Das Wort zum Alltag

Seit dem 1. Dezember 1968 gibt es von Montag bis Freitag um 17.00 Uhr und Samstag um 12.00 Uhr eine kurze Andacht mit Gebet, die von Orgelmusik gerahmt wird.
Wir möchten Menschen damit ermöglichen für ihre eigene Praxis pietatis eine regelmäßige Form zu finden. Zugleich birgt das Format die Möglichkeit auf die jeweils aktuellen Ereignisse in unserer Stadt und unserer Welt zu reagieren.

Während des Advents und der Friedensdekade hat das Wort zum Alltag einen besonderen Akzent. Das Wort zum Alltag wird in der Regel von der Dompredigerin, sowie von anderen Braunschweiger Pfarrerinnen und Pfarrern und Prädikanten gehalten. Die umrahmende Orgelmusik übernehmen die Kantoren des Braunschweiger Doms.

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Worte zum Alltag

  Meine Bibel

Meine Bibel

Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.01.2025

Meine Bibel ist wahrlich keine Luxusausagabe.
In rotes Leinen gebundene Pappdeckel halten die gelblichen Seiten zusammen. Ich habe sie seit 1985. Eine Freundin, die damals in der Buchhändlerlehre war, hatte sie mir zurückgelegt.
In der DDR waren Bibeln Bückware.
Wären sie das nicht gewesen, hätte mich das Angebot vielleicht gar nicht interessiert. So hatte sie den Reiz, begehrt zu werden. Man stelle sich das vor!
Gelesen habe ich darin dennoch erst später und richtig durchgeackert habe ich sie erst, als es in die Bibelkundeprüfung ging. Seither ist sie zur Hand und so sieht sie auch aus.
Gestern nun ist sie auseinander gefallen. Darum ist mit beim Zusammenpacken der Blätter zum ersten Mal das Vorwort des Buches in den Blick geraten.
Natürlich wusste ich schon, dass es 1984 eine Revision der Lutherbibel gab – man hatte den neutestamentlichen Teil am griechischen Urtext entlang Wort für Wort durchgesehen und dabei Erkenntnisse aus jüngeren Quellenfunden berücksichtigt. Aber erst jetzt ist mir bewusst geworden, dass mit dieser Bibelausgabe eine Kommission betraut war, deren Mitglieder aus Ost und West kamen und auch alle die, die bis zur Endfassung beteiligt und gehört wurden, kamen aus beiden deutschen Staaten.
Gemeinsam haben sie sich mitten im kalten Krieg über Gottes Wort gebeugt und in ihrer gemeinsamen Muttersprache nach den besten Formulierungen gesucht.
Unter solchen Umständen liest sich der letzte Satz des Vorwortes des damaligen sächsischen Landesbischofs Johannes Hempel sehr konkret:
„Wir sind froh, wieder einen Text zu haben, der uns nicht nur mit den Christen vergangener Jahrhunderte verbindet, sondern auch unter den jetzt lebenden evangelischen Christen ein einheitliches Band zu knüpfen vermag.“
Wir sind froh, einen Text zu haben, der uns verbindet.
Es ist ein tröstlicher Gedanke zu wissen, dass jemand, dem ich nicht nah sein kann, doch mit denselben Texten lebt.
Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass Gottes Wort verbindet auch über Grenzen und Fronten hinweg.
Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass es dieser Text ist, der uns verbindet.
Heute, vierzig Jahre später, hat sich unsere Welt verändert und auch die Bibel ist wieder und wieder übersetzt und übertragen worden.
Die Grenze in unserem Land ist verschwunden.
Aber die Notwendigkeit, sich zu verbinden, ist eher größer geworden.
Gut, dass wir uns unter einem Wort wie dem aus dem Philipperbrief, das über diesem Tag heute steht, verbinden können.
„Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! … Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Jesus Christus. Amen.“




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  Der Weihnachtsfestkreis

Der Weihnachtsfestkreis

Cornelia Götz, Dompredigerin - 17.01.2025

In diesen Tagen werde ich - wie jedes Jahr - immer mal wieder verwundert gefragt, wie lange wir denn den Weihnachtsbaum noch stehen lassen wollen? Und dann könnte ich antworten, dass ich ein großer Fan des Journalisten und Autors Christoph Dieckmann bin, der in der zweiten Hälfte Januar Geburtstag hat und eher einen neuen Baum besorgt als ohne Weihnachtsbaum zu feiern, denn der Pfarrerssohn weiß: der Weihnachtsfestkreis läuft noch bis zum letzten Sonntag nach Epiphanias - dem Fest der Verklärung.
Dann wird es noch einmal die liturgische Farbe „weiß“ geben, die hohen Christusfesten wie Ostern oder Weihnachten vorbehalten ist - oder eben diesem letzten Sonntag der Weihnachtszeit.
In diesem Jahr fällt der auf den 2. Februar.
Bis dahin steht der Baum und dann wird es heißen: „Die Herrlichkeit des HERRN geht auf über Dir“. Wir werden die wunderbare Geschichte erzählen, wie Jesus auf einen Berg stieg und sein Gesicht wie die Sonne leuchtete und Gott noch einmal vom „seinem Wohlgefallen“ spricht. Ein Wort, das auch durch die heilige Nacht klang.
Es ist eine Lichtgeschichte und wir sind zum Glück mittendrin.
Im Advent hieß es: Sehr auf uns erhebt eure Häupter. Da schien der Stern von Bethlehem schon auf unsere Wege. Zu Weihnachten wurde die Ankündigung des Propheten Jesaja wahr: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.“ Dann leuchtete die „Klarheit des HERRN“ um die Hirten und schließlich an Epiphanias, dem Fest der Heiligen drei Könige vor allem aber - denn das heißt Epiphanias - dem Fest der Erscheinung des HERRN, werden alle erleuchtet als Gott in der Taufe Jesu sagt: „Das ist mein lieber Sohn.“
Es ist eine Lichtgeschichte, die unser Leben hell macht und auf unseren Wegen scheint, damit wir nicht verstört und verängstigt, hasserfüllt oder heimlich durch die Nacht der Welt irren, stolpern, schleichen müssen.
Und ja: der Weihnachtsbaum ist sehr viel später dazugekommen.
Es ist vermutlich auch verrückt, sich einen Baum ins Haus zu stellen.
Aber so sind wir: sein Leuchten steht für Weihnachten, für Gottes Licht in einer Zeit, in der wir über Waffen und Geiseln, Krieg und Not reden.
Wer wollte da so verrückt sein, eine der eindrücklichsten Erinnerungen, dass uns ein Friedefürst geboren ist, vor der Zeit rauszuschmeißen?

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  N-Nardenöl

N-Nardenöl

Cornelia Götz, Dompredigerin - 16.01.2025

N- Nardenöl
Die Evangelisten erzählen von einer Salbung Jesu – kurz vor der Kreuzigung - mit kostbarem Nardenöl. Bei Markus klingt das so:
„Und als er in Bethanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können …“
Ich stelle mir vor, diese Frau hat Jesu ganzen Weg mitverfolgt. Vielleicht hat er ihrem Leben Hoffnung und Sinn gegeben, vielleicht hat eines seiner Worte oder seiner Wunder ihr Leben verändert. Jetzt sieht sie, wie sich die Schlinge zuzieht. Sie stellt sich einen gehetzten und gejagten Menschen vor, der nicht mehr viel Zeit zu leben hat. Sie fühlt sich in ihn ein und spürt seine Müdigkeit und Erschöpfung, die aufkommende Angst und Verlassenheit.
Also sucht sie danach, was ihm jetzt wirklich gut tun könnte und entscheidet sich für das Beste, was ihr für solche eine Situation einfällt: Sie kauft Nardenöl, das damals wie heute zu den teuersten Essenzen überhaupt gehört. Die Phönizier importierten die Kostbarkeit aus Indien, denn der Grundstoff des Öls wird aus den Wurzeln und Stängeln eines Baldriangewächses gewonnen, der nur im Himalaya heimisch ist.
Nardenöl muss einen intensiven und unvergleichlichen Geruch haben: harzig und erdig, warm und süß. Und es hat besondere Eigenschaften: Es entspannt und schenkt inneren Frieden, verhilft zu Ausgeglichenheit und Selbstvertrauen, verhindert übermäßiges Grübeln und Schlaflosigkeit…
Muss also die Fülle eines ganzen Alabsterfläschchens dieses Öls nicht eine unglaubliche Wohltat für einen Menschen gewesen sein, der sich in einer solch existentiellen Grenzsituation befindet?
Man kann das für unsinnigen Luxus und pure Verschwendung halten.
Man kann aber auch sehen, dass hier ein Mensch für einen anderen alles nur erdenklich Liebevolle getan hat.
Nardenöl steht für ein Übermaß an Liebe und einen Duft, der bleibt.

