Das Wort zum Alltag

Seit dem 1. Dezember 1968 gibt es von Montag bis Freitag um 17.00 Uhr und Samstag um 12.00 Uhr eine kurze Andacht mit Gebet, die von Orgelmusik gerahmt wird.
Wir möchten Menschen damit ermöglichen für ihre eigene Praxis pietatis eine regelmäßige Form zu finden. Zugleich birgt das Format die Möglichkeit auf die jeweils aktuellen Ereignisse in unserer Stadt und unserer Welt zu reagieren.

Während des Advents und der Friedensdekade hat das Wort zum Alltag einen besonderen Akzent. Das Wort zum Alltag wird in der Regel von der Dompredigerin, sowie von anderen Braunschweiger Pfarrerinnen und Pfarrern und Prädikanten gehalten. Die umrahmende Orgelmusik übernehmen die Kantoren des Braunschweiger Doms.

  Papst Leo XIV.

Papst Leo XIV.

Marc Bühner, Pfarrhelfer am Braunschweiger Dom - 19.05.2025

Weißer Rauch am Abend des 8. Mai 2025 über der Sixtinischen Kapelle zeigte an: Es gibt einen neuen Papst! Und wieder eine Sensation bei einer Papstwahl.
Erinnern wir uns: 2005 war es schon eine Sensation, dass ein Deutscher Papst wurde und dann legte Papst Benedikt XVI., als erster Papst nach 700 Jahren, 2013 sein Amt nieder. Wieder eine Sensation und es folgte die nächste: Der folgende Papst kam aus Latein-Amerika. Kein Italiener, kein Europäer wurde neues Oberhaupt der katholischen Kirche, sondern Kardinal Jorge Mario Bergoglio aus Buenos Aires wurde Papst Franziskus und somit Stellvertreter Christi auf Erden. Und das auch noch schnell in nur 5 Wahlgänge. Als Franziskus dann am Ostermontag plötzlich verstarb, schaute die Welt wieder nach Rom, wo am 5. Mai das Konklave begann. Und dieses Mal brauchte es sogar nur 4 Wahlgänge bis der neue Papst feststand. Und wieder eine Sensation, etwas womit niemand gerechnet hatte. Nach einem Deutschen und einem Argentinier sitzt nun ein Amerikaner auf dem Stuhl Petri: Kardinal Robert Francis Prevost ist nun der 267. Papst, Papst Leo XIV.
Also: „Amerika ist Papst“ und die Menschen auf dem Petersplatz jubelten, als Papst Leo XIV. gestern in einem feierlichen Gottesdienst in sein Amt eingeführt wurde und auch schon, als er vor dem Gottesdienst eine Runde über den Petersplatz im Papamobil drehte. Nah bei den Gläubigen, nah bei den Menschen. Als „Menschenfischer“ betitelte ihn das ZDF während der gestrigen Übertragung. Ja, dass ist ja nun der ureigene Auftrag der Nachfolger Petri, denn Jesus sagte zu Simon Petrus: „Fürchte dich nicht; denn von nun an wirst du Menschen fangen.“ Und Papst Leo ist solch ein Mensch, denn das hat er in seinen 20 Jahren in Peru unter Beweis gestellt. Ein Bischof auf Augenhöhe der Menschen. Ob er das, was er in Peru war, nun auch noch als Bischof von Rom sein kann? Am Ende der Amtseinführung zeigte er es, indem er das Protokoll brach: Er nahm seinen älteren Bruder in den Arm und sie klopften sich auf den Rücken. Mehrfach wurde dieser Moment dann in den Medien gezeigt.
Ein Papst also, der sich menschlich zeigt und den Menschen nahe sein will, so wie sein Vorgänger, sind sie sich doch sehr ähnlich. Es heißt ja nun auch, dass er den Weg seines Vorgängers weiter gehen will. Aber er wird wohl auch noch andere Wege einschlagen müssen, um das Schiff der katholischen Kirche durch kommende Zeiten hindurch auf Kurs zu halten.
Ja, wieder ruhen viele Hoffnungen auf dem neuen Papst! Vor allem, weil er noch so „jung“ ist mit seinen 69 Jahren. Was kann man alles von ihm erwarten? Welche Probleme wird er angehen? Welche Wege einschlagen? Wird es große oder nur kleine Veränderungen geben? Die Zeit wird es zeigen.
Aber was interessiert nun uns hier in Braunschweig, vor allem uns Protestanten, wer auf dem Stuhl Petri sitzt? Haben wir doch so gesehen nichts mit dem Papst zu schaffen.
Ich denke schon, dass es auch für uns interessant ist, wer an der Spitze der katholischen Kirche steht, denn sein Wort hören viele und hat Gewicht in der Welt und wir stellen die Frage: Wie wird der neue Papst mit allen aktuellen Fragen umgehen? Und wird es eine Annäherung zwischen den Konfessionen geben?
Wir sind eins am Leib Christi. Ja Christen, trotz allen unterschiedlichen Denkens. Wir verstehen uns als Kirche Jesu Christi und haben den gemeinsamen Glauben an den dreieinigen Gott und versuchen unser Leben nach dem Leben Jesu, unseres Heilandes und Bruders, auszurichten.
Im ersten Korintherbrief lesen wir: „Wie der Leib einer ist und hat doch viele Glieder, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.“

Download als PDF-Datei

  Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…

Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…

Katja Witte-Knoblauch, Pröpstin (Helmstedt) - 17.05.2025

Jubilate. Jubelt!
Das ist der Name des Sonntags, mit dem diese Woche begonnen hat.
Jubilate.
Mir persönlich fiel das am vergangenen Sonntag leicht, als wir im Konfirmationsgottesdienst unseres Neffen saßen. Festlich war es, der Knabe und überhaupt alle Konfis très chic, und gleichzeitig so wunderbar unterwegs im Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein.
Junge Menschen auf ihrem Weg. Sie sind, wie ich finde, jedes Mal wieder großartig anzusehen.
Der Gottesdienst war durchzogen von Texten, die die Konfis selbst geschrieben hatten.
Spätestens mit den Fürbitten wurde dann deutlich, dass diese jungen Leute sich schon ganz erwachsene Gedanken machen über das, was gerade los ist in dieser Welt.
Sie haben ihre Sorgen und Gedanken ins Gebet gelegt.
Wie gut, denke ich, denn genau da gehört all das hin.
Im Gebet können wir unserer Seele Luft und Raum geben, loslassen und rufen: mach Du, Gott. Leite und führe mich, öffne mir die Augen und die Ohren gleich dazu, weise mir Wege, die hilfreich sind. Und bitte nicht nur mir, sondern auch den anderen, jenen, die die Macht haben, mit ihren Worten diese Welt zu verändern.
Das Gebet als Moment der Lösung anstelle der Selbstüber-forderung.
Doch Beten fällt manchmal schwer. Deshalb fragten schon die Jünger Jesu: „Was sollen wir beten?“
Die Antwort Jesu war das Vaterunser.
Dieses wunderbare Gebet, das uns noch dann den Mund auftun lässt, wenn uns selbst Worte längst weggeblieben sind.
Am Tag nach der Konfirmation war ich auf der Trauerfeier eines Menschen, den ich sehr mochte. Wir hatten uns aus den Augen verloren und erst vor kurzem habe ich erfahren, dass dieser alte Junggeselle seit inzwischen drei Jahren glück¬lich liebt und lebt. Wie hatte ich mich gefreut für ihn.
Doch dann: ein Moment nur. Ein Leben endet, das andere bricht unmittelbar vom Glück in die Trauer, in die Wut, in den Unglauben, in den Zorn… und dann die Gebets¬worte: „Dein Wille geschehe.“ Puh.
Loslassen – und begreifen, dass wir als Menschen nicht alles in der Hand haben. Nicht können, nicht müssen, nicht einmal dürfen.
Wir sind in der Osterzeit. Und wir jubeln nicht über irgendetwas, nicht einmal über die tollen jungen Menschen, die derzeit konfirmiert werden. Auch wenn die natürlich allen Jubels wert sind!
Nein, wir jubeln tatsächlich über das, was dem Christus widerfahren ist. Wir jubeln, dass kein Leid dieser Welt das letzte Wort hat.
Wir klagen. Wir trauern. Wir zürnen.
Auch gegenüber unserem Gott.
Um dann zu beten:
Dein Wille geschehe. Wie im Himmel, so auf Erden.
Diese Worte sind mir Zumutung und Hoffnung zugleich.
Und darin Trost.
Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…

Download als PDF-Datei

  X - Xerxes

X - Xerxes

Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.05.2025

X – Xerxes
Der auch Ahasveros genannt wird, war ein persischer König, der über ein Riesenreich zwischen Indien und Ägypten herrschte. In einer Zeit, in der Bilder, nicht wie heute, blitzschnell um die Welt gehen und wir bis an ihre Enden fliegen, war ein Reich dieser Größe ein Konstrukt jenseits menschlicher Vorstellungskraft.
Soweit man weiß stand der Thron des Xerxes in Susa. Gelegen im Schwemmland südlich der Gebirge unweit des Persischen Golfes schöpfte Susa nicht nur landwirtschaftlich aus der Fülle; die Stadt lag auch an einer wichtigen Fernhandelsstraße. Wenn der König dort residierte, dann wird es ihm ein Leichtes gewesen sein, mit Luxusgütern aller Art zu beeindrucken.
Man ahnt also, was es bedeutet hat, wenn dieser Herrscher ein Gastmahl für die Fürsten seines Reiches veranstaltete.
180 Tage lang protzte Xerxes mit dem Glanz seiner Herrschaft. Damals wie heute waren beim Gipfeltreffen der Mächtigen Männer unter sich. Darum ist es nicht nur den Gebräuchen alter Zeit geschuldet, dass seine Frau – Königin Wasti – eigene Feierlichkeiten für Frauen ausrichtete.
Ein Sprichwort sagt: „Nichts ist anstrengender zu ertragen als eine Reihe von festlichen Tagen.“ So war es wohl auch hier.
Xerxes manövriert sich jedenfalls in eine Situation, in der seine Souveränität Schaden nimmt, als er am siebenten Tag mutmaßlich wenig charmant vor allem nicht der Würde seiner Frau angemessen - mit ihrer Schönheit vor seinen Gästen angeben will.
Sie soll sich zeigen, präsentieren.
Aber Wasti spürt, was alle solche Situationen prägt: dass sie hier zum Objekt diversen Begehrens gemacht werden wird. Womöglich fürchtet sie um ihre Unversehrtheit – ganz sicher aber um ihre Selbstbestimmtheit.
So sagt sie „Nein“. Klar und deutlich.
Und weil ein Nein ein Nein ist, kommt Wasti nicht.
Aber Xerxes ist weit davon entfernt, solches „Nein!“ zu akzeptieren. Im Gegenteil: er erlebt Wastids „Nein“ als Gesichtsverlust, den er nicht erträgt. Die gekränkte Eitelkeit schmerzt ihn erheblich mehr als eine verletzte Frau.
Und weil Macht und Gewalt Hand in Hand gehen, wird Wasti verstoßen, ausgelöscht, ersetzt.
Aber Xerxes will nicht ohne Frau sein. So lässt er suchen und findet Esther, eine Jüdin, ohne zu ahnen, dass sie eine Schwester im Geist ihrer tapferen Vorgängerin ist.
Durch diese beiden Frauen wird er – Xerxes – das Werkzeug einer größeren Geschichte, eines mächtigeren Herrn. Xerxes wird diese Geschichte Gottes schreiben und das Volk seiner Frau schützen. So verbindet sich mit Xerxes das Purimfest.
Aber das hat ein P.

Download als PDF-Datei

  „Seid Menschen!“

„Seid Menschen!“

Heiko Frubrich, Prädikant - 14.05.2025

Im November des letzten Jahres hat sie einen Bambi in der Kategorie „Mut“ erhalten – eine seltene aber sehr verdiente Auszeichnung. Am vergangenen Freitag ist sie gestorben, mit 103 Jahren, Margot Friedländer. Als einzige aus ihrer engeren Familie überlebte sie den Holocaust. Bis zu ihrer Befreiung im April 1945 war sie im KZ Theresienstadt interniert. 1946 emigrierte sie zusammen mit ihrem Mann in die USA, nahm die amerikanische Staatsangehörigkeit an und führte, wie sie selbst über sich sagte, ein ziemlich normales amerikanisches Leben.
Nach dem Tod ihres Mannes 1997 begann Margot Friedländer über ihr Leben zu schreiben. Ihr erstes Buch schilderte die Befreiung aus dem KZ Theresienstadt, was dazu führte, dass neue Kontakte zu Medienschaffenden in Deutschland entstanden. Die Erinnerungsarbeit an die NS-Zeit und an den Holocaust wurde mehr und mehr zum neuen Lebensinhalt, so dass Margot Friedländer 2010 in ihre alte Heimatstadt Berlin zurückkam.
Sie wirkte bis zu ihrem Lebensende an der Erstellung von Publikationen, Dokumentarfilmen und sonstigen Medien mit. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit lag im direkten Kontakt mit jungen Menschen. So besuchte sie regelmäßig Schulklassen und sprach über ihre Erfahrungen, über die Zerbrechlichkeit von Demokratie und Freiheit und über die aktuellen politischen Gefahren unserer Zeit.
Mit Margot Friedländer verlieren wir als Gesellschaft eine der letzten Zeitzeuginnen des finsternsten Kapitels der deutschen Geschichte. Ihre Arbeit weiterzuführen ist, wie ich finde, Verpflichtung für uns alle.
Aktives Erinnern ist das einzige Mittel, das gegen das Vergessen hilft. Das gilt in allem. Und selbst so etwas Wunderbares, Befreiendes und Erfüllendes wie Gottes frohe Botschaft kann dem Vergessen anheimfallen, wenn wir sie nicht immer wieder bezeugen und von ihrer lebensverändernden, ja lebensverbessernden Kraft erzählen.
Und nicht nur das: Ein Blick in diese Welt zeigt, wohin die Reise geht, wenn Jesu Worte „Friede sei mit Euch!“ und „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ im Lärm unserer Zeit nicht mehr gehört werden. Ja, manchmal braucht es Mut, darauf hinzuweisen. Hierzulande reicht es aus, die Freiheit, die wir haben, sinnvoll zu nutzen.
Margot Friedländer hingehen brauchte Mut, für das, was sie getan hat, denn sie wurde mehr als nur einmal gedemütigt und angefeindet. Und sie hat mit ihrem Leben gezeigt, dass Mut und Bescheidenheit einander gut begleiten können. Bei der Bambi-Verleihung im vergangenen November hat sie auch nur einen einzigen Satz gesagt, der für uns alle richtungsweisend sein kann. Sie sagte: „Danke! Seid Menschen.“ Amen.

