick auf die Quelle: Psalm 103. Und ich dachte: Endlich mal was Erbauliches. Doch dann war ausgerechnet Vers 14 ausgesucht, und der lautet: „Gott weiß, was für ein Gebilde wir sind; er denkt daran, dass wir Staub sind.“
Ja, das ist zweifellos richtig. Und ja, zur Passionszeit gehört es auch dazu, sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Aber ausgerechnet mit Worten aus dem 103. Psalm, der ansonsten so tröstlich und hoffnungsspendend ist. Ich finde, dass er zu den Bibelstellen gehört, die bestens geeignet sind, trübe Stimmung, Traurigkeit und Resignation zu vertreiben – außer vielleicht nun gerade dieser Vers 14.
Wobei, wenn wir die Worte aus unserer Perspektive lesen, ich meine mit der Erfahrung dessen im Hinterkopf, was uns sie Evangelien verheißen, dann kriegen sie einen ganz anderen Klang. Der Psalmbeter hat recht, wenn er sagt, dass wir Staub sind. Aber das gilt nur für unsere irdische Hülle. Und die, so lehrt uns das Leben, ist tatsächlich nicht für die Ewigkeit konstruiert. Aber seit Jesus Christus dürfen wir ja wissen, dass es weitergeht! Und das sagt uns auch der Psalm zwei Verse später: „Die Gnade des Herrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit“, heißt es da. Wenn sich für uns mit unserem Wieder-zu-Staub-Werden alles erledigt hätte, könnte uns das ja herzlich egal sein. Doch so ist es eine beruhigende Perspektive, dass uns Gottes Gnade auch dann noch begleitet, wenn wir uns von dieser Erde verabschiedet haben.
In dieselbe Richtung argumentiert auch Paulus im 2. Korintherbrief, aus dem der Lehrtext für heute stammt. Paulus schreibt: „Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde.“ Ja, genau so ist es. Der Tod gehört zu unserem Leben unabdingbar dazu. Auch Jesus musste diesen Weg gehen. Doch es war nicht das Ende für ihn, wie es eben auch für uns nicht das Ende sein wird, wenn unsere Zeit im Hier und Jetzt dereinst ablaufen wird. Denn, so Paulus: Es wird auch an uns Jesu Leben offenbar werden.
Jetzt habe ich eingangs aber so vom 103. Psalm geschwärmt, nun will ich Ihnen zumindest ein paar Verse daraus nicht vorenthalten:
Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit, der deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über denen, die ihn fürchten.
Und wären wir nicht mitten in der Passionszeit, würde ich jetzt „Halleluja“ sagen. So bleibt es bei: Amen.

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  Gehorsam lernen

Gehorsam lernen

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.03.2023

Gestern wurde in unseren Kirchen über einen Abschnitt des Hebräerbriefes gepredigt, der eine für mich wirklich steile These enthält. Da heißt es: „So hat Christus an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.“ Was für eine Aussage! Wer nicht hören will, muss fühlen, so klingt das ja fast. Wenn wir uns vor Augen führen, was Jesus tatsächlich aushalten musste, wie er gefoltert und gedemütigt und schließlich brutal umgebracht wurde, ist dann dieser Satz nicht eine echte Unverschämtheit?
Mit dem Gehorsam ist das ja so eine Sache. Wir Deutschen haben in unserer Geschichte mit Befehl und Gehorsam schlechte Erfahrungen gemacht. Auch vor diesem Hintergrund ist unsere Demokratie mit ihrer konsequenten Gewaltenteilung ein wertvolles Gut. Wenn wir nach Russland, nach China, nach Nordkorea oder in andere totalitäre Staaten schauen, sehen wir, dass das Prinzip von Befehl und Gehorsam mit einer verantwortlich gelebten Freiheit kaum vereinbar ist.
Und nun rechtfertigt der unbekannte Verfasser des Hebräerbriefes Jesu Leiden und Sterben damit, dass es notwendig oder sogar nützlich war, um Jesus gehorsam zu machen? Das klingt ja nach einer grausamen göttlichen Erziehungsmaßnahme, um den ungezogen Sohn endlich zur Raison zu bringen.
Nun, ich denke, so würden wir das Wort fehlinterpretieren. Erst einmal: Jesus hätte alle Möglichkeiten gehabt, sich seinem Schicksal selbst zu entziehen. Doch er stellt sich ihm, weil er erkennt, dass es sein Weg ist und seine Motivation, diesen Weg zu gehen, ist nichts anderes als Liebe. Und so geht es auch gar nicht um Gehorsam gegenüber Gott. Im aktuellen Wochenspruch bekennt Jesus: Ich bin nicht gekommen, dass ich mir dienen lasse, sondern dass ich diene. Und wenn er vor dem Letzten Abendmahl sein Gewand gegen eine Sklavenschürze tauscht und seinen Jüngern die Füße wäscht, wird klar, dass es nicht um einen Gehorsam und ein Dienen nach oben geht, sondern um einen Gehorsam nach unten – hin zu seinen Jüngern und damit auch zu uns.
Auch darin gibt Jesus uns ein Beispiel und will uns Vorbild sein. Wenn wir Gehorsam so verstehen, wie Jesus ihn verstanden hat, heißt das, denen ein Diener zu sein, die schwächer sind und unsere Hilfe brauchen. Gehorsam nach unten heißt, dass blinder Gehorsam in unserem Leben keinen Platz haben kann. Denn wir sollen reflektiert und verantwortungsvoll gehorchen, nicht blind und mit ausgeschaltetem Gehirn. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott sich uns als aufrechte Christenmenschen wünscht. Denn genau das hat er uns in seinem Sohn vorgelebt: gehorsam nach unten, als Diener und nicht als Herr.
Und so schwer zu ertragen Jesu Schicksal auch ist. Wir dürfen darauf schauen, was er damit für uns erreicht hat: Denn ohne Karfreitag, kein Ostermorgen. Ohne das Kreuz, kein leeres Grab. Ohne sein Sterben, kein Sieg über den Tod.
Jürgen Henkys schreibt: „Hart auf deiner Schulter lag das Kreuz, o Herr, ward zum Baum des Lebens, ist von Früchten schwer. Kyrie eleison, sieh, wohin wir gehn. Ruf uns aus den Toten, lass uns auferstehn.“ Amen.