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  Mit Herz und Verstand

Mit Herz und Verstand

Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.01.2025

Über dieser Woche heißt es aus dem Römerbrief: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“
Treibt. Ein schwieriges Wort. Ich will keine Getriebene sein und auch nicht getrieben werden. Blüten treiben schon; aber das ist hier nicht gemeint.
Neuere Übersetzungen sind milder: „Welche sich von Gottes Geist leiten oder führen lassen...“
Da fehlt nun wieder die Wucht.
Die braucht es aber vielleicht in unserer Welt, in der so viele an uns ziehen und zerren, uns vereinnahmen wollen – es braucht eine starke Kraft um uns auf dem Weg zu halten, damit wir nicht fortgetrieben werden.
So geht es vielleicht.
So lässt sich das Wort mitnehmen in einem Jahr, in dem wir weiter und wieder verantwortlich sind, für das was wir tun.
Aber diesem Wort wohnt noch eine zweite Spannung inne: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“
Nur die? So ausschließend möchte ich nicht denken. Lieber lese ich eine Vergewisserungsformel: wenn uns Gottes Geist treibt, dann weil wir seine Kinder sind und er uns nicht aus den Augen lassen will.
Denn das brauchen wir samt Rückenwind.
Gerade jetzt. In der Krise, vor der Zerreißprobe.
Inmitten dessen haben katholische und evangelische Kirchen nun – hoffentlich nicht getrieben von Angst und Furcht vor dem, was kommen kann, sondern voller Vertrauen auf das, was möglich ist unter uns – eine Initiative zur Bundestagswahl gestartet:
„Für alle mit Herz und Verstand: Menschwürde – Nächstenliebe – Zusammenhalt.“
Es ist keine Wahlempfehlung.
Es ist eher eine Ermunterung zu mehr Miteinander, mehr Zuhören, Freundlichkeit, Nachsicht, Mitleid, Demut, Verzicht, Nachbarschaftshilfe.
Es ist eine Werbung, das zu sehen, was uns verbindet und nicht was trennt.
Es ist die Aufforderung, sich nicht sagen zu lassen, was man wählen soll, sondern das eigene Gewissen zu schärfen und so zu einer eigenen gewissenhaften und verantwortlichen Wahlentscheidung zu kommen.
Mit Herz und Verstand. Und sich dabei treiben lassen von Gottes Geist.

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  Hej!

Hej!

Henning Böger, Pfarrer - 13.01.2025

„Hej!“, sagt sie im Vorbeigehen zu ihrem Nachbarn im Treppenhaus.
„Hej!“ zum freundlichen Kassierer im Supermarkt. Und „Hej!“ hört auch
der junge Mann, der in sein Smartphone vertieft fast mit ihr zusammenstößt.
„Hej!“ sagt die Busfahrerin zu jedem Fahrgast, der bei ihr steigt.
Ein „Hej!“ genügt und die Welt ist etwas weniger einsam. Die Menschen in der schwedischen Stadt Luleå haben beschlossen, das zu nutzen. Nur 150 Kilometer
südlich vom Polarkreis gelegen, ist der Winter lang und vor allem dunkel.
Sonne und Wärme haben es schwer, über den Horizont zu klettern. Da muss man
sich auf anderem Wege helfen, damit es hell und freundlich in den Menschen bleibt.
Vier Wochen lang lief in Luleå deshalb die Kampagne „Säg hej!“, zu Deutsch:
„Sag hallo!“ Sie ermunterte dazu, die Mitmenschen mitten im Alltag mehr zu grüßen:
im Treppenhaus oder Supermarkt, an der Bushaltestelle, auf dem Weg zur Arbeit
oder ins Konzert, im Fitnessstudio oder Kindergarten.
So könnten sich, dachten die Initiator*innen der Stadtverwaltung, Sicherheit, Vertrauen und Wohlbefinden steigern lassen. Durch kleine Alltagskontakte sollte die Anonymität unter den Bürger*innen sinken, Konflikte weniger werden und das Zugehörigkeitsgefühl gestärkt werden.
Sie hatten Recht mit ihrer Idee und ihre Erwartungen wurden übertroffen:
„Säg hej!“ war ein großer Erfolg im winterlich-dunklen Luleå. Und das Beste an der Aktion: Wirklich jeder und jede konnte mitmachen und dazu beitragen,
das Miteinander durch ein kurzes „Hej!“ zum Guten zu verändern.
Denn „Hej!“ heißt nicht einfach nur „Hallo“. Es bedeutet auch: „Ich sehe dich,
ich nehme dich wahr, du bist mir aufgefallen!“ Jedes „Hej!“ ist ein kurzes Lächeln,
das weitergereicht wird - nicht nur auf schwedischen Straßen.
Darum geht heute auf dem Weg ins Abenddunkel unserer Braunschweiger Straßen
diese kleine Bitte mit uns: „Säg hej! Sag hallo!“

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  Göttliches Kopfschütteln

Göttliches Kopfschütteln

Heiko Frubrich, Prädikant - 10.01.2025

„Der Herr spricht: Möge doch ihr Herz so bleiben, dass sie allezeit Ehrfurcht vor mir haben und meine Gebote halten, damit es ihnen und ihren Kindern gut geht, für immer!“ Dieses Wort aus dem 5. Buch Mose steht über dem heutigen Tag. Irgendwie höre ich ein wenig Verzweiflung zwischen den Zeilen heraus und ein leises „Ach“. Gott hat es mal wieder nicht leicht mit seinen Menschen. Gerade haben die Israeliten von Mose die Zehn Gebote empfangen. Sie haben erlebt, wie Gott sie Mose mit feuriger Hand auf steinerne Tafeln geschrieben hat und all das erfüllt sie mit tiefer Angst.
Sie haben Sorge, dass es sie das Leben kosten wird, wenn sie weiter so dicht, quasi in Sichtweite von Gottes Herrlichkeit leben. Und so sagen sie: „Mose, geh du hin und höre, was Gott zu sagen hat und berichte es uns dann danach. Wir gehen lieber auf Abstand. Da fühlen wir uns sicherer.“
Diese Haltung ist es, die bei Gott dieses Kopfschütteln auslöst, von dem wir gerade gehört haben. Denn ganz offenbar fehlt es den Israeliten an Vertrauen. Sie haben Angst vor Gott, anstatt ihm in Ehrfurcht zu begegnen und das ist nun überhaupt nicht das, was Gott will. Und dass sie nun auch noch den armen Mose vorschicken, bedarf keiner weiteren Kommentierung.
Wie ist das eigentlich mit uns? Spätestens seit der ersten Weihnacht dürfte auch der letzte verstanden haben, dass wir vor Gott keine Angst zu haben brauchen – ganz im Gegenteil. Doch ein Mangel an vertrauender Ehrfurcht besteht weiterhin, heute allerdings aus einer ganz anderen Richtig. Es ist nicht Angst, die das verhindert, sondern Desinteresse und Ignoranz. Es ist nicht Verunsicherung, die dem im Wege steht, sondern Selbstüberschätzung und Größenwahn.
Den Israeliten war sehr wohl klar, dass sie ohne göttliche Begleitung aufgeschmissen wären. Diese Erkenntnis ist uns heute vielfach verloren gegangen, denn die Anzahl derer, die meinen, ohne Gott genauso gut durchs Leben zu kommen, wenn nicht sogar noch besser, nimmt immer weiter zu.
Ich denke schon, dass Gottes Reaktion darauf dieselbe ist, wie sie die Tageslosung wiederspiegelt: Möge doch ihr Herz so bleiben, dass sie allezeit Ehrfurcht vor mir haben und meine Gebote halten, damit es ihnen und ihren Kindern gut geht, für immer! Und dieser Ausspruch ist göttlicherseits ebenso berechtigt wie vor 3000 Jahren.
Was hindert uns also daran, in Gott den liebevollen Begleiter zu sehen, der er für uns sein will. Vieles wäre ganz sicher leichter, wenn sich diese Einsicht durchsetzte. Amen.