Download als PDF-Datei

  Konfirmation

Konfirmation

Marc Bühner, Pfarrhelfer am Braunschweiger Dom - 12.05.2025

Ein Pfarrer hatte in seiner Kirche ein Tauben-Problem. Egal was er auch veranlasste, die Tauben blieben im Turm.
Eines Tages traf er einen Kollegen und im Gespräch stellte sich heraus, dass der Kollege früher auch ein Tauben-Problem in seiner Kirche hatte. So fragte der Pfarrer seinen Kollegen, wie er es geschafft habe, den Kirchturm frei von Tauben zu bekommen. Dieser antwortete: „Ganz einfach. Ich habe die Tauben getauft und dann konfirmiert. Danach flogen sie aus und kamen nicht mehr zurück.“
Gestern haben sich unsere zu Konfirmierenden im Gottesdienst vorgestellt, nachdem sich sich am vergangenen Samstag den ganzen Tag darauf vorbereitet haben und am kommenden Sonntag werden sie hier im Dom nun konfirmiert.
Sie haben es geschafft, naja fast. Jetzt nur noch am kommenden Samstagabend den Rüstgottesdienst hinter sich bringen und dann ist der große Tag da.
Können Sie sich noch an Ihren großen Tag, den Tag der Konfirmation erinnern? Ich kann mich noch gut daran erinnern, denn unser Pfarrer predigte 40 min lang und der ganze Gottesdienst dauerte 2,5 Stunden. Sowas bleibt in Erinnerung. Aber nicht nur deswegen. Mein Patenonkel gab mir an diesem Tag einen Ratschlag: "Sei ehrlich, strebsam und bescheiden, dann werden andere im Leben dich beneiden!" Ja, auch das ist in Erinnerung geblieben und ich hoffe, dass ich diesen Ratschlag beherzigt habe.
Es ist schon eine gute Tradition, Konfirmation in der österlichen Zeit zu feiern. Normalerweise direkt an den beiden Sonntag nach Ostern, den Sonntagen Quasimodogeniti und Misericordias Domini. Das Fest, an dem das, was in der Taufe begann, vertieft und gefestigt werden soll. An welchen Sonntagen könnte man das Fest der Konfirmation besser feiern, als an den Sonntagen nach Ostern.
Taufe, Konfirmation und dann? Was kommt dann?
Die Jungen und das Mädchen werden durch die Konfirmation am kommenden Sonntag in die Erwachsenen-Gemeinde aufgenommen und ob sie dann ausfliegen wie die Tauben, das ist ihre Entscheidung. Ich denke, dass das Ausfliegen gut ist und auch dazugehört. Doch hoffe ich, dass (anders als in der kleinen Geschichte am Anfang) sie den Weg zurück finden. Ich hoffe, dass sie wissen, dass sie immer in diesen Wänden willkommen sind. Heute, morgen und in Zukunft.
„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ In dieser Aussage vereint sich nun alles: Ostern, Taufe, Konfirmation!
Und so wünsche ich nicht nur unser Konfirmandin und unseren Konfirmanden, sondern uns allen, dass wir erkennen, dass wir im Hause unseres Herrn immer willkommen sind und das wir hier hingehören, weil wir seine Kinder sind.

Download als PDF-Datei

  Orgelentdeckerwoche

Orgelentdeckerwoche

Marc Bühner, Pfarrhelfer - 10.05.2025

Wer in dieser Woche schon hier im Dom war, hat es vielleicht mal erlebt: Viele Kinder und Jugendliche verschiedener Schulen oder Gruppen unserer Domsingschule sitzen auf den Stufen vorm Siebenarmigen Leuchter und hören unserem Domorganisten Witold Dulski und unserem Kantor Robin Hlinka zu und zwischendurch füllen mal leise und auf einmal ganz laute Orgelklänge den Dom. Grund: Es ist "Orgelentdeckerwoche".
Was ist eine Orgel? Wie ist sie aufgebaut? Wie entstehen die Töne? Was macht eine Orgel aus? Ist es schwer so ein Instrument zu spielen?
Viele Fragen wurden gestellt und beantwortet, um die "Königin der Instrumente" den Kindern und Jugendlichen mal näher zu bringen und zu zeigen, dass Musik nicht nur aus dem Handy von Amazon Music oder Spotify kommt.
Aber am besten war es sicherlich für diejenigen, die sich trauten und es mal ausprobiert haben zu spielen. Da wurde die Frage, ob es schwer ist eine Orgel zu spielen, von alleine beantwortet. Johann Sebastian Bach sagte einst: „Alles, was man tun muss, ist, die richtige Taste zum richtigen Zeitpunkt zu treffen, und das Instrument spielt von ganz allein.“
Neben den vielen Orgelführungen, wie eben noch die öffentliche Führung vor dem Mittagsgebet, findet morgen noch die "Offene Orgelbank" statt. Hier kann jeder der mag und sich traut unter den fachkundigen Augen unserer Musiker mal selber unsere Orgeln ausprobieren. Und mit einem Konzert "Orgel + Blechbläser" schließt am Sonntag die Orgelentdeckerwoche dann ab.
Orgel... Was wissen Sie über dieses Instrument?
Der Einleitungstext bei Wikipedia lautet: "Die Orgel ist ein über Tasten spielbares Musikinstrument, welches eine über 2000-jährige Geschichte aufweist. Orgeln sind seit der Antike bekannt und haben sich besonders im Barock und zur Zeit der Romantik zu ihrer heutigen Form entwickelt. Die Gesamtanlage der Orgel, die künstlerische Gestaltung des Orgelgehäuses, die klangliche Gestaltung und die technische Anlage sind über viele Epochen der Kunst- und Technikgeschichte hinweg verändert und beeinflusst worden."
Und wenn man im Internet die Frage eingibt, seit wann Orgeln in Kirchen genutzt werden, findet mal folgende Antwort: "Die Orgel fand um 900 n. Chr. ihren Weg in die Kirchen. Wie und warum genau, bleibt ein Rätsel, doch es scheint, dass die Orgel zunächst für zeremonielle Zwecke genutzt wurde. Im 15. Jahrhundert war der Einsatz von Orgeln in Klosterkirchen und Kathedralen in ganz Europa etabliert. Obwohl die Meisten die Orgel mit der Kirche in Verbindung bringen, existierte das Instrument bereits über 1100 Jahre, bevor es seinen Weg in den Kirchenraum fand." Wussten Sie das?
Wir hier im Braunschweiger Dom können uns nicht nur an den Klängen einer Orgel erfreuen, sondern seit dem 1. Dezember 2023 haben wir noch eine zweite Orgel, unsere Chororgel. Gemeinsam mit der Hauptorgel, vom neuen Spieltisch gemeinsam spielbar, erfüllen beide Orgeln nun den Dom mit einem beeindruckenden Klang.
Ja, was für ein Klang, was für eine Fülle von Möglichkeiten, was für ein beeindruckendes Instrument: die Orgel. Sie begleitet den Gesang der Gemeinde und Chöre zum Lobe Gottes. Sie weckt durch ihren Klang Gefühle, Stimmungen, sie erfreut und tröstet. Sie ist mal laut und mal leise. Sie verkündet mit Ihrem Klang das Wort Gottes.
Erfreuen wir uns der Orgelklänge, immer wieder neu und bestaunen dieses Instrument und die Menschen, die durch ihr Können den Orgeln der Welt so wunderbare Töne entlocken.
In Psalm 68 lesen wir: „Singt Gott zu, musiziert seinem Namen!“

Download als PDF-Datei

  W – Wüste

W – Wüste

Cornelia Götz, Dompredigerin - 08.05.2025

W – Wüste
Auf hebräisch „midbār“. Man könnte meinen, dass es in einem trockenen Land viele verschiedene Wörter gibt, so wie die Inuit viele verschieden Vokabeln für das „Eis“ haben – aber so scheint es nicht zu sein. „Midbar“ steht für trockene oder halbtrockene in jedem Falle wasserarme Gebiete, die für Landwirtschaft und bäuerliche Ansiedlungen ungeeignet sind. Insofern unterscheidet das Wort nicht zwischen Wüsten und Steppen, wobei Letztere als Weidegebiete für die Herden der Halbnomaden wichtig waren.
Die Wüste symbolisiert Alten Testaments ähnlich wie das Meer eine chaotische Gegend. Darum war alles vor der Schöpfung wüst und leer.
Sie ist lebensfeindlich. Im Bibellexikon lese ich: „Fast alle Eigenschaften des Grabes: trostlose Ewigkeit, Gefangenschaft in der Nichtigkeit, Einsamkeit und Verlassenheit, Hunger, Durst, Ohnmacht, Zerstörung und Tod – sind zugleich Eigenschaften der Wüste. Wer sich in die Wüste hinausbegibt, der wird dort nicht nur an das Totenreich erinnert, sondern auch mit ihm konfrontiert“.
Allerdings war die Wüste nie leblos. Wilde Tiere, wie Strauße, Schakale, Wildesel, Eulen, Raben, Skorpione, Löwen, Schlangen und Heuschrecken sind hier zu Hause. Für Menschen, die sich der Gemeinschaft anderer entziehen mussten oder wollten, ist sie Zufluchtsort.
In die Wüste wurde schließlich der Sündenbock getrieben und mit ihm, was man loswerden musste.
Einerseits.
Und andererseits ist die Wüste wie die Nacht Bild und Ort der intensiven Gottesbegegnung.
Der Weg der Israeliten in die Freiheit führte durch die Wüste.
Die Propheten malten Bilder der Hoffnung, in denen die Verwandlung der Wüste in fruchtbares, blühendes Land angekündigt wird.
Johannes der Täufer bereitete dem Herrn in der Wüste den Weg.
Jesus Christus wurde sie zum Ort der Versuchung, zum Rückzugsort, zum Gebetsraum. Markus berichtet vom Zusammensein Jesu mit den wilden Tieren der Wüste als Inbegriff der Wiederherstellung des ursprünglichen Schöpfungsfriedens.
Und wer die Wüste erlebt hat kommt immer wieder.
So ist die Wüste ein Ort des äußeren Mangels und der inneren Leere – aber eben auch der Fürsorge Gottes, der intensiven Seelenerfahrung.

Download als PDF-Datei

  Mikroabenteuer

Mikroabenteuer

Henning Böger, Pfarrer - 06.05.2025

„Meine Kinder waren klein, ich war viel zu Hause, bei uns in Hamburg. Als ein alter Freund aus Berlin anrief, den ich lange nicht gesehen hatte, hörte ich mich spontan zu ihm sagen: ‚Pass auf, lass uns doch morgen frühstücken gehen am Brandenburger Tor. Ich bin um 10 Uhr da, mit dem Fahrrad.‘“
Das erzählt der Autor Christo Foerster im Interview und lächelt über sein erstes Mikroabenteuer, wie er es nennt. Noch am Nachmittag desselben Tages sei er mit dem Rad aufgebrochen: von Hamburg nach Berlin, 296 Kilometer und 15 ½ Stunden Fahrzeit. „Ich kam tatsächlich in Berlin an, eine Stunde später als geplant. Wir frühstückten, ich fuhr mit dem Zug zurück und war nach insgesamt 24 Stunden wieder zu Hause. Mir tat alles weh, ich war völlig fertig.“
Und dann sagte er im Rückblick auf seine spontane Fahrradfahrt zum alten Freund: „Natürlich war es eine bekloppte Idee, aber für mich auch eine grandiose, weil ich erkannte: Ich muss einfach nur raus und kann von der Haustür aus ein tolles Abenteuer erleben.“
Nicht jeder und jede ist so sportlich-verrückt wie Christo Foerster, der mittlerweile Bücher über kleine und größere Abenteuer schreibt. Aber der Gedanke, dass das Leben dort draußen vor der Tür Möglichkeiten eröffnet und Raum für verrückte Ideen bereithält, der erfrischt doch sehr, oder?
Auch unserem Glauben tun hin und wieder Mikroabenteuer gut: der Schritt vor die sichere Tür, hinter der ich sicher weiß, was ich glauben kann und was nicht. Der Kirchentag in Hannover hat in der vergangenen Woche von diesen kleinen und größeren Aufbrüchen zum Glauben erzählt: mutig, stark und beherzt. Dabei war viel Aufbruchsfreude und Entdeckerlust zu spüren.
Dazu passt ein kurzer Text der französischen Dichterin Madeleine Delbrel, den ich uns heute Abend mit auf den Weg hinaus vor die Dom-Tür geben will: „Geht in euren Tag hinaus ohne vorgefasste Idee, ohne die Erwartung von Müdigkeit, ohne Plan von Gott, von Bescheid Wissen über ihn, ohne Enthusiasmus, ohne Bibliothek. Geht so auf die Begegnung mit ihm zu. Brecht auf ohne Landkarte und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist und nicht erst am Ziel.“

Download als PDF-Datei

  Selig sind die Sanftmütigen

Selig sind die Sanftmütigen

Cornelia Götz, Dompredigerin - 05.05.2025

Manchmal erlebt man Momente von denen man ahnt, dass sie bleiben werden. Sie werden zu Erinnerungen, die man hütet und irgendwann ein:
„ich bin dabei gewesen“.
So ging es mir am Samstag auf dem Kirchentag, als Mariann Edge Budde zu Gast war. Schon am Morgen hatte sie in einer Bibelarbeit die Geschichte vom Ostermorgen einmal mehr so aufgeschlossen, dass ich wieder staune, wie lebendig Texte werden können und was passiert, wenn Menschen mit ihren Menschenherzen sie hören und auslegen.
Kleiner tröstlicher Nebengedanke: Das wird KI versuchen aber nicht können.
Zurück zu der kleinen sanftmütigen Frau aus Washington: Natürlich denkt man den bitterkalten Januar und die Inauguration Trumps dazu, wenn man sie sieht und hört.
Aber jetzt erzählt sie von den beiden Frauen, die am Ostermorgen losgehen, weil sie das Gefühl haben, das tun zu müssen. Es sind vielleicht gar nicht Mut und Tapferkeit, die diese beiden in Bewegung bringen, denkt Mariann Edge Buddy laut auf ihre leise Art.
Und erinnert: diese beiden Frauen gehen los als es noch finster ist.
Sie gehen los ohne zu wissen, ob es hell und gut werden wird.
Sie gehen los, weil sie etwas tun müssen und das ist es, was sie tun können.
Auch darin bleiben wir Menschen unersetzbar.
Natürlich kann man solche Wege liken.
Aber damit etwas geschieht, müssen wir selbst wirklich losgehen.
Das was dann geschieht, beschreibt der Evangelist Johannes als Erdbeben.
Aber ist es nicht, so fragt Mariann Edge Budde, eher ein „Lifebeben“, ein Moment, in dem ein riesiges Hindernis ohne unser Zutun verschwindet und unser Leben sich schlagartig ändert?
Das passiert nicht immer. Aber manchmal doch.
Man sieht die schmale Frau, man hat im Ohr, wie sich dieser Moment vor jener tapferen Predigt in Trumps Angesicht angefühlt hat und kann diese ganze Geschichte mühelos mitlesen. Ja, das glaube ich ihr: diese Predigt war ein Beben, das ihr Leben verändert hat.
Aber Mariann Edge Budde wehrt jede Übertragung des Besonderen leise aber bestimmt ab.
Geht in euch sagt sie. Denkt nach.
Wann seid ihr im Finstern losgegangen, weil ihr das einfach musstet?
Und wie war es dann als der Morgen dämmerte? Und wie seid zurückgegangen? Und schöpft Ihr seither nicht auch genau daraus?
Stille – die von der dichten aufmerksamen Art.
Abends machte sie das wieder so. Statt des privilegierten Gespräches mit Heinrich Bedford-Strom wollte sie hören, was das Publikum fragt und bewegt.
Eine Freundin schrieb später aus dem Zug vom Kirchentag nach Hause: „Ich habe mich verliebt“. Ja, das ging bestimmt vielen so.
Und ich hab jetzt ein Bild für: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“

Download als PDF-Datei

  Wunder?