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  „O Haupt voll Blut und Wunden“

„O Haupt voll Blut und Wunden“

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.03.2023

„O Haupt voll Blut und Wunden“, einer der wohl eindringlichsten Passionschoräle. Paul Gerhardt hat den Text verfasst. Da schreit ein Mensch sterbend am Kreuz, blutend, schwitzend, gefoltert, gedemütigt. Da wird ein Mensch zum Spiegel dessen, was Menschen einander antun. Er wird zum Spiegel dessen, was Menschen sogar Gott zufügen. Er führt uns in die tiefsten Abgründe menschlichen Verhaltens.
Müssen wir uns das wirklich jedes Jahr aufs Neue antun? Die Zeiten, in denen wir leben, sind schwierig und belastend genug. Es herrscht Krieg in Europa mit spürbaren Auswirkungen auch in unserem Land. Es ist eine zunehmende Radikalisierung in Gedanken und Worten und in Taten festzustellen und 90 Jahre nach Inkraftsetzung des Ermächtigungsgesetzes durch das Nazi-Regime müssen wir auch auf unsere Demokratie achten, denn diejenigen, die bereit sind, die Axt an ihre Wurzeln zu legen, werden immer mehr.
Und dann nun auch noch diese Zumutungen auf Jesu Weg zum Kreuz? Ja, uneingeschränkt ja! Ich bin dankbar, dass wir diese Zeit im Jahr haben, denn ihre Aussagen sind ebenso vielfältig wie wertvoll.
Sie ermahnen uns zur Wachsamkeit. Immer dann, wenn Macht grenzenlos wird, entwickeln sich manche Menschen zu Bestien. Wenn Würde und Leben verfügbar werden, entstehen bizarre Ideen und Methoden, wie man einen Menschen seiner Würde und seines Lebens berauben kann. Um das bestätigt zu finden, müssen wir gar nicht 2000 Jahre in die Vergangenheit schauen. Auch heute wird auf dieser Welt gefoltert und gemordet und das vielfach durch staatliche Stellen sanktioniert. Die Passionszeit mahnt an, menschlichem Handeln Grenzen zu setzen, denn offensichtlich reicht es nicht aus, sich nur darauf zu verlassen, dass Moral und Ethik Schlimmeres von allein verhindern.
Doch Jesu Leiden und sein Tod am Kreuz sind auch Beleg dafür, wie unermesslich groß die Kraft der Liebe ist. Es sagt sich so geschmeidig dahin, dass Jesus für uns am Kreuz gestorben ist. Dabei haben es diese Worte in sich. Jesus hätte alle Möglichkeiten gehabt, sich seinem Schicksal zu entziehen, als Mensch und als Gott. Doch das tut er nicht.
Vielmehr ist er in seinem konsequenten Handeln die Verkörperung der Liebe, die Gott uns Menschen entgegenbringt. Sein Kreuzestod ist das größte Liebesopfer, das ein Mensch zu geben in der Lage ist. Jesus hat sich selbst für uns alle als Opfer hingegeben, als allerletztes Opfer, das nötig war, um zwischen Gott und uns wieder all das in Ordnung zu bringen, was in Unordnung geraten war und immer wieder in Unordnung gerät.
Und ein letztes: Jesu Passion ist unabwendbare Voraussetzung für alles Weitere. Ohne die Dunkelheit seines Todes wäre kein Raum für das Licht des Ostermorgens. Ohne den Blick auf Ostern ist die Passionszeit nur schwer auszuhalten. Aber wir haben diese Perspektive und mit ihr erhält das Leiden und Sterben unseres Bruders Jesus Christus einen alles andere überstrahlenden Sinn. Paul Gerhardt beschreibt ihn so:
„Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du's so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu und, wenn ich dann erkalte, in dir mein Ende sei.“ Amen.