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  Segen on tour

Segen on tour

Heiko Frubrich, Prädikant - 09.01.2025

„Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.“ Worte, die Gott höchstpersönlich zu Abraham sagt, ein paar Tausend Jahre her, aber noch immer aktuell, denn sie gelten, so, wie alle anderen Verheißungen Gottes, auch uns. Auch wir sollen gesegnet und selbst ein Segen sein. Kling prima, wie ich finde, aber was heißt das eigentlich konkret?
Montag und Dienstag hatten wir Besuch hier bei uns im Dom, der dabei geholfen hat, diese Frage zu beantworten. Das Segensrad war hier, ein Projekt der Magni-Gemeinde, maßgeblich initiiert von Vikarin Lisa Koch. Das Segensrad, ein Lastenfahrrad mit beleuchtetem Baldachin, hatte Neujahrssegen geladen – in Form von süßen Leckereien. Da gab es Geduldsfäden aus grünem Weingummi, kleine Schnuller als Symbol für kindliche Freude, Zuckerbonbons als Kraftquelle für Unerwartetes und noch vieles andere mehr. Aus dieser großen Auswahl konnte sich dann jede und jeder seine ganz persönliche Segenstüte zusammenstellen, die das enthielt, was für 2025 gebraucht wird.
Ich finde dieses Segensrad in mehrfacher Hinsicht prima. Erstens: Wir hatten richtig Freude beim Füllen unserer Tüten. Da wurde gelacht, gefrotzelt aber durchaus auch ernsthaft hinterfragt, wenn beim Nachbarn auffällig viel Leichtigkeitssegen eingepackt wurde. Und es entspann sich so manches wertvolle Gespräch.
Zweitens: Mit so einem Rad wird Segen transportiert. So kommt Kirche zu den Menschen und nicht immer nur umgekehrt. Das ist Vikarin Koch sehr wichtig. Und so war das Segensrad auch schon bei diversen Anlässen in unserer Stadt on tour und eben auch bei solchen, die mit Kirche auf den ersten Blick gar nichts zu tun haben.
Und drittens: Die große Auswahl an verschiedenen Süßigkeiten ist eine herrliche Erinnerung daran, wie vielfältig Gottes Segen ist. In ihm liegen Freude, Geduld, Kraft, Leichtigkeit, Glück, Freundlichkeit, Hoffnung, Barmherzigkeit und Liebe. Und Gott gießt das alles über uns aus, einfach so, weil er uns mag.
Und damit werden wir in den Stand versetzt, anderen zum Segen zu werden, in dem wir all das mit Menschen teilen, denen es gerade daran mangelt. Und anders als die Süßigkeitenboxen auf dem Segensrad wird Gottes Segensfüllhorn niemals leer. An Segen herrscht kein Mangel und schlecht für die Zähne ist er obendrein auch nicht. Amen.

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  Optimismus ist Pflicht!

Optimismus ist Pflicht!

Heiko Frubrich, Prädikant - 08.01.2025

Vorgestern haben wir hier mit Orgelkonzert, Predigt und Empfang das neue Jahr begrüßt und gefeiert. Gastgeber war neben dem Dom auch unser Nachbar, das Landesmuseum. Dessen Direktorin, Frau Dr. Pöppelmann, sagte in ihrem Grußwort mit Blick auf das vor uns liegende Jahr: „Optimismus ist Pflicht!“ Ich denke, dass es wirklich hilfreich ist, wenn wir uns diesen Satz zu eigen machen, denn wir alle ahnen, dass in diesem Jahr so manches auf uns zukommen wird, was echtes Potential hat, uns die gute Laune zu verderben.
Das geht schon los mit diesem testosterongesteuerten Elektroauto- und Raketenbauer, der für mich der lebende Beweis dafür ist, wie dicht doch Genie und Wahnsinn beieinander liegen. Er zieht bereits jetzt lügend und beleidigend seine Bahnen, noch bevor sein Chef, der ihm darin in nichts nachsteht, sein neues Amt offiziell angetreten hat.
Und der Fanclub dieser beiden gewinnt auch in Europa immer mehr an Einfluss: Ganz aktuell in Österreich, davor schon in Tschechien, Italien, den Niederlanden und Ungarn. Und auch in unserem Land geht es um einiges, wenn am 23. Februar ein neuer Bundestag gewählt wird. Die Kanzlerkandidatin dieser blauen Partei hat übrigens gestern einem US-Magazin ein Interview gegeben und ich möchte Ihnen ans Herz legen: Lesen Sie es, und erzählen Sie möglichst vielen Menschen davon, damit immer klarer wird, wo man am 23. Februar sein Kreuz definitiv nicht machen kann.
Optimismus ist Pflicht! Denn Hoffnung auf unerwartete positive Wendungen gibt es immer. Das durfte auch der Gelähmte erleben, der vor dem Jerusalemer Tempel auf Petrus und Johannes traf. Die Apostelgeschichte berichtet davon, wie er im Kontakt mit den beiden geheilt wurde und das Bibelwort, das über dem heutigen Tag steht, berichtet von seiner Reaktion: „Der Gelähmte sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.“
Es ist übrigens nicht verboten, sich auch über kleinere Lichtblicke so kräftig zu freuen. Und diese kleineren Lichtblicke, die können wir, davon bin ich überzeugt, auch mit unserer kleinen eigenen Kraft erreichen – indem wir anderen helfen, indem wir miteinander reden und den Menschen erklären, was mittlerweile auf dem Spiel steht, indem wir einander freundlich und herzlich begegnen und uns gegenseitig Mut machen und uns daran erinnern: Optimismus ist Pflicht – mit Gottes Hilfe und in Jesu Namen. Amen.

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  Das alte Jahr vergangen ist.

Das alte Jahr vergangen ist.

Heiko Frubrich, Prädikant - 04.01.2025

Es war überwiegend friedlich in Braunschweig in der Silvesternacht – gut so! Es gab Feuerwerk, es gab Böller, es gab Sekt und auch Selters und – was für eine schöne Tradition – hunderte Menschen tanzten friedlich und fröhlich Walzer auf der Straße.
Zum fröhlichen Feiern eignet sich Bachs Orgelchoral „Das alte Jahr vergangenen ist“, den wir gleich hören werden, eher nicht. In seinem verhaltenen Tempo transportiert er leise Melancholie und die auf- und absteigenden chromatischen Bögen wirken auf mich wie steile Treppen, die wir Hörenden mit schwerem Gepäck zu gehen haben.
Vielleicht wollte Bach, der den Orgelchoral um 1717 in Weimar komponierte, einen demütigen Kontrapunkt setzen. Denn das zugrundeliegende Kirchenlied fand durchaus auch als protestantischer Kampfhymnus Verwendung. Dort gab es beispielsweise in einer Strophe folgende Textpassage: „Schütze uns, Herr, vor der päpstlichen Lehr und Abgötterei.“
Als Schuljungen im Jahre 1712 diese Worte in Erfurt vor dem Haus eines katholischen Geistlichen sangen, gab es langanhaltende Auseinandersetzungen um die den Lutheranern im sonst katholischen Erfurt zugesicherte Religionsfreiheit. Vor diesem Hintergrund kann Bachs Werk auch versöhnlich und entschuldigend gehört werden.
Der ursprüngliche Text, den wir auch in unseren Gesangbüchern finden, stammt aus dem Jahr 1588 vom evangelischen Lieddichter Johann Steuerlein. Dank und Bitte bestimmen den Inhalt, letztere so intensiv, dass Steuerlein die letzten drei Strophen in einem einzigen Satz verbindet als eine lange Liste von Themen, für die wir Gottes Hilfe brauchen.
„Hilf, dass wir fliehn der Sünde Bahn und fromm zu werden fangen an; der Sünd' im alten Jahr nicht denk, ein gnadenreiches Jahr uns schenk, * christlich zu leben, seliglich zu sterben und hernach fröhlich am Jüngsten Tage aufzustehn, mit dir in' Himmel einzugehn, * zu loben und zu preisen dich mit allen Engeln ewiglich. O Jesu, unsern Glauben mehr zu deines Namens Ruhm und Ehr.“
Ich finde, dass da ein paar gute Impulse für Neujahrsvorsätze drinstecken, falls Sie noch welche brauchen. Und auch, wenn wir in Bachs Orgelchoral keinen Dreivierteltakt finden: Von Gott behütet immer mal wieder auch im Walzerschritt durchs Leben zu gehen, ist ganz sicher nicht die schlechteste Idee. Amen.