Wunder?

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.05.2025

Ich habe einen guten Bekannten, der ein überzeugter Christenmensch ist, aber doch sehr mit Wundern hadert. Er ist Wissenschaftler und tut sich schwer damit, zu glauben, dass in unserer Welt auch Dinge passieren können, die sich nur jenseits aller physischen, biologischen und chemischen Regeln erklären lassen. Seine Position ist: Gott hat uns schließlich diese Ordnungen gegeben, nach denen unsere Welt funktioniert, und nach denen funktioniert sie dann eben auch, und das gar nicht mal so schlecht.
Domorganist Witold Dulski hat gerade über einen wunderbaren Frühlingschoral improvisiert: „Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottes Güt, des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht.“ Und tatsächlich ist es ja auch so. Es grünt und blüht und summt und duftet allerorten. Und wenn Sie mal ein Foto von einem Baum betrachten, das zwei Monate alt ist, und Sie schauen sich diesen Baum heute noch einmal an, werden Sie eine wunderbare Verwandlung sehen – ohne, dass irgendjemand dazu hätte etwas beitragen müssen.
Und ich bleibe bei dieser Formulierung: Es ist eine wunderbare Verwandlung. Ja, wir können heute erklären, wie das alles funktioniert, mit den steigenden Temperaturen, der längeren Helligkeit, dem Chlorophyll und der Sonne und all dem anderen Drum und Dran.
Das ist Biologie, das sind jene Regeln, von denen mein Bekannter immer spricht. Das ist das „Wie“. Aber dass wir das überhaupt jedes Jahr aufs Neue erleben dürfen, ist das nicht tatsächlich ein Wunder?
Wir haben Ostern im Rücken, das Fest der Auferstehung, das Fest des Lebens, das Fest der Hoffnung. Am Ostermorgen hat Gott uns eindrucksvoll gezeigt, dass er zu mehr fähig ist, als diese Welt nach seinen von ihm gegebenen Regeln ablaufen zu lassen. Denn er ist erneut Schöpfergott geworden und hat eine neue Form von Leben geschaffen: Auferstehungsleben, das niemals vergeht, das unendlich ist und das uns allen zuteilwird.
Das ist ganz weit weg von allen biologischen, physischen und sonstigen Regeln. Das ist ein echtes Wunder. Und wer, wenn nicht er, ist in der Lage, etwas werden zu lassen, dass mit unserem Verstand und unseren Regeln nicht vereinbar ist.
Wie lieblich ist der Maien. Für mich ist es jedes Jahr aufs Neue ein Beleg für Gottes Kraft und Freundlichkeit. Ostern lässt grüßen. Amen.

Download als PDF-Datei

  Hannover-Spirit

Hannover-Spirit

Heiko Frubrich, Prädikant - 02.05.2025

Totgesagte leben länger. Dieser Ausspruch kam mir gestern so in den Sinn, als ich in Hannover auf dem Kirchtag war. Erster Programmpunkt war „Petrus“, das Musical unserer Kurrenden in der Gartenkirche. Viel Improvisation, weil die bestellte Technik nicht funktionierte, dennoch volles Haus, eine mitreißende Aufführung, Standing Ovation und glückliche Kinder, Kantoren und Besucher.
Was mich besonders beeindruckt hat: Es sind mehrere Tausend Ehrenamtliche, die in diesen Tagen in Hannover Dienst tun. Sie stellen Stühle, bauen Bühnen auf und ab, helfen Besucherinnen und Besuchern, die richtige Veranstaltung zu finden und sind einfach da, wenn sie gebraucht werden. Sie tragen ein Halstuch, an dem man sie erkennt, und auf dem steht: „Ich helfe hier“
Und über allem spürt man eine Atmosphäre aus Freundlichkeit und Respekt. Und wenn die Schlangen vor dem Eingang zum Messegelände noch so lang sind: Niemand schimpft, niemand zeigt schlechte Laune, niemand drängelt sich vor. Man steht dort, redet, lacht und fühlt sich miteinander verbunden durch den gemeinsamen Glauben. Eine schöne und wertvolle Atmosphäre.
Und was weiterhin auffällt: Es sind unglaublich viele junge Menschen, auf die man trifft. Man erlebt nicht eine überalterte Kirche, sondern vielmehr eine Kirche, die irgendwie im Aufbruch scheint. Ja, wir werden weniger, ja unsere gesellschaftliche Relevanz nimmt ab oder sie wird zumindest kleingeredet. Aber ist das wirklich das Entscheidende?
Erinnern wir uns, wie alles anfing: Jesus und die Zwölf. So richtig viele waren es nie. Gottes Sohn und eine Handvoll Begeisterter haben ausgereicht, um eine Kirche ins Leben zu rufen, die nun schon 2000 Jahre zählt.
Klar, ist es gut, wenn man auf das hört, was Kirche sagt. Aber im Grunde reicht es doch aus, dass da Menschen sind, dass wir da sind, um anderen davon zu erzählen, worum es geht. Um frohe Botschaft, um Liebe, Respekt und Barmherzigkeit; darum, dass Gott unser Leben so gedacht hat, dass wir es in Frieden und Freundlichkeit miteinander verbringen.
Und irgendwie wird das spürbar und erlebbar, wenn man nach Hannover zum Kirchentag fährt. Es ist dieser besondere „Spirit“ oder auf gut Deutsch: dieser besondere Geist, der dort erlebbar wird und von dem ich überzeugt bin, dass es der „Heilige“ ist. Amen.

Download als PDF-Datei

  Mitten im Leben

Mitten im Leben

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.04.2025

Was ist die Aufgabe von Kirche? Welche Themen soll sie bedienen und welche nicht? Zu welchen Fragen soll sie Stellung beziehen und zu welchen soll sie schweigen? Diese Diskussionen werden wieder geführt – auf der Straße, in Leserbriefen und in so manchem Gespräch auch hier bei uns im Dom. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat sie angestoßen, als sie zu Ostern forderte, die Kirchen mögen sich mehr um die Seelsorge der Menschen kümmern und sich weniger politisch engagieren. Klöckner kritisierte dabei die Tendenz, dass Kirchen wie eine NGO, also eine Nicht-Regierungs-Organisation, ihre Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen abgeben. Das mache sie austauschbar. Stattdessen mögen die Kirchen doch stärker die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick haben.
Ja, das soll Kirche ohne Zweifel und obwohl man sich ja nicht selbst loben soll: Zu Fragen über Leben und Tod haben wir mit dem Evangelium wirklich die weltbesten Antworten parat. Wir haben Ostern im Rücken, den Sieg des Lebens über den Tod, den Grund für unumstößliche Hoffnung. Darüber reden wir – überzeugt, freudig und ganzjährig.
Doch da sind eben auch all die anderen Themen, die das Leben von uns Menschen betreffen und beeinflussen. Und da ist dann auch „Tempo 130“ auf der Tagesordnung, denn dabei geht es um die Erhaltung der Schöpfung und um den Schutz von Menschenleben. Und da sind wir als Kirche dabei!
Ich bin davon überzeugt, dass Glaube sich im Alltäglichen zeigt. Aus unserem christlichen Glauben entsteht eine Haltung und aus dieser Haltung ein Verhalten an jedem Tag, den Gott werden lässt. Die Botschaft des Evangeliums lässt sich nicht auf ein frommes Grundrauschen reduzieren. All diese wohlklingenden Worte wie Barmherzigkeit, Gnade, Vergebung und Liebe, die wollen und müssen mit Leben gefüllt werden. Und Leben ist nie theoretisch. Leben ist immer konkret. Leben ist immer hier und jetzt. Und damit bin ich mittendrin in den aktuellen Fragen unserer Zeit.
Und Jesus ging es nicht anders. Er hat keine hochtheoretischen Vorträge gehalten. Er hat sich eingemischt ins pralle Leben. Er hat sich angelegt mit der Jerusalemer Obrigkeit, hat die Geldwechsler aus dem Tempel gejagt und hat immer den Menschen in den Blick genommen. Jesus war tagespolitisch, weil er auf das, was er antraf, reagierte.
Und wenn er sagt: „Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich auch euch“, wir sehr klar, in welcher Rolle er uns Christinnen und Christen und auch seine Kirche sieht: Wir sollen mit beiden Beinen mitten im Leben stehen und einen Anker haben in Gottes Reich, das immer dann in dieser Welt anbricht, wenn Menschen Jesu Beispiel folgen. Und passiert überall dort, wo Menschen einander begegnen und eben auch bei Tempo 130 auf der Autobahn. Amen.

Download als PDF-Datei

  Eine Zumutung!

Eine Zumutung!

Heiko Frubrich, Prädikant - 26.04.2025

Ganz ehrlich: Ich finde es eine Zumutung! Wilhelm Heuß, gelernter Banker, Komponist und Organist über den zweiten Bildungsweg, komponiert als sein Opus 11 das Stück „Ostern“, das wir gerade gehört haben. In Takt drei gibt er als Vortragsweise „dolente“ an, was so viel wie „klagend, leidend“ bedeutet. Und dann werden wir in „ätherischen Klangfarben“ und noch immer unter der Überschrift „Ostern“ mit dem Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ konfrontiert. Der Cantus firmus wird begleitet von chromatischen Bögen und dissonanten Akkorden. Ostern?
Nachdem wir den musikalischen Karfreitag hinter uns haben, werden wir in ein kurzes Interludium geschickt, das nach Heuß‘ Vorgaben misterioso e espressivo, also geheimnisvoll und ausdrucksstark gespielt werden soll – elf ruhige Takte mit langen Notenwerten und gedämpfter Lautstärke. Ostern?
Ja, dann wird es endlich Ostern. Der Choral „Erschienen ist der herrlich Tag“ stahlt uns entgegen und schwingt sich auf aus den Tiefen des Pedals bin ganz nach oben in die rechte Hand. Uns begegnet das Thema in fugenartigen Elementen und wohltuendem D-Dur. Und dennoch bleibe ich bei meiner Aussage: Ich finde das Ganze eine Zumutung!
Nur um Missverständnisse zu vermeiden. Die Zumutung ist für mich nicht die Spielweise unseres Kantors Robin Hlinka. Die Zumutung ist auch nicht das Werk an sich. Die Zumutung für mich ist Ostern an sich und das jedes Jahr aufs Neue!
Am 9. März sind wir in diesem Jahr in die Passionszeit gegangen. Wochenlang „O Haupt voll Blut und Wunden“ in zunehmender Dramatik und Intensität bis zu Jesu Tod am Kreuz und beinahe erdrückender Grabesstille am Karsamstag, heute vor einer Woche, ohne Glocken, ohne Orgel, ohne Segen.
Und dann sehe ich, wie nur ein paar Stunden später aus der Krypta unseres Doms das Osterlicht herausleuchtet und ich sehe, wie es hell wird, höre das volle Domgeläut und stimme selbst mit ein in das jubelnde Gloria der Osternacht. Und ich fühle mich überwältigt und überfordert gleichermaßen, weil Verstand und Emotionen mit all dem nicht mitkommen.
Was mir bleibt, ist, es anzunehmen, hinzunehmen, dass in dieser Nacht vor 2000 Jahren etwas passiert ist, dass ich selbst bei allerbester Vorbereitung nicht begreifen kann, dem ich mich aber von Herzen anschließen möchte, weil es den Weg weist vom Kreuz in ein neues Leben, das unvergänglich ist.
Ostern ist eine Zumutung, weil es uns Mut macht, auf Gott zu vertrauen, uns ihm anzuvertrauen und in allem Jesus als Quelle unserer Zuversicht zu sehen. Das lasse ich mir gerne zumuten. Amen.

Download als PDF-Datei

  Markus

Markus

Heiko Frubrich, Prädikant - 25.04.2025

„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn.“ Dieses Wort entstammt nicht etwa einem eher unbekannten Brief des Apostels Paulus, sondern aus dem „Lied der Glocke“ von Friedrich von Schiller. In freier Wildbahn sollte man definitiv auf Schiller hören und schlafende Löwen schlafen lassen, hier bei uns im Dom klingt der Leu da oben im Nordflügel unserer Chororgel zwar bedrohlich, aber er ist ein ganz lieber und zahmer Vertreter seiner Art und erscheint und verschwindet und brüllt und verstummt auf Knopfdruck.
Und bisweilen haben sein Auftritt und sein Gebrüll sogar einen tieferen liturgischen Sinn – so auch heute. Denn wir begehen den Gedenktag des Evangelisten Markus. Ihm wird das älteste der vier Evangelien zugeschrieben und sein Symbol ist der Löwe.
Über dem Markustag heißt es aus seinem Evangelium: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium allen Menschen. Es sind Worte des auferstandenen Jesus Christus, die er an seine Jünger richtet. Kurz zuvor hat er sie kräftig zusammengefaltet, weil sie trotz mehrerer Zeugnisse, unter anderem von Maria Magdalena, nicht an seine Auferstehung glaubten. Nachdem das nun von höchster Stelle ein für alle Mal geklärt ist, beginnt der Verkündigungsdienst. „Geht hin in alle Welt.“
Es ist ja immer eine feine Sache, wenn man sich nicht um alles selber kümmern muss, sondern wenn es andere gibt, die das eine oder andere schon mal für uns erledigen. Im vorliegenden Fall könnten wir uns ja elegant zurücklehnen und denken: Na, dann sollen die Elf es mal machen. Doch ganz so einfach ist das nicht. Denn wenn Jesus seine Jünger anspricht, sind auch immer wir ein bisschen mitgemeint. Bei den Verheißungen nehmen wir das gerne an, bei den Aufträgen nicht immer.
Doch spätestens seit Martin Luther, der sehr klar und biblisch belegt vom Priestertum aller Getauften spricht, wird klar, dass uns das Wort aus dem Markusevangelium sehr wohl etwas angeht. Zum einen sind auch wir berufen, das Evangelium zu predigen, oder etwas handlicher formuliert: anderen von unserem Glauben zu erzählen. Luther macht deutlich: Christinnen und untergliedern sich nicht in „sehr heilig“, „ziemlich heilig“ und „nur ein bisschen heilig“. Jede und jeder steht in gleicher Weise vor Christus und jede und jeder ist berechtigt und befähigt, fröhlich von ihm und seiner Botschaft zu berichten.
Und so schwer ist das nun wirklich nicht. „Geht anständig miteinander um, helft und teilt und lasst die Liebe unter euch aufleuchten.“ Keine Raketenwissenschaft also und das ganze auch noch mit Ostern im Rücken und Gott an unserer Seite. Könnte also was werden – auch ganz ohne Löwen. Amen.

