Ein Stückchen Himmel freihalten
Ein Stückchen Himmel freihalten
Henning Böger, Pfarrer - 31.05.2025
„Halten Sie stets ein Stückchen Himmel frei über Ihrem Leben.“ Das schreibt der französische Schriftsteller Marcel Proust. Der lebte ins frühe 20. Jahrhundert hinein und ist berühmt für seinen siebenbändigen Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Die Bände sind nicht leicht zu lesen, ich habe es nicht geschafft. Aber gleich im ersten Band, für den meine Energie noch reichte, steht dieser wunderbare Satz:
„Halten Sie stets ein Stückchen Himmel frei über Ihrem Leben.“
Dieser Satz ist herrlich, finde ich, weil er das Kino im Kopf in Bewegung bringt:
Irgendwo in mir, in meinem Kopf oder meiner Seele, soll es eine Luke geben, die sich zum Himmel hin öffnen lässt. „Halten Sie stets ein Stückchen Himmel frei über Ihrem Leben.“ Ich verstehe das so: Wir Menschen können nicht alles wissen oder immer fest glauben. Niemand weiß in allem Bescheid und tut nur das Gute und Richtige.
Kein Mensch hat immer die Liebe, die nötig wäre, um die Welt zu verbessern. Oft sind
wir nicht weise genug für das Leben und die vielen Sorgen darin. Da ist es nur klug,
wenn immer eine Handbreit Himmel frei und sichtbar bleibt über unserem Leben.
Ein Stückchen Himmel über dem Leben freizuhalten, das bedeutet auch, Gott immer
als eine Möglichkeit im Leben anzusehen. Bevor es zu dunkel und trostlos wird im Gemüt, soll der Blick nach oben gehen - durchs offene Fensterchen in das Stückchen Himmel über mir.
Denn der Himmel ist, so weiß es die Bibel, ein tiefes Bild für Gottes Güte und die Weite seines Segens. Beide wollen in uns Menschen hinein, sehen mehr als nur unsere Grenzen, bringen uns in Bewegung und setzen uns bisweilen auf eine neue Spur -
und wir merken: „Da geht doch mehr. Und es geht anders!“ Dieser Himmel ist Gottes großes Ja zum Leben gerade dort, wo dieses Leben feststeckt zwischen Sorgen
und Fragezeichen.
Jeder Leser sei der Leser seiner selbst, lautet das Credo von Marcel Proust.
Seine Bücher über die verlorene Zeit sah er als eine Art „Vergrößerungsglas“,
durch das der Leser die Möglichkeit habe, in sich selbst zu lesen. Auch das ist ein wunderbarer Gedanke, finde ich. Fangen wir am besten gleich mit diesem Satz an: „Halten Sie stets ein Stückchen Himmel frei über Ihrem Leben.“
Download als PDF-Datei Gerechtigkeit. Irgendwann.
Gerechtigkeit. Irgendwann.
Henning Böger, Pfarrer - 28.05.2025
„Ich bin einfach leer. Ich habe keine Gefühle mehr “, sagt er und blickt in die Kamera.
Der Mann ist etwa Mitte vierzig und lebt in einer Kleinstadt in der Ukraine. Der Reporter Vassili Golod hat ihn besucht und gefragt, ob er im deutschen Fernsehen seine Geschichte erzählen darf. Der Mann stimmt zu und erzählt seine traurige Geschichte:
Sie leben als Familie im dritten Stock eines Wohnblocks. Die drei Töchter sind zwischen neun und dreizehn Jahre alt. Die Älteste studiert, die Mittlere ist in einer Ausbildung und die Jüngst geht zur Schule. Eines Tages vor etwa einem halben Jahr geschieht, was in ukrainischen Städten täglich geschieht: die Sirenen heulen und geben Luftalarm. Er habe seine Frau und die Töchter ins Treppenhaus geschickt, weil es da sicherer sei. Er selbst sei noch in der Wohnung geblieben. Dann geschieht es: eine russische Granate trifft
das Wohnhaus in der Mitte. Seine Frau und die drei Töchter sind auf der Stelle tot.
„Ich bin einfach leer“, sagt der verwaiste Mann, „ich habe keine Gefühle mehr.“
Traurig schaut er zu Boden. Und dann sagt er zum Reporter: „Weißt du: Ich habe keinen Hass. Ich will auch keine Rache. Ich will nur eins: Gerechtigkeit. Die das befohlen haben, müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Ohne Gerechtigkeit ist alles nichts wert. Ich glaube an die Gerechtigkeit. Irgendwann.“
Als ich das Interview im Fernsehen sehe, denke ich: Das ist eine Geschichte, die traurig, wütend und hilflos macht, weil im vierten Jahr Menschen in der Ukraine sterben, ohne dass es Aussicht auf ein Ende des Krieges gibt. Und dann denke ich auch: Es ist eine Geschichte, die auch vom anderen erzählt, das wir Menschen zum Leben nötig haben, das nicht Hass, Gewalt und Vergeltung ist, sondern ein Hoffen auf Gerechtigkeit -
wenn nicht jetzt gleich, dann doch irgendwann.
Ich muss dabei an einen Satz denken, den Jesus in der Bergpredigt sagt: „Selig sind,
die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden."
Diese Worte verbinden die leidvollen Erfahrungen von Menschen mit einer vollkommen anderen Hoffnungsperspektive: Alle, die in dieser Welt Gerechtigkeit und Frieden vermissen müssen, sollen sich von Gott gehalten und begleitet wissen. Es gibt bei Gott eine andere, tiefere Art von Gerechtigkeit. Sie wird denen zu teil werden, die es schwer haben, die über ihr Schicksal leer und stumm geworden sind. Über ihnen soll der Himmel offenstehen.
„Dein Reich komme. Dein Wille geschehe“, beten wir, „Himmel und auf der Erde.“
Ja, so wird es sein irgendwann.
Download als PDF-Datei Konfi-Gebete
Konfi-Gebete
Henning Böger, Pfarrer - 27.05.2025
„Und jetzt seid ihr dran“, sage ich und blicke in die Runde. Wir sitzen im Konfirmanden-Kurs der Magni-Gemeinde zusammen und haben eine Stunde lang über das Beten gesprochen: Was geschieht da? Wie geht das? In welchen Situationen beten Menschen? „Und jetzt seid ihr dran“, sage ich: „Schreibt selbst zwei kurze Gebete. Sie sollen nicht mehr als 70 Zeichen haben. Das ist die Länge einer SMS, WhatsApp-Stil. Schickt eines eurer Gebete auf mein Telefon.“ Ich blicke aufmunternd zu den Jugendlichen und sehe Fragezeichen in den Gesichtern: Wie soll das gehen, ein eigenes Gebet so kurz und knapp, auf den Punkt? Dann machen sich die Konfirmanden an die Arbeit. Und nach kurzer Zeit summt mein Telefon:
„Hallo Gott, lass den Tag morgen bitte erfolgreich werden!“ „Für meine Oma bitte ich, Gott: Die braucht Kraft und viel mehr Lächeln.“ „Danke, dass alle meine Freunde da sind und mich immer unterstützen.“ Und auch: „Gott, meine Fragezeichen zu dir. Ich bitte um Antwort!“ „Hi God, hab voll viel um die Ohren. Nimm das Tempo heraus!“
Das sind nur einige der Konfi-Kurzgebete. Da ist viel Dank, aber auch Bitte und Klage im Blick auf die offenen Fragen und das, was schiefläuft und ungerecht scheint. Und alle Gebete haben mit dem zu tun, was beim Beten zählt: Dass hier alles seinen Platz findet; was Sinn macht in unserem Leben und auch was darin falsch und schwierig ist. Alles darf ins Gespräch mit Gott, der kein stummer Gigant weit über uns ist, sondern von allem Anfang an ein Gott im Gespräch, immer nur ein Gebet weit entfernt.
Jesus findet dafür ein starkes Bild: Beten ist wie die Tür, vor der du stehst, an die du immer anklopfen kannst, egal wie spät es ist und was du auf dem Herzen hast. Wenn ihr betet, dann wie ein Mensch, der weiß, dass er Gott zum wachsamen Nachbarn hat: „OMG - Oh my God, schenk der Welt Frieden und Sicherheit. Wir schaffen das nicht allein.“ „Mein Leben ist gut, Gott. Aber was ist mit den Menschen, die hungrig und traurig sind?“ „Warum, Gott, das alles: Krieg und Elend und Hunger. Kannst du etwas dagegen tun?“
Ja, auch das gehört zum ehrlichen Beten: der Blick auf die eigene Ratlosigkeit, das Gefühl, das Abgründige dieser Welt nicht fassen zu können. Beten bedeutet beständige Arbeit an mir selbst. Es will mich dünnhäutiger, empfindsamer machen für diese Welt. Aus solchem Beten erwächst oftmals ein starker Impuls zum eigenen Handeln, zur Übernahme von Verantwortung, zur Frage, wie wir mit dem umgehen, was Gott in uns gelegt hat an Treue, Liebe und Lebenszeit.
„So geht das mit dem Beten“, sagt Jesus: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopft an, so wird euch aufgetan.“ Die einfachen Bilder sind oft die besten. Auch beim Beten ist das so, das nicht viele Worte braucht. Schon 70 Zeichen können reichen. Versuchen Sie es auch einmal!
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Jungchen...
Cornelia Götz, Dompredigerin - 24.05.2025
Es ist Hochzeitshochsaison.
Jeden Tag gibt es Brautpaare vor dem Altstadtrathaus und wer es liebt, solchen Ereignissen zuzuschauen, der sieht alle denkbaren Varianten, wie man mit diesem Start in eine eigentlich völlig durchgeknallte und hochromantische Lebensform umgehen kann. Niemand muss ja heutzutage dringend einen Versorger oder sogar eine Versorgerin heiraten - obwohl?
Man schaut zu und manchmal erwische ich mich dann innerlich rumunkend wie Siegfried Lenz‘ masurische Großmutter, von der der Schriftsteller erzählte:
„Sie nahm mich immer mit zur Kirche, wenn eine Hochzeit stattfand. Sie stand da, die alte Frau, angeleimt von Erwartung. Und wenn sich das Brautpaar zeigte, strich sie mir über den Kopf, deutete auf die beiden Menschen und sagte: »Jungchen, das geht nicht gut aus.«“ Und dann sagte er, dass ihn dieses emanzipatorische Wissen erst erstaunt habe als er selbst schon sehr alt war. Da erst habe er verstanden, dass die Großmutter „the long run“ meinte.
Siegfried Lenz selbst war 57 Jahre lang verheiratet und traute es sich im hohen Alter sogar noch ein zweites Mal. Und ich verstehe diese kleine Geschichte auch erst jetzt. Ich kenne sie schon lange und als junge Pfarrerin habe ich manchmal vor einer Trauung an Siegfried Lenz und seine Großmutter gedacht. Ich sah dann manchmal nicht, wie das gut ausgehen sollte und dachte nur daran, dass jahrzehntelanges Zusammenleben bestimmt Momente innigsten Glücks und tiefster Geborgenheit, Kerzenschein und Zärtlichkeit kennt - aber man muss eben auch gemeinsam einen Sack Salz aufessen können.
Jetzt fiel mir diese Geschichte wieder ein. Und selber viele Ehejahre und Trauungen älter lese ich: Es geht nie gut aus. Natürlich. Und erst recht nicht, wenn Ehe gelingt und der Tod das altgewordene einander vertraute und zusammengewachsene Paar mit all seinen Narben, Schrunden und Lachfältchen auseinanderreißt. Das ist nicht gut. Im Gegenteil. Es ist schwer.
Dafür mag ich die masurische Großmutter noch mehr.
Sie schaut und kennt das Leben – und weiß, den Sack Salz kann man in vielen gemeinsamen Mahlzeiten auch Prise für Prise essen.
Und die Liebe?
Und die Liebe?
Wo kommt die vor? Die Liebe, diese unscheinbare zähe gewaltige Kraft, die steht nicht wie der Salzsack in der Kammer, die ist in unser Herz gepflanzt und geht mit. In ihr sind wir, erst recht, wenn wir Gott in unserem Leben haben. Sie verbindet uns durch Gottes Geist und macht möglich, dass was wir tun, in der Liebe geschieht - egal, ob als Eheleute oder Freund*innen, Eltern, Kinder, Geschwister, Nächste.