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  Richtungswechsel

Richtungswechsel

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.01.2025

Tag drei im neuen Jahr und wir steuern auf das erste Wochenende in 2025 zu. Am kommenden Montag feiern wir hier im Dom noch einmal kräftig mit Orgelkonzert, Neujahrspredigt und Empfang, zu dem Sie übrigens alle ganz herzlich eingeladen sind, aber dann geht es in den Alltag. Auch 2025 muss ja irgendwann mal anfangen, ein ganz normales Jahr zu werden.
Aber warum eigentlich? Warum kann 2025 nicht zu einem Jahr werden, an dem auf einmal viele bis dahin unvorstellbare Dinge passieren – unvorstellbar positive meine ich. Das Bibelwort, das über dem Monat Januar steht, wäre hierfür ein passender Auftakt. Es lautet: „Jesus Christus spricht: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; segnet jene, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen.“
Schon viel wurde über Jesu Forderung der Feindesliebe gepredigt. Doch auch ohne viele Worte ist schnell klar, dass sie uns an unsere Grenzen bringt. Deshalb möchte ich mit Ihnen gern einen Schritt zurücktreten und mal etwas gröber auf das schauen, was Jesus sagt und was sich durch sein ganzes Reden und Handeln und Wirken zieht.
Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann, sagte einst der französische Künstler Francis Picabia. Hätte auch von Jesus sein können, wie ich finde. Wenn Jesus predigt: Liebt eure Feinde, dann meint er das sicher genau so, wie er es sagt. Doch in so vielem, was er uns zuspricht, schwingt ebenso mit: „Traut euch doch mal, neu und gegen den Strich zu denken, zu reden und zu handeln. Probiert doch mal aus, wohin euch die neuen Wege führen, auf die ich euch begleiten möchte. Und erkennt doch: Wenn das Althergebrachte ganz offensichtlich nicht funktioniert, wird es Zeit etwas Anderes zu versuchen.“
Allein die Erkenntnis, dass wir zu alledem in der Lage sind, ist ein großes Geschenk. Wir haben die Freiheit, auszubrechen aus eingefahren Denkstrukturen. Wir haben die Freiheit, mit unseren Mitmenschen und auch mit uns selbst anders umzugehen. Wir haben die Freiheit, neu hinzuhören und Jesu „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ neu zu verstehen und mit unserem Leben darauf zu antworten. Wir haben die Freiheit dazu, weil auch unser Kopf rund ist und auch unser Denken die Richtung ändern kann.
Und warum sollte 2025 nicht ein Jahr werden, das zumindest in unserem eigenen Leben Neues hervorbringt – inspiriert von dem, was uns Jesus gesagt und worin er uns Beispiel gegeben hat. Heute ist erst Tag drei, und das Land ist hell und weit. Amen.

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  Erhebt Eure Stimme! Sternsingen für Kinderrechte!

Erhebt Eure Stimme! Sternsingen für Kinderrechte!

Heiko Frubrich, Prädikant - 02.01.2025

Sie sind die Schwächsten im Kreise der Schwachen. Sie sind die, die am meisten auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Sie sind die, die am ehesten leiden, wenn es am Nötigsten fehlt. Sie sind die, deren Lobby am kleinsten und leisesten ist: die Kinder. Das wollt Ihr, liebe Sternsinger, so nicht hinnehmen und deshalb sagt Ihr: „Erhebt Eure Stimme! Sternsingen für Kinderrechte!“
Vor 35 Jahren haben die Vereinten Nationen die Kinderrechtskonvention verabschiedet. Darin ist klar festgeschrieben, dass alle Kinder dieser Erde Grundrechte haben. Doch wir sind in vielen Regionen weit davon entfernt, dass sie ihnen auch zuerkannt werden. 250 Millionen Kindern, darunter überdurchschnittlich vielen Mädchen ist der Weg zu schulischer Bildung versperrt. 160 Millionen Kinder müssen arbeiten, die Hälfte davon unter ausbeuterischen Bedingungen. Mehr als 43 Millionen Kinder sind auf der Flucht. Kinderarmut ist weiter auf dem Vormarsch und das selbst in einem so reichen Land wie dem unseren.
„Schluss damit!“ sagt Ihr. Wir wollen uns mit unseren Altersgenossinnen und Altersgenossen solidarisch zeigen und mit unserer Aktion dazu beitragen, dass sich die Lage der Kinder auf dieser Welt verbessert. Und dabei lebt Ihr echte Nächstenliebe. Denn Ihr macht beim Helfen keine Unterschiede. Euch ist es egal, wem Eure Hilfe zuteilwird: Mädchen oder Junge, Moslem oder Christ, schwarz oder weiß. Wir Kinder für andere Kinder – danach handelt Ihr, und das ist aller Ehren wert.
Ihr verschenkt Eure Freizeit, Eure Ferienzeit und zieht durch unsere Stadt, so, wie Eure Kolleginnen und Kollegen in ganz Deutschland. Und damit tut Ihr gleich doppelt Gutes. Denn Ihr helft nicht nur die Not und das Leid von Kindern auf dieser Welt zu lindern, nein, Ihr habt auch reichlich Segen für uns alle im Gepäck.
Gleich werdet Ihr den Jahressegen für 2025 über unsere Domtür schreiben und alle, die in diesem Jahr durch diese Tür hinein- und hinausgehen, und das werden Hunderttausende sein, dürfen wissen, was Gott ihnen zugesagt hat: Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein!
Ihr seid ein Segen, weil Ihr helft und weil Ihr wachrüttelt. Ihr seid ein Segen, weil Ihr Zeichen setzt gegen die Gleichgültigkeit und die Ignoranz. Ihr seid ein Segen, weil Ihr uns allen vorlebt, was es bedeutet das Wort Jesu „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ mit Leben zu erfüllen.
Danke, dass Ihr das tut und danke, dass Ihr heute bei uns seid. Gottes Segen möge Euch begleiten. Amen.

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  Gute Mächte

Gute Mächte

Heiko Frubrich, Prädikant - 30.12.2024

„Von guten Mächten wunderbar geborgen.“ Es ist Bonhoeffers letzter erhaltener theologischer Text, ein geistliches Gedicht, das er im Dezember 1944, also vor 80 Jahren in der Gestapo-Haft geschrieben hat. Er hatte es einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer beigelegt. „Ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen als Weihnachtsgruß für dich und die Eltern und Geschwister“, schrieb Bonhoeffer als kleine Erläuterung.
Doch in diesem Gedicht steckt ganz sicher mehr. Es ist stark beeinflusst von Bonhoeffers eigener Lebenssituation. Als ein prominenter Regimegegner musste er mit seiner Hinrichtung rechnen. Sein Bruder Klaus sowie die Schwäger Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher waren ebenfalls inhaftiert. Sein Bruder Walter war gefallen, seine Schwester lebte mit ihrem jüdischen Mann im Exil und Bonhoeffers Verlobungsbeziehung bestand lediglich in seltener und zensierter Korrespondenz.
Und so wurde das Gedicht zwar als Weihnachtsgruß versandt, doch enthält der Text keine Bezüge auf Jesu Geburt. Wir singen das später daraus entstandene Lied zur Jahreswende, aber nicht nur dann. Denn es richtet den Blick in eine ungewisse Zukunft, in der aber trotz aller realen Gefahren, die für Bonhoeffer und sein Umfeld bestanden, Gottes Liebe und Fürsorge immer fortbestehen.
Insbesondere in der dritten Strophe wird Bonhoeffers tiefes Gottvertrauen deutlich. Dort heißt es: „Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.“
Den Kelch des Leides dankbar aus Gottes Hand zu nehmen, ist ein hoher Anspruch. Bonhoeffer selbst konnte ihn erfüllen, denn selbst unmittelbar vor seiner Ermordung im April 1945 im KZ Flössenbürg soll er voller Zuversicht gewesen sein.
Ein solch fester Glauben und eine unzerstörbare Hoffnung sind große und wertvolle Geschenke. Nicht zuletzt deshalb schreibt Paulus, das nun aber Glaube, Hoffnung und Liebe bleiben, diese drei. Dietrich Bonhoeffer kann uns darin Vorbild sein. Und ich meine damit nicht, dass er aus sich heraus eine Kraft entwickeln konnte, die ihn alles Leid ertragen ließ. Ich meine vielmehr, dass er durch seine Haltung diesem Glauben und dieser Hoffnung Raum gegeben hat.
Bonhoeffer hat sich von Gott und dessen froher Botschaft so berühren lassen, dass sie zum Dreh- und Angelpunkt seines Lebens werden konnte. Und sie hat ihn getragen bis an die Schwelle von Gottes Herrlichkeit.
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Amen.