Download als PDF-Datei

  V-Vierzig

V-Vierzig

Cornelia Götz, Dompredigerin - 24.04.2025

V – Vierzig
In allen Religionen gibt es heilige Zahlen.
Die Zahl vier ist in der Antike und im Alten Testament Sinnbild für Ganzheit und Vollkommenheit, weil sie mit vorn – hinten – rechts – links alle Perspektiven und damit auch die vier Himmelrichtungen abdeckt. Verbunden mit der Runden und ebenfalls symbolträchtigen zehn kommt der Vierzig
in unserer Bibel besondere Bedeutung zu. Sie kennzeichnet ein volles Maß und eine Generation, ist die Zahl der Ganzheit – zugleich aber auch Symbol des Wartens und der Vorbereitung, der Prüfung und Bewährung.
Vierzig Tage tobte die Sintflut.
Vierzig Tage dauerte es, bis Noah die Fenster der Arche wieder öffnete nachdem sie auf dem Ararat aufgesetzt hatte.
Mose bleib jeweils vierzig Tage auf dem Sinai – als er mit Gott redete,
Vierzig Jahre wanderte das Gottesvolk durch die Wüste. Als sie losgehen ist Mose zweimal vierzig Jahre alt.
Vierzig Tage lang verhöhnte Goliath die Israeliten bis sich ihm endlich David zum Kampf stellt.
David und Salomo regieren vierzig Jahre.
Elia geht vierzig Tage lang durch die Wüste bis zum Berg Gottes ehe er ihn al seine Stimme verschwendenden Schweigens – wie Martin Buber übersetzte – erfuhr.
Jona gab Niniveh in Gottes Auftrag eine Frist von vierzig Tagen um umzukehren.
Jesus fastete vierzig Tage in der Wüste.
Auch unser Kirchenjahr kennt diese Frist: Vierzig Tage dauert die Passionszeit von Aschermittwoch bis Ostern, vierzig Tage ist der Auferstandene nach Ostern zugegen bis er in den Himmel auffährt.
Kein Wunder, das auch ein Mensch vierzig Wochen braucht, bis er vollendet ist und zur Welt kommen kann – als vollkommenes Geschöpf, Gottes Ebenbild.
(Männer vergessen das gerne und weisen dafür aber auf die Plejaden am Nachthimmel hin, die immer wieder für vierzig Tage verschwinden.)

Download als PDF-Datei

  Das Kreuz ist aufgerichtet

Das Kreuz ist aufgerichtet

Heiko Frubrich, Prädikant - 16.04.2025

„Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. Dass er das Heil der Welt in diesem Zeichen gründe, gibt sich für ihre Sünde der Schöpfer selber zum Entgelt.“
Die erste Strophe eines selten gesungenen Passionsliedes aus unserem Gesangbuch. Es wird selten gesungen, weil die Melodie sperrig ist in Tonalität und Rhythmus. Ihr fehlt es an Eingängigkeit, an Ohrwurm-Potential und an Wohlfühlatmosphäre. Doch mit diesen Wesensmerkmalen passt sie gut in diese Tage des Nachdenkens, der Betroffenheit, der Demut aber auch der stillen Dankbarkeit. Sie passt gut in die Karwoche.
Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. Ja, die geistliche Obrigkeit in Jerusalem kann nun entspannt das Passahfest feiern und auch der römische Statthalter Pilatus hat wieder seine Ruhe. Die Sache mit diesem Wanderprediger Jesus ist vom Tisch. Der große Streit ist geschlichtet – zwar mit brachialer Grausamkeit, aber doch geschlichtet.
Wenn wir oberflächlich auf die Ereignisse der Karwoche blicken, könnte man den Text so interpretieren und wir hätten damit wahrscheinlich die Sichtweise vieler eingenommen, die vor 2000 Jahren Zeugen all dessen waren. Doch es geht um so viel mehr.
Es geht um den großen Streit, um schier unüberbrückbare Hindernisse zwischen uns Menschen und Gott. Es geht um unser aller Heil, darum, dass wir entlastet werden von allem, was uns an Schuld bedrückt, dass wir Vergebung erfahren für all unsere Versäumnisse, unseren Größenwahn und unsere Ignoranz.
Das Kreuz ist nicht die Markierung des Entsorgungsplatzes für einen aufsässigen Querulanten. Das Kreuz ist das Zeichen für unsere Freiheit, für unser Freigekauft-Sein, dass Gott in Christus selbst mit seinem Leben bezahlt hat.
Wie groß muss Liebe sein, aus der das erwächst? Wie groß muss der Wunsch sein, auf ewig Teil unseres Lebens zu werden? Wie groß muss Gottes Herz sein, dass er uns niemals verloren geben will?
„Wir sind nicht mehr die Knechte der alten Todesmächte und ihrer Tyrannei. Der Sohn, der es erduldet, hat uns am Kreuz entschuldet. Auch wir sind Söhne und sind frei.“
Der Text der letzten Strophe. Der da am Kreuz stirbt, ist uns allen durch sein Leben Freund und Bruder geworden. Und er füllt diese Rolle mit aller Konsequenz, in dem er unser Wohl über das seine stellt. Er geht in den Tod und versenkt dort hinein unsere Sünden und unsere Schuld. Er kämpft und siegt über die alten Todesmächte. Sie hatten das letzte Wort über unser Leben. Das ist vorbei. So, wie Christus selbst, sind auch wir Gotteskinder. Der schwere Stein wurde nicht nur von seinem Grab weggerollt, sondern auch vom Weg, der für uns alle ins ewige Leben führt. Wir sind Geschwister und sind frei!
„So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen. Das Ja erscheint im Nein, der Sieg im Unterliegen, der Segen im Versiegen, die Liebe will verborgen sein.“ Amen.

Download als PDF-Datei

  Die Weisheit der Welt

Die Weisheit der Welt

Heiko Frubrich, Prädikant - 15.04.2025

Das Wort, das über dem heutigen Tag steht, stammt von Paulus. Er schreibt es an die Gemeinde in Korinth und war beim Schreiben offenbar ziemlich in Rage. Wir lesen: „Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“
Es geht um nichts weniger als das Zentrum unseres Glaubens. Es geht um das Wort vom Kreuz, das für gläubige Menschen, so Paulus, zur Gotteskraft wird – aber eben nur für gläubige Menschen. Vorgestern haben wir Palmsonntag gefeiert, den Tag von Jesu Einzug in Jerusalem. Doch der Palmsonntag ist auch der Tag eines gigantischen Missverständnisses. Das jubelnde Volk begrüßt den neuen König von Israel. Sie erwarten den König, der die Reihe der ruhmreichen Könige David und Saul und Salomo fortsetzt. Aber der kommt nicht.
Stattdessen kommt ein König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Und es begreift niemand, noch nicht einmal seine engsten Vertrauten, die Jüngerinnen und Jünger. „Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“
Ja, das hat er und er tut es immer wieder und wir Menschen hangeln uns von Fehleinschätzung zu Fehleinschätzung. Wir sehen Jesus auf dem Esel und denken: Na, bei König Charles sieht das aber deutlich prachtvoller aus. Wir hören das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, die trotz unterschiedlich langer Arbeitszeiten denselben Lohn kriegen und denken: Na, wie gut, dass es heutzutage Gewerkschaften gibt. Wir hören Gottes Wort, der uns sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“, und denken: Na, ich bin doch aber ein frommer Mensch. Da wird Gott schon alles so richten, wie ich es mir wünsche.
Nein, wird er nicht! Gott ist keine Wunscherfüllungsmaschine. Sein eigener Sohn musste das bitter erfahren. Als Jesus am Palmsonntag nach Jerusalem kam, hat er nicht vor lauter Vorfreude laut mitgejubelt. Das Einzige, was ihn getragen hat, war sein Vertrauen.
Die Weisheit der Welt ist eine weltliche Weisheit, die versucht, Gott in das Korsett unserer menschlichen Vernunft zu zwängen. Aber das lässt er nicht zu. Warum auch? Er hat uns Menschen so gemacht und so gewollt, wie wir sind – mit unseren Grenzen und Beschränktheiten, mit unseren Schwächen und unseren Macken. Und wir maßen uns an, zu erwarten, dass sich Gott auch so verengt, nur, damit er für uns kalkulierbar wird?
Passionszeit ist auch Lernzeit. Wir dürfen lernen, dass Gott nicht verfügbar ist. Wir dürfen lernen, dass wir scheitern werden, wenn wir sein Wesen mit menschlichen Kriterien beurteilen wollen. Wir dürfen aber auch lernen, dass er seine Verheißungen uns gegenüber immer erfüllt.
Gott wird uns nicht enttäuschen, wenn wir ihm vertrauen, wenn wir uns und unser Leben ihm anvertrauen und uns auf seine Liebe und Barmherzigkeit verlassen und anerkennen, dass der Friede Gottes einfach höher ist als all unsere menschliche Vernunft. So, wie mit Jesus, wird Gott es gutmachen – auch mit Ihnen, mit euch und mit mir. Amen.

Download als PDF-Datei

  Der Gottesknecht

Der Gottesknecht

Heiko Frubrich, Prädikant - 14.04.2025

Hat Jesaja die Biographie über das Leben und Sterben Jesu bereits 700 Jahre bevor es dann passierte, geschrieben? Das Gottesknechtslied, über das gestern in unseren Kirchen gepredigt wurde, enthält jedenfalls ganz strake biographische Züge.
Da heißt es: „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.“ Wie oft und wie segensreich hat Jesus mit den Müden geredet, mit jenen, die von allen anderen gemieden wurden, den Aussätzigen, den Zöllnern, den Blinden und Gelähmten. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken! So hat er die Menschen zu sich eingeladen. Und diese Einladung gilt weiterhin und sie gilt auch uns.
Und weiter heißt es bei Jesaja: „Doch ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“
Jesus hat sich nicht gewehrt, ja er hat noch nicht einmal versucht, die Dinge richtigzustellen, als er von Pilatus verhört wurde. Wenn Sie die Schilderung über das Verhör lesen, möchten Sie Jesus beinahe schütteln und ihm sagen: Nun rede doch mal Klartext mit Pilatus! Erklär ihm, was hier gerade läuft, dass du Opfer einer Verschwörung bist, nur Gutes im Schilde führst und dass es ein riesiges Unrecht wäre, dich umzubringen. Doch Jesus sagt nur: Ich bin ein König und mein Reich ist nicht von dieser Welt. Und er verhält sich wortgetreu so, wie Jesaja schreibt: Er bietet seinen Rücken dar denen, die ihn schlagen, und seine Wangen denen, die ihn raufen Er verbirgt sein Angesicht nicht vor Schmach und Speichel.
Im Weiteren nennt der Jesaja-Text Jesu Kraftquelle, aus er heraus er all das durchhalten konnte: „Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Ich habe mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.“
Ein Kieselstein kann einiges vertragen, ohne zu zerbrechen. Und das muss er auch. Denn Jesus erlebt in den kommenden Tagen großes Leid. Er wird verspottet und verletzt und umgebracht. Seine Freunde werden ihn allesamt verlassen und so ist er einsam und auf sich gestellt der Willkür der Mächtigen ausgesetzt. Das auszuhalten, braucht Härte.
Doch trotz des Kieselstein-Vergleiches blicken wir bei Jesus niemals in eine versteinerte Mine. Selbst in den schwersten Augenblicken seines irdischen Lebens bleibt er anderen zugewandt. Er wäscht seinen Jüngern die Füße. Er stiftet neue Gemeinschaft zwischen Maria und seinem Lieblingsjünger Johannes. Er wird zum Seelsorger für den, der neben ihm gekreuzigt ist und weiß mit diesem Müden zu reden bis zu seinem letzten Atemzug.
Wir wissen, dass Jesu Gottvertrauen nicht enttäuscht wird. Wir wissen, dass Gott ihn begleitet und hindurchgetragen hat durch alles Leid und sogar durch den Tod – hinein in ein neues Leben, das wir voller Hoffnung feiern dürfen im Licht des Ostermorgens. Amen.

Download als PDF-Datei

  Wer bist Du?

Wer bist Du?

Cornelia Götz, Dompredigerin - 12.04.2025

Ehe wir morgen am Palmsonntag wartend an der Straße stehen, Adventslieder singen, weil Jesus auf dem letzten Stück seines Weges nach Jerusalem kommen wird und wir ihn empfangen, unsicher und ratlos, hoffnungsvoll und dabei wieder erleben werden, dass Erwartung Menschen und ihre Sicht auf die Dinge verändert, sind wir heute noch einmal hier.
Robin Hlinka hat Musikstücke von Johann Sebastian Bach zusammengestellt, sie klingen nach Not und Leid, nach Hinwendung und Zurüstung.
Kein Wunder, dass zu diesem Samstag als Lehrtext in den Herrnhuter Losungen Folgendes gehört:
Es geht um Saul, den spätere Paulus, der ein erbitterter Feind derer ist, die mit Jesus Christus gehen. Er, der die jüdische Thora streng befolgt, findet keine Brücke und keinen Zusammenhang, zwischen dem Knecht und König, dem Reich Gottes, diesem Jesus und seinem Glauben. Er kämpft wie besessen für seine Überzeugung – bis ihn ein Licht, heller als die Sonne, blendet und zu Boden wirft. Überwältigt und erschrocken fragt er:
„Wer bist du, Herr? Der Herr sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf, stell dich auf deine Füße! Denn ich bin dir erschienen, um dich zum Diener und Zeugen erwählen!“.
Mitten in dem Ringen um Wahrheit und Gewissheit, mitten in den Auseinandersetzungen mit Menschen, die man auf Irrwegen glaubt, wird Sauls von den Füßen gerissen. Und mit diesem Sturz wird alles fragwürdig,
was bisher sinnvoll, gut und richtig war, Stabilität und Fundament gegeben hat.
So wird es auch denen ergehen, die am Freitag Zeug*innen werden, wie Jesus Christus, der Menschen heilte und satt machte, unter dessen Füßen die Wüste zu blühen begann, hingerichtet wird. Ihnen werden die Knie einknicken. Und dann, wenn das Grab leer ist, schon wieder: Unglaubliches blendendes Licht. Es ist nicht zu fassen.
„Wer bist du?“
Wer bist Du? Wer bist Du, dass du diesen Weg gehst? Wer bist du, dass unser Herz zu brennen beginnt? Wer bist du, dass in deiner Nähe die Hoffnung groß wird? Wer bist, dass ich mich in meiner Not und Verwirrung vor deinem Thron wiederfinde.
Und die Antwort heißt:
„Stell dich auf deine Füße“. Steh auf. Mach den Rücken grade. Geh mit.
Morgen. Durch die nächste Woche. Überhaupt.