Und dann und wann ist sie ein Wunder – und trifft zwei (auch Siegfried Lenz)
mit einer ausgewachsenen Rundaxt. Ein Glück.
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Vogelzüge
Cornelia Götz, Dompredigerin - 23.05.2025
Heute Morgen lag wie an jedem Freitag das Magazin der Süddeutschen Zeitung auf unserem Frühstückstisch. Auf dem Cover ein Kunstwerk des spanischen Fotografen Xavi Bou, der Bilder von Vogelflügen collagenartig zu beinahe surrealistischen Kunstwerken zusammenfügt: Fels im Meer, unsere Erde, Wasser und Land - eingehüllt in Stacheldraht.
So sieht es aus. Nein, das ist falsch. Es sind ja Vögelzüge. Das sehe ich nur. Es ist wohl die Antwort auf meine schlechten Träume nach einem Tag, für dessen Beschreibung ich kein Adjektiv habe.
Da waren die Nachrichten und Bilder aus Gaza. Es sind weder Heuschreckenplagen noch Wirbelstürme, die dort töten. Es sind die Entscheidungen anderer, solchen die ihre Menschlichkeit verloren haben.
Da berichtet der sichtlich altgewordene Claus Kleber aus dem Silikon Valley. Es sind dystopische größenwahnsinnige Projekte, die ihm da begegnen. Mein Kopf kann das nicht denken. Mein Herz kann keine menschenfreundliche Vision sehen - nur kluge Köpfe, die an einer Welt arbeiten, die keine Menschen braucht.
Und in der Nacht kommen die Nachrichten unserer Kinder und von deren Freunden. Was passiert da in Havard? Müssen tatsächlich alle jungen Akademiker*innen, die keine US-Amerikaner*innen sind Universität und Land verlassen?
Stacheldraht um Köpfe und Herzen und Lebensmittelpakete.
Und dazwischen saß ich mit meinem Kollegen, dem katholischen Propst Martin Tenge in meinem Büro und wir haben unsere Köpfe über das Johannesevangelium gebeugt und uns gewundert, dass da doch alles schon drin steht - dass wieder einmal eine uralte längst vertraute Geschichte so neu und lebendig, so unbegreiflich aktuell klingt.
Dazwischen erzählte Marc Bühner von einer Beerdigung und dem Licht, das während der Trauerfeier auf einmal durch die Wolken brach als er von Auferstehung und Hoffnung redete.
Da begleitet mich die Frage eines Menschen nach der Wahrheit durch die letzten Tage.
Da heißt es über diesem Tag heute aus dem Lukasevangelium: „Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: geh schnell (!) auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Verkrüppelten, die Lahmen und die Blinden herein.“
Und mir steigen die Tränen in die Augen.
Es ist ja alles da. Wir wissen, dass Gottes Nähe und sein Wort Hunger stillen und heilen, Menschen zum Laufen bringen und Augen öffnen können und sind dann doch wie die Jünger Jesu, die alles miterlebt, die sogar gesehen haben wie Thomas seine Hände in die Wunden des Auferstandenen legte und die dann doch wieder in den alten Trott fallen und als wäre nichts gewesen wieder Fische fischen gehen.
Sind wir so?
Ja. Und auch - eingeladen zum Abendmahl, in dem sich Jesus Christus selbst verschenkt. Es ist eine andere Wirklichkeit. Eine Alternative - von lateinisch alter. Einer von zweien.
Und dann blätter ich noch ein bisschen durchs Magazin der SZ und finde ein Flugmuster von Papageientauchern vor dem blauen Himmel. Sie fliegen ein Auge. Gott sieht uns. Er sieht uns an und in unser Herz. Jetzt.
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Z - Zeder
Cornelia Götz, Dompredigerin - 22.05.2025
Z – Zeder
(und pardon: ich habe das Ypsilon. Es wird nachgeliefert.)
Zedern sind immergrüne Gebirgsbäume. Sie gedeihen gut in der Höhenluft, können 30 Meter hoch und 2000 Jahre alt werden.
Manche Zeder hat einen Stammdurchmesser von zwei Metern.
Zedern gehören zu den Kieferngewächsen; sie haben Zapfen, schenken Öl und Harz, vor allem aber rotbraunes duftendes Holz. Letzteres ist nicht nur langlebig, weil es kaum fault oder von Insekten befallen wird; es lässt sich auch leicht bearbeiten. Daher war das kostbare Holz der Zeder im gesamten Alten Orient vor allem als Baummaterial nicht nur für Gebäude, sondern auch für Schiffe, Altäre, Throne, Möbel hochbegehrt.
König David verwendete Zedernholz beim Bau seines Palastes genauso wie der für seine märchenhafte Pracht berühmte Salomo Zedern für seinen Palast und den Tempel verbaute. Die Geschichtsbücher des Alten Testamentes berichten, dass die Dachkonstruktion und der Innenraum des Tempels vollständig aus Zedernholz waren. In Salomos Palast selbst gab es eine große Halle, die »Libanonwald« genannt wurde, weil hier so viel Zedernholz verwendet worden war. Beide - David und Salomo – bekamen das kostbare Material von den Phöniziern.
Aber die hochgewachsenen Zedern wurden auch bildlich bedeutsam. Sie galten als Gottesbäume schlechthin: In den Psalmen ist die Rede von den Zedern Gottes oder JHWHs“. Auch der Gerechte wird mit einer Zeder auf dem Libanon verglichen, die stolz emporwächst und üppig und grün bleibt.
Im zweiten Buch der Könige und bei dem Propheten Hesekiel werden Zedern schließlich zum Maß für das Gelingen des Königtums, das seinen Sinn verfehlt, wenn es versucht, aus Hochmut mit seinem Luxus und Reichtum mit der Zeder zu konkurrieren statt sich um das Gemeinwohl, um Recht und Gerechtigkeit zu kümmern.
Im Hohenlied wird die körperliche Schönheit des Geliebten mit der Pracht und Kraft der Zeder verglichen. Schließlich gehört die Zeder auch zu den Bäumen, die Gott in der Wüste wachsen lässt, wenn die Zeit des Heils gekommen ist.
Am Ende also Z – Zeder.
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Die linke Wange
Cornelia Götz, Dompredigerin - 21.05.2025
Nun wurden also Ultimaten gesetzt und Sanktionen beraten, es wurde gedroht und telefoniert und sich entsetzt und wieder einmal steht das Wort von der Alternativlosigkeit im Raum.
Kirchentagsnachlese. Die Vierte.
Podienreihe Internationale Politik: Deutsche Zerrissenheit, Mit Waffen Frieden schaffen? Auf dem Podium saßen Roderich Kiesewetter, ein Militärhistoriker und der katholische Militärdekan, dazu Bode Ramelow. Später kann man lesen, die Veranstaltung “hätte streckenweise einer Militärkundetagung geglichen“. Als gegen Ende des Podiums aus dem Publikum eine Resolution eingebracht wird, die Bundesregierung möge den UN-Verbotsvertrag von Atomwaffen unterzeichnen und keine amerikanischen Bomber stationieren, die Atomwaffen transportieren können, fällt sie durch. Eine Mehrheit ist für Aufrüstung und militärische Stärke, im Zweifel für Atomwaffen.
Ist das wirklich der Kirchentag, der so spricht?
Wo sind die anderen Stimmen?
Ich finde sie in einem ökumenischen Friedenzentrum, das parallel stattfindet.
Margot Käßmann ist Schirmherrin. Sie wird während des Kirchentages aber nicht auf dem Kirchentag einen Grundsatzvortrag halten. Dort erinnert sie in Anlehnung an Martin Luther King an die Bergpredigt und dass uns doch gesagt ist:
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch böse ist, keinen Widerstand. Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Und wenn dich jemand verklagen und dir dein Hemd wegnehmen will, dann gib auch deinen Mantel her. Und wenn dich jemand zwingt, eine Meile zu gehen, dann geh zwei mit ihm. Gib dem, der dich bittet, und weise den nicht ab, der von dir leihen will.“
Ist das naiv? Unrealistisch? Oder unglaublich dumm?
Aber was genau ist uns hier gesagt? Margot Käßmann erklärt: Niemand, der Macht hat, lässt sich zwingen, die unreine linke Hand zu benutzen. Schlägt er mit rechts, kann er die rechte Wange mit dem Handrücken treffen oder die linke mit der Vorderseite. Letzteres aber würde den, der geschlagen werden soll, als Ebenbürtigen, als Gleichberechtigten auszeichnen. Das sei ferne!
Es ist also gewaltloser Widerstand, der den Gewalttätigen hindert, seine Dominanz durchzusetzen, seine Waffe zu gebrauchen.
Es ist die Verweigerung, sich einschüchtern zu lassen.
Es ist nicht passiv oder naiv. Es ist ein anderer Weg.
Wer wollte sich leisten, darauf zu verzichten, ihn zu Ende zu denken?
Und: hätte man nicht am Anfang oder Ende eines solchen Podiums beten sollen – können - müssen???
Download als PDF-Datei Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…
Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…
Katja Witte-Knoblauch, Pröpstin (Helmstedt) - 17.05.2025
Jubilate. Jubelt!
Das ist der Name des Sonntags, mit dem diese Woche begonnen hat.
Jubilate.
Mir persönlich fiel das am vergangenen Sonntag leicht, als wir im Konfirmationsgottesdienst unseres Neffen saßen. Festlich war es, der Knabe und überhaupt alle Konfis très chic, und gleichzeitig so wunderbar unterwegs im Niemandsland zwischen Kindheit und Erwachsensein.
Junge Menschen auf ihrem Weg. Sie sind, wie ich finde, jedes Mal wieder großartig anzusehen.
Der Gottesdienst war durchzogen von Texten, die die Konfis selbst geschrieben hatten.
Spätestens mit den Fürbitten wurde dann deutlich, dass diese jungen Leute sich schon ganz erwachsene Gedanken machen über das, was gerade los ist in dieser Welt.
Sie haben ihre Sorgen und Gedanken ins Gebet gelegt.
Wie gut, denke ich, denn genau da gehört all das hin.
Im Gebet können wir unserer Seele Luft und Raum geben, loslassen und rufen: mach Du, Gott. Leite und führe mich, öffne mir die Augen und die Ohren gleich dazu, weise mir Wege, die hilfreich sind. Und bitte nicht nur mir, sondern auch den anderen, jenen, die die Macht haben, mit ihren Worten diese Welt zu verändern.
Das Gebet als Moment der Lösung anstelle der Selbstüber-forderung.
Doch Beten fällt manchmal schwer. Deshalb fragten schon die Jünger Jesu: „Was sollen wir beten?“
Die Antwort Jesu war das Vaterunser.
Dieses wunderbare Gebet, das uns noch dann den Mund auftun lässt, wenn uns selbst Worte längst weggeblieben sind.
Am Tag nach der Konfirmation war ich auf der Trauerfeier eines Menschen, den ich sehr mochte. Wir hatten uns aus den Augen verloren und erst vor kurzem habe ich erfahren, dass dieser alte Junggeselle seit inzwischen drei Jahren glück¬lich liebt und lebt. Wie hatte ich mich gefreut für ihn.
Doch dann: ein Moment nur. Ein Leben endet, das andere bricht unmittelbar vom Glück in die Trauer, in die Wut, in den Unglauben, in den Zorn… und dann die Gebets¬worte: „Dein Wille geschehe.“ Puh.
Loslassen – und begreifen, dass wir als Menschen nicht alles in der Hand haben. Nicht können, nicht müssen, nicht einmal dürfen.
Wir sind in der Osterzeit. Und wir jubeln nicht über irgendetwas, nicht einmal über die tollen jungen Menschen, die derzeit konfirmiert werden. Auch wenn die natürlich allen Jubels wert sind!
Nein, wir jubeln tatsächlich über das, was dem Christus widerfahren ist. Wir jubeln, dass kein Leid dieser Welt das letzte Wort hat.
Wir klagen. Wir trauern. Wir zürnen.
Auch gegenüber unserem Gott.
Um dann zu beten:
Dein Wille geschehe. Wie im Himmel, so auf Erden.
Diese Worte sind mir Zumutung und Hoffnung zugleich.
Und darin Trost.