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  Freue dich, o Christenheit!

Freue dich, o Christenheit!

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.12.2024

Es ist der Weihnachtshymnus schlechthin, hier bei uns im Dom in besonderer Weise. Wir singen ihn im Stehen, kräftig, strahlend und begleitet von vollem Orgelklang. Ohne ihn würde etwas fehlen. Ohne ihn wäre nicht so richtig Weihnachten. „O du fröhliche“ gehört einfach dazu.
Woher das Lied ursprünglich stammt, ist ungewiss. Möglicherweise lag ein altes sizilianisches Marienlied aus dem 12. Jahrhundert zu Grunde, aber klar ist das nicht. In Deutschland war es anfangs kein klassischer Weihnachtschoral. Der Textdichter Johannes Daniel Falk hatte 1815 ein „Allerdreifeiertagslied“ geschrieben, in dem es um die gnadenbringende Weihnachtszeit, Osterzeit und Pfingstenzeit ging. Die uns heute bekannten Strophen zwei und drei kamen erst 15 Jahre später dazu und machten es zu einem reinen Weihnachtslied.
Gerade haben wir eine Konzertfantasie von Friedrich Lux über diesen Weihnachtschoral gehört, der, so wie ich es empfinde, nahezu alle Facetten von Weihnachten in seinem Werk verbunden hat. Da ist viel romantisch Verspieltes zu hören. Der Cantus firmus im Pedal wird umwoben von Trillern und Triolen der rechten Hand, da gibt es ein wahres Pedalfeuerwerk und strahlendes Fortefortissimo.
Doch hätte ich die Gelegenheit, mit Herrn Lux zu sprechen, würde ich ihm noch etwas zu den letzten 13 Takten seiner Konzertfantasie sagen wollen. Denn die hätte ich, so schön und sanft und heimelig sie auch klingen mögen, nicht gebraucht.
Ja, das, was da vor 2000 Jahren in Bethlehem passiert ist, hat Piano-Passagen. Es war neben allem anderen auch ein sehr intimer Moment zweier sich liebender Menschen – Maria und Josef. Da war große Sorge und Unsicherheit, die abgelöst wurde von Erleichterung und tiefem Glück über das neugeborene und gesunde Kind. Da war Dankbarkeit für das füreinander Dasein und auch Stolz auf das gemeinsam Durchgestandene.
Doch das, was damit angefangen hat, war und ist epochal und stellt alles Dagewesene in den Schatten. Denn Gott lässt uns Menschen erstmals seine Herrlichkeit schauen. Das, was er Mose verweigerte, gestattet er nun uns allen. Er tritt in diese Welt – sichtbar und erlebbar für jeden, der es sehen und erleben möchte.
Da ist keine Distanz mehr zwischen Gott und uns, alles Trennende ist aus dem Weg geräumt. Im Kind in der Krippe legt Gott jeder und jedem von uns die Hand auf die Schulter und sagt: „Du bist etwas ganz Besonderes. Ich will mit Dir etwas zu tun haben, weil ich Dir vertraue!“
Das ist der Nachklang von Bethlehem, der Schlussakkord von Weihnachten. Und der schleicht sich im Gegensatz zu Lux‘ Musik nicht aus dieser Welt. Der ist noch immer zu hören in kräftigem und strahlendem Fortissimo. Denn er hat alles verändert. Freue dich, o Christenheit! Amen.

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  Weihnachtliche Verwirrung

Weihnachtliche Verwirrung

Heiko Frubrich, Prädikant - 27.12.2024

Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber ich hatte in den letzten drei Tagen das Gefühl dafür, welcher Wochentag gerade ist, komplett verloren. Auf dem Weg hierher zum Dom komme ich immer durch eine Straße, in der man Montag bis Freitag zwischen 7:00 Uhr und 17:00 Uhr maximal 30 fahren darf, und ich musste jedes Mal überlegen. Heute war es irgendwie einfacher, denn heute ist Freitag und das war mir auch den ganzen Tag schon klar.
Doch die Weihnachtsfeiertage können unser Zeitgefühl schon durcheinanderbringen und zu merkwürdigen Gleichzeitigkeiten führen: Als ich am Heiligen Abend zum ersten Gottesdienst hier ankam, waren die Geschäfte hier in der Stadt noch geöffnet; das war irgendwie schräg.
Doch über die Jahre ist mir immer klarer geworden, dass das Weihnachten ausmacht. Es bringt so einiges durcheinander und sortiert dafür aber vieles komplett neu.
Ohne jeden Zweifel lässt die Erfüllung der göttlichen Verheißung von Friede auf Erden, die ja so eng mit Weihnachten verbunden ist, seit 2000 Jahren auf sich warten. Ich will hier jetzt gar nicht wieder aufdröseln, dass das nicht an Gott liegt, sondern an uns Menschen. Aber wie viel schwerer wäre all das Grauen, das sich immer wieder ereignet, zu ertragen, wenn wir kein Weihnachten hätten? Magdeburg, Kiew, Gaza im Großen, unsere eigenen Abschiede von lieben und geliebten Menschen und last but noch least das Leid, das wir selbst zu tragen haben, wie unaushaltbar wäre das ohne den Trost und die Hoffnung von Weihnachten?
Im Kind in der Krippe fängt Gott mit uns allen neu an. Mit Christus verändert sich alles. Er ist es, der verlässlich an unserer Seite bleibt, wenn die Lasten auf unseren Schultern zu schwer werden. Er ist es, zu dem wir kommen können, wenn wir mühselig und beladen sind. Er ist es, der aus eigener Erfahrung weiß, dass Lebenswege auch durch tiefe und dunkle Täler führen, dass Einsamkeit schmerzt und dass man sich auch von Gott verlassen fühlen kann.
Und Christi Fürsorge für uns alle endet nicht, wenn wir aus diesem Leben abberufen werden. Wir werden uns wiederfinden an einem Ort, an dem Gott abwischen wird alle Tränen von unseren Augen und wo es weder Leid noch Schmerz noch Tod gibt.
All das fängt mit Weihnachten an. Und weil das so irre ist, kann man auch schon mal vergessen, welchen Wochentag wir gerade haben. Amen.