Download als PDF-Datei

  und erlöse uns...

und erlöse uns...

Cornelia Götz, Dompredigerin - 11.04.2025

Vor drei Jahren um diese Zeit lebte ich einige Zeit bei den Benediktinerinnen in Köln. Ich hatte mich wundgelaufen und brauchte einen geistlichen Ort, um zur Ruhe zu kommen und zu verstehen, was alles geschehen war und wo es hingehen kann; es tat Not Frieden zu schließen, mit Gott und dem was war.
Und es war gar nicht so einfach: Corona hatte die verschiedenen Häuser noch immer fest im Griff. Außerdem hoffte ich damals auf eine Gemeinschaft ohne Männer…
So kam ich eines Tages – nach vielen Telefonaten und noch mehr offenen Ohren – in Köln an. Das Stadtkloster, nicht weit vom DLF, ist nicht eben ein heimeliges Anwesen – sondern ein großer Kasten mit einer hohen Mauer. Ich stand davor und fürchtete, mich übernommen zu haben.
Doch am Ende der Zeit würde ich die Regel des heiligen Benedikt gelesen haben und wissen, dass es genügt hatte, dass ich geklopft hatte und suchte und auch, dass die Schwestern, die fast immer unsichtbar waren und in der Regel schwiegen, mich dennoch begleiten und stärken würden.
Zunächst aber hieß es schweigen und allein sein.
Allein essen, allein zur Kapelle gehen, allein und ohne Pflichten durch den Tag kommen und auch die Nacht – ohne Leselampe – allein sein…
Aber es gab Gebetszeiten - fünfmal am Tag. Morgens um 6.00 begannen wir.
„Herr, öffne meine Lippen“ sangen wir und dann nach einer sich nur langsam erhellenden Reihenfolge Psalmen. Das waren viele Tage meine einzigen Worte. Und erstaunlich: alles, was ich erlebt hatte, passte hinein.
Die Stricke und die Lügen, verlorene Pläne und das „erforsche mich!“
Wir feierten Abendmahl. Ja, ich protestantischer Gast, auch. Und sangen: „Sprich nur ein Wort, dann wird eine Seele gesund.“
Eins genügt. Ein einziges nur.
Und dazwischen immer wieder das Vaterunser. Im Stillen und im Stehen.
Erst bei der Zeile „erlöse mich von dem Bösen“ beteten wir laut.
Es war erstaunlich. Stundenlange innere Zwiesprache, der Singsang und wieder viel Stille – und dazwischen immer wieder, fünf Mal am Tag:
„Erlöse mich von dem Bösen“.
Ganz langsam änderte sich etwas.
Auf der Homepage des Klosters steht (von Henry Stanley Haskins):
„Was hinter uns liegt und was vor uns liegt, sind nur Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was in uns liegt. Und wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder.“
So habe ich es erlebt.
Das, was mich damals beschwert hat, ist vergangen, vorbei.
Heute schaue ich auf den Irrsinn in unserer Welt, auf die wahnsinnige Zerstörungswut und Egomanie, auf die wachstumsbesessene Hartherzigkeit, die Rüstungsmilliarden und den Wirtschaftskrieg, die Dürre – die Welt scheint noch viel mehr aus dem Ruder als vor drei Jahren und auch unsere scheint Wasser im Boot zu haben.
Was liegt da vor uns?
Und doch: wenn wir in uns hören – dann ist da das Echo der einen Geschichte, die von Verheißung und Advent erzählt, von einem Gott, der genau diese Welt liebt und darum durch das Dunkel geht, vom leeren Grab und Osterlicht – wir tragen all das in uns als wollten wir ein Wunder hüten.
Und gut zu wissen:
Das sind Worte, die unsere Seelen gesund und unseren Geist klar machen, die uns von dem Bösen erlösen.

Download als PDF-Datei

  U - Uria

U - Uria

Cornelia Götz, Dompredigerin - 10.04.2025

U – Uria
Von Uria berichtet die Bibel im zweiten Samuelbuch im Zusammenhang mit den Geschichten rund um David, den König und Stammvater des Hauses, auf das sich auch Josef und Jesus zurückführen werden.
Es ist keine schöne Geschichte.
Der Name Urijahu und seine Kurzform Uria bedeuten „JHWH ist mein Licht“. Der Uria, der dem David in die Quere kam, war allerdings ein Hetiter – sein Name wird daher wohl nicht mit dem Gott Israels in Verbindung gestanden haben. Vielleicht ist Uria deshalb in seinem Fall besser mit „Herr“ übersetzt.
Er war, so berichtet es das Alte Testament, ein Berufssoldat in Davis Truppe.
Vor allem aber war er mit Bathseba verheiratet.
In Gemäldegalerien alter Meister findet sich, welche verführerische Schönheit man bei ihrem Namen assoziierte. Auch David war dafür empfänglich.
Er sah ihr von seinem Palastdach beim Baden zu. Erkundigungen ergaben: sie war verheiratet mit Uria, dem Hetiter.
Aber das hielt David nicht ab, sie besitzen zu wollen. Er schläft mit ihr und schwänget sie.
Was nun beginnt, gehört zu den eher niederträchtigen Berichten des Alten Testamentes, die trotz ihrer Unrühmlichkeit immer weiter überliefert wurden – vielleicht, um im Gedächtnis zu behalten, dass Gott seine Geschichte auch mit sehr gewöhnlichen Menschen schreibt. David jedenfalls reagiert in diesem dunklen und blutigen Teil seiner Thronfolgegeschichte wie ein Herrscher, der sich vor schlechter Presse fürchtet.
Weit davon entfernt, selbst Verantwortung für das Kind, das er gezeugt hat, übernehmen zu wollen, lässt er nach dem Ehemann ins Feld schicken und ihn heimrufen. Ein zwei Nächte im Bett seiner Frau würden genügen, ihm das Kind unterzuschieben, so seine Rechnung.
Aber Uria ist nicht nur ein argloser Ehemann, sondern auch pflichtbewusster Soldat. So kommt er zwar zurück, weigert sich aber, woanders als draußen zu schlafen - genauso wie er es im Feld handhaben würde zumal ja auch die Bundeslade, das Heiligtum des wandernden Gottesvolkes, im Freien bleibt.
David versucht ihn davon abzubringen, mit Festessen und Alkohol. Aber Uria verrät seine Überzeugung nicht. Er weiß sich im Dienst und weicht nicht von seinem Prinzip, im Freien zu bleiben, ab.
Daraufhin weißt David seinen Feldherrn Joab an, den störrischen Ehemann an der Front auf einen lebensgefährlichen Posten zu setzen. So kommt es.
Uria verliert sein Leben. Seine Witwe Bathseba wird Davids Frau und Mutter des Thronfolgers Salomo. Doch das ist eine andere Geschichte.

Download als PDF-Datei

  9.4.1945

9.4.1945

Cornelia Götz, Dompredigerin - 09.04.2025

Über diesem Tag heißt es im 34. Psalm:
„Die auf den HERRN sehen, werden strahlen vor Freude.“ Und dazu aus dem Johannesevangelium: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, was ich Euch getan habe.“
Nicht nur eins. Heute vor 80 Jahren wurde der Schreiner Georg Elsner – verantwortlich für das gescheiterte Bombenattentat im Münchner Bürgerbräukeller - nach fünf Jahren Haft ohne Urteil im KZ Dachau ermordet.
In Berlin-Plötzensee wurde Ewald von Kleist-Schmenzin enthauptet.
In Flossenbürg wurden Wilhelm Canaris, Hans Oster, Ludwig Gehre, Karls Sack und Dietrich Bonhoeffer an einer Drahtschlinge aufgehängt nachdem sie nackt zur Hinrichtungsstelle hatten gehen müssen.
Der Krieg war fast zu Ende.
Aber die Terrormaschine funktionierte.
Sie machte auch diese Männer noch zu Märtyrern im Widerstand - wie so viele andere bis dahin. Sie kamen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie waren vermutlich geradliniger und mutiger als wir. Und dabei Menschen wie wir – mit Sehnsucht und Hoffnung, mit Angst und Sorgen, mit Familien, Eltern, Geschwistern, Kindern…
Am 28. Februar 1945 hatte Bonhoeffers Mutter, die nach Dietrichs Abtransport aus Berlin nichts mehr von ihm hörte, geschrieben:
„Meine Gedanken sind Tag und Nacht bei Dir in Sorge, wie es Dir ergehen mag. Hoffentlich kannst du etwas arbeiten und lesen und kommst nicht zu sehr herunter. Gott helfe dir und uns durch diese schwere zeit. Deine alte Mutter.“
Dietrich Bonhoeffers Braut Maria von Wedemeyer, die er während ihrer Verlobungszeit nicht einen Moment unter vier Augen gesehen hatte, suchte ihn unterdessen während der Wirren des Kriegsendes und lief und fuhr mit einem Koffer warmer Kleidung durch das kaputte Land von einem Gefängnis und Konzentrationslager zum nächsten.
Überall wird sie fortgeschickt. Auch in Flossenbürg. Von dort schreibt sie an Dietrichs Mutter: „Leider ist eine ganze Reise … völlig zwecklos gewesen. Dietrich ist gar nicht da…“
Nicht einmal diese letzte Begegnung ist ihnen vergönnt.
Erst im Juni 1945 erfährt sie von seiner Hinrichtung.
Dietrich Bonhoeffer, der nicht einmal vierzig Jahre alt geworden ist, wuchs in das, was er trug hinein. Am Ende seines Lebens schrieb er: „Schließlich sind die menschlichen Beziehungen doch einfach das Wichtigste … Gott selbst lässt sich von uns im Menschlichen dienen.“
Daran, ob wir der Menschlichkeit bzw. den anderen menschlich dienen, entscheidet sich, wes Geistes Kinder die sind, die seiner gedenken. Wer hätte gedacht, dass wir auch das heute bedenken müssen.

Download als PDF-Datei

  Schaffe mir Recht, Gott!

Schaffe mir Recht, Gott!

Heiko Frubrich, Prädikant - 07.04.2025

Judika, so lautet der Name des gestrigen Sonntages, der sich aus Worten des 43. Psalms ableitet. „Schaffe mir Recht, Gott!“, so bittet der Psalmbeter. Und quasi als Antwort auf diese Bitte wird uns im Evangelium der Bericht über Jesu Verhör vor dem römischen Statthalter Pilatus präsentiert. Und man ist geneigt, zu denken: Na, wenn das Gottes Reaktion auf unseren Wunsch nach Recht und Gerechtigkeit ist, dann Prost Mahlzeit!
Was war passiert: Jesus wurde nach seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane vom Hohen Rat und den jüdischen Hohenpriestern Hannas und Kaiphas verhört. Sie wollen Jesus loswerden, ein für alle Mal, weil er ihnen gefährlich zu werden scheint. Er bringt die Menschen dazu, die Machtposition der geistlichen Obrigkeit zu hinterfragen und deren Unfehlbarkeit in Frage zu stellen. Jesus bekennt sich gegenüber den Priestern als Gottes Sohn. Das reicht dem Hohen Rat, um ihn zum Tode zu verurteilen.
Doch sie können das Urteil nicht vollstrecken. Dazu brauchen sie Pilatus und der gerät nun in eine für ihn höchst unangenehme Situation. Am liebsten möchte er sich aus diesem Konflikt komplett heraushalten. Doch so einfach machen es ihm die jüdischen Geistlichen nicht. Und so kommt es nach einigem Hin und Her und nachdem sich Pilatus spürbar gewunden hat wie ein Aal zu Jesu Todesurteil.
Einen letzten Ausweg bietet die Tradition, vor dem Passahfest einen Verurteilten zu begnadigen, den sich das Volk aussuchen kann. Und dann stehen nun der gegeißelte Jesus mit Dornenkrone und Purpurmantel und der Räuber Barabbas vor den Leuten. Und diese entscheiden sich für Barabbas. Er wird an Stelle von Jesus freigelassen.
Schaffe mit Recht, Gott! Aber doch bitte nicht so, oder? Die geistliche Obrigkeit initiiert einen politischen Mord, wobei sie aber akribisch darauf achten, dass sich andere dabei die Finger schmutzig machen. Der Unschuldige wird verleumdet, auf offener Bühne verhöhnt und gequält. Pilatus, der mehrfach sagt, dass er Jesus für unschuldig hält, verurteilt ihn dennoch zum Tod am Kreuz, weil er keine Lust auf einen Konflikt mit der Jerusalemer Priesterschaft hat. Und das Volk fordert lauthals Jesu Tod und schenkt dafür einem veritablen Verbrecher die Freiheit.
Und bevor wir nun alle mit unserer Entrüstung nicht mehr wissen, wohin: Schauen wir in die Welt des Jahres 2025, und wir finden genau das wieder. Heuchelei, Korruption, Lügen, Gewalt und zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Ich verzichte auf Beispiele, Sie kennen genug.
Schaffe mir Recht, Gott! Sind diese Worte also in den Wind gesprochen? Nein, das sind sie nicht. Denn Gott zeigt uns, dass sein Atem weiterreicht als nur bis zu dieser bedrückenden Szene im Palast des Pilatus. Gott führt die Geschichte weiter und durch all diese menschlichen Abgründe hindurch. Er ist in der Lage, aus diesen Paradebeispielen menschlichen Unrechts etwas Heilvolles hervorzubringen. Und er erfüllt es in der größten Amnestie der Menschheitsgeschichte, in der Jesus all unsere Schuld mit sich ans Kreuz nimmt und im Geschenk des ewigen Lebens, das sichtbar und erlebbar wird im leeren Grab im Licht des Ostermorgens.
Auf diese Hoffnung hin dürfen wir leben – auch und gerade in der Passionszeit. Amen.