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  Liebe statt Jackpot

Liebe statt Jackpot

Heiko Frubrich, Prädikant - 24.03.2023

39 Millionen Euro, so hoch ist der aktuelle Lotto Jackpot für die nächste Auslosung. Mit dem Geld könnte man wohl ganz gut über die Runden kommen und man müsste sich auch keine großen Sorgen mehr darüber machen, ob denn nun die Rente sicher ist oder nicht. Beim nächsten Urlaub könnte man sich einfach mal ein schönes Ziel aussuchen, ohne auf den Preis zu achten. Gleiches wäre beim Kauf des neuen Autos zutreffend, bei der neuen Einbauküche oder der Grundsanierung der Wohnung oder des Häuschens im Grünen.
Das einzige, was die Freude ein wenig trübt, ist, dass die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, bei 1 zu 140 Millionen liegt. Das ist mickrig gering. Zum Vergleich: Es ist 50-mal wahrscheinlicher, bei einem Flugzeugabsturz sein Leben zu verlieren. Aber, was soll‘s, möglich ist es auf jeden Fall, den Jackpot mit den richtigen Zahlen zu knacken.
Gehen wir also einfach mal davon aus, dass das Glück uns hold wäre, und uns die Lottogesellschaft in der kommenden Woche besagte 39 Millionen auf unser Konto überweisen würde. Würde uns dieses Glück im Spiel auch so richtig, also rundum glücklich machen? Naja, anfänglich wohl schon. Denn nahezu alles, was wir uns an Materiellem schon immer gewünscht haben, wäre von jetzt auf gleich möglich, und das wäre ja zunächst einmal nicht das Schlechteste.
Doch ich wage die Prognose, dass dieser Glückszustand, wenn er denn nur durch den Geldsegen ausgelöst wurde, nicht lange hält. Denn zum Glücklichsein braucht es mehr als nur ein dickes Portemonnaie und ein volles Bankkonto.
Zwar gab es zu Moses Zeiten noch keinen Lotto Jackpot, dennoch hat die Bibel zu diesem Thema eine Meinung. Und so lesen wir im 5. Buch Mose: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Mund des Herrn geht.“ Da steckt viel Wahres drin. Denn menschliche Bedürfnisse gehen weit über das hinaus, was wir uns mit Geld kaufen können. Wir brauchen das Gefühl, dass unser Leben einen Sinn hat. Wir brauchen Menschen an unserer Seite, die uns guttun. Und wir brauchen Liebe, die wir selbst erfahren und die wir weitergeben können.
Für mich ist die Liebe auch tatsächlich Gottes beste Erfindung von allen. Spannend finde ich übrigens, dass sie in der Schöpfungsgeschichte gar nicht so richtig vorkommt. Doch sie ist der Grund dafür, dass Gott sich so für uns einsetzt. Sie ist der Grund dafür, dass er etwas mit uns zu tun haben möchte, dass er eine Beziehung zu uns sucht.
Und sie ist natürlich der Grund dafür, dass er in Jesus Christus selbst Mensch geworden ist, einer von uns, auf Augenhöhe, um den Tod für uns zu besiegen und uns eine Hoffnung zu schenken, die weit über unser irdischen Leben hinausweist.
Liebe ist im wahrsten Sinne des Wortes wunderbar. Und wir bekommen sie geschenkt, einfach so, und das so ganz ohne Lottoschein. Gott sei Dank! Amen.