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  Endspurt

Endspurt

Heiko Frubrich, Prädikant - 23.12.2024

Endspurt – jetzt aber wirklich. Die Stunden, in denen Sie noch letzte Geschenke oder Kühlschrankinhalt kaufen können, sind gezählt und auch, wer noch keinen Baum zum Fest hat, aber einen haben möchte, sollte sich sputen. Aber vielleicht haben Sie ja bereits alles bestens vorbereitet und sitzen deshalb so entspannt hier im Dom, um noch mal adventliche Stimmung zu genießen, bevor morgen, am Heiligen Abend, das Weihnachtsfest beginnt.
Vielleicht gehören Sie aber auch zu jenen, die wissen, dass unsere Supermärkte und Discounter tatsächlich nur zwei Tage geschlossen sind, dass man dafür nicht so viel einkaufen muss, dass es für zwei Wochen reicht und dass Weihnachten nach biblischer Überlieferung nun wirklich nicht das Fest ist, an dem sich die Tische unter der Last von Gänsebraten biegen und man die untersten Äste vom Weihnachtsbaum abschneiden muss, damit alle Geschenke darunter Platz finden.
Gutes Essen: prima! Geschenke: auch schön! Beides zusammen an Weihnachten: sehr gerne! Aber bitte nicht so wichtig nehmen, dass Weihnachten selbst keinen Platz mehr hat. Denn dieses Fest und seine Botschaft will an uns ran. Es will uns berühren und seine Botschaft erneuern und dazu braucht es Raum.
Hier vorne steht die Krippe, erleuchtet und vorbereitet als Symbol dafür, dass Gott sich auf den Weg zu uns Menschen gemacht hat. Das feiern wir ab morgen. Aber Weihnachten ist eben nicht nur eine alljährliche Geburtstagsparty, nicht nur der Gedenktag für Gottes Entgegenkommen. Wenn es nur das wäre, fände ich den Aufwand, den wir betreiben, unangemessen hoch.
Doch er kann gar nicht hoch genug sein, wenn wir Weihnachten in uns wirken lassen. Die Orientierung, die uns Jesus mit seinem Leben gibt, ist großartig. Dass er uns zeigt, wie Frieden auf Erden funktioniert, ist epochal. Doch es gibt ein Weiteres: Er bietet an, bei uns zu wohnen, hier drin, in unseren Herzen und uns zu erfüllen mit dem warmen Gefühl von Liebe und Glück.
Der Christus in uns ist es, der die Welt verändert, der uns Mut und Kraft schenkt, im Gegenüber den Menschen zu sehen – über alles Trennende hinweg, Wege zum Frieden zu finden und Liebe weiterzugeben. Weihnachten beginnt bei uns, bei Ihnen, bei Euch und bei mir. So wird das Fest berühren und bewegen und verändern – alles! Amen.

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  Magnificat

Magnificat

Heiko Frubrich, Prädikant - 21.12.2024

Wird es ihr gerecht, dieses Magnificat von Alexandre Guilmant, das uns Domorganist Witold Dulski gerade gespielt hat? Trifft es das, was Maria ausgemacht hat? Finden wir darin wieder, was sie uns und der Welt mit auf den Weg gegeben hat in ihrem Lobgesang? Ich bin mir nicht sicher. Lediglich das Fugato ist kraftvoll und mächtig, doch es ist zugleich der kürzeste Satz im gesamten Werk. Und so überwiegt das Piano in der Dynamik. Guilmants Magnificat wirkt insgesamt zurückhaltend, warm, in freundlichem G-Dur.
„Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.“ Worte einer Jüdin gesprochen vor gut 2000 Jahren. Das ist nicht zurückhaltend, warm und freundlich. Das ist revolutionäres Fortissimo, ermöglicht durch eine Kraft, die nicht von dieser Welt ist.
Und diese Kraft brauchte Maria auch, um durch ihr Leben zu kommen. Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen, sagt sie über sich selbst. Doch dieses Ansehen beschert ihr kein sorgenfreies Leben, ganz im Gegenteil. In den Augen ihrer Mitmenschen ist Maria unehelich schwanger, woraufhin ihr Verlobter Josef sie beinahe verlässt. Und die Umstände ihrer Niederkunft in Bethlehem sind schwierig, ärmlich und erbarmungswürdig.
Sie verbringt Jahre in großer Sorge um ihren Sohn, der sich mit der geistlichen und weltlichen Obrigkeit in Jerusalem anlegt, und schließlich muss Maria mit ansehen, wie er am Kreuz jämmerlich stirbt. In allem ist Gott sicherlich an ihrer Seite. Und doch würden wir wohl sagen, dass Maria Unsagbares auszuhalten hatte in ihrem Leben.
Ihr Gottvertrauen hat sie davor bewahrt, aufzugeben. Sie wusste, dass Gott große Dinge an ihr getan hat. Sie wusste, dass mit diesem Kind unter ihrem Herzen eine neue Zeit anbrechen würde, in der Gott sich ganz neu an seine Barmherzigkeit erinnert.
Maria erkannte, welche Verantwortung ihr Gott übertrug und sie erkannte auch, welches Vertrauen er damit in sie setzte. Damit setzt Maria Zeichen – auch für uns. Denn Gott hat nie aufgehört, uns Menschen Vertrauen entgegenzubringen. Er schenkt uns große Freiheit, weil er uns zutraut, das, was er uns in Jesus Christus vorgelebt hat, auch in unserem Leben umzusetzen.
Gott hat seine Verheißung von Frieden auf Erden niemals zurückgenommen. Sie gilt nach wie vor und es liegt auch in unserer Verantwortung, ihr eine Chance zu geben. Und dazu gehört, dass wir dem Hass entgegentreten, den Menschen säen.
Hass ist ein Feind der Menschlichkeit, ganz egal aus welcher Ecke er kommt. Und damit ist er für Christinnen und Christen nicht hinnehmbar. Das gilt es den rechten Idioten zu sagen, die gleich durch unsere Stadt marschieren wollen und den islamistischen Scharfmachern ebenso. Gott hat jeden Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen. Jede und jeder einzelne trägt diese Heiligkeit in sich. Sie ist für uns unverfügbar und unbedingt schützenswert.
Marias Leben zeigt, welche Kraft uns dafür aus unserem Glauben zufließen kann. Maria, diese toughe Jüdin, von der wir alle so viel lernen können. Amen.

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  Sprich dem müden Volke zu!

Sprich dem müden Volke zu!

Heiko Frubrich, Prädikant - 20.12.2024

Advent 1937. Waldemar Rode ist Pastor an der Heilandskirche in Hamburg. Die Nazis haben Deutschland mit ihrem Unrechtsregime fest im Griff. Die evangelische Kirche ist gespalten. Auf der einen Seite gibt es die Deutschen Christen, die sich unter Reichsbischof Müller mit den Nazis arrangieren, auf der anderen Seite gibt es die widerstehende Bekennende Kirche, der unter anderem Dietrich Bonhoeffer angehört.
Nach einem Adventsgottesdienst schreibt Pastor Rode einen Liedtext, der eine Passage aus dem Jesajabuch zum Inhalt hat. Aber ist da nicht viel mehr zu hören?
„Tröstet, tröstet, spricht der Herr, mein Volk, dass es nicht zage mehr. Der Sünde Last, des Todes Fron nimmt von euch Christus, Gottes Sohn.“
Das Volk soll nicht mehr zagen. Waldemar Rode formuliert hier eine Bitte, die über den Jesajatext hinausgeht. Und man darf sie durchaus als auf seine Mitmenschen bezogen verstehen. Sie sollen mit Gottes Hilfe und durch seinen Zuspruch ihre ängstliche Unentschlossenheit ablegen können. Jesajas Worte waren an die Israeliten adressiert, die im babylonischen Exil auf die Rückkehr in ihre Heimat warteten. Die Heimat hatten auch viele Deutsche verloren. Nicht, weil sie ins Ausland verschleppt wurden, sondern weil sie im Nazi-Deutschland ihre Heimat nicht mehr erkannten. Ob sie im Glauben Trost gefunden haben?
„Freundlich, freundlich rede du und sprich dem müden Volke zu: Die Qual ist um, der Knecht ist frei, all Missetat vergeben sei.“
Pastor Rode hat jene im Blick, die müde geworden sind. Jene, die in Resignation aufgegeben haben. „Da kann man ja doch nichts machen“, ist so ein Satz, der das ausdrückt. Und ja, ab einem gewissen Zeitpunkt war es wirklich schwer, noch etwas gegen den Nationalsozialismus auszurichten. Viele, die es dennoch versuchten, bezahlten das mit ihrem Leben.
Für morgen haben sich Rechtsextremisten zu einem Demonstrationszug durch unsere Stadt angesagt, vielleicht haben Sie es gestern in der BZ gelesen. Resignation brauchen wir nicht zu spüren, denn wir können sehr wohl noch etwas machen.
Gott will uns den Mut schenken, den es braucht, um unser Leben als aufrechte Christenmenschen zu führen. In Jesus Christus, dessen Geburt wir in ein paar Tagen feiern werden, hat er uns einen Freund und Bruder an die Seite gestellt, auf den wir zählen können. Ist Gott mit uns, wer kann wider uns sein, fragt zurecht der Apostel Paulus. Denn Gott ist da und herrscht gewaltig. Amen.
„Hebe deine Stimme, sprich mit Macht, daß niemand fürchte sich. Es kommt der Herr, eu’r Gott ist da und herrscht gewaltig fern und nah.“