Vater unser im Himmel, dein Wille geschehe…
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X - Xerxes
Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.05.2025
X – Xerxes
Der auch Ahasveros genannt wird, war ein persischer König, der über ein Riesenreich zwischen Indien und Ägypten herrschte. In einer Zeit, in der Bilder, nicht wie heute, blitzschnell um die Welt gehen und wir bis an ihre Enden fliegen, war ein Reich dieser Größe ein Konstrukt jenseits menschlicher Vorstellungskraft.
Soweit man weiß stand der Thron des Xerxes in Susa. Gelegen im Schwemmland südlich der Gebirge unweit des Persischen Golfes schöpfte Susa nicht nur landwirtschaftlich aus der Fülle; die Stadt lag auch an einer wichtigen Fernhandelsstraße. Wenn der König dort residierte, dann wird es ihm ein Leichtes gewesen sein, mit Luxusgütern aller Art zu beeindrucken.
Man ahnt also, was es bedeutet hat, wenn dieser Herrscher ein Gastmahl für die Fürsten seines Reiches veranstaltete.
180 Tage lang protzte Xerxes mit dem Glanz seiner Herrschaft. Damals wie heute waren beim Gipfeltreffen der Mächtigen Männer unter sich. Darum ist es nicht nur den Gebräuchen alter Zeit geschuldet, dass seine Frau – Königin Wasti – eigene Feierlichkeiten für Frauen ausrichtete.
Ein Sprichwort sagt: „Nichts ist anstrengender zu ertragen als eine Reihe von festlichen Tagen.“ So war es wohl auch hier.
Xerxes manövriert sich jedenfalls in eine Situation, in der seine Souveränität Schaden nimmt, als er am siebenten Tag mutmaßlich wenig charmant vor allem nicht der Würde seiner Frau angemessen - mit ihrer Schönheit vor seinen Gästen angeben will.
Sie soll sich zeigen, präsentieren.
Aber Wasti spürt, was alle solche Situationen prägt: dass sie hier zum Objekt diversen Begehrens gemacht werden wird. Womöglich fürchtet sie um ihre Unversehrtheit – ganz sicher aber um ihre Selbstbestimmtheit.
So sagt sie „Nein“. Klar und deutlich.
Und weil ein Nein ein Nein ist, kommt Wasti nicht.
Aber Xerxes ist weit davon entfernt, solches „Nein!“ zu akzeptieren. Im Gegenteil: er erlebt Wastids „Nein“ als Gesichtsverlust, den er nicht erträgt. Die gekränkte Eitelkeit schmerzt ihn erheblich mehr als eine verletzte Frau.
Und weil Macht und Gewalt Hand in Hand gehen, wird Wasti verstoßen, ausgelöscht, ersetzt.
Aber Xerxes will nicht ohne Frau sein. So lässt er suchen und findet Esther, eine Jüdin, ohne zu ahnen, dass sie eine Schwester im Geist ihrer tapferen Vorgängerin ist.
Durch diese beiden Frauen wird er – Xerxes – das Werkzeug einer größeren Geschichte, eines mächtigeren Herrn. Xerxes wird diese Geschichte Gottes schreiben und das Volk seiner Frau schützen. So verbindet sich mit Xerxes das Purimfest.
Aber das hat ein P.
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„Seid Menschen!“
Heiko Frubrich, Prädikant - 14.05.2025
Im November des letzten Jahres hat sie einen Bambi in der Kategorie „Mut“ erhalten – eine seltene aber sehr verdiente Auszeichnung. Am vergangenen Freitag ist sie gestorben, mit 103 Jahren, Margot Friedländer. Als einzige aus ihrer engeren Familie überlebte sie den Holocaust. Bis zu ihrer Befreiung im April 1945 war sie im KZ Theresienstadt interniert. 1946 emigrierte sie zusammen mit ihrem Mann in die USA, nahm die amerikanische Staatsangehörigkeit an und führte, wie sie selbst über sich sagte, ein ziemlich normales amerikanisches Leben.
Nach dem Tod ihres Mannes 1997 begann Margot Friedländer über ihr Leben zu schreiben. Ihr erstes Buch schilderte die Befreiung aus dem KZ Theresienstadt, was dazu führte, dass neue Kontakte zu Medienschaffenden in Deutschland entstanden. Die Erinnerungsarbeit an die NS-Zeit und an den Holocaust wurde mehr und mehr zum neuen Lebensinhalt, so dass Margot Friedländer 2010 in ihre alte Heimatstadt Berlin zurückkam.
Sie wirkte bis zu ihrem Lebensende an der Erstellung von Publikationen, Dokumentarfilmen und sonstigen Medien mit. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit lag im direkten Kontakt mit jungen Menschen. So besuchte sie regelmäßig Schulklassen und sprach über ihre Erfahrungen, über die Zerbrechlichkeit von Demokratie und Freiheit und über die aktuellen politischen Gefahren unserer Zeit.
Mit Margot Friedländer verlieren wir als Gesellschaft eine der letzten Zeitzeuginnen des finsternsten Kapitels der deutschen Geschichte. Ihre Arbeit weiterzuführen ist, wie ich finde, Verpflichtung für uns alle.
Aktives Erinnern ist das einzige Mittel, das gegen das Vergessen hilft. Das gilt in allem. Und selbst so etwas Wunderbares, Befreiendes und Erfüllendes wie Gottes frohe Botschaft kann dem Vergessen anheimfallen, wenn wir sie nicht immer wieder bezeugen und von ihrer lebensverändernden, ja lebensverbessernden Kraft erzählen.
Und nicht nur das: Ein Blick in diese Welt zeigt, wohin die Reise geht, wenn Jesu Worte „Friede sei mit Euch!“ und „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ im Lärm unserer Zeit nicht mehr gehört werden. Ja, manchmal braucht es Mut, darauf hinzuweisen. Hierzulande reicht es aus, die Freiheit, die wir haben, sinnvoll zu nutzen.
Margot Friedländer hingehen brauchte Mut, für das, was sie getan hat, denn sie wurde mehr als nur einmal gedemütigt und angefeindet. Und sie hat mit ihrem Leben gezeigt, dass Mut und Bescheidenheit einander gut begleiten können. Bei der Bambi-Verleihung im vergangenen November hat sie auch nur einen einzigen Satz gesagt, der für uns alle richtungsweisend sein kann. Sie sagte: „Danke! Seid Menschen.“ Amen.
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Orgelentdeckerwoche
Marc Bühner, Pfarrhelfer - 10.05.2025
Wer in dieser Woche schon hier im Dom war, hat es vielleicht mal erlebt: Viele Kinder und Jugendliche verschiedener Schulen oder Gruppen unserer Domsingschule sitzen auf den Stufen vorm Siebenarmigen Leuchter und hören unserem Domorganisten Witold Dulski und unserem Kantor Robin Hlinka zu und zwischendurch füllen mal leise und auf einmal ganz laute Orgelklänge den Dom. Grund: Es ist "Orgelentdeckerwoche".
Was ist eine Orgel? Wie ist sie aufgebaut? Wie entstehen die Töne? Was macht eine Orgel aus? Ist es schwer so ein Instrument zu spielen?
Viele Fragen wurden gestellt und beantwortet, um die "Königin der Instrumente" den Kindern und Jugendlichen mal näher zu bringen und zu zeigen, dass Musik nicht nur aus dem Handy von Amazon Music oder Spotify kommt.
Aber am besten war es sicherlich für diejenigen, die sich trauten und es mal ausprobiert haben zu spielen. Da wurde die Frage, ob es schwer ist eine Orgel zu spielen, von alleine beantwortet. Johann Sebastian Bach sagte einst: „Alles, was man tun muss, ist, die richtige Taste zum richtigen Zeitpunkt zu treffen, und das Instrument spielt von ganz allein.“
Neben den vielen Orgelführungen, wie eben noch die öffentliche Führung vor dem Mittagsgebet, findet morgen noch die "Offene Orgelbank" statt. Hier kann jeder der mag und sich traut unter den fachkundigen Augen unserer Musiker mal selber unsere Orgeln ausprobieren. Und mit einem Konzert "Orgel + Blechbläser" schließt am Sonntag die Orgelentdeckerwoche dann ab.
Orgel... Was wissen Sie über dieses Instrument?
Der Einleitungstext bei Wikipedia lautet: "Die Orgel ist ein über Tasten spielbares Musikinstrument, welches eine über 2000-jährige Geschichte aufweist. Orgeln sind seit der Antike bekannt und haben sich besonders im Barock und zur Zeit der Romantik zu ihrer heutigen Form entwickelt. Die Gesamtanlage der Orgel, die künstlerische Gestaltung des Orgelgehäuses, die klangliche Gestaltung und die technische Anlage sind über viele Epochen der Kunst- und Technikgeschichte hinweg verändert und beeinflusst worden."
Und wenn man im Internet die Frage eingibt, seit wann Orgeln in Kirchen genutzt werden, findet mal folgende Antwort: "Die Orgel fand um 900 n. Chr. ihren Weg in die Kirchen. Wie und warum genau, bleibt ein Rätsel, doch es scheint, dass die Orgel zunächst für zeremonielle Zwecke genutzt wurde. Im 15. Jahrhundert war der Einsatz von Orgeln in Klosterkirchen und Kathedralen in ganz Europa etabliert. Obwohl die Meisten die Orgel mit der Kirche in Verbindung bringen, existierte das Instrument bereits über 1100 Jahre, bevor es seinen Weg in den Kirchenraum fand." Wussten Sie das?
Wir hier im Braunschweiger Dom können uns nicht nur an den Klängen einer Orgel erfreuen, sondern seit dem 1. Dezember 2023 haben wir noch eine zweite Orgel, unsere Chororgel. Gemeinsam mit der Hauptorgel, vom neuen Spieltisch gemeinsam spielbar, erfüllen beide Orgeln nun den Dom mit einem beeindruckenden Klang.
Ja, was für ein Klang, was für eine Fülle von Möglichkeiten, was für ein beeindruckendes Instrument: die Orgel. Sie begleitet den Gesang der Gemeinde und Chöre zum Lobe Gottes. Sie weckt durch ihren Klang Gefühle, Stimmungen, sie erfreut und tröstet. Sie ist mal laut und mal leise. Sie verkündet mit Ihrem Klang das Wort Gottes.
Erfreuen wir uns der Orgelklänge, immer wieder neu und bestaunen dieses Instrument und die Menschen, die durch ihr Können den Orgeln der Welt so wunderbare Töne entlocken.
In Psalm 68 lesen wir: „Singt Gott zu, musiziert seinem Namen!“
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W – Wüste
Cornelia Götz, Dompredigerin - 08.05.2025
W – Wüste
Auf hebräisch „midbār“. Man könnte meinen, dass es in einem trockenen Land viele verschiedene Wörter gibt, so wie die Inuit viele verschieden Vokabeln für das „Eis“ haben – aber so scheint es nicht zu sein. „Midbar“ steht für trockene oder halbtrockene in jedem Falle wasserarme Gebiete, die für Landwirtschaft und bäuerliche Ansiedlungen ungeeignet sind. Insofern unterscheidet das Wort nicht zwischen Wüsten und Steppen, wobei Letztere als Weidegebiete für die Herden der Halbnomaden wichtig waren.
Die Wüste symbolisiert Alten Testaments ähnlich wie das Meer eine chaotische Gegend. Darum war alles vor der Schöpfung wüst und leer.
Sie ist lebensfeindlich. Im Bibellexikon lese ich: „Fast alle Eigenschaften des Grabes: trostlose Ewigkeit, Gefangenschaft in der Nichtigkeit, Einsamkeit und Verlassenheit, Hunger, Durst, Ohnmacht, Zerstörung und Tod – sind zugleich Eigenschaften der Wüste. Wer sich in die Wüste hinausbegibt, der wird dort nicht nur an das Totenreich erinnert, sondern auch mit ihm konfrontiert“.
Allerdings war die Wüste nie leblos. Wilde Tiere, wie Strauße, Schakale, Wildesel, Eulen, Raben, Skorpione, Löwen, Schlangen und Heuschrecken sind hier zu Hause. Für Menschen, die sich der Gemeinschaft anderer entziehen mussten oder wollten, ist sie Zufluchtsort.
In die Wüste wurde schließlich der Sündenbock getrieben und mit ihm, was man loswerden musste.
Einerseits.