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  Gipfelmoment

Gipfelmoment

Pfarrer Werner Busch - 23.03.2023


Sind Sie schon einmal Achterbahn gefahren? Die Fahrgeschäfte in den Vergnügungsparks sind ein beliebter Vergleich für den Ernst des Lebens. „Die letzten Monate waren für mich wie eine Achterbahnfahrt.“ In der Gefühlswelt geht es manchmal auf und nieder. Das Leben wirft dich hin und her. Im Ernstfall ist das alles andere als ein Spaß. Turbulente Krisenzeiten zehren an den inneren Kräften. „Du siehst ganz mitgenommen aus.“ „Mir ist schlecht.“
Bleiben wir in Gedanken auf dem Rummel. Setzen wir uns in die Achterbahn! Haben Sie vor Augen, wie Sie auf den ersten Gipfelpunkt gezogen werden? Langsam geht es voran. Schienen und Wagen machen ein gleichmäßiges Rattern. Der Abstand zum festen Boden unter den Füßen wird beständig größer. Es ruckelt und wackelt in luftiger Höhe. Leichter Schwindel erfasst mich. Der Zug tackert vorwärts, unerbittlich langsam geht es steil hinauf. Alles eine einzige Verheißung – oder Drohung: Gleich wird es wild. Ich werde die Orientierung und die Kontrolle verlieren. Das kommt so sicher wie das Amen …
Jetzt sind wir fast oben. Der vollbesetzte Zug wird langsamer und es ist es, als würden wir kurz stehen bleiben. Wir halten den Atem an. Für einen Moment schaue ich auf die berauschende Fahrt voraus. Gleich zieht es uns mit Tempo in dramatische Kurven hinein. Manche werden schreien, sich verkrampft aneinander festhalten, andere lassen sich gehen und kreischen aus Leibeskräften. In der Achterbahnfahrt der Gefühle und Konflikte gibt es manchmal kein Halten mehr. Der ganz normale Wahnsinn unserer Lebens und unserer Zeit ist keine Spaziergang, sondern eine enorme Herausforderung für unseren Gleichgewichtssinn. Auch im übertragenen Sinn.
Kurz, bevor das losgeht, gibt es diesen besonderen Augenblick. Den Moment des Innehaltens will ich voll ausschöpfen. Oben angekommen, schweift mein Blick noch einmal ins Weite hinaus. Vor mir liegt unter blauem Himmel ein Panorama und flößt mir ein erhebendes Gefühl ein. Die Spannung steigt. Du bist ganz ruhig. Ganz wach. Ganz anwesend. Adrenalin pur.
Dieses Beinahe-Anhalten ist ein wertvoller Moment. Bevor du im stürmischen Zickzack mitgerissen wirst, öffnet diese Verlangsamung den Geist. Dieser Gipfelmoment ist die beste Vorbereitung für das, was kommt. Im richtigen Leben sind das Ausgenblicke, in denen wir uns wesentliche Fragen stellen. Kurz steigen mit melancholisch-wehmütigen Gefühlen existenzielle Lebensfragen auf. Du denkst aufs Ganze. Es ist, als könntest du dich selbst beobachten. Wenn das Leben uns eine Verschnaufpause gönnt und dein Gesichtsfeld sich weitet, kann man philosophisch werden. Take a break. Nimm dir Zeit und Muße für diesen Blick auf dein Leben. Lass Fragen zu.
Fragen sind die Frömmigkeit des Denkens. Es gibt eine Spiritualität der Nachdenklichkeit, deren Luftzufuhr von existenziellen Fragen herkommt. Die Seele atmet, atmet auf und durch in solchen Momenten. Wer bin ich heute im Vergleich zu früher? Wer werde ich in 5 oder 10 Jahren sein? Und welcher Weg wird mich dorthin führen? Für solche Nachdenklichkeit brauche ich Zeit. Vielleicht nur ein paar Augenblicke. Augenblicke voller Ewigkeit, voller Jetzt und Hier.
In solchen ruhigen Gipfelmomenten sind wir nicht allein. Wir werden dort erwartet. Jemand, der gelernt hat, sich zu entziehen, ist schon da. „Als Jesus merkte, dass das Volk kommen würde, um nach ihm zu greifen und ihn zum König zu erheben, da entwich er auf den Berg. Er allein.“ Bei ihm ist Gottes Anwesenheit in einer Wolke voller Licht verborgen. Du spürst eine Wärme und einen Glanz, den du nicht eintuppern kannst. „Ich bin da.“ Da, bei Jesus in seinem Alleinsein, ist noch ein Platz für dich frei.

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  Können auch wir gute Hirten sein?

Können auch wir gute Hirten sein?

Heiko Frubrich, Prädikant - 22.03.2023

Können auch wir gute Hirten sein?
Über dem heutigen Tag heißt es aus dem Buch des Propheten Hesekiel: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken.“ Es ist das Bild des Hirten, der sich um seine Schafe sorgt und kümmert. Gott verwendet dieses Bild, um sein Verhältnis zum auserwählten Volk Israel zu beschreiben. Doch diese Worte gelten spätestens seit Jesus Christus auch für uns. Er sagt von sich selbst: „Ich bin der gute Hirte.“
Ihm ist daran gelegen, Menschen zurückzuholen, die sich aus der christlichen Gemeinschaft verabschiedet haben, die herausgefallen sind, die ihren Glauben verloren haben, deren Beziehung zu Gott in die Brüche gegangen ist. Und er macht in einem Gleichnis deutlich, welch hohen Stellenwert das für ihn hat. Der Hirte wird 99 Schafe allein lassen, um das 100. zu suchen, das verloren gegangen ist.
Doch nicht nur Gott gehen Menschen verloren. Auch in anderen Lebensbereichen ist das zu beobachten. So gibt es Staatsführer, die sich offensichtlich von dem früher gelten Konsens abwenden, dass Krieg kein legitimes Mittel von Politik ist – so passiert bei uns Europa vor mittlerweile mehr als einem Jahr. Und es steht mit einem Blick auf Taiwan zu befürchten, dass das Schule machen könnte.
Doch wir brauchen gar nicht so weit zu gehen. In unserem Land scheint es immer mehr Menschen zu geben, die bereit sind, unsere Demokratie und unseren Rechtstaat zur Disposition zu stellen. Sie skandieren in Demonstrationen „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ und verkennen dabei, dass sie genau das haben, dass genau das, was sie fordern überhaupt erst ermöglicht, dass sie auf die Straße gehen können.
Die Gründe für ein solches Verhalten sind vielfältig und oftmals ist das Verabschieden von einem bisher nicht in Frage gestellten Wertesystem ein langer Weg, der von Enttäuschungen und von wachsendem Misstrauen begleitet wurde. Und häufig sind Menschen auch durch bewusst gesteuerte Fehlinformationen manipuliert worden. Es fällt nachweislich schwer, aus diesem System wieder auszubrechen, wenn nur noch die einschlägig bekannten Informationsquellen oder besser gesagt: Desinformationsquellen genutzt werden.
Vielleicht haben Sie es selbst schon erlebt, wie schwer es ist, sich mit sogenannten Querdenkern, Reichsbürgern oder Coronaleugnern sachlich auseinanderzusetzen. Es ist schwer, zu argumentieren, wenn vom Gegenüber alle Quellen als unseriös und politisch gesteuert abgelehnt, und nur noch bestimmte Kanäle auf Telegram und Facebook und der russische Fernsehsender RT akzeptiert werden. Gegen das Totschlagargument „Lügenpresse“ oder so manche Verschwörungstheorie ist kaum anzukommen.
Doch diese Menschen aus unserer Gemeinschaft einfach ziehen zu lassen, birgt große Risiken für unsere Freiheit insgesamt in sich. Und so bleibt aus meiner Sicht tatsächlich nur, sich im Freundes- und Bekanntenkreis solchen Gesprächen zu stellen, so anstrengend und aussichtlos sie auch erscheinen mögen. Denn vielleicht gelingt es ja doch, einen Menschen davon zu überzeugen, dass Corona nicht vom Großkapital gesteuert wurde, um die Erdbevölkerung zu reduzieren und aus Flugzeugtriebwerken Kondensstreifen kommen und keine giftigen Chemikalien, mit denen wir beregnet werden.
Vielleicht können wir uns die heutige Tageslosung diesbezüglich ja tatsächlich zu eigen machen: „Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen.“ Gottes Hilfe sollte uns dazu sicher sein. Amen.