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  M - Myrrhe

M - Myrrhe

Cornelia Götz, Dompredigerin - 19.12.2024

M – Myrrhe
Neulich habe ich versucht zu tricksen, weil ich Marias Mann – Josef – noch in der Adventszeit unterbringen wollte. Aber J war eben schon vorbei…
Aufmerksame Menschen haben das nicht durchgehen lassen.
Darum kommt heute M, die zweite, Myrrhe.
Gold, Weihrauch und Myrrhe bringen die Weisen aus dem Morgenlande, die heiligen drei Könige als Gaben für das Gotteskind, Urläufer einer inzwischen überbordenden Geschenketradition.
Wenn man diesen Geschenken nur akustisich folgt, dann kann es leicht passieren nach den beiden weltbekannten Kostbarkeiten „Möhren“ zu hören.
Wir jedenfalls besitzen eine WO-Schallplatte, auf der etwas geschmettert wird, was nicht nach Myrrhe klingt. Denn dies ist – ohne dem heimischen Wurzelgemüse zu nahe treten zu wollen – etwas ganz Besonderes.
Myrrhe ist das dunkelrote intensiv duftende und schmeckende Harz eines immergrünen Balsambaumgewächses, das in Kenia und Äthiopien, im Oman und Jemen – nicht aber in Palästina beheimatet ist.
Darum galt Myrrhe dort als absoluter Luxusartikel, der mühsam eingeführt werden musste. Aus dem Harz gewann man schon vor dreitausend Jahren ein Granulat, das weiterverarbeitet zu Salben oder Parfüm bei Einbalsamierungen und im kultischen Bereich genauso wie als Aphrodisiakum hoch im Kurs stand.
Im Alten Testament findet sich im zweiten Buch Mose eine Anleitung zur Herstellung von Salböl. Man nehme beste Tropfenmyrrhe, wohlriechenden Zimt und auch Zimtnelken, Gewürzrohr und Olivenöl…
„Weihnachtsduft in jedem Raum?!“
Nicht nur. Man wusste auch um seine entzündungslindernde und fiebersenkende Wirkung. Darum verwendete man Myrrhe unter anderem bei Entzündungen besonders im Mund- und Rachenraum.
Ein gutes Geschenk!
Ob da jemand an die Schmerzen des zahnenden Kindes oder entzündete Brustwarzen der stillenden Mutter dachte?
Wohl kaum. Es sind ja Männer, die diese Salbe bringen.
So ist dies Geschenk eher ein Zeichen: dies Kind würde heilen können, seine Anwesenheit würde heilsam sein. Und Myrrhe würde sein Leben rahmen. Denn Myrrhe wurde auch herbeigebracht, als Jesus zu Grabe getragen wurde. Nikodemus, der nächtliche Besucher mit den riesigen Fragen, stiftete die wertvolle Ingredienz.


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  Jul, Jul, stralande Jul

Jul, Jul, stralande Jul

Heiko Frubrich, Prädikant - 18.12.2024

„Komm, komm, strahlende Weihnacht! Senke deine weißen Flügel über das Unheil und das Blut des Krieges, über das Seufzen der Menschheit, über jene, die sich zur Ruhe legen und über das Tagwerk der Jugend. Komm, komm, strahlende Weihnacht! Senke deine weißen Flügel.“
Das ist die Übersetzung der zweiten Strophe des schwedischen Weihnachtsliedes, das wir gerade so einfühlsam gesungen bekommen haben. Edvard Evers hat den Text geschrieben, die Musik stammt von Gustaf Nordqvist und es ist in Schweden so bekannt wie bei uns „Stille Nacht“.
Der Text drückt für mich aus, was wohl für alle Menschen auf dieser Welt das größte Weihnachtsgeschenk überhaupt wäre: Endlich Frieden! Endlich ein Ende mit der Not und dem Leid der Menschen – in der Ukraine, in Syrien, im Heiligen Land. Endlich ein Aufeinander-Zugehen der Menschen, die sich in Krieg und Streit und Spaltung verloren haben. Endlich ein gemeinsames Geborgen-Fühlen unter den heilenden weißen Flügeln der Weihnacht.
Zu schön, um wahr zu sein? Naja, es liegt auch ein bisschen an uns. Es liegt daran, was wir diesem Fest mit seiner so ganz besonderen Aura zutrauen. Es liegt an uns, wie nah uns Weihnachten kommen darf, wie nah wir auch die Botschaft dieses Festes an uns heranlassen und sie uns zu eigen machen.
Frieden auf Erden ist nichts, was als Geschenk schön verpackt unter dem Weihnachtsbaum liegt. Frieden auf Erden ist ein Verheißung Gottes, ein Hilfsangebot an uns Menschen. Und die Gebrauchsanweisung schenkt uns Christus mit seinem Leben. Von ihm können wir uns abschauen, wie Friede auf Erden funktioniert. Und diese Gebrauchsanweisung lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!
Damit lassen sich die Bitten aus „Jul, Jul, stralande Jul“ leicht erfüllen. Denn Krieg und Seufzen haben es schwer, gegen die Liebe anzukommen, wenn denn nur alle Menschen sie in ihren Herzen spüren. Weihnachten ist das Fest der Liebe, ohne jeden Zweifel. Aber damit ist so viel mehr gemeint, als die kuschlige, honigsüße Familienidylle am Heiligen Abend. Die Liebe der Weihnacht ist auch Arbeit, denn wir müssen ihr hinweghelfen über die Hürden aus Vorurteilen und Hass und über die Gräben aus Überheblichkeit und Desinteresse.
Wenn uns das gelingt, jeder und jedem einzelnen von uns, haben die weißen Flügel der Weihnacht eine echte Chance und es kann Frieden werden auf Erden – mit Gottes Hilfe und in Jesu Namen. Amen.

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  Internationaler Tag der Migrantinnen und Migranten

Internationaler Tag der Migrantinnen und Migranten

Heiko Frubrich, Prädikant - 18.12.2024

Heute ist der internationale Tag der Migrantinnen und Migranten. Im Jahr 2000 hat die UN diesen Tag ins Leben gerufen, nachdem die UN-Vollversammlung am 18. Dezember 1990 die Konvention zum Schutz von Wanderarbeitnehmern verabschiedet hat. Auch in unserem Land gibt es viele werktätige Menschen mit Migrationshintergrund, auch hier bei uns am Dom. Wir sind dafür sehr dankbar, denn Vielfalt ist grundsätzlich begrüßenswert, weil sie Horizonte zu erweitern hilft und das bei allen.
Die arbeitsrechtliche Situation schützt in Deutschland vor rücksichtsloser Ausbeutung. Sicherlich gibt es gesetzliche Holprigkeiten, die es manchen schwermachen, sich ins Arbeitsleben zu integrieren, doch im Großen und Ganzen sind wir hier vergleichsweise schon ganz gut unterwegs.
Denn in anderen Ländern sieht das ganz anders aus. Der letzte größere Skandal um ausländische Arbeitskräfte, der von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden konnte, ereignete sich in Katar bei der Vorbereitung der Fußball-WM 2022. Mehrere Hundert Tote soll es unter den dort Arbeitenden gegeben haben. Vielen wurden bei ihrer Einreise die Pässe abgenommen. Nordkorea soll 3000 Arbeitssklaven nach Katar verbracht haben. 70% ihres Lohns ging an die nordkoreanische Staatskasse.
Die FIFA, die nicht nur in Sachen Fußball, sondern auch in Fragen von Korruption über Expertenwissen verfügt, äußerte lauwarm ihr Bedauern über diese Umstände. Doch man könnte den Eindruck haben, dass mittlerweile ausreichend Geld in die Taschen der Funktionäre geflossen ist, um die WM 2034 an Saudi-Arabien zu geben, wo ähnliche Verhältnisse herrschen und wo, wie in Katar, Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
In einer Woche ist Weihnachten. Wir feiern, dass Gott Mensch wird. Wir feiern, dass er in Christus seine Liebe allen Menschen zuwendet. Wir feiern, dass uns das Kind in der Krippe mit seinem Leben ein strahlendes Beispiel wird, an dem wir uns mit unserem Leben ausrichten und uns selbst wieder aufrichten können. Wir feiern das Fest des Friedens und der Gerechtigkeit.
Der heutige internationale Tag der Migrantinnen und Migranten, der Weltflüchtlingstag im Sommer, der Tag der Menschenrechte Anfang Dezember und all die anderen Gedenktage wären sofort überflüssig, wenn die Welt die Botschaft von Weihnachten verstünde und danach handelte. Wenn doch nur allen klar wäre, dass jeder Mensch unendlich wertvoll und gottgleich geschaffen ist und Nächstenliebe nicht nur in Kreuzworträtseln, sondern in unser aller Herzen stünde, wäre Frieden auf Erden keine Utopie – weder im Großen noch im Kleinen
In einer Woche feiern wir, dass uns das Kind in der Krippe all das möglich macht und uns seine Hilfe anbietet, wenn wir solch ein Leben wirksam wollen. Es klingt so einfach – und vielleicht ist es das ja sogar. Amen.