Und andererseits ist die Wüste wie die Nacht Bild und Ort der intensiven Gottesbegegnung.
Der Weg der Israeliten in die Freiheit führte durch die Wüste.
Die Propheten malten Bilder der Hoffnung, in denen die Verwandlung der Wüste in fruchtbares, blühendes Land angekündigt wird.
Johannes der Täufer bereitete dem Herrn in der Wüste den Weg.
Jesus Christus wurde sie zum Ort der Versuchung, zum Rückzugsort, zum Gebetsraum. Markus berichtet vom Zusammensein Jesu mit den wilden Tieren der Wüste als Inbegriff der Wiederherstellung des ursprünglichen Schöpfungsfriedens.
Und wer die Wüste erlebt hat kommt immer wieder.
So ist die Wüste ein Ort des äußeren Mangels und der inneren Leere – aber eben auch der Fürsorge Gottes, der intensiven Seelenerfahrung.
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Mikroabenteuer
Henning Böger, Pfarrer - 06.05.2025
„Meine Kinder waren klein, ich war viel zu Hause, bei uns in Hamburg. Als ein alter Freund aus Berlin anrief, den ich lange nicht gesehen hatte, hörte ich mich spontan zu ihm sagen: ‚Pass auf, lass uns doch morgen frühstücken gehen am Brandenburger Tor. Ich bin um 10 Uhr da, mit dem Fahrrad.‘“
Das erzählt der Autor Christo Foerster im Interview und lächelt über sein erstes Mikroabenteuer, wie er es nennt. Noch am Nachmittag desselben Tages sei er mit dem Rad aufgebrochen: von Hamburg nach Berlin, 296 Kilometer und 15 ½ Stunden Fahrzeit. „Ich kam tatsächlich in Berlin an, eine Stunde später als geplant. Wir frühstückten, ich fuhr mit dem Zug zurück und war nach insgesamt 24 Stunden wieder zu Hause. Mir tat alles weh, ich war völlig fertig.“
Und dann sagte er im Rückblick auf seine spontane Fahrradfahrt zum alten Freund: „Natürlich war es eine bekloppte Idee, aber für mich auch eine grandiose, weil ich erkannte: Ich muss einfach nur raus und kann von der Haustür aus ein tolles Abenteuer erleben.“
Nicht jeder und jede ist so sportlich-verrückt wie Christo Foerster, der mittlerweile Bücher über kleine und größere Abenteuer schreibt. Aber der Gedanke, dass das Leben dort draußen vor der Tür Möglichkeiten eröffnet und Raum für verrückte Ideen bereithält, der erfrischt doch sehr, oder?
Auch unserem Glauben tun hin und wieder Mikroabenteuer gut: der Schritt vor die sichere Tür, hinter der ich sicher weiß, was ich glauben kann und was nicht. Der Kirchentag in Hannover hat in der vergangenen Woche von diesen kleinen und größeren Aufbrüchen zum Glauben erzählt: mutig, stark und beherzt. Dabei war viel Aufbruchsfreude und Entdeckerlust zu spüren.
Dazu passt ein kurzer Text der französischen Dichterin Madeleine Delbrel, den ich uns heute Abend mit auf den Weg hinaus vor die Dom-Tür geben will: „Geht in euren Tag hinaus ohne vorgefasste Idee, ohne die Erwartung von Müdigkeit, ohne Plan von Gott, von Bescheid Wissen über ihn, ohne Enthusiasmus, ohne Bibliothek. Geht so auf die Begegnung mit ihm zu. Brecht auf ohne Landkarte und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist und nicht erst am Ziel.“
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Selig sind die Sanftmütigen
Cornelia Götz, Dompredigerin - 05.05.2025
Manchmal erlebt man Momente von denen man ahnt, dass sie bleiben werden. Sie werden zu Erinnerungen, die man hütet und irgendwann ein:
„ich bin dabei gewesen“.
So ging es mir am Samstag auf dem Kirchentag, als Mariann Edge Budde zu Gast war. Schon am Morgen hatte sie in einer Bibelarbeit die Geschichte vom Ostermorgen einmal mehr so aufgeschlossen, dass ich wieder staune, wie lebendig Texte werden können und was passiert, wenn Menschen mit ihren Menschenherzen sie hören und auslegen.
Kleiner tröstlicher Nebengedanke: Das wird KI versuchen aber nicht können.
Zurück zu der kleinen sanftmütigen Frau aus Washington: Natürlich denkt man den bitterkalten Januar und die Inauguration Trumps dazu, wenn man sie sieht und hört.
Aber jetzt erzählt sie von den beiden Frauen, die am Ostermorgen losgehen, weil sie das Gefühl haben, das tun zu müssen. Es sind vielleicht gar nicht Mut und Tapferkeit, die diese beiden in Bewegung bringen, denkt Mariann Edge Buddy laut auf ihre leise Art.
Und erinnert: diese beiden Frauen gehen los als es noch finster ist.
Sie gehen los ohne zu wissen, ob es hell und gut werden wird.
Sie gehen los, weil sie etwas tun müssen und das ist es, was sie tun können.
Auch darin bleiben wir Menschen unersetzbar.
Natürlich kann man solche Wege liken.
Aber damit etwas geschieht, müssen wir selbst wirklich losgehen.
Das was dann geschieht, beschreibt der Evangelist Johannes als Erdbeben.
Aber ist es nicht, so fragt Mariann Edge Budde, eher ein „Lifebeben“, ein Moment, in dem ein riesiges Hindernis ohne unser Zutun verschwindet und unser Leben sich schlagartig ändert?
Das passiert nicht immer. Aber manchmal doch.
Man sieht die schmale Frau, man hat im Ohr, wie sich dieser Moment vor jener tapferen Predigt in Trumps Angesicht angefühlt hat und kann diese ganze Geschichte mühelos mitlesen. Ja, das glaube ich ihr: diese Predigt war ein Beben, das ihr Leben verändert hat.
Aber Mariann Edge Budde wehrt jede Übertragung des Besonderen leise aber bestimmt ab.
Geht in euch sagt sie. Denkt nach.
Wann seid ihr im Finstern losgegangen, weil ihr das einfach musstet?
Und wie war es dann als der Morgen dämmerte? Und wie seid zurückgegangen? Und schöpft Ihr seither nicht auch genau daraus?
Stille – die von der dichten aufmerksamen Art.
Abends machte sie das wieder so. Statt des privilegierten Gespräches mit Heinrich Bedford-Strom wollte sie hören, was das Publikum fragt und bewegt.
Eine Freundin schrieb später aus dem Zug vom Kirchentag nach Hause: „Ich habe mich verliebt“. Ja, das ging bestimmt vielen so.
Und ich hab jetzt ein Bild für: „Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“
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Wunder?
Heiko Frubrich, Prädikant - 03.05.2025
Ich habe einen guten Bekannten, der ein überzeugter Christenmensch ist, aber doch sehr mit Wundern hadert. Er ist Wissenschaftler und tut sich schwer damit, zu glauben, dass in unserer Welt auch Dinge passieren können, die sich nur jenseits aller physischen, biologischen und chemischen Regeln erklären lassen. Seine Position ist: Gott hat uns schließlich diese Ordnungen gegeben, nach denen unsere Welt funktioniert, und nach denen funktioniert sie dann eben auch, und das gar nicht mal so schlecht.
Domorganist Witold Dulski hat gerade über einen wunderbaren Frühlingschoral improvisiert: „Wie lieblich ist der Maien aus lauter Gottes Güt, des sich die Menschen freuen, weil alles grünt und blüht.“ Und tatsächlich ist es ja auch so. Es grünt und blüht und summt und duftet allerorten. Und wenn Sie mal ein Foto von einem Baum betrachten, das zwei Monate alt ist, und Sie schauen sich diesen Baum heute noch einmal an, werden Sie eine wunderbare Verwandlung sehen – ohne, dass irgendjemand dazu hätte etwas beitragen müssen.
Und ich bleibe bei dieser Formulierung: Es ist eine wunderbare Verwandlung. Ja, wir können heute erklären, wie das alles funktioniert, mit den steigenden Temperaturen, der längeren Helligkeit, dem Chlorophyll und der Sonne und all dem anderen Drum und Dran.
Das ist Biologie, das sind jene Regeln, von denen mein Bekannter immer spricht. Das ist das „Wie“. Aber dass wir das überhaupt jedes Jahr aufs Neue erleben dürfen, ist das nicht tatsächlich ein Wunder?
Wir haben Ostern im Rücken, das Fest der Auferstehung, das Fest des Lebens, das Fest der Hoffnung. Am Ostermorgen hat Gott uns eindrucksvoll gezeigt, dass er zu mehr fähig ist, als diese Welt nach seinen von ihm gegebenen Regeln ablaufen zu lassen. Denn er ist erneut Schöpfergott geworden und hat eine neue Form von Leben geschaffen: Auferstehungsleben, das niemals vergeht, das unendlich ist und das uns allen zuteilwird.
Das ist ganz weit weg von allen biologischen, physischen und sonstigen Regeln. Das ist ein echtes Wunder. Und wer, wenn nicht er, ist in der Lage, etwas werden zu lassen, dass mit unserem Verstand und unseren Regeln nicht vereinbar ist.
Wie lieblich ist der Maien. Für mich ist es jedes Jahr aufs Neue ein Beleg für Gottes Kraft und Freundlichkeit. Ostern lässt grüßen. Amen.
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Hannover-Spirit
Heiko Frubrich, Prädikant - 02.05.2025
Totgesagte leben länger. Dieser Ausspruch kam mir gestern so in den Sinn, als ich in Hannover auf dem Kirchtag war. Erster Programmpunkt war „Petrus“, das Musical unserer Kurrenden in der Gartenkirche. Viel Improvisation, weil die bestellte Technik nicht funktionierte, dennoch volles Haus, eine mitreißende Aufführung, Standing Ovation und glückliche Kinder, Kantoren und Besucher.
Was mich besonders beeindruckt hat: Es sind mehrere Tausend Ehrenamtliche, die in diesen Tagen in Hannover Dienst tun. Sie stellen Stühle, bauen Bühnen auf und ab, helfen Besucherinnen und Besuchern, die richtige Veranstaltung zu finden und sind einfach da, wenn sie gebraucht werden. Sie tragen ein Halstuch, an dem man sie erkennt, und auf dem steht: „Ich helfe hier“
Und über allem spürt man eine Atmosphäre aus Freundlichkeit und Respekt. Und wenn die Schlangen vor dem Eingang zum Messegelände noch so lang sind: Niemand schimpft, niemand zeigt schlechte Laune, niemand drängelt sich vor. Man steht dort, redet, lacht und fühlt sich miteinander verbunden durch den gemeinsamen Glauben. Eine schöne und wertvolle Atmosphäre.
Und was weiterhin auffällt: Es sind unglaublich viele junge Menschen, auf die man trifft. Man erlebt nicht eine überalterte Kirche, sondern vielmehr eine Kirche, die irgendwie im Aufbruch scheint. Ja, wir werden weniger, ja unsere gesellschaftliche Relevanz nimmt ab oder sie wird zumindest kleingeredet. Aber ist das wirklich das Entscheidende?
Erinnern wir uns, wie alles anfing: Jesus und die Zwölf. So richtig viele waren es nie. Gottes Sohn und eine Handvoll Begeisterter haben ausgereicht, um eine Kirche ins Leben zu rufen, die nun schon 2000 Jahre zählt.
Klar, ist es gut, wenn man auf das hört, was Kirche sagt. Aber im Grunde reicht es doch aus, dass da Menschen sind, dass wir da sind, um anderen davon zu erzählen, worum es geht. Um frohe Botschaft, um Liebe, Respekt und Barmherzigkeit; darum, dass Gott unser Leben so gedacht hat, dass wir es in Frieden und Freundlichkeit miteinander verbringen.
Und irgendwie wird das spürbar und erlebbar, wenn man nach Hannover zum Kirchentag fährt. Es ist dieser besondere „Spirit“ oder auf gut Deutsch: dieser besondere Geist, der dort erlebbar wird und von dem ich überzeugt bin, dass es der „Heilige“ ist. Amen.