Download als PDF-Datei

  Wer nur den lieben Gott lässt walten

Wer nur den lieben Gott lässt walten

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.04.2025

„Wer nur den lieben Gott lässt walten“, ein Hoffnungslied mitten in der Passionszeit. Im Gesangbuch ist es in der Rubrik „Angst und Vertrauen“ zu finden, wobei in der Bearbeitung von Johann Sebastian Bach, die wir gerade gehört haben, die Zuversicht überwiegt. Wir werden in einen wiegenden 4/4-Takt hineingenommen und immer wieder an warmen Harmonien vorbeigeführt und mit einem strahlenden A-Dur Akkord entlassen.
„Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.“ Mal Hand aufs Herz: Können diese Worte nicht auch eine echte Zumutung sein? Wie mögen sie klingen in den Ohren der Menschen im unkrainischen Charkiw, deren Welt in Trümmern liegt? Wie mögen sie klingen in den Ohren der 1,5 Millionen Transgender-Menschen in den USA, die die Trump-Administration als nicht existent bewertet. Wie klingen diese Worte in unseren Ohren, wenn uns unsere eigenen Lebenswege durch tiefe Täler führen?
Manchmal fehlt die Kraft, im Leben mutig weiterzugehen. Manchmal fehlt das Vertrauen, um zu glauben, dass die Worte stimmen: „Wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ Und es wird auch nicht alles von jetzt auf gleich wieder gut, wenn wir uns vor Augen führen, dass unsere Traurigkeit unser Kreuz und Leid nur größer machen, wie uns die zweite Strophe lehren will.
Jesu Passion war kein Augenblicksgeschehen, nichts, was er zwischen Frühstück und Mittag hätte erledigen können. Es war eine erlebbar lange Zeit, die in seinen Gedanken ganz sicher weit vor dem Palmsonntag begonnen hatte. Und die Bibel berichtet eben ganz genau nicht, dass er fröhlich und Choralverse pfeifend durch Jerusalem getanzt ist.
Jesus ging es richtig dreckig! Er hat Angst, was er mehrfach sagt. Er hat gezittert, ist unter der Last seines Schicksals in Gethsemane zusammengebrochen und hat Gott unter Tränen um Schonung gebeten. Je mehr Lebenserfahrung wir sammeln, desto besser können wir all das auch anhand unserer eigenen Biographie nachvollziehen, weil es auch bei uns größere und kleinere Passionszeiten gab und weitere möglicherweise noch kommen werden.
Es ist deshalb so wichtig, dass wir im Kirchenjahr Zeit haben, all das zu bedenken und an uns heranzulassen. Es ist aber genauso wichtig, in diesen Tagen und Wochen auf Ostern hinzuleben. Denn so unbegreiflich das Osterwunder für uns auch sein mag: Das Grab war leer und wir alle dürfen wissen, dass Gott im Licht des Ostermorgens neues Leben geschaffen hat, das keine Dunkelheit mehr kennt, und das uns allen zuteilwerden wird – aus Liebe. Amen.

Download als PDF-Datei

  Einsam - gemeinsam

Einsam - gemeinsam

Cornelia Götz, Dompredigerin - 04.04.2025

Ich habe einen Ohrwurm: „Einsam bist du klein / aber gemeinsam werden wir Anwalt des Lebendigen sein / einsam bist du klein.“
Einsam.
Einsamkeit ist ein großes Thema. Mancherorts gibt es Ministerien, anderswo Beauftragte. Es gibt medizinische Studien über Nebenwirkungen von Einsamkeit, oder die sozialen Folgeschäden (kann man das so nennen?) der Coronapandemie. Und dann ist da noch die totale Leere zwischen allen Socialmediakontakten. Einsamer nie.
Einsam kann man sich fühlen, wenn an warmen Frühlingsabenden Menschen endlich wieder draußen auf Straßen und Plätzen zusammensitzen und man selbst doch zu keiner dieser fröhlich plaudernden Gruppen dazugehört.
Einsamkeit ist etwas anderes als Alleinsein. Das ist ja manchmal auch ganz schön – aber eben nur so lange wie es selbst gewählt ist. Milva singt das so herrlich:
„Ich bin so gern allein / Du glaubst ich kann’s nicht sein / Doch ich will hin und wieder mal keinen Menschen sehn… Ich stelle Möbel um / lauf ungeschminkt herum / ich mach es mir gemütlich / und dann denk ich an Dich.“
So ist es die Luxusvariante. Moderner Individualismus.
Aber wenn man nicht allein sein will? Wenn man befürchtet, komisch zu werden und nicht merkt, dass man – aus lauter Angst übersehen oder falsch verstanden zu werden - misstrauisch wirkt, wenn aus gefühlter Einsamkeit eine echte Zwangslage wird, dann fühlt man sich klein, wehrlos, spürt sich nicht mehr.
„Geh doch mal raus und unter Menschen“ hilft dann eher nicht.
Umso wohltuender ist das, was Gott uns in seiner Gemeinde und durch seinen Geist, mit seiner Gastfreundschaft schenkt.
Er lädt uns ein an seinen Tisch – nicht nur in Gedanken – sondern physisch.
Wir teilen Brot und Wein – nicht nur ideell, sondern so, dass wir richtig was zu schlucken haben.
Er verbindet uns nicht nur durch die Luft , die wir gemeinsam atmen, sondern auch wenn wir uns die Hände geben: Berührung – das Wundermittel gegen Einsamkeit.
Vielleicht ist dieses „eine Gemeinschaft gestiftet zu haben“ das kostbarste und wirksamste Geschenk, um leben zu können und Anwälte des Lebendigen, des Lebens, wirklicher Nähe zu sein – einander zum Segen zu werden. Darum: gut, dass Sie da sind. Gleich feiern und erleben wir das.

Download als PDF-Datei

  T - Taube

T - Taube

Cornelia Götz, Dompredigerin - 02.04.2025

Wenn Intellektuelle ein Land verlassen, so wie derzeit es in den Vereinigten Staaten geschieht, dann ist das ein so alarmierendes Zeichen wie wenn seinerzeit im Bergwerk die Kanarienvögel starben. So beginnt die Katastrophe.
Darum aus gegebenen Anlass Bibelkunde: T – Taube.
Denn war sie es nicht, die das Ende der Katastrophe anzeigte?
Wartete man nicht auf ihre Rückkehr? Oder ist es schon so weit - wie Hans Hartz sang: „Die weißen Tauben sind müde. Sie fliegen lange schon nicht mehr…“ ???
Bibelkunde also:
Im Alten Testament kannte man zwei Taubenarten:
Die graublaue wilde Felsentaube, von der auch die Haustaube abstammt. Und die Turteltaube, ein Zugvogel mit rötlicher Brust und seitlichen Halsflecken.
Tauben gehörten zum Alltag der Menschen: Der Prophet Jeremia berichtet von Tauben, die an Felswänden nisten, Hosea schimpft, dass Tauben „flatterhaft und ohne Verstand seien“ und eh leicht zu fangen sobald man sie hört. Jesaja berichtet von Taubenschlägen zur Massenhaltung, denn sie wurden gegessen.
Und vielleicht waren sie wegen ihrer frühen Domestizierung die einzigen Vögel unter den Opfertieren.
Mit salzigem Taubenmist wurde Brot gebacken. Darum war der kostbar und steht folgerichtig im zweiten Buch der Könige auf einer Liste rarer Güter, die während der Belagerung Samarias teuer wurden.
In der altorientalischen Umwelt Israels waren Tauben schließlich Begleittiere der Liebesgötter. Von dort war der Weg ins Hohelied Salomos kurz.
Dass die Menschen Tauben als Liebesboten lasen, erklärt wohl auch, warum in der Taufgeschichte Jesu Gottes Geist „wie eine Taube“ herabschwebt.
Für uns wurde die taube zum Friedenssymbol. Allerdings wohl nicht zuerst wegen ihrer wichtigen Rolle in der Sintflutgeschichte - die Taube brachte einen Ölzweig und Noah wusste so, dass die Flut überstanden und zusammen mit dem Wasser auch der Zorn Gottes verebbt war – sondern dank Pablo Picasso: Der malte für den ersten „Weltkongress der Kämpfer für den Frieden“ 1949 ein Plakat mit Taube, weil einer seiner Freunde Motiv in Picassos Atelier so schön fand.
T - Taube. Hoffen wir, dass sie dien Ölzweig bringt, ehe die Kanarienvögel sterben. Grund zur Hoffnung haben wir, denn Jeremia lässt ausrichten:
„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“

Download als PDF-Datei

  Redet, wenn Ihr Angst habt!

Redet, wenn Ihr Angst habt!

Heiko Frubrich, Prädikant - 01.04.2025

Die biblischen Texte der Passionszeit nehmen uns bereits jetzt hinein in die Karwoche. Am vergangenen Sonntag wurde berichtet, wie einige Griechen, die zum Passahfest nach Jerusalem gekommen waren, mit Jesus sprechen wollten. Als Jesu Jünger ihm das sagen, reagiert er merkwürdig. Er geht auf den Gesprächswunsch nicht ein, sondern beginnt, über seinen eigenen Tod zu sprechen. „Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben“, sagt er. Und: „Meine Seele ist voller Angst. Doch soll ich sagen: Vater, rette mich? Nein. Denn jetzt geschieht, wofür ich gekommen bin. Ich sage vielmehr: Vater, offenbare jetzt deine Herrlichkeit!“
Jesus hat Angst. Und diese Angst ist so bestimmend, dass er seinen Jüngern offenbar gar nicht richtig zuhört, als sie ihm sagen, dass dort Menschen sind, die zu ihm wollen. Jesus weiß, dass er Gottes Sohn ist. Er weiß, dass er bestens behütet ist und dennoch hat er Angst. Und er macht aus dieser Angst kein Geheimnis.
In jedem Leben gibt es Phasen, in denen wir existenzielle Angst haben. Wir verlieren einen Menschen, der Teil unseres Lebens war, uns ereilt eine schwere Krankheit, der Verlust des Arbeitsplatzes zerstört unsere Zukunftspläne. Jesus rät uns durch sein eigenes Verhalten: Redet darüber! Vertraut euch Gott uns anderen Menschen an, und tragt die Last nicht alleine.
Die Bibel verrät uns nichts über die Reaktion der Jünger. Doch sie berichtet, dass Gott selbst sich zu Wort meldet und seinen Sohn tröstet und ihm Mut macht. Er spricht aus dem Himmel: „Ich habe meine Herrlichkeit schon einmal offenbart und ich werde sie noch einmal offenbaren.“ Das erste Mal offenbart Gott seine Herrlichkeit in Christi Geburt. Er kommt als Mensch in unsere Welt und wird einer von uns und wir sahen seine Herrlichkeit, wie Johannes berichtet. Und die zweite Offenbarung von Gottes Herrlichkeit geschieht in der Auferstehung seines Sohnes am Ostermorgen.
Jesus sagt: „Hört genau hin, denn das, was mein Vater gerade gesagt hat, gilt euch!“ Und ja, so ist es. Wir wissen, dass Gott Wort gehalten hat, denn das Grab war leer. Wir wissen, dass Jesus seinen Weg weitergehen konnte, weil er wusste, dass Gott ihn auffangen und es am Ende gutmachen würde mit ihm. Und wir dürfen wissen, dass das auch für alle unsere persönlichen Krisen und Ängste und Nöte zutrifft. Gott wird seine Herrlichkeit auch an uns offenbaren und uns nicht verlassen, wenn wir alleine nicht mehr weiterwissen.
Jesus zeigt uns: Angst zu haben, schwach zu sein und um Hilfe zu bitten, ist keine Schande. Es gehört zu jedem Leben dazu, sogar zu dem des Gottessohnes. Und wir müssen da nicht alleine durch. Denn er ist da und hilft. Amen.

Download als PDF-Datei

  Liebe wächst wie Weizen

Liebe wächst wie Weizen

Heiko Frubrich, Prädikant - 31.03.2025

Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt, Keim, der aus dem Acker in den Morgen dringt. Liebe lebt auf, die längst erstorben schien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.
So heißt es in der ersten Strophe eines von Pastor Jürgen Henkys geschriebenen Passionsliedes. Es geht um das Weizenkorn, das sterben muss, um viel Frucht zu bringen. Es geht um Jesus Christus, der sein irdisches Leben verliert, damit neues Leben entstehen kann, neues Leben, dass aus der Kraft der Liebe Gottes den Tod besiegt.
Wir sehen Bilder von zerstörten Häusern und Trümmern auf den Straßen. Wir sehen Bilder von verzweifelten Menschen, die nach ihren Angehörigen suchen. Wir sehen Bilder voller Angst, Trauer und Hilflosigkeit. Tausende haben ihr Leben verloren in den Erdbebengebieten in Myanmar und Thailand. Klingt es nicht beinahe zynisch, jetzt von Liebe zu singen?
Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab, wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab. Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn? Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.
Menschen haben niemals aufgehört, den Stab über Gottes Liebe zu brechen und Felsen vor der Liebe Grab zu wälzen. Da schicken die Mächtigen ihre Soldaten in den Krieg, wo sie den Tod finden, ihr Leben hingeben müssen als Tribut für den Größenwahn ihrer Staatenlenker. Da werden die Freiheitsrechte von Minderheiten durch präsidiale Dekrete vor laufenden Kameras weggewischt, da werden Menschen für die eigenen Ziele instrumentalisiert – durch rücksichtslose Scharfmacher, die die Lüge systematisch über die Wahrheit stellen. Klingt es nicht beinahe zynisch, jetzt von Liebe zu singen?
Im Gestein verloren Gottes Samenkorn, unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn – hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.
Ja, unsere Herzen können verhärten, wenn ihnen das Gestrüpp und die Dornen des Egoismus, der Ignoranz und der sogenannten Sachzwänge den Raum zum Mitgefühl nehmen. Dann bleibt Gottes Samenkorn im Gestein verloren und findet keinen Zugang mehr zu unserem Denken, Reden und Handeln. Und dann wird es dunkel in dieser Welt. Wir erleben Nächte, in der es kalt ist und unmenschlich. Klingt es nicht beinahe zynisch, jetzt von Liebe zu singen?
Doch wir alle dürfen auf den dritten Tag hoffen. Wir dürfen darauf hoffen, weil Gott uns gezeigt hat, dass im Licht des Ostermorgens alles Leiden ein Ende hat und dass Gottes Liebe in allem immer gegenwärtig ist, auch, wenn wir sie nicht wahrnehmen. Und deshalb dürfen wir niemals müde werden, von Liebe zu singen.
Denn Liebe wächst wie Weizen und ihr Halm ist grün. Amen.