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  Dennoch

Dennoch

Henning Böger, Pfarrer - 17.12.2024

Sie liebt Weihnachten. Und das hat einen Grund. Sie ist jetzt Ende vierzig und verheiratet, zieht drei Kinder groß und arbeitet halbtags an der Kasse im Supermarkt.
Da könne sie etwas erleben mit den Kunden, sagt sie, vor allem vor Weihnachten.
Trotzdem liebt sie Weihnachten - und ihr Mann tut das auch. Gemeinsam fragen sie
jedes Jahr ihre Kindern, ob sie etwas ändern sollen an ihrer Feier. Nein, sagen die
Kinder dann, alles soll so sein wie immer: erst die Kirche am frühen Abend, dann das gemeinsame Essen und schließlich Geschenke Auspacken am Weihnachtsbaum.
„Darauf freue ich mich“, sagt sie. Aber nicht nur wegen des Essen und der Geschenke. Denn Weihnachten hat für sie noch etwas Besonderes: Da kommt der Engel zu den Hirten und sagt klar und deutlich hörbar: „Fürchtet euch nicht!“ Es gibt ja genug zum Fürchten in dieser Welt, sagt sie: der Krieg, der Klimawandel, die Sorge vor dem
sozialen Abstieg. „Das alles macht mir Angst“, sagt sie, „und darum liebe ich den Engel
mit seinem ‚Fürchtet euch nicht!‘“ Und so, wie sie das sagt, klingt es ein bisschen trotzig, wie ein kleines, aber deutliches Dennoch.
Auch die biblische Weihnachtsgeschichte, der wir durch den Advent entgegen gehen,
ist von diesem beharrlichen Dennoch durchwoben. Da ist die kleine Welt in Bethlehem. Alle fürchten sich dort, mehr oder weniger. Die Hirten, Maria und Josef als werdende Eltern. Und alle anderen, die die seltsame Volkszählung zum Steuereintreiben in Bewegung versetzt hat. Aber dann kommt der Engel und sagt: „Fürchtet euch nicht!“
Weil der Engel weiß, was alle Welt erfahren soll: Dass es etwas gibt, das gegen die Furcht wirkt. Dass wir den Ängsten dieser Welt nicht schutzlos ausgeliefert sind.
Damals nicht und heute nicht. Weil sich die Liebe trotzig gegen alle Furcht stellt.
„Weißt du“, sagt sie: „Das erleben ich bei uns in der Familie. Da geht es manchmal
hoch her, wir sind nicht immer einer Meinung. Kein Wunder bei drei heranwachsenden Kindern! Aber wir passen aufeinander auf. Wir mögen uns. Und wir brauchen uns.“
Darum liebt sie Weihnachten, dieses kleine, trotzige Dennoch in der Welt.
Weil die Liebe so viel mehr kann als die Furcht.

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  Wege bereiten

Wege bereiten

Heiko Frubrich, Prädikant - 16.12.2024

Über dieser Adventswoche heißt es aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig.“ Ja klar, könnte man sagen, das ist die Ankündigung von Weihnachten. Gott kommt als Kind in diese Welt, wir sollen ihm den Weg bereiten, denn er kommt gewaltig.
Das liegt als Interpretation tatsächlich nahe, ist aber dennoch irgendwie schräg. Ja, Gott kommt tatsächlich in diese Welt, aber gewaltig? Diese Beschreibung passt so gar nicht zu dem, was sich da in Bethlehem ereignet hat. Maria und Josef finden mit Müh und Not ein wenig Schutz in einem Stall, in dem Maria unter primitivsten Verhältnissen ihr Kind zur Welt bringt, das dann klein und hilflos in der Krippe liegt. Der Herr kommt gewaltig, stelle ich mir irgendwie anders vor.
Aber vielleicht ist es ja gar nicht das Kommen an sich, sondern viel mehr die Wirkung, die hier gemeint ist. Und die ist tatsächlich nicht von schlechten Eltern. Denn es sind nicht nur unsere Kalender, die Christi Geburt auf Null gestellt hat, auch in unserem Verhältnis zu Gott beginnt eine neue Zeitrechnung.
Alles, was wir Menschen an Trennendem angesammelt und verursacht haben, wird zwischen uns und ihm aus dem Weg geräumt. Und Christus bestätigt Gottes Verheißungen von Frieden und Gerechtigkeit, auf die wir alle weiterhin hoffen dürfen. Dafür lohnt es sich ganz sicher dem Herrn den Weg zu bereiten. Doch da ist auch noch ein Weiteres.
Der Wochenspruch meint jede und jeden von uns auch ganz persönlich. Wir alle können dem Herrn in unserem eigenen Leben den Weg bereiten, damit er zu uns findet. Gott drängt sich nicht auf und ein im Wortsinne gewaltiges Wirken ist ihm eher fremd. Und doch vermag er unser Leben zu verändern, wenn wir uns auf ihn einlassen und ihm bei uns Raum geben.
Christus hat uns sehr konkret gezeigt, wie Leben aussehen kann, das Gott für uns vorgesehen hat. Es ist ein Leben, in dem wir einander in Respekt begegnen, besonnen denken, reden und handeln und last but not least auch uns selbst so lieben wie unseren Nächsten.
Der Advent ist eine gute Zeit, um zu überlegen, wie es diesbezüglich bei uns so aussieht. Und wenn wir da noch Luft nach oben spüren, dürfen wir den Wochenspruch gern wörtlich nehmen: Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig. Amen.

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  Da kommt sie...

Da kommt sie...

Cornelia Götz, Dompredigerin - 14.12.2024

Zu dieser Woche nach dem 2. Advent gehört einer der schönsten Texte des Altes Testamentes.
Er stammt aus dem Hoheslied Salomos und klingt nach überschäumender Freude. Wir können es springen und hüpfen hören, wie es das Kind in Elisabeths Bauch tut - als Maria sie besuchen kommt.
Es prickelt und perlt, wie wenn sich eine Liebesgeschichte endlich erfüllt.
Hört doch!
„Da ist die Stimme meines Freundes! Siehe, er kommt und hüpft über die Berge und springt über die Hügel. Mein Freund gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch. Siehe, er steht hinter unsrer Wand und sieht durchs Fenster und blickt durchs Gitter.
Mein Freund antwortet und spricht zu mir:
Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her!
Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist vorbei und dahin.
Die Blumen sind hervorgekommen im Lande, der Lenz ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserm Lande.
Der Feigenbaum lässt Früchte reifen, und die Weinstöcke blühen und duften.
Steh auf, meine Freundin, und komm, meine Schöne, komm her!“
So kommt die Hoffnung durch die Dunkelheit auf uns zu!
Tanzend und leichtfüßig