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Mitten im Leben
Heiko Frubrich, Prädikant - 28.04.2025
Was ist die Aufgabe von Kirche? Welche Themen soll sie bedienen und welche nicht? Zu welchen Fragen soll sie Stellung beziehen und zu welchen soll sie schweigen? Diese Diskussionen werden wieder geführt – auf der Straße, in Leserbriefen und in so manchem Gespräch auch hier bei uns im Dom. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat sie angestoßen, als sie zu Ostern forderte, die Kirchen mögen sich mehr um die Seelsorge der Menschen kümmern und sich weniger politisch engagieren. Klöckner kritisierte dabei die Tendenz, dass Kirchen wie eine NGO, also eine Nicht-Regierungs-Organisation, ihre Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen abgeben. Das mache sie austauschbar. Stattdessen mögen die Kirchen doch stärker die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick haben.
Ja, das soll Kirche ohne Zweifel und obwohl man sich ja nicht selbst loben soll: Zu Fragen über Leben und Tod haben wir mit dem Evangelium wirklich die weltbesten Antworten parat. Wir haben Ostern im Rücken, den Sieg des Lebens über den Tod, den Grund für unumstößliche Hoffnung. Darüber reden wir – überzeugt, freudig und ganzjährig.
Doch da sind eben auch all die anderen Themen, die das Leben von uns Menschen betreffen und beeinflussen. Und da ist dann auch „Tempo 130“ auf der Tagesordnung, denn dabei geht es um die Erhaltung der Schöpfung und um den Schutz von Menschenleben. Und da sind wir als Kirche dabei!
Ich bin davon überzeugt, dass Glaube sich im Alltäglichen zeigt. Aus unserem christlichen Glauben entsteht eine Haltung und aus dieser Haltung ein Verhalten an jedem Tag, den Gott werden lässt. Die Botschaft des Evangeliums lässt sich nicht auf ein frommes Grundrauschen reduzieren. All diese wohlklingenden Worte wie Barmherzigkeit, Gnade, Vergebung und Liebe, die wollen und müssen mit Leben gefüllt werden. Und Leben ist nie theoretisch. Leben ist immer konkret. Leben ist immer hier und jetzt. Und damit bin ich mittendrin in den aktuellen Fragen unserer Zeit.
Und Jesus ging es nicht anders. Er hat keine hochtheoretischen Vorträge gehalten. Er hat sich eingemischt ins pralle Leben. Er hat sich angelegt mit der Jerusalemer Obrigkeit, hat die Geldwechsler aus dem Tempel gejagt und hat immer den Menschen in den Blick genommen. Jesus war tagespolitisch, weil er auf das, was er antraf, reagierte.
Und wenn er sagt: „Wie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich auch euch“, wir sehr klar, in welcher Rolle er uns Christinnen und Christen und auch seine Kirche sieht: Wir sollen mit beiden Beinen mitten im Leben stehen und einen Anker haben in Gottes Reich, das immer dann in dieser Welt anbricht, wenn Menschen Jesu Beispiel folgen. Und passiert überall dort, wo Menschen einander begegnen und eben auch bei Tempo 130 auf der Autobahn. Amen.
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Eine Zumutung!
Heiko Frubrich, Prädikant - 26.04.2025
Ganz ehrlich: Ich finde es eine Zumutung! Wilhelm Heuß, gelernter Banker, Komponist und Organist über den zweiten Bildungsweg, komponiert als sein Opus 11 das Stück „Ostern“, das wir gerade gehört haben. In Takt drei gibt er als Vortragsweise „dolente“ an, was so viel wie „klagend, leidend“ bedeutet. Und dann werden wir in „ätherischen Klangfarben“ und noch immer unter der Überschrift „Ostern“ mit dem Choral „O Haupt voll Blut und Wunden“ konfrontiert. Der Cantus firmus wird begleitet von chromatischen Bögen und dissonanten Akkorden. Ostern?
Nachdem wir den musikalischen Karfreitag hinter uns haben, werden wir in ein kurzes Interludium geschickt, das nach Heuß‘ Vorgaben misterioso e espressivo, also geheimnisvoll und ausdrucksstark gespielt werden soll – elf ruhige Takte mit langen Notenwerten und gedämpfter Lautstärke. Ostern?
Ja, dann wird es endlich Ostern. Der Choral „Erschienen ist der herrlich Tag“ stahlt uns entgegen und schwingt sich auf aus den Tiefen des Pedals bin ganz nach oben in die rechte Hand. Uns begegnet das Thema in fugenartigen Elementen und wohltuendem D-Dur. Und dennoch bleibe ich bei meiner Aussage: Ich finde das Ganze eine Zumutung!
Nur um Missverständnisse zu vermeiden. Die Zumutung ist für mich nicht die Spielweise unseres Kantors Robin Hlinka. Die Zumutung ist auch nicht das Werk an sich. Die Zumutung für mich ist Ostern an sich und das jedes Jahr aufs Neue!
Am 9. März sind wir in diesem Jahr in die Passionszeit gegangen. Wochenlang „O Haupt voll Blut und Wunden“ in zunehmender Dramatik und Intensität bis zu Jesu Tod am Kreuz und beinahe erdrückender Grabesstille am Karsamstag, heute vor einer Woche, ohne Glocken, ohne Orgel, ohne Segen.
Und dann sehe ich, wie nur ein paar Stunden später aus der Krypta unseres Doms das Osterlicht herausleuchtet und ich sehe, wie es hell wird, höre das volle Domgeläut und stimme selbst mit ein in das jubelnde Gloria der Osternacht. Und ich fühle mich überwältigt und überfordert gleichermaßen, weil Verstand und Emotionen mit all dem nicht mitkommen.
Was mir bleibt, ist, es anzunehmen, hinzunehmen, dass in dieser Nacht vor 2000 Jahren etwas passiert ist, dass ich selbst bei allerbester Vorbereitung nicht begreifen kann, dem ich mich aber von Herzen anschließen möchte, weil es den Weg weist vom Kreuz in ein neues Leben, das unvergänglich ist.
Ostern ist eine Zumutung, weil es uns Mut macht, auf Gott zu vertrauen, uns ihm anzuvertrauen und in allem Jesus als Quelle unserer Zuversicht zu sehen. Das lasse ich mir gerne zumuten. Amen.
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Markus
Heiko Frubrich, Prädikant - 25.04.2025
„Gefährlich ist’s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn.“ Dieses Wort entstammt nicht etwa einem eher unbekannten Brief des Apostels Paulus, sondern aus dem „Lied der Glocke“ von Friedrich von Schiller. In freier Wildbahn sollte man definitiv auf Schiller hören und schlafende Löwen schlafen lassen, hier bei uns im Dom klingt der Leu da oben im Nordflügel unserer Chororgel zwar bedrohlich, aber er ist ein ganz lieber und zahmer Vertreter seiner Art und erscheint und verschwindet und brüllt und verstummt auf Knopfdruck.
Und bisweilen haben sein Auftritt und sein Gebrüll sogar einen tieferen liturgischen Sinn – so auch heute. Denn wir begehen den Gedenktag des Evangelisten Markus. Ihm wird das älteste der vier Evangelien zugeschrieben und sein Symbol ist der Löwe.
Über dem Markustag heißt es aus seinem Evangelium: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium allen Menschen. Es sind Worte des auferstandenen Jesus Christus, die er an seine Jünger richtet. Kurz zuvor hat er sie kräftig zusammengefaltet, weil sie trotz mehrerer Zeugnisse, unter anderem von Maria Magdalena, nicht an seine Auferstehung glaubten. Nachdem das nun von höchster Stelle ein für alle Mal geklärt ist, beginnt der Verkündigungsdienst. „Geht hin in alle Welt.“
Es ist ja immer eine feine Sache, wenn man sich nicht um alles selber kümmern muss, sondern wenn es andere gibt, die das eine oder andere schon mal für uns erledigen. Im vorliegenden Fall könnten wir uns ja elegant zurücklehnen und denken: Na, dann sollen die Elf es mal machen. Doch ganz so einfach ist das nicht. Denn wenn Jesus seine Jünger anspricht, sind auch immer wir ein bisschen mitgemeint. Bei den Verheißungen nehmen wir das gerne an, bei den Aufträgen nicht immer.
Doch spätestens seit Martin Luther, der sehr klar und biblisch belegt vom Priestertum aller Getauften spricht, wird klar, dass uns das Wort aus dem Markusevangelium sehr wohl etwas angeht. Zum einen sind auch wir berufen, das Evangelium zu predigen, oder etwas handlicher formuliert: anderen von unserem Glauben zu erzählen. Luther macht deutlich: Christinnen und untergliedern sich nicht in „sehr heilig“, „ziemlich heilig“ und „nur ein bisschen heilig“. Jede und jeder steht in gleicher Weise vor Christus und jede und jeder ist berechtigt und befähigt, fröhlich von ihm und seiner Botschaft zu berichten.
Und so schwer ist das nun wirklich nicht. „Geht anständig miteinander um, helft und teilt und lasst die Liebe unter euch aufleuchten.“ Keine Raketenwissenschaft also und das ganze auch noch mit Ostern im Rücken und Gott an unserer Seite. Könnte also was werden – auch ganz ohne Löwen. Amen.
Download als PDF-Datei V-Vierzig
V-Vierzig
Cornelia Götz, Dompredigerin - 24.04.2025
V – Vierzig
In allen Religionen gibt es heilige Zahlen.
Die Zahl vier ist in der Antike und im Alten Testament Sinnbild für Ganzheit und Vollkommenheit, weil sie mit vorn – hinten – rechts – links alle Perspektiven und damit auch die vier Himmelrichtungen abdeckt. Verbunden mit der Runden und ebenfalls symbolträchtigen zehn kommt der Vierzig
in unserer Bibel besondere Bedeutung zu. Sie kennzeichnet ein volles Maß und eine Generation, ist die Zahl der Ganzheit – zugleich aber auch Symbol des Wartens und der Vorbereitung, der Prüfung und Bewährung.
Vierzig Tage tobte die Sintflut.
Vierzig Tage dauerte es, bis Noah die Fenster der Arche wieder öffnete nachdem sie auf dem Ararat aufgesetzt hatte.
Mose bleib jeweils vierzig Tage auf dem Sinai – als er mit Gott redete,
Vierzig Jahre wanderte das Gottesvolk durch die Wüste. Als sie losgehen ist Mose zweimal vierzig Jahre alt.
Vierzig Tage lang verhöhnte Goliath die Israeliten bis sich ihm endlich David zum Kampf stellt.
David und Salomo regieren vierzig Jahre.
Elia geht vierzig Tage lang durch die Wüste bis zum Berg Gottes ehe er ihn al seine Stimme verschwendenden Schweigens – wie Martin Buber übersetzte – erfuhr.
Jona gab Niniveh in Gottes Auftrag eine Frist von vierzig Tagen um umzukehren.
Jesus fastete vierzig Tage in der Wüste.
Auch unser Kirchenjahr kennt diese Frist: Vierzig Tage dauert die Passionszeit von Aschermittwoch bis Ostern, vierzig Tage ist der Auferstandene nach Ostern zugegen bis er in den Himmel auffährt.
Kein Wunder, das auch ein Mensch vierzig Wochen braucht, bis er vollendet ist und zur Welt kommen kann – als vollkommenes Geschöpf, Gottes Ebenbild.
(Männer vergessen das gerne und weisen dafür aber auf die Plejaden am Nachthimmel hin, die immer wieder für vierzig Tage verschwinden.)
Download als PDF-Datei Das Kreuz ist aufgerichtet
Das Kreuz ist aufgerichtet
Heiko Frubrich, Prädikant - 16.04.2025
„Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. Dass er das Heil der Welt in diesem Zeichen gründe, gibt sich für ihre Sünde der Schöpfer selber zum Entgelt.“
Die erste Strophe eines selten gesungenen Passionsliedes aus unserem Gesangbuch. Es wird selten gesungen, weil die Melodie sperrig ist in Tonalität und Rhythmus. Ihr fehlt es an Eingängigkeit, an Ohrwurm-Potential und an Wohlfühlatmosphäre. Doch mit diesen Wesensmerkmalen passt sie gut in diese Tage des Nachdenkens, der Betroffenheit, der Demut aber auch der stillen Dankbarkeit. Sie passt gut in die Karwoche.
Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet. Ja, die geistliche Obrigkeit in Jerusalem kann nun entspannt das Passahfest feiern und auch der römische Statthalter Pilatus hat wieder seine Ruhe. Die Sache mit diesem Wanderprediger Jesus ist vom Tisch. Der große Streit ist geschlichtet – zwar mit brachialer Grausamkeit, aber doch geschlichtet.
Wenn wir oberflächlich auf die Ereignisse der Karwoche blicken, könnte man den Text so interpretieren und wir hätten damit wahrscheinlich die Sichtweise vieler eingenommen, die vor 2000 Jahren Zeugen all dessen waren. Doch es geht um so viel mehr.
Es geht um den großen Streit, um schier unüberbrückbare Hindernisse zwischen uns Menschen und Gott. Es geht um unser aller Heil, darum, dass wir entlastet werden von allem, was uns an Schuld bedrückt, dass wir Vergebung erfahren für all unsere Versäumnisse, unseren Größenwahn und unsere Ignoranz.
Das Kreuz ist nicht die Markierung des Entsorgungsplatzes für einen aufsässigen Querulanten. Das Kreuz ist das Zeichen für unsere Freiheit, für unser Freigekauft-Sein, dass Gott in Christus selbst mit seinem Leben bezahlt hat.
Wie groß muss Liebe sein, aus der das erwächst? Wie groß muss der Wunsch sein, auf ewig Teil unseres Lebens zu werden? Wie groß muss Gottes Herz sein, dass er uns niemals verloren geben will?
„Wir sind nicht mehr die Knechte der alten Todesmächte und ihrer Tyrannei. Der Sohn, der es erduldet, hat uns am Kreuz entschuldet. Auch wir sind Söhne und sind frei.“
Der Text der letzten Strophe. Der da am Kreuz stirbt, ist uns allen durch sein Leben Freund und Bruder geworden. Und er füllt diese Rolle mit aller Konsequenz, in dem er unser Wohl über das seine stellt. Er geht in den Tod und versenkt dort hinein unsere Sünden und unsere Schuld. Er kämpft und siegt über die alten Todesmächte. Sie hatten das letzte Wort über unser Leben. Das ist vorbei. So, wie Christus selbst, sind auch wir Gotteskinder. Der schwere Stein wurde nicht nur von seinem Grab weggerollt, sondern auch vom Weg, der für uns alle ins ewige Leben führt. Wir sind Geschwister und sind frei!
„So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen. Das Ja erscheint im Nein, der Sieg im Unterliegen, der Segen im Versiegen, die Liebe will verborgen sein.“ Amen.
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Die Weisheit der Welt
Heiko Frubrich, Prädikant - 15.04.2025
Das Wort, das über dem heutigen Tag steht, stammt von Paulus. Er schreibt es an die Gemeinde in Korinth und war beim Schreiben offenbar ziemlich in Rage. Wir lesen: „Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“
Es geht um nichts weniger als das Zentrum unseres Glaubens. Es geht um das Wort vom Kreuz, das für gläubige Menschen, so Paulus, zur Gotteskraft wird – aber eben nur für gläubige Menschen. Vorgestern haben wir Palmsonntag gefeiert, den Tag von Jesu Einzug in Jerusalem. Doch der Palmsonntag ist auch der Tag eines gigantischen Missverständnisses. Das jubelnde Volk begrüßt den neuen König von Israel. Sie erwarten den König, der die Reihe der ruhmreichen Könige David und Saul und Salomo fortsetzt. Aber der kommt nicht.
Stattdessen kommt ein König, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Und es begreift niemand, noch nicht einmal seine engsten Vertrauten, die Jüngerinnen und Jünger. „Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?“
Ja, das hat er und er tut es immer wieder und wir Menschen hangeln uns von Fehleinschätzung zu Fehleinschätzung. Wir sehen Jesus auf dem Esel und denken: Na, bei König Charles sieht das aber deutlich prachtvoller aus. Wir hören das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, die trotz unterschiedlich langer Arbeitszeiten denselben Lohn kriegen und denken: Na, wie gut, dass es heutzutage Gewerkschaften gibt. Wir hören Gottes Wort, der uns sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege“, und denken: Na, ich bin doch aber ein frommer Mensch. Da wird Gott schon alles so richten, wie ich es mir wünsche.
Nein, wird er nicht! Gott ist keine Wunscherfüllungsmaschine. Sein eigener Sohn musste das bitter erfahren. Als Jesus am Palmsonntag nach Jerusalem kam, hat er nicht vor lauter Vorfreude laut mitgejubelt. Das Einzige, was ihn getragen hat, war sein Vertrauen.
Die Weisheit der Welt ist eine weltliche Weisheit, die versucht, Gott in das Korsett unserer menschlichen Vernunft zu zwängen. Aber das lässt er nicht zu. Warum auch? Er hat uns Menschen so gemacht und so gewollt, wie wir sind – mit unseren Grenzen und Beschränktheiten, mit unseren Schwächen und unseren Macken. Und wir maßen uns an, zu erwarten, dass sich Gott auch so verengt, nur, damit er für uns kalkulierbar wird?
Passionszeit ist auch Lernzeit. Wir dürfen lernen, dass Gott nicht verfügbar ist. Wir dürfen lernen, dass wir scheitern werden, wenn wir sein Wesen mit menschlichen Kriterien beurteilen wollen. Wir dürfen aber auch lernen, dass er seine Verheißungen uns gegenüber immer erfüllt.
Gott wird uns nicht enttäuschen, wenn wir ihm vertrauen, wenn wir uns und unser Leben ihm anvertrauen und uns auf seine Liebe und Barmherzigkeit verlassen und anerkennen, dass der Friede Gottes einfach höher ist als all unsere menschliche Vernunft. So, wie mit Jesus, wird Gott es gutmachen – auch mit Ihnen, mit euch und mit mir. Amen.
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Der Gottesknecht
Heiko Frubrich, Prädikant - 14.04.2025
Hat Jesaja die Biographie über das Leben und Sterben Jesu bereits 700 Jahre bevor es dann passierte, geschrieben? Das Gottesknechtslied, über das gestern in unseren Kirchen gepredigt wurde, enthält jedenfalls ganz strake biographische Züge.
Da heißt es: „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.“ Wie oft und wie segensreich hat Jesus mit den Müden geredet, mit jenen, die von allen anderen gemieden wurden, den Aussätzigen, den Zöllnern, den Blinden und Gelähmten. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken! So hat er die Menschen zu sich eingeladen. Und diese Einladung gilt weiterhin und sie gilt auch uns.
Und weiter heißt es bei Jesaja: „Doch ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.“
Jesus hat sich nicht gewehrt, ja er hat noch nicht einmal versucht, die Dinge richtigzustellen, als er von Pilatus verhört wurde. Wenn Sie die Schilderung über das Verhör lesen, möchten Sie Jesus beinahe schütteln und ihm sagen: Nun rede doch mal Klartext mit Pilatus! Erklär ihm, was hier gerade läuft, dass du Opfer einer Verschwörung bist, nur Gutes im Schilde führst und dass es ein riesiges Unrecht wäre, dich umzubringen. Doch Jesus sagt nur: Ich bin ein König und mein Reich ist nicht von dieser Welt. Und er verhält sich wortgetreu so, wie Jesaja schreibt: Er bietet seinen Rücken dar denen, die ihn schlagen, und seine Wangen denen, die ihn raufen Er verbirgt sein Angesicht nicht vor Schmach und Speichel.
Im Weiteren nennt der Jesaja-Text Jesu Kraftquelle, aus er heraus er all das durchhalten konnte: „Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Ich habe mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.“
Ein Kieselstein kann einiges vertragen, ohne zu zerbrechen. Und das muss er auch. Denn Jesus erlebt in den kommenden Tagen großes Leid. Er wird verspottet und verletzt und umgebracht. Seine Freunde werden ihn allesamt verlassen und so ist er einsam und auf sich gestellt der Willkür der Mächtigen ausgesetzt. Das auszuhalten, braucht Härte.
Doch trotz des Kieselstein-Vergleiches blicken wir bei Jesus niemals in eine versteinerte Mine. Selbst in den schwersten Augenblicken seines irdischen Lebens bleibt er anderen zugewandt. Er wäscht seinen Jüngern die Füße. Er stiftet neue Gemeinschaft zwischen Maria und seinem Lieblingsjünger Johannes. Er wird zum Seelsorger für den, der neben ihm gekreuzigt ist und weiß mit diesem Müden zu reden bis zu seinem letzten Atemzug.
Wir wissen, dass Jesu Gottvertrauen nicht enttäuscht wird. Wir wissen, dass Gott ihn begleitet und hindurchgetragen hat durch alles Leid und sogar durch den Tod – hinein in ein neues Leben, das wir voller Hoffnung feiern dürfen im Licht des Ostermorgens. Amen.
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Wer bist Du?
Cornelia Götz, Dompredigerin - 12.04.2025
Ehe wir morgen am Palmsonntag wartend an der Straße stehen, Adventslieder singen, weil Jesus auf dem letzten Stück seines Weges nach Jerusalem kommen wird und wir ihn empfangen, unsicher und ratlos, hoffnungsvoll und dabei wieder erleben werden, dass Erwartung Menschen und ihre Sicht auf die Dinge verändert, sind wir heute noch einmal hier.
Robin Hlinka hat Musikstücke von Johann Sebastian Bach zusammengestellt, sie klingen nach Not und Leid, nach Hinwendung und Zurüstung.
Kein Wunder, dass zu diesem Samstag als Lehrtext in den Herrnhuter Losungen Folgendes gehört:
Es geht um Saul, den spätere Paulus, der ein erbitterter Feind derer ist, die mit Jesus Christus gehen. Er, der die jüdische Thora streng befolgt, findet keine Brücke und keinen Zusammenhang, zwischen dem Knecht und König, dem Reich Gottes, diesem Jesus und seinem Glauben. Er kämpft wie besessen für seine Überzeugung – bis ihn ein Licht, heller als die Sonne, blendet und zu Boden wirft. Überwältigt und erschrocken fragt er:
„Wer bist du, Herr? Der Herr sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf, stell dich auf deine Füße! Denn ich bin dir erschienen, um dich zum Diener und Zeugen erwählen!“.
Mitten in dem Ringen um Wahrheit und Gewissheit, mitten in den Auseinandersetzungen mit Menschen, die man auf Irrwegen glaubt, wird Sauls von den Füßen gerissen. Und mit diesem Sturz wird alles fragwürdig,
was bisher sinnvoll, gut und richtig war, Stabilität und Fundament gegeben hat.
So wird es auch denen ergehen, die am Freitag Zeug*innen werden, wie Jesus Christus, der Menschen heilte und satt machte, unter dessen Füßen die Wüste zu blühen begann, hingerichtet wird. Ihnen werden die Knie einknicken. Und dann, wenn das Grab leer ist, schon wieder: Unglaubliches blendendes Licht. Es ist nicht zu fassen.
„Wer bist du?“
Wer bist Du? Wer bist Du, dass du diesen Weg gehst? Wer bist du, dass unser Herz zu brennen beginnt? Wer bist du, dass in deiner Nähe die Hoffnung groß wird? Wer bist, dass ich mich in meiner Not und Verwirrung vor deinem Thron wiederfinde.
Und die Antwort heißt:
„Stell dich auf deine Füße“. Steh auf. Mach den Rücken grade. Geh mit.
Morgen. Durch die nächste Woche. Überhaupt.
Download als PDF-Datei und erlöse uns...
und erlöse uns...
Cornelia Götz, Dompredigerin - 11.04.2025
Vor drei Jahren um diese Zeit lebte ich einige Zeit bei den Benediktinerinnen in Köln. Ich hatte mich wundgelaufen und brauchte einen geistlichen Ort, um zur Ruhe zu kommen und zu verstehen, was alles geschehen war und wo es hingehen kann; es tat Not Frieden zu schließen, mit Gott und dem was war.
Und es war gar nicht so einfach: Corona hatte die verschiedenen Häuser noch immer fest im Griff. Außerdem hoffte ich damals auf eine Gemeinschaft ohne Männer…
So kam ich eines Tages – nach vielen Telefonaten und noch mehr offenen Ohren – in Köln an. Das Stadtkloster, nicht weit vom DLF, ist nicht eben ein heimeliges Anwesen – sondern ein großer Kasten mit einer hohen Mauer. Ich stand davor und fürchtete, mich übernommen zu haben.