Download als PDF-Datei

  Die Rosarote Brille

Die Rosarote Brille

Heiko Frubrich, Prädikant - 29.03.2025

Jedes Pink ist Rosa, aber nicht jedes Rosa ist Pink. Zu diesem Ergebnis kommt eine Doktorarbeit mit dem wohlklingenden Titel: „Zur Semantik der Farbadjektive rosa, pink und rot.“ Was es nicht alles so gibt. Dabei ist das Thema auch für uns als evangelische Kirche durchaus wichtig, denn wir sind in der Passionszeit gerade beim Lätare-Wochenende angekommen. Lätare bedeutet „Freue dich“ und so heißt der morgige Sonntag auch Freuden- oder Rosensonntag. Und damit man das auch in unseren Kirchen sofort erkennen kann, könnten wir unsere Altäre mit Paramenten schmücken, die die Farbe Rosa haben, und damit das Lila der Buß- und Fastenzeiten etwas aufhellen. Leider haben wir hier am Dom kein rosafarbenes Parament, aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Drei Wochen Passionszeit haben wir nun schon hinter uns, noch drei weitere werden folgen. Gelingt es Ihnen, ab und zu mal in die besondere Atmosphäre dieser Zeit einzutauchen? Oder ich frage mal anders: Wollen Sie das überhaupt?
Ich denke, dass es ganz unterschiedliche Wege gibt, sich durch diese Wochen vor dem Osterfest zu bewegen. Schaue ich darauf, zu was Menschen fähig sind und werden, wenn sie Macht über andere haben? Dabei stellt sich schnell Entsetzen ein, wobei es der biblischen Geschichten um Jesu Leiden und Sterben gar nicht bedarf. Ein Blick auf unsere Welt im Hier und Jetzt reicht vollkommen aus, um im wahrsten Sinne des Wortes den Glauben an die Menschheit zu verlieren.
Ich kann die Passion Jesu aber auch vom Ende her betrachten. Und dann ist der Karfreitag nicht nur grausam und beschämend, sondern eben auch ein unglaublicher Liebesbeweis. Christus nimmt uns all unsere Schuld und unsere Sünde von den Schultern, trägt sie ans Kreuz und nimmt sie mit in den Tod, wo sie für alle Ewigkeit verschwindet. Das macht den Karfreitag auch zu einem Datum der Befreiung. Nicht zuletzt deshalb heißt er im Englischen Good Friday, Guter Freitag.
Wie dem auch immer sein mag: An diesem Wochenende dürfen wir auf jeden Fall einmal durchatmen. Wir werden morgen (Achtung: Spoiler!) in unseren Gottesdiensten von Gottes Gnade und Treue hören, vom Brot des Lebens und vom Weizenkorn, das viel Frucht bringt.
All das tut uns gut, denn es ist die Vergewisserung, dass Gott immer an unserer Seite ist und dass das Licht des Ostermorgens alle Finsternis überstrahlt. Lätare! Freue Dich! Amen.

Download als PDF-Datei

  Die Frohe Botschaft retten

Die Frohe Botschaft retten

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.03.2025

Es gibt wieder neue Zahlen über die Mitgliederentwicklung der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. Und wieder ist ein deutlicher Rückgang von insgesamt über einer Million Kirchenmitgliedern zu verzeichnen. Zwar gab es nicht mehr so viele Austritte wie in den Vorjahren, doch können Taufen und Wiedereintritte den Trend bei weitem nicht aufhalten. Die Kirchenleitungen zeigen sich alarmiert und betonen, dass man vor diesen Zahlen nicht die Augen verschließen dürfe. Doch Hingucken alleine reicht ganz sicher nicht aus.
Überaus passend heißt es in den Herrnhuter Losungen über dem heutigen Tag: „Jesus Christus spricht: Geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.“
Geht hin zu den verloren Schafen. Damit kann man sich ja gut beschäftigt halten, denn an verlorenen Schafen herrscht kein Mangel, wie uns die Zahlen zeigen. Und dann? Was soll passieren? Jesus sagt: „Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“ Seine Jünger sind die Adressaten und manches ist für einen Otto-Normalverbraucher-Christenmenschen des 21. Jahrhunderts sicher eine Nummer zu groß. Aber vielleicht lässt sich Jesu Botschaft ja zusammenfassen zu: Tut Gutes! Kümmert Euch um die Menschen und lasst dadurch sichtbar werden, was christliches Leben bedeutet.
Wenn Menschen unsere Kirche verlassen, kann das unterschiedliche Gründe haben. Ein möglicher ist die Unzufriedenheit mit der Kirche als Institution. Dafür gibt es zutreffende Argumente und die Liste innerkirchlicher Baustellen ist noch lange nicht abgearbeitet. Es kann aber auch sein, dass Menschen, die die Kirche verlassen, keine Bindung mehr zu christlichen Werten und zum Christ-Sein insgesamt fühlen.
Dass die Institution Kirche schrumpft, ist tragisch. Der Bedeutungsverlust christlicher Werte allerdings, birgt weit größere Gefahren in sich. Denn damit verschwinden rote Linien, die bisher mehrheitlich anerkannt waren. Wenn wir Jesu Botschaft ernstnehmen, bleibt kein Platz für Hass und Gewalt, kein Platz für Diskriminierung und Verrohung, kein Platz für Fanatismus und Größenwahn.
Wenn wir Jesu Botschaft ernstnehmen, werden wir einander in Respekt und Barmherzigkeit begegnen und unseren Mitmenschen lieben wie uns selbst. Diese Haltung, die unser Zusammenleben im Großen wie im Kleinen bestimmt, steht auf dem Spiel. Und natürlich geht auch die Gewissheit verloren, ein Leben in Liebe und Geborgenheit zu führen, begleitet von einem Gott, der es gut mit uns meint.
Das alles ist existenziell, und es betrifft jede und jeden einzelnen genauso wie uns alle als Gesellschaft. Primäres Zeil ist nicht, die Kirche als Institution zu retten, sondern der frohen Botschaft Gehör zu verschaffen und die Menschen davon zu überzeugen, dass Gottes Liebe das Beste ist, was uns widerfahren kann – in jeder Beziehung. Amen.

Download als PDF-Datei

  Dampf ablassen

Dampf ablassen

Heiko Frubrich, Prädikant - 27.03.2025

„Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist für mich zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich.“ Von Jeremia stammen diese Worte, über die am vergangenen Sonntag in unseren Kirchen gepredigt wurde. Jeremia, der große Prophet des Alten Testaments, Jeremia der uns so viele von Gottes Gedanken und Worten übermittelt hat, er beklagt sich hier in einer Deutlichkeit, die zumindest überrascht.
Ja, er hat sich nicht in das Prophetenamt hineingedrängt. Als Gott ihn berief, hielt er sich für zu jung und er wandte ein, dass er kein guter Prediger sei. Aber dennoch: Diese Motzerei gegenüber Gott ist schon ziemlich heftig. „Du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist für mich zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich.“
Darf man so mit Gott reden, insbesondere dann, wenn man aus seiner Hand eine so vertrauensvolle Aufgabe erhalten hat? Oder ist das einfach nur respektlos? Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Gott in der Bibel von uns Menschen konsequent geduzt wird? Und nicht nur von den Menschen in der Bibel: Wir tun es auch, in jedem Vater Unser, das wir miteinander beten. „Vater unser, der Du bist im Himmel.“ Und Gott duzt zurück: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, sagt er.
Nun hat das Duzen nicht unmittelbar etwas mit fehlendem Respekt zu tun. Es kann, und so verstehe ich es hier, auch durchaus Augenhöhe und Nähe ausdrücken. Das Du in unserer Gottesbeziehung ist für mich der Beleg dafür, dass Gott einen festen Platz bei uns haben, und bei allem, was wir erleben und erleiden, dabei sein möchte.
In einer solchen Beziehung gibt es auch mal ruppigere Zeiten. Da sind unsere Zweifel, aus denen wir kein Geheimnis machen müssen. Da ist unser Unverständnis, warum Gott nicht aktiver in das Weltgeschehen eingreift. Und da ist unsere Wut, wenn uns Schicksalsschläge treffen, obwohl wir Gott doch an unserer Seite haben.
All das darf raus, all das darf laut werden vor Gott und nichts nimmt er uns übel – ganz im Gegenteil. Jesus ermuntert uns, zu ihm zu kommen, wenn wir mühselig und beladen sind, weil er uns entlasten und wieder aufrichten will. Und er fordert uns auf, Gott, mit dem, was uns bedrückt, auf die Nerven zu gehen. Auch dafür ist er da.
So manches wird leichter, wenn man es sich von der Seele redet. Ärger wird kleiner, wenn wir mal so richtig Dampf ablassen können. Und die Gefahr von Magengeschwüren nimmt deutlich ab, wenn wir unseren Frust nicht in uns hineinfressen. Gott weiß das, und er ist in solchen Situationen gerne unser Gesprächspartner.
Und wenn sich das selbst der große Prophet Jeremia getraut hat, dann dürfen wir das auf jeden Fall auch. Amen.

Download als PDF-Datei

  Frieden leben!

Frieden leben!

Heiko Frubrich, Prädikant - 26.03.2025

„Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Beleidigt Sie das? Fühlen Sie sich zu Unrecht angegriffen? Verallgemeinerungen sind ja ohnehin mit Vorsicht zu genießen, und wenn wir dann so undifferenziert verunglimpft werden, wohl erst recht. Blöd nur, dass dieser Satz nicht aus irgendeinem TikTok-Fake-News-Post stammt, sondern von Gott höchstpersönlich. Er spricht ihn aus, nach dem Ende der Sintflut und es schwingt deutlich Resignation mit in seinen Worten.
Es ist Mittwoch und so ist dieser Abendsegen heute gleichzeitig ein Friedensgebet. Aber können wir uns das nicht eigentlich schenken, wenn Gott schon auf den ersten Seiten der Bibel zu der Erkenntnis kommt, dass wir Menschen von Jugend an nur Böses im Sinn haben? Wie soll es da Frieden werden können?
Und wir sehen ja gerade an einigen Paradebeispielen, dass ein paar mächtige Autokraten ausreichen, um jegliche mühsam aufgebaute Friedensordnung und damit die ganze Welt in Unordnung zu bringen und die Zukunft von Millionen von Menschen zu gefährden. Und selbst die Bibel ist voll von Geschichten, in denen es um Krieg und Gewalt geht. Wir sind mitten in der Passionszeit und erinnern uns daran, dass wir Menschen in unserer Selbstüberschätzung und unserem Größenwahn sogar Gottes Sohn umgebracht haben.
Und trotz allem wendet sich Gott nicht von uns ab. Der Mensch ist schlecht und trotzdem will ich nie wieder alles Lebendige so schwer bestrafen, wie ich es getan habe, sagt er zu sich selbst, nachdem Noahs Arche wieder auf sicherem Land lag. Dem zugrunde liegt Gottes feste Überzeugung, dass wir eben auch anders können, dass wir einander zum Segen werden und zum Frieden fähig sind.
Ja, wir haben den ans Kreuz gebracht, der uns gezeigt hat, wie Frieden geht. Ja, wir haben damit ein Fanal gesetzt, das zeigt, wozu wir Menschen fähig sind. Gott hätte an diesem Punkt der Geschichte alle Brücken zu uns abbrechen können. Aber er hat selbst auf diesen Gewaltexzess gegen seinen eigenen Sohn mit Liebe geantwortet, mit Liebe, die spürbar wird in der Vergebung unserer Schuld und die sichtbar wird mit dem leeren Grab.
Doch Gottes Liebe soll uns auch Verpflichtung sein, das Vertrauen, das er in uns setzt, nicht zu enttäuschen. Frieden regnet nicht vom Himmel. Frieden beginnt nicht erst dann, wenn andere damit anfangen. Frieden beginnt bei uns als spürbare und sichtbare Antwort auf Gottes Liebe, die er uns so eindrucksvoll bewiesen hat. Damit können wir das Böse im Zaum halten – uns Menschen zum Wohle und Gott zur Ehre. Amen.

Download als PDF-Datei

  Siehst du den Mond dort stehen?

Siehst du den Mond dort stehen?

Henning Böger, Pfarrer - 25.03.2025

Der Blick heute Abend geht in weite Ferne, genauer 384.400 Kilometer weit von der Erde entfernt: bis hinauf zum Mond. Seit kurzem steht der Erdtrabant auf der Liste des bedrohten Kulturerbes.
Der „World Monuments Fund“, kurz WMF, hat den Mond in seine aktuelle Liste der gefährdeten Orte aufgenommen. Die gemeinnützige Denkmalschutz-organisation, 1965 gegründet, benennt alle zwei Jahre 25 besonders bedrohte Kulturerbe-Stätten. Auf ihrer „World Monuments Watch“ stehen oftmals Stätten, die in Konfliktgebieten wie der Ukraine oder dem Gazastreifen liegen oder die durch die Klimakrise besonders gefährdet sind.
Nun steht auch der Mond auf der Liste des WMF, weil man die Zerstörung einer wichtigen archäologischen Stätte fürchte. Die Sorge der Forschenden bezieht sich auf Fundstücke, die verteilt am Landepunkt der ersten bemannten Mondfähre liegen. Es sind 106 an der Zahl, sorgfältig kartografiert, z. B. ein Paar Weltraumstiefel, eine umgewehte US-Fahne, eine Mondoberflächen-Nahaufnahmekamera oder ein Fußabdruck im Mondstaub. Die US-Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin ließen all das zurück, als sie am 21. Juli 1969 den Mond wieder in Richtung Erde verließen.
In der näheren Zukunft stellen, so der WMF, neue Forschungsmissionen oder sogar private Ausflüge zum Mond ein Risiko für diese Artefakte der ersten Mondlandung dar. Man stelle sich etwa einen Touristen wie Elon Musk vor, der seinen Fußabdruck neben oder sogar auf dem von Neil Armstrong hinterlassen möchte.
Wie anders singt das alte Abendlied von Matthias Claudius vom aufgehenden Mond: „Seht ihr den Mond dort stehen? / Er ist nur halb zu sehen / und ist doch rund und schön. / So sind wohl manche Sachen, / die wir getrost verlachen, / weil unsere Augen sie nicht sehn.“
Der halbe Mond als Zeichen für die halbe Erkenntnis. Eben meine Sicht der Dinge. Und andere haben ihre Sicht, die mir vielleicht noch verborgen ist.
Auch das wäre ein guter Grund dafür, den Mond auf die Liste des bedrohten Menschheitserbes zu setzen. Weil Leben, das als Ganzes gelingt, sich immer aus diesen halben Wahrheiten zusammenfügt.

Download als PDF-Datei

  Gemeinschaft der Heiligen – Du gehörst dazu!

Gemeinschaft der Heiligen – Du gehörst dazu!