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  Internationaler Tag gegen Rassismus

Internationaler Tag gegen Rassismus

Heiko Frubrich, Prädikant - 21.03.2023

„Unsere Gesellschaft kann Rassismus überwinden. Erfreulich sind die seit Jahren wachsenden Aktivitäten rund um den Internationalen Tag gegen Rassismus. Das ist ein beeindruckendes Zeichen zivilgesellschaftlichen Engagements.“ Diese Worte stammen von Jürgen Micksch, evangelischer Pfarrer und Vorstand der Stiftung gegen Rassismus.
Heute ist der Internationale Tag gegen Rassismus. Er wurde 1966 von den Vereinten Nationen ausgerufen und auf den 21. März gelegt. Sechs Jahre zuvor, am 21. März 1960 hatten über 5.000 Menschen in der Stadt Sharpeville in Südafrika friedlich gegen die diskriminierenden Passgesetze des seinerzeitigen Apartheit-Regimes demonstriert. Die mit großer Brutalität gegen die friedlichen Demonstranten eingesetzte Polizei erschoss 69 Menschen, über 180 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Als „Massaker von Sharpeville“ ging dieses Blutbad in die Geschichte ein.
Viele Jahrzehnte lang gab in unserem Land eine Stimmung und einen Grundkonsens, dass nach den Erfahrungen aus der NS-Zeit das Thema Rassismus in Deutschland ein für alle Mal erledigt wäre. Und tatsächlich gab es so gut wie keine rassistisch motivierten Übergriffe. Bedauerlicherweise hat sich das massiv geändert. Die Angst vor einer drohenden Überfremdung wird insbesondere aus der rechten Ecke des politischen Spektrums geschürt und selbst Parlamentsabgeordnete aus den Landtagen und dem Bundestag scheuen sich nicht davor, ganz offen mit Neonazis gegen Wohnheime für Geflüchtete zu demonstrieren und dabei lauthals Hassparolen gegen diese Menschen aber auch gegen Politikerinnen und Politiker zu skandieren. Die Partei, der sie angehören, sitzt in den Parlamenten passenderweise stets am rechten Rand des Plenums.
Und es bewahrheitet sich vor unser aller Augen die alte Regel, dass aus Gedanken Worte werden und aus diesen Worten Taten. Und diese Taten kosten mittlerweile auch in unserem Land Menschenleben. Erinnern wir uns an die Toten von Hanau, an die Toten von Halle, an den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten. Ich könnte diese Reihe fortsetzen.
Das Motto des diesjährigen Tages gegen Rassismus lautet: „Misch Dich ein!“ Ich will niemanden für irgendetwas vereinnahmen, aber diese Worte könnten auch der Bibel entstammen, denn sie spiegeln das wieder, was uns Jesus Christus vorgelebt hat. Er hat sich eingemischt, wo Menschenwürde und Menschenrechte gefährdet waren. Und er hat dabei immer die Menschen gesehen und nur die Menschen, unabhängig davon, wo sie herkamen, welchen Glauben sie hatten oder welchen gesellschaftlichen Status. All das war ihm vollkommen egal.
Und so ist auch jegliche Form von Rassismus, gegen wen sie sich auch immer richten mag, mit christlichen Werten absolut unvereinbar. Gottes Liebe ist universell. Sie gilt jeder und jedem. Oder wie Paulus es im Galaterbrief schreibt: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ Amen.