Doch am Ende der Zeit würde ich die Regel des heiligen Benedikt gelesen haben und wissen, dass es genügt hatte, dass ich geklopft hatte und suchte und auch, dass die Schwestern, die fast immer unsichtbar waren und in der Regel schwiegen, mich dennoch begleiten und stärken würden.
Zunächst aber hieß es schweigen und allein sein.
Allein essen, allein zur Kapelle gehen, allein und ohne Pflichten durch den Tag kommen und auch die Nacht – ohne Leselampe – allein sein…
Aber es gab Gebetszeiten - fünfmal am Tag. Morgens um 6.00 begannen wir.
„Herr, öffne meine Lippen“ sangen wir und dann nach einer sich nur langsam erhellenden Reihenfolge Psalmen. Das waren viele Tage meine einzigen Worte. Und erstaunlich: alles, was ich erlebt hatte, passte hinein.
Die Stricke und die Lügen, verlorene Pläne und das „erforsche mich!“
Wir feierten Abendmahl. Ja, ich protestantischer Gast, auch. Und sangen: „Sprich nur ein Wort, dann wird eine Seele gesund.“
Eins genügt. Ein einziges nur.
Und dazwischen immer wieder das Vaterunser. Im Stillen und im Stehen.
Erst bei der Zeile „erlöse mich von dem Bösen“ beteten wir laut.
Es war erstaunlich. Stundenlange innere Zwiesprache, der Singsang und wieder viel Stille – und dazwischen immer wieder, fünf Mal am Tag:
„Erlöse mich von dem Bösen“.
Ganz langsam änderte sich etwas.
Auf der Homepage des Klosters steht (von Henry Stanley Haskins):
„Was hinter uns liegt und was vor uns liegt, sind nur Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was in uns liegt. Und wenn wir das, was in uns liegt, nach außen in die Welt tragen, geschehen Wunder.“
So habe ich es erlebt.
Das, was mich damals beschwert hat, ist vergangen, vorbei.
Heute schaue ich auf den Irrsinn in unserer Welt, auf die wahnsinnige Zerstörungswut und Egomanie, auf die wachstumsbesessene Hartherzigkeit, die Rüstungsmilliarden und den Wirtschaftskrieg, die Dürre – die Welt scheint noch viel mehr aus dem Ruder als vor drei Jahren und auch unsere scheint Wasser im Boot zu haben.
Was liegt da vor uns?
Und doch: wenn wir in uns hören – dann ist da das Echo der einen Geschichte, die von Verheißung und Advent erzählt, von einem Gott, der genau diese Welt liebt und darum durch das Dunkel geht, vom leeren Grab und Osterlicht – wir tragen all das in uns als wollten wir ein Wunder hüten.
Und gut zu wissen:
Das sind Worte, die unsere Seelen gesund und unseren Geist klar machen, die uns von dem Bösen erlösen.
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U - Uria
Cornelia Götz, Dompredigerin - 10.04.2025
U – Uria
Von Uria berichtet die Bibel im zweiten Samuelbuch im Zusammenhang mit den Geschichten rund um David, den König und Stammvater des Hauses, auf das sich auch Josef und Jesus zurückführen werden.
Es ist keine schöne Geschichte.
Der Name Urijahu und seine Kurzform Uria bedeuten „JHWH ist mein Licht“. Der Uria, der dem David in die Quere kam, war allerdings ein Hetiter – sein Name wird daher wohl nicht mit dem Gott Israels in Verbindung gestanden haben. Vielleicht ist Uria deshalb in seinem Fall besser mit „Herr“ übersetzt.
Er war, so berichtet es das Alte Testament, ein Berufssoldat in Davis Truppe.
Vor allem aber war er mit Bathseba verheiratet.
In Gemäldegalerien alter Meister findet sich, welche verführerische Schönheit man bei ihrem Namen assoziierte. Auch David war dafür empfänglich.
Er sah ihr von seinem Palastdach beim Baden zu. Erkundigungen ergaben: sie war verheiratet mit Uria, dem Hetiter.
Aber das hielt David nicht ab, sie besitzen zu wollen. Er schläft mit ihr und schwänget sie.
Was nun beginnt, gehört zu den eher niederträchtigen Berichten des Alten Testamentes, die trotz ihrer Unrühmlichkeit immer weiter überliefert wurden – vielleicht, um im Gedächtnis zu behalten, dass Gott seine Geschichte auch mit sehr gewöhnlichen Menschen schreibt. David jedenfalls reagiert in diesem dunklen und blutigen Teil seiner Thronfolgegeschichte wie ein Herrscher, der sich vor schlechter Presse fürchtet.
Weit davon entfernt, selbst Verantwortung für das Kind, das er gezeugt hat, übernehmen zu wollen, lässt er nach dem Ehemann ins Feld schicken und ihn heimrufen. Ein zwei Nächte im Bett seiner Frau würden genügen, ihm das Kind unterzuschieben, so seine Rechnung.
Aber Uria ist nicht nur ein argloser Ehemann, sondern auch pflichtbewusster Soldat. So kommt er zwar zurück, weigert sich aber, woanders als draußen zu schlafen - genauso wie er es im Feld handhaben würde zumal ja auch die Bundeslade, das Heiligtum des wandernden Gottesvolkes, im Freien bleibt.
David versucht ihn davon abzubringen, mit Festessen und Alkohol. Aber Uria verrät seine Überzeugung nicht. Er weiß sich im Dienst und weicht nicht von seinem Prinzip, im Freien zu bleiben, ab.
Daraufhin weißt David seinen Feldherrn Joab an, den störrischen Ehemann an der Front auf einen lebensgefährlichen Posten zu setzen. So kommt es.
Uria verliert sein Leben. Seine Witwe Bathseba wird Davids Frau und Mutter des Thronfolgers Salomo. Doch das ist eine andere Geschichte.
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9.4.1945
Cornelia Götz, Dompredigerin - 09.04.2025
Über diesem Tag heißt es im 34. Psalm:
„Die auf den HERRN sehen, werden strahlen vor Freude.“ Und dazu aus dem Johannesevangelium: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, was ich Euch getan habe.“
Nicht nur eins. Heute vor 80 Jahren wurde der Schreiner Georg Elsner – verantwortlich für das gescheiterte Bombenattentat im Münchner Bürgerbräukeller - nach fünf Jahren Haft ohne Urteil im KZ Dachau ermordet.
In Berlin-Plötzensee wurde Ewald von Kleist-Schmenzin enthauptet.
In Flossenbürg wurden Wilhelm Canaris, Hans Oster, Ludwig Gehre, Karls Sack und Dietrich Bonhoeffer an einer Drahtschlinge aufgehängt nachdem sie nackt zur Hinrichtungsstelle hatten gehen müssen.
Der Krieg war fast zu Ende.
Aber die Terrormaschine funktionierte.
Sie machte auch diese Männer noch zu Märtyrern im Widerstand - wie so viele andere bis dahin. Sie kamen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Sie waren vermutlich geradliniger und mutiger als wir. Und dabei Menschen wie wir – mit Sehnsucht und Hoffnung, mit Angst und Sorgen, mit Familien, Eltern, Geschwistern, Kindern…
Am 28. Februar 1945 hatte Bonhoeffers Mutter, die nach Dietrichs Abtransport aus Berlin nichts mehr von ihm hörte, geschrieben:
„Meine Gedanken sind Tag und Nacht bei Dir in Sorge, wie es Dir ergehen mag. Hoffentlich kannst du etwas arbeiten und lesen und kommst nicht zu sehr herunter. Gott helfe dir und uns durch diese schwere zeit. Deine alte Mutter.“
Dietrich Bonhoeffers Braut Maria von Wedemeyer, die er während ihrer Verlobungszeit nicht einen Moment unter vier Augen gesehen hatte, suchte ihn unterdessen während der Wirren des Kriegsendes und lief und fuhr mit einem Koffer warmer Kleidung durch das kaputte Land von einem Gefängnis und Konzentrationslager zum nächsten.
Überall wird sie fortgeschickt. Auch in Flossenbürg. Von dort schreibt sie an Dietrichs Mutter: „Leider ist eine ganze Reise … völlig zwecklos gewesen. Dietrich ist gar nicht da…“
Nicht einmal diese letzte Begegnung ist ihnen vergönnt.
Erst im Juni 1945 erfährt sie von seiner Hinrichtung.
Dietrich Bonhoeffer, der nicht einmal vierzig Jahre alt geworden ist, wuchs in das, was er trug hinein. Am Ende seines Lebens schrieb er: „Schließlich sind die menschlichen Beziehungen doch einfach das Wichtigste … Gott selbst lässt sich von uns im Menschlichen dienen.“
Daran, ob wir der Menschlichkeit bzw. den anderen menschlich dienen, entscheidet sich, wes Geistes Kinder die sind, die seiner gedenken. Wer hätte gedacht, dass wir auch das heute bedenken müssen.
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Schaffe mir Recht, Gott!
Heiko Frubrich, Prädikant - 07.04.2025
Judika, so lautet der Name des gestrigen Sonntages, der sich aus Worten des 43. Psalms ableitet. „Schaffe mir Recht, Gott!“, so bittet der Psalmbeter. Und quasi als Antwort auf diese Bitte wird uns im Evangelium der Bericht über Jesu Verhör vor dem römischen Statthalter Pilatus präsentiert. Und man ist geneigt, zu denken: Na, wenn das Gottes Reaktion auf unseren Wunsch nach Recht und Gerechtigkeit ist, dann Prost Mahlzeit!
Was war passiert: Jesus wurde nach seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane vom Hohen Rat und den jüdischen Hohenpriestern Hannas und Kaiphas verhört. Sie wollen Jesus loswerden, ein für alle Mal, weil er ihnen gefährlich zu werden scheint. Er bringt die Menschen dazu, die Machtposition der geistlichen Obrigkeit zu hinterfragen und deren Unfehlbarkeit in Frage zu stellen. Jesus bekennt sich gegenüber den Priestern als Gottes Sohn. Das reicht dem Hohen Rat, um ihn zum Tode zu verurteilen.
Doch sie können das Urteil nicht vollstrecken. Dazu brauchen sie Pilatus und der gerät nun in eine für ihn höchst unangenehme Situation. Am liebsten möchte er sich aus diesem Konflikt komplett heraushalten. Doch so einfach machen es ihm die jüdischen Geistlichen nicht. Und so kommt es nach einigem Hin und Her und nachdem sich Pilatus spürbar gewunden hat wie ein Aal zu Jesu Todesurteil.
Einen letzten Ausweg bietet die Tradition, vor dem Passahfest einen Verurteilten zu begnadigen, den sich das Volk aussuchen kann. Und dann stehen nun der gegeißelte Jesus mit Dornenkrone und Purpurmantel und der Räuber Barabbas vor den Leuten. Und diese entscheiden sich für Barabbas. Er wird an Stelle von Jesus freigelassen.
Schaffe mit Recht, Gott! Aber doch bitte nicht so, oder? Die geistliche Obrigkeit initiiert einen politischen Mord, wobei sie aber akribisch darauf achten, dass sich andere dabei die Finger schmutzig machen. Der Unschuldige wird verleumdet, auf offener Bühne verhöhnt und gequält. Pilatus, der mehrfach sagt, dass er Jesus für unschuldig hält, verurteilt ihn dennoch zum Tod am Kreuz, weil er keine Lust auf einen Konflikt mit der Jerusalemer Priesterschaft hat. Und das Volk fordert lauthals Jesu Tod und schenkt dafür einem veritablen Verbrecher die Freiheit.
Und bevor wir nun alle mit unserer Entrüstung nicht mehr wissen, wohin: Schauen wir in die Welt des Jahres 2025, und wir finden genau das wieder. Heuchelei, Korruption, Lügen, Gewalt und zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit. Ich verzichte auf Beispiele, Sie kennen genug.
Schaffe mir Recht, Gott! Sind diese Worte also in den Wind gesprochen? Nein, das sind sie nicht. Denn Gott zeigt uns, dass sein Atem weiterreicht als nur bis zu dieser bedrückenden Szene im Palast des Pilatus. Gott führt die Geschichte weiter und durch all diese menschlichen Abgründe hindurch. Er ist in der Lage, aus diesen Paradebeispielen menschlichen Unrechts etwas Heilvolles hervorzubringen. Und er erfüllt es in der größten Amnestie der Menschheitsgeschichte, in der Jesus all unsere Schuld mit sich ans Kreuz nimmt und im Geschenk des ewigen Lebens, das sichtbar und erlebbar wird im leeren Grab im Licht des Ostermorgens.