Heiko Frubrich, Prädikant - 24.03.2025

„Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage?“ Ein witziger Spruch, der aber durchaus Wahres in sich trägt. Denn manchmal ist die Zunge schneller als das Hirn und mitunter funktioniert sie, auch ohne, dass unsere grauen Zellen merkbar einbezogen sind. Das passiert sogar beim Beten. Die Worte des Vater Unser sind uns so vertraut, dass einfach fließen. Da braucht es keine übermäßige Konzentration. Wir falten die Hände, schließen vielleicht die Augen und beten. Und tatsächlich machen sich unsere Gedanken dabei manchmal auf einen Weg, den wir nicht erwartet haben und der uns wegführt, von dem, was wir sagen.
Es kann aber auch sein, dass wir vertraute Worte immer wieder sprechen und plötzlich kommt wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Frage: Was bedeutet das eigentlich? So ist mir mal ergangen, als ich über eine Formulierung in unserem Glaubensbekenntnis gestolpert bin. Da heißt es im letzten Teil: „Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen...“
Gemeinschaft der Heiligen? Die spielen doch aber bei uns Protestanten gar nicht so die große Rolle. Wir sagen doch eher: Ja, es gab und gibt sie immer wieder, diese Menschen, die uns große Vorbilder im Glauben sind, die für ihre christliche Überzeugung gelebt haben und sogar dafür gestorben sind. Ich denke dabei an den Jerusalemer Diakon Stephanus genauso wie an Dietrich Bonhoeffer.
Aber sind tatsächlich diese gemeint mit der Gemeinschaft der Heiligen? Ja, diese auch. Und darüber hinaus noch Sie und Ihr und ich. Sie könnten jetzt einwenden, dass uns der Papst doch noch gar nicht heiliggesprochen hat, ja dass er uns noch nicht einmal persönlich kennt. Und ich erwidere Ihnen: Das macht nichts, denn Paulus schreibt in seiner Anrede im ersten Korintherbrief für seine Verhältnisse verblüffend klar: „An euch, die ihr heilig geworden seid durch die Verbindung mit Christus Jesus. Zu Heiligen seid ihr berufen mit allen, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus anrufen – überall auf der Welt, hier wie anderswo.“
Wenn wir mit Jesus Christus verbunden sind, dann sind wir Heilige. Durch Taufe und Bekenntnis gehören wir dazu und sind, wie Paulus an anderer Stelle schreibt, „Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen“. Das mit mittendrin statt nur dabei. Das ist dieses Reich Gottes, von dem Jesus sagt, dass es bereits jetzt unter uns ist.
Und jedes Mal, wenn wir im Glaubensbekenntnis von der Gemeinschaft der Heiligen sprechen, dürfen wir uns daran erinnern. Ich gehöre dazu! Ich bin eine oder einer von diesen Heiligen, fest verbunden mit meinem Gott, der mich sieht, der mich kennt und der mich liebt – für immer und ewig. Amen.

Download als PDF-Datei

  19.521 Schritte

19.521 Schritte

Henning Böger, Pfarrer - 22.03.2025

Der Mode-Experte und Fernsehmoderator Guido Maria Kretschmer hat ein schmales Büchlein geschrieben: „19.521 Schritte: Vom Glück unerwarteter Begegnungen“.
Kretschmer, der sonst modemutige Zeitgenossinnen medienwirksam berät, erzählt
darin von einem ungewöhnlichen Spaziergang durch Berlin. An einem sonnigen Tag bricht er dazu ganz spontan auf. Seine Idee dabei: Einfach mal woanders abbiegen,
nicht immer dieselben Wege gehen und dabei vor allem viel Zeit haben.
So macht er sich auf den Weg und trifft unterschiedlichste Menschen, die ihn an ihren Geschichten teilhaben lassen. Da ist zum Beispiel Chanti, die bald nach Indien fliegt,
um dort ihre große Internet-Liebe zu treffen, oder Petra, die mit Mitte fünfzig ihr ganzes Leben infrage stellt, weil sie eine Frau kennen und lieben gelernt hat. Jede dieser Geschichten gibt Guido Maria Kretschmer die Möglichkeit, sich auch an Erfahrungen
und Erlebnisse aus seinem eigenen Leben zu erinnern. Denn: „Wir nehmen uns ja mit egal, wohin die Reise geht.“ Am Ende ist seine Tagesreise quer durch Berlin 19.521 Schritte lang.
Wer sich einmal quer durchs Büchlein liest, der merkt: Der Schlüssel zu den vielen, gelingenden Gesprächen an diesem Tag liegt in der offenen Art, mit welcher der Spaziergänger Kretschmer den ihm unbekannten Menschen begegnet. „Ohne diese Offenheit“, so Kretschmer, „bekommen wir ja gar nicht mit, wie toll, vielfältig und wie ähnlich wir anderen sind. Diese schönen Begegnungen machen das Leben für mich aus.“
„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, lese ich beim Religionsphilosoph Martin Buber. Und weiter: „Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du.“
Das ist eine alte, schon biblische Einsicht: Wir Menschen sind durch Gott von Anfang
an als Gegenüber geschaffen. Für Gott selbst, das ewige Du, und auch füreinander. Unsere Lebenswege gewinnen dort an Sinn und Tiefe, wo wir uns für andere interessieren, ihnen mit offenem Blick und weitem Herzen begegnen.
Gute Wege uns allen in dieses März-Wochenende hinein und Neugier darauf,
wem wir begegnen könnten!

Download als PDF-Datei

  S - Schet

S - Schet

Cornelia Götz, Dompredigerin - 20.03.2025

S – Schet
Wer ist das? Kaum jemand kennt ihn. Dabei ist er das Bindeglied zwischen uns und Adam und Eva. Er, nicht Kain, der seinen Bruder Abel erschlug.
Die Bibel erzählt:
„Adam schlief wieder mit seiner Frau, und Eva bekam noch einen Sohn.
Sie nannte ihn Schet, das heißt: Ersatz. Denn sie sagte:
»Gott hat mir einen anderen Sohn geschenkt. Denn Abel ist ja von Kain erschlagen worden.« Auch Schet bekam einen Sohn und nannte ihn Enosch. Damals begann man, den Herrn bei seinem Namen anzurufen.“
Mit dieser Linie verbindet sich Gott.
Fast übersehen? Ja, vielleicht. Denn geht es nicht mit unserem Welt- und Geschichtsbild, unserer Erfahrung mit Blick auf die Mächtigen besser zusammen, dass Gott nach dem Brudermord, den Kain zwar zeichnet aber ihn trotzdem zum Stammvater macht?
Ja, so selektiv kann man lesen. Aber so steht es nicht geschrieben. Denn
Gott ist von Anfang an auf der Seite derer, die sterben müssen vor der Zeit, die stumm gemacht werden – darum braucht es für Abel Ersatz, einen, der an seine Stelle tritt. Erinnern wir uns: Abel hieß „Hauch, Vergänglichkeit“.
Er war ein Leiser.
Sein kleiner nachgeborener Bruder wird ihn vertreten. Nicht, um an der Last der Familienkonstellation zu zerbrechen, sondern weil mit ihm, mit Schet, über den die Linie zu Noah und Abraham weitergeht, eine Grundentscheidung sichtbar wird: die biblischen Geschichten sind parteilich.
Sie tun den Mund auf für die Stummen.
Darum beginnen die Menschen mit diesem Schet, so hab ich es vorhin vorgelesen, Gott anzurufen – mithin: ihm zu erzählen, ihm zu klagen, zu danken und zu bitten und auch: verstehn zu wollen.
Nur wenn wir Schet, den dritten Sohn von Adam und Eva, nicht übersehen, verstehen wir also, dass Gottes Geschichte keine Geschichte der Sieger und Heroen sein will. Es ist eben gerade nicht wie bei Romulus und Remus, dort erbaut der Brudermörder Rom. Hier aber verfolgt Gott Abels Spur.
Wir gehen jetzt – in der Passionszeit - auf Jesu Tod zu. Er war ein Nachfahre Abels und Schets, Auch er wurde ermordet wurde, zum Verstummen gebracht. Wir gehen, leben und glauben in dieser Spur!
Und zuletzt: Schet wird eine Frau finden und eine Familie gründen. Sein Sohn heißt Enoch „Menschlein“. Ganz zart klingt es vom Anfang her obwohl wir doch dachten, es ein eine archaische gewaltvolle Geschichte. Ja – aber die endet in der Sackgasse. Es geht weiter mit: S – Schet.

Download als PDF-Datei

  Saint Patrick’s Day

Saint Patrick’s Day

Heiko Frubrich - 17.03.2025

Irland, die grüne Insel – heute trifft diese Bezeichnung in ganz besonderer Weise zu. Nicht etwa, weil dort überraschend schnell der Frühling ausgebrochen wäre, sondern weil heute der irische Feiertag schlechthin ist: Saint Patrick. Da geht so richtig die Post ab, da wird gefeiert, dass die Wände wackeln und alles eben in grün – grüne Hüte, grünes Bier, ja sogar ganze Flüsse werden mit Lebensmittelfarbe Grün eingefärbt.
Bischof Patrick ist der irische Schutzheilige. Geboren um 400 soll er als Kind von Sklavenhändlern aus seiner schottischen Heimat nach Irland verschleppt worden sein, wo er als Schafhirte arbeiten musste. Dort habe er Kraft im christlichen Glauben gefunden. Eines Nachts soll er von einem Engel zur Flucht aufgefordert worden sein. Dem kam er nach und wurde so wahrscheinlich Mönch im Norden von Frankreich.
Dort wiederum träumte er von Stimmen, die ihn nach Irland zurückriefen. Und so wurde er 432, ausgestattet mit einem päpstlichen Auftrag, auf die Insel zurückgeschickt. In Irland angekommen gründete er Klöster, Schulen und Kirchen und soll bis zu seinem Tod im Jahre 462 Tausende zum christlichen Glauben bekehrt haben.
Nur Weniges von dem, was wir uns heute über Saint Patrick erzählen, ist durch verlässliche Quellen belegt, was auch daran liegt, dass bis zu seinem Wirken in Irland Geschichte meist mündlich übermittelt wurde, was nachvollziehbarerweise zu Unschärfen führt. Doch ganz unabhängig davon ist Saint Patrick bis heute eine christliche Integrationsfigur, hinter der sich Irinnen, Iren und Irland-Fans weltweit versammeln, um ordentlich zu feiern.
Zugegebenermaßen geht es dabei oftmals nicht besonders fromm zu. Aber ist das ein Problem? Ich finde nicht – ganz im Gegenteil! Ein guter Freund von mir ermahnt mich immer mal wieder, doch von hier vorne nicht so ernst und streng zu gucken, denn es ginge doch wohl um die „Frohe“ Botschaft, wenn er es recht verstanden hätte. Und ja, er hat es recht verstanden.
Es geht um die Frohe Botschaft und dass das so ist, darf man uns allen auch ansehen – sogar in der Passionszeit. Und wenn sich Menschen zusammenfinden, um eine gute Zeit miteinander zu haben, zu reden, zu singen und zu feiern, dann hat unser Herr ganz sicher nichts dagegen. Und wenn wir uns dabei dann noch an ein Vorbild im Glauben, wie zum Beispiel Sain Patrick, erinnern: Na umso besser! Amen.

Download als PDF-Datei

  Schwäche und Staunen

Schwäche und Staunen

Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.03.2025

„Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“
So heißt es im zweiten Korintherbrief. Mir ist dieser Vers wichtig - in der Passionszeit, vor allem aber dann, wenn es um Ermutigung wider die Ohnmacht und Erschöpfung geht.
Ich finde, wenn wir beim Abendmahl hier vorn zusammenstehen, jede und jeder mit seiner kleinen Kraft, jede und jeder immer auch auf dem dünnen Eis der Herausforderungen des eigenen kleinen Lebens oder der großen Welt und diese Worte hören - dann ist das nicht nur tröstlich, sondern auch zum Staunen schön.
Heute Morgen ist mir eine Geschichte, der ganz anderen Art begegnet, die etwas von der Gnade, die mit den Schwachen in unser Leben kommt, erzählt. Sie ist von tröstlicher Schönheit.
Es geht um Chloe Dalton, eine britischen Politikberaterin, die während der Regierungszeit von David Cameron für das Außenministerium arbeitete und entsprechend im Londoner Regierungsviertel hin- und herrannte, zu den Brennpunkten in Bagdad, Kabul und Algier reiste und vermutlich arbeitete wie ein Brauereipferd.
Dann kam Corona und mit der plötzlichen Vollbremsung eine Zäsur, die ihr wie unser aller Leben infrage stellte. Bei Chloe Dalton klingt das allerdings nicht nach Krise, sondern eher nach Verblüffung. Denn von außen gesehen kann man sich ja manchmal wundern, womit man sich alles identifizieren und dann mit Haut und Haar engagieren kann … - mit ein bisschen Abstand kommt einem das dann absurd vor.
So ähnlich muss es Chloe Dalton gegangen sein, als sie in der Coronazeit auf dem Lande lebte und eines Tages einen kleinen Wildhasen fand. Das hilflose Tier, Inbegriff des Schwachen, lehrte sie Demut und Loslassen, schärfte ihren Blick für eine Welt, die weiß, wie man Wildhasen jagt und brät aber nicht, wie man sie aufzieht, mithin dafür, wie „wenig wir zu tun gewillt sind, um den Bedürfnissen … der Kreatur, der Schöpfung entgegenzukommen“ und zugleich, welche Schönheit in der Selbstgenügsamkeit liegt.
Die Begegnung mit dem kleinen Hasen, um dessentwillen sie in ihrem eigenen Hause ganz leise war und abends kein Licht machte, den sie kommen und gehen ließ, trotz aller Furcht vor seinen Feinden, hat ihr Leben reicher gemacht, erfüllter, schöner.
Jetzt, fünf Jahre später, so erzählt sie, kommen drei Generationen Wildhasen, um auf ihrem Teppich zu fläzen, sich im Garten zu sonnen und wieder in die Felder zu verschwinden.
Und Chloe Dalton, die dachte, wenn sie davon erzählt, wird sie als gefühlsduselige Frau abgestempelt, hat mit dieser Geschichte inzwischen viele Menschen glücklich gemacht und für sich selbst einen neuen Weg gefunden, ihre Kraft in den Dienst der Schwachen zu stellen.
Und ich denke: da scheint Gnade auf. Sie hilft uns miteinander leben. Es lohnt, von Schwachen, Schwäche und Ohnmacht zu erzählen und zu staunen, was dann passiert.

Download als PDF-Datei

Hier erreichen Sie uns:

Domsekretariat
0531 - 24 33 5-0
dom.bs.buero@lk-bs.de

Domkantorat
0531 - 24 33 5-20
domkantorat@lk-bs.de

Jede Woche im Dom:

Montag bis Freitag – 17.00 Uhr
ABENDSEGEN
Mittwoch: mit Versöhnungsgebet von Coventry
Freitag: mit Feier des Abendmahls

Samstag – 12.00 Uhr
MUSIKALISCHES MITTAGSGEBET

Sonntag – 10.00 Uhr
GOTTESDIENST

Öffnungszeiten Dom:

Montag bis Sonntag – 10.00 - 17.00 Uhr
Zwischen Anfang Januar und Mitte März gelten die Winteröffnungszeiten:
Montag – 15.00 - 17.00 Uhr
Di. bis So. – 10.00 - 13.00 Uhr und 15.00 - 17.00 Uhr
Am 1. Januar, 1. Mai und 3. Oktober bleibt der Dom geschlossen.


Öffentliche Domführungen:

Montag bis Samstag – 14.00 Uhr
durch Mitglieder der DomführerGilde
In der Zeit von Anfang Januar bis Mitte März sowie an Feiertagen finden keine öffentlichen Führungen statt!