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  DER GEIST DER KRAFT, DER LIEBE UND DER BESONNENHEIT

DER GEIST DER KRAFT, DER LIEBE UND DER BESONNENHEIT

Heiko Frubrich, Prädikant - 20.03.2023

„Herzlich tut mich verlangen nach einem selgen End, weil ich hier bin umfangen mit Trübsal und Elend. Ich hab Lust abzuscheiden von dieser argen Welt, sehn mich nach ewgen Freuden: O Jesu, komm nur bald.“
So lautet die erste Strophe des Chorals, dessen Melodie uns heute in unterschiedlichen Bearbeitungen durch den Abendsegen begleitet. Als Christoph Knoll den Text 1599 verfasste, tobte die Pest in Deutschland. Das erklärt die Düsternis, die die Worte ausstrahlen.
Die Pest ist seit Jahrhunderten bei uns kein Thema mehr und dennoch kann ich verstehen, dass Menschen in Lebenssituationen geraten, in denen sie so denken, wie Knoll es in Worte gefasst hat. Ich hab Lust abzuscheiden von dieser argen Welt, sehn mich nach ewgen Freuden: o Jesu, komm nur bald.
Ich denke an die Menschen in Luhansk, Mariupol oder Donezk, die in den Trümmern ihrer Städte oft ohne Heizung und Strom den Winter überstehen mussten, oft in Angst um Familienmitglieder, die an der Front gegen die russische Armee kämpfen müssen. Ich denke an die Menschen, die in den Erdbebenregionen obdachlos geworden sind, die liebe Menschen verloren haben und die nun noch von einer Flutkatastrophe bedroht werden. Ich hab Lust abzuscheiden von dieser argen Welt. Ja, ich kann verstehen, dass irgendwann die Lebenskraft und der Lebensmut einfach nicht mehr ausreichen, um sich all dem zuversichtlich zu stellen.
Und wir? Ohne Frage treffen auch uns in unserem Leben Schicksalsschläge, die nur schwer zu verkraften und ebenso schwer zu verstehen sind. Und ja, es mag Situationen geben, die tatsächlich so ausweglos erscheinen oder es auch sind, dass wir unser Lebensende herbeisehnen und Jesus bitten, uns zu sich zu nehmen.
Doch grundsätzlich darf eine solche Haltung nicht dazu führen, dass wir vergessen, dass Gott mit uns etwas vor hat auf dieser Welt. Jesus hat keine Hände, nur unsere Hände, so heißt es in einem alten Gebet. Er kann und will durch uns handeln, will durch uns diese Welt zu einem besseren Ort machen, als sie es derzeit ist. Ich finde, dass wir uns dieser Aufgabe erst einmal stellen sollten, jeder und jede so gut es eben geht.
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken!“ Das ist Jesu Einladung an uns. Und bevor wir resigniert die Hände in den Schoß legen, sollten wir diese Einladung annehmen und bei ihm und in unserem Glauben Kraft und Zuversicht suchen.
Denn schon Paulus wusste: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und Besonnenheit!“ Daran dürfen wir uns erinnern – auch und gerade, wenn uns unser Lebensweg mal wieder über ruppiges Kopfsteinpflaster führt. Amen.

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  Wer nur den lieben Gott lässt walten…

Wer nur den lieben Gott lässt walten…

Heiko Frubrich, Prädikant - 18.03.2023

Vor kurzem wurden die aktuellen Zahlen über die Mitgliederentwicklung der beiden großen Kirchen in Deutschland veröffentlicht und erwartungsgemäß sahen diese aus kirchlicher Sicht nicht besonders freundlich aus. Die Zahl der Austritte blieb auf hohem Niveau, teilweise gab es wohl auch Nachholeffekte aus der Coronazeit, weil mach Austrittswilliger oder manch Austrittswillige ihre Vorhaben mangels Termin beim Standesamt nicht umsetzen konnten. Wie dem auch sei: Auch in 2022 sind wir weniger geworden.
Was macht man nun als Kirche, was macht man nun als überzeugter Christenmensch mit diesen Zahlen? Nun ganz wichtig ist natürlich die Frage nach den Gründen, die Frage nach eigenen Fehlern und Schwachstellen und die Frage nach Verbesserungspotentialen. Sind wir als Kirche nah genug bei den Menschen? Hört man uns überhaupt noch zu? Erreichen wir auch jene, die nicht regelmäßig in unsere Gottesdienste kommen und ist der Gottesdienst überhaupt noch die zentrale Lebensäußerung der Kirche? Was erwartet man von uns und können wir diese Erwartungshaltungen erfüllen, ohne dabei das Evangelium aus dem Blick zu verlieren?
Es ist nicht so ganz banal, umfassende Antworten auf diese Fragen zu finden und es ist noch weniger banal, aus den Antworten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Hierbei gilt es, einen Mittelweg zu finden zwischen den aus Resignation in den Schoß gelegten Händen auf der einen Seite und einem aus Panik erwachsendem blinden Aktionismus auf der anderen Seite. Das ist nicht immer so ganz leicht.
Lukas Lattau wird gleich über eine Choralmelodie improvisieren und der dazugehörige Choraltext ist, wie ich finde, im beschriebenen aber auch in anderen Entscheidungsdilemmata ein wertvoller Ratgeber. „Wer nur den lieben Gott lässt walten, den wir er wunderbar erhalten“, das lehrt uns die erste Strophe.
Gott walten zu lassen, heißt nun nicht etwa, dass wir damit komplett raus sind aus der Nummer – ganz im Gegenteil. Wir sollen uns sehr wohl engagieren und einbringen. „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das deine nur getreu“, schreibt uns der Verfasser Georg Neumark in unser Pflichtenheft. Doch er fügt hinzu, dass wir bei allem, was wir tun und lassen, unsere optimistische Grundhaltung nicht verlieren sollen. „Denn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verlässt er nicht“, so heißt es weiter im Choraltext.
Schlussendlich sind wir Christinnen und Christen nicht dafür verantwortlich, dass sich der Glaube unter den Menschen vermehrt. Daran würden wir uns auch hoffnungslos überheben. Es ist einzig und allein Gott selbst, der Menschen zum Glauben führt, ihn verschenkt und darüber entscheidet, wie er in dieser Welt wirkt.
„Man halte nur ein wenig stille und sei doch in sich selbst vergnügt, wie unsres Gottes Gnadenwille, wie sein Allwissenheit es fügt.“ Ich finde es wohltuend entlastend, dass wir uns nicht um alles selber kümmern müssen. Wir dürfen sicher sein, dass Gott uns seine Hand auf die Schulter legt und uns freundlich sagt: „Mach, so gut du es kannst. Aber vergiss nicht: Ich bin ja auch noch da!“ Amen.