Auf diese Hoffnung hin dürfen wir leben – auch und gerade in der Passionszeit. Amen.
Download als PDF-Datei Wer nur den lieben Gott lässt walten
Wer nur den lieben Gott lässt walten
Heiko Frubrich, Prädikant - 05.04.2025
„Wer nur den lieben Gott lässt walten“, ein Hoffnungslied mitten in der Passionszeit. Im Gesangbuch ist es in der Rubrik „Angst und Vertrauen“ zu finden, wobei in der Bearbeitung von Johann Sebastian Bach, die wir gerade gehört haben, die Zuversicht überwiegt. Wir werden in einen wiegenden 4/4-Takt hineingenommen und immer wieder an warmen Harmonien vorbeigeführt und mit einem strahlenden A-Dur Akkord entlassen.
„Wer nur den lieben Gott lässt walten und hoffet auf ihn allezeit, den wird er wunderbar erhalten in aller Not und Traurigkeit.“ Mal Hand aufs Herz: Können diese Worte nicht auch eine echte Zumutung sein? Wie mögen sie klingen in den Ohren der Menschen im unkrainischen Charkiw, deren Welt in Trümmern liegt? Wie mögen sie klingen in den Ohren der 1,5 Millionen Transgender-Menschen in den USA, die die Trump-Administration als nicht existent bewertet. Wie klingen diese Worte in unseren Ohren, wenn uns unsere eigenen Lebenswege durch tiefe Täler führen?
Manchmal fehlt die Kraft, im Leben mutig weiterzugehen. Manchmal fehlt das Vertrauen, um zu glauben, dass die Worte stimmen: „Wer Gott, dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ Und es wird auch nicht alles von jetzt auf gleich wieder gut, wenn wir uns vor Augen führen, dass unsere Traurigkeit unser Kreuz und Leid nur größer machen, wie uns die zweite Strophe lehren will.
Jesu Passion war kein Augenblicksgeschehen, nichts, was er zwischen Frühstück und Mittag hätte erledigen können. Es war eine erlebbar lange Zeit, die in seinen Gedanken ganz sicher weit vor dem Palmsonntag begonnen hatte. Und die Bibel berichtet eben ganz genau nicht, dass er fröhlich und Choralverse pfeifend durch Jerusalem getanzt ist.
Jesus ging es richtig dreckig! Er hat Angst, was er mehrfach sagt. Er hat gezittert, ist unter der Last seines Schicksals in Gethsemane zusammengebrochen und hat Gott unter Tränen um Schonung gebeten. Je mehr Lebenserfahrung wir sammeln, desto besser können wir all das auch anhand unserer eigenen Biographie nachvollziehen, weil es auch bei uns größere und kleinere Passionszeiten gab und weitere möglicherweise noch kommen werden.
Es ist deshalb so wichtig, dass wir im Kirchenjahr Zeit haben, all das zu bedenken und an uns heranzulassen. Es ist aber genauso wichtig, in diesen Tagen und Wochen auf Ostern hinzuleben. Denn so unbegreiflich das Osterwunder für uns auch sein mag: Das Grab war leer und wir alle dürfen wissen, dass Gott im Licht des Ostermorgens neues Leben geschaffen hat, das keine Dunkelheit mehr kennt, und das uns allen zuteilwerden wird – aus Liebe. Amen.
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Einsam - gemeinsam
Cornelia Götz, Dompredigerin - 04.04.2025
Ich habe einen Ohrwurm: „Einsam bist du klein / aber gemeinsam werden wir Anwalt des Lebendigen sein / einsam bist du klein.“
Einsam.
Einsamkeit ist ein großes Thema. Mancherorts gibt es Ministerien, anderswo Beauftragte. Es gibt medizinische Studien über Nebenwirkungen von Einsamkeit, oder die sozialen Folgeschäden (kann man das so nennen?) der Coronapandemie. Und dann ist da noch die totale Leere zwischen allen Socialmediakontakten. Einsamer nie.
Einsam kann man sich fühlen, wenn an warmen Frühlingsabenden Menschen endlich wieder draußen auf Straßen und Plätzen zusammensitzen und man selbst doch zu keiner dieser fröhlich plaudernden Gruppen dazugehört.
Einsamkeit ist etwas anderes als Alleinsein. Das ist ja manchmal auch ganz schön – aber eben nur so lange wie es selbst gewählt ist. Milva singt das so herrlich:
„Ich bin so gern allein / Du glaubst ich kann’s nicht sein / Doch ich will hin und wieder mal keinen Menschen sehn… Ich stelle Möbel um / lauf ungeschminkt herum / ich mach es mir gemütlich / und dann denk ich an Dich.“
So ist es die Luxusvariante. Moderner Individualismus.
Aber wenn man nicht allein sein will? Wenn man befürchtet, komisch zu werden und nicht merkt, dass man – aus lauter Angst übersehen oder falsch verstanden zu werden - misstrauisch wirkt, wenn aus gefühlter Einsamkeit eine echte Zwangslage wird, dann fühlt man sich klein, wehrlos, spürt sich nicht mehr.
„Geh doch mal raus und unter Menschen“ hilft dann eher nicht.
Umso wohltuender ist das, was Gott uns in seiner Gemeinde und durch seinen Geist, mit seiner Gastfreundschaft schenkt.
Er lädt uns ein an seinen Tisch – nicht nur in Gedanken – sondern physisch.
Wir teilen Brot und Wein – nicht nur ideell, sondern so, dass wir richtig was zu schlucken haben.
Er verbindet uns nicht nur durch die Luft , die wir gemeinsam atmen, sondern auch wenn wir uns die Hände geben: Berührung – das Wundermittel gegen Einsamkeit.
Vielleicht ist dieses „eine Gemeinschaft gestiftet zu haben“ das kostbarste und wirksamste Geschenk, um leben zu können und Anwälte des Lebendigen, des Lebens, wirklicher Nähe zu sein – einander zum Segen zu werden. Darum: gut, dass Sie da sind. Gleich feiern und erleben wir das.
Download als PDF-Datei T - Taube
T - Taube
Cornelia Götz, Dompredigerin - 02.04.2025
Wenn Intellektuelle ein Land verlassen, so wie derzeit es in den Vereinigten Staaten geschieht, dann ist das ein so alarmierendes Zeichen wie wenn seinerzeit im Bergwerk die Kanarienvögel starben. So beginnt die Katastrophe.
Darum aus gegebenen Anlass Bibelkunde: T – Taube.
Denn war sie es nicht, die das Ende der Katastrophe anzeigte?
Wartete man nicht auf ihre Rückkehr? Oder ist es schon so weit - wie Hans Hartz sang: „Die weißen Tauben sind müde. Sie fliegen lange schon nicht mehr…“ ???
Bibelkunde also:
Im Alten Testament kannte man zwei Taubenarten:
Die graublaue wilde Felsentaube, von der auch die Haustaube abstammt. Und die Turteltaube, ein Zugvogel mit rötlicher Brust und seitlichen Halsflecken.
Tauben gehörten zum Alltag der Menschen: Der Prophet Jeremia berichtet von Tauben, die an Felswänden nisten, Hosea schimpft, dass Tauben „flatterhaft und ohne Verstand seien“ und eh leicht zu fangen sobald man sie hört. Jesaja berichtet von Taubenschlägen zur Massenhaltung, denn sie wurden gegessen.
Und vielleicht waren sie wegen ihrer frühen Domestizierung die einzigen Vögel unter den Opfertieren.
Mit salzigem Taubenmist wurde Brot gebacken. Darum war der kostbar und steht folgerichtig im zweiten Buch der Könige auf einer Liste rarer Güter, die während der Belagerung Samarias teuer wurden.
In der altorientalischen Umwelt Israels waren Tauben schließlich Begleittiere der Liebesgötter. Von dort war der Weg ins Hohelied Salomos kurz.
Dass die Menschen Tauben als Liebesboten lasen, erklärt wohl auch, warum in der Taufgeschichte Jesu Gottes Geist „wie eine Taube“ herabschwebt.
Für uns wurde die taube zum Friedenssymbol. Allerdings wohl nicht zuerst wegen ihrer wichtigen Rolle in der Sintflutgeschichte - die Taube brachte einen Ölzweig und Noah wusste so, dass die Flut überstanden und zusammen mit dem Wasser auch der Zorn Gottes verebbt war – sondern dank Pablo Picasso: Der malte für den ersten „Weltkongress der Kämpfer für den Frieden“ 1949 ein Plakat mit Taube, weil einer seiner Freunde Motiv in Picassos Atelier so schön fand.
T - Taube. Hoffen wir, dass sie dien Ölzweig bringt, ehe die Kanarienvögel sterben. Grund zur Hoffnung haben wir, denn Jeremia lässt ausrichten:
„Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der HERR: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“
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Redet, wenn Ihr Angst habt!
Heiko Frubrich, Prädikant - 01.04.2025
Die biblischen Texte der Passionszeit nehmen uns bereits jetzt hinein in die Karwoche. Am vergangenen Sonntag wurde berichtet, wie einige Griechen, die zum Passahfest nach Jerusalem gekommen waren, mit Jesus sprechen wollten. Als Jesu Jünger ihm das sagen, reagiert er merkwürdig. Er geht auf den Gesprächswunsch nicht ein, sondern beginnt, über seinen eigenen Tod zu sprechen. „Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben“, sagt er. Und: „Meine Seele ist voller Angst. Doch soll ich sagen: Vater, rette mich? Nein. Denn jetzt geschieht, wofür ich gekommen bin. Ich sage vielmehr: Vater, offenbare jetzt deine Herrlichkeit!“
Jesus hat Angst. Und diese Angst ist so bestimmend, dass er seinen Jüngern offenbar gar nicht richtig zuhört, als sie ihm sagen, dass dort Menschen sind, die zu ihm wollen. Jesus weiß, dass er Gottes Sohn ist. Er weiß, dass er bestens behütet ist und dennoch hat er Angst. Und er macht aus dieser Angst kein Geheimnis.
In jedem Leben gibt es Phasen, in denen wir existenzielle Angst haben. Wir verlieren einen Menschen, der Teil unseres Lebens war, uns ereilt eine schwere Krankheit, der Verlust des Arbeitsplatzes zerstört unsere Zukunftspläne. Jesus rät uns durch sein eigenes Verhalten: Redet darüber! Vertraut euch Gott uns anderen Menschen an, und tragt die Last nicht alleine.
Die Bibel verrät uns nichts über die Reaktion der Jünger. Doch sie berichtet, dass Gott selbst sich zu Wort meldet und seinen Sohn tröstet und ihm Mut macht. Er spricht aus dem Himmel: „Ich habe meine Herrlichkeit schon einmal offenbart und ich werde sie noch einmal offenbaren.“ Das erste Mal offenbart Gott seine Herrlichkeit in Christi Geburt. Er kommt als Mensch in unsere Welt und wird einer von uns und wir sahen seine Herrlichkeit, wie Johannes berichtet. Und die zweite Offenbarung von Gottes Herrlichkeit geschieht in der Auferstehung seines Sohnes am Ostermorgen.
Jesus sagt: „Hört genau hin, denn das, was mein Vater gerade gesagt hat, gilt euch!“ Und ja, so ist es. Wir wissen, dass Gott Wort gehalten hat, denn das Grab war leer. Wir wissen, dass Jesus seinen Weg weitergehen konnte, weil er wusste, dass Gott ihn auffangen und es am Ende gutmachen würde mit ihm. Und wir dürfen wissen, dass das auch für alle unsere persönlichen Krisen und Ängste und Nöte zutrifft. Gott wird seine Herrlichkeit auch an uns offenbaren und uns nicht verlassen, wenn wir alleine nicht mehr weiterwissen.
Jesus zeigt uns: Angst zu haben, schwach zu sein und um Hilfe zu bitten, ist keine Schande. Es gehört zu jedem Leben dazu, sogar zu dem des Gottessohnes. Und wir müssen da nicht alleine durch. Denn er ist da und hilft. Amen.
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