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  Beziehungspflege

Beziehungspflege

Heiko Frubrich, Prädikant - 17.03.2023

Es gibt zwei große Buß- und Fastenzeiten im Kirchenjahr: den Advent vor Weihnachten und die Passionswochen vor Ostern. Der Advent hat diesen Charakter allerdings seit geraumer Zeit vollkommen verloren. Er ist in einem Leben, das sich nicht hinter Klostermauern abspielt so von Aktivitäten und Festivitäten geprägt wie kaum eine andere Zeit im Jahr. Und so bleiben uns tatsächlich nur die sieben Wochen vor Ostern übrig, in denen wir, wenn man so will, „in Ruhe“ das leben und erleben können, was eine Buß- und Fastenzeit ausmacht.
Buße zu tun, bedeutet in diesem Zusammenhang nun nicht, in irgendeiner Form bestraft zu werden, wie es Worte wie zum Beispiel „Bußgeld“ suggerieren könnten. Büßen im christlichen Sinne bedeutet eher, sich selbst, das eigene Verhalten und das eigene Wertesystem auf den Prüfstand zu stellen und konstruktiv kritisch zu hinterfragen. Und dabei soll auch unser Verhältnis zum Glauben und zu Gott nicht außen vor bleiben.
Und ich finde es gut evangelisch, nicht nur auf das zu schauen, was bei uns nicht so toll gelaufen ist, sondern durchaus auch Fragen an Gott zu richten. Ja, Gottes Friede, sein Tun und Lassen und Wirken ist höher als all unsere menschliche Vernunft, das hat schon Paulus erkannt. Aber Fragen an Gott zu richten, ist dennoch erlaubt und absolut sinnvoll, denn wenn wir versuchen, all das, was wir auf dem Herzen haben, allein mit uns selbst auszumachen, werden wir scheitern. Dazu gibt es das Gebet und das sollten wir dann auch nutzen.
Wie sollten die Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt mit Gott ins Reine kommen, wenn sie ihm gegenüber ihr Unverständnis über ihr eigenes Schicksal nicht mitteilen dürften. Wie schwer wäre es, wenn wir mit Gott nicht auch hadern dürften, weil wir nicht verstehen, wenn uns eine schwere Krankheit trifft oder wir einen geliebten Menschen verlieren.
Gott ist uns treu, das steht außer Frage, doch er selbst räumt ein, dass er sich im Zorn durchaus für einen kurzen Moment von uns Menschen abgewandt und uns für einen kleinen Augenblick verlassen hat. Und wenn wir uns von ihm verlassen fühlen, darf er das wissen.
Für mich sind die Wochen vor Ostern eine gute Zeit für eine solche Beziehungspflege, denn nichts ist schlimmer als ein still vor sich hin gärendes Misstrauen. Das sollten wir in jedem Fall klären – gegenüber unseren Mitmenschen genauso wie gegenüber Gott.
Und wir dürfen uns bei alledem an seine Zusage erinnern, die über allem steht und die lautet: „Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.“ Amen.

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  Paul ist wieder da!

Paul ist wieder da!

Heiko Frubrich, Prädikant - 16.03.2023

Paul ist wieder da! Er sitzt in der Sonne auf seinem angestammten Platz und macht einen zufriedenen Eindruck. Ein paar Monate war er weg, hatte, wie jedes Jahr bevor der Winter kommt, wärmere Gefilde aufgesucht. Nun ist er zurück und alle, die ihn sehen, wissen, dass es nun bald wieder Frühling werden wird.
Paul ist einer von mehreren Störchen, die in meinem Heimatort Wendeburg leben. Er hat sein Nest hoch über den Dächern des Ortes und zaubert bei allen, die vorbeikommen, ein Lächeln ins Gesicht. Er ist tatsächlich Dorfgespräch. Die Nachricht über seine Rückkehr verbreitet sich wie ein Lauffeuer, sie ist Gesprächsthema im Wartezimmer und in den Schlagen an den Supermarktkassen. Paul ist wieder da!
Bei mir löst seine Rückkehr mehr aus als nur Vorfreude auf den Frühling. Für mich ist es jedes Mal ein kleines Wunder, was sich dort vollzieht. Denn ich weiß, dass Paul eine Reise von möglicherweise 10.000 Kilometern hinter sich hat und treffsicher aus Zentral- oder Südafrika kommend sein Nest in Wendeburg wiedergefunden hat – ohne Landkarte, ohne Navi, ohne die Möglichkeit, jemanden nach dem Weg zu fragen.
Im 1. Buch Mose heißt es: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Das verspricht uns Gott höchstpersönlich. In vielerlei Hinsicht wird dieses Versprechen erlebbar und eben auch darin, dass die Störche wieder zu uns zurückkommen.
Es gibt Kostanten in dieser Welt und in unserem Leben, auf die wir uns verlassen können. Es gibt Kostanten, die waren, die sind und die bleiben, völlig unabhängig davon, was in dieser Welt und in unserem Leben passiert. Und das ist auch gut so. Wir werden uns auch in diesem Jahr an der wiedererwachenden Natur freuen dürfen. Auch in der Ukraine und in den Erdbebengebieten in der Türkei und in Syrien werden, so wie in Deutschland im Ahrtal, die Bäume wieder grün werden, die Blumen wieder blühen und die Frühjahrssonne die geschundene Erde und die verzweifelten Menschen wärmen.
Und es wird Augenblicke geben, in denen trotz allem Leid und trotz aller Trauer Gottes Gegenwart spürbar und erlebbar sein wird. Denn so hat es uns sein Sohn zugesagt: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Darauf dürfen wir uns verlassen. Amen.

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  Vertrauen wagen!

Vertrauen wagen!

Heiko Frubrich, Prädikant - 15.03.2023

Wir sind mittendrin in der Passionszeit, zwischen den Sonntagen Okuli und Laetare. In dreieinhalb Wochen ist Ostern, das Fest, auf das wir in diesen Tagen und Wochen hinleben. Doch bis es soweit ist, kommen wir nicht umhin, uns intensiv mit Jesu Leiden und Sterben auseinanderzusetzen. Und diese Auseinandersetzung wirft zumindest bei mir immer wieder Fragen auf und rüttelt mitunter kräftig an meinem Gottesbild.
Warum all diese Grausamkeiten? Warum dieses unsägliche Leiden und dieses so qualvolle Sterben? „Wie sich ein Vater über seine Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten.“ So heiß es im 103. Psalm. Aber hat Gott sich seinem Sohn gegenüber wirklich als barmherziger Vater gezeigt? Er lässt ihn demütigen, foltern und ermorden. Ganz ehrlich: Von einem Vater erwarte ich irgendwie mehr Fürsorge. Warum all das?
Eine Antwort ist schwer zu finden. Ich will es dennoch versuchen. Ich glaube, dass es genau so sein musste, weil Leben eben auch so sein kann. Gott sei Dank ist es nicht bei uns allen so dramatisch und so grausam wie bei Jesus Christus. Doch kein Mensch wird nur in vollkommenem Glück und tiefer Zufriedenheit leben, um dann kerngesund und hundertjährig sanft und selig zu sterben. So funktioniert Leben nicht.
Die Passionszeit führt uns alljährlich vor Augen, wozu Menschen fähig sind und dass sie in ihrem Größenwahn und ihrer Machtbesessenheit noch nicht einmal vor Gott selbst zurückschrecken. Und der diesen Gewaltexzessen ausgesetzte Jesus Christus zeigt uns, dass selbst in den scheinbar ausweglosesten Situationen unser Gottvertrauen nicht enttäuscht werden wird. Denn am Ende allen Leidens und am Ende aller Dunkelheit leuchtet das Licht des Ostermorgens auf – gegen alle menschliche Vernunft, gegen alle menschliche Erwartungshaltungshaltung, gegen alle Verzweiflung.
Gott begleitet seinen Sohn durch dessen Leid. Er erspart es ihm nicht, aber er lässt ihn nicht allein, sondern trägt ihn hindurch. Und Jesus vertraut darauf. Nur so kann er die Kraft und den Mut finden, all das überhaupt auf sich zu nehmen. Er hätte genug Gelegenheiten gehabt, es von sich abzuwenden. Ein Widerruf seiner Aussagen vor dem Hohen Rat in Jerusalem hätte gereicht und er hätte als freier Mann nach Hause gehen und dort ein ruhiges Leben führen können. Doch das tut er nicht, denn er weiß, dass sein Weg ein anderer ist und er vertraut darauf, dass es am Ende gut werden wird.
So zu vertrauen, lädt er uns ein. Schaut auf mich, sagt er, und seht, wie ich getragen wurde – hinein in eine wunderbare Zukunft. Gott war da für seinen Sohn und er ist da für Sie und für Euch und für mich – gestern, heute und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

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In der Zeit von Anfang Januar bis Mitte März finden keine öffentlichen Führungen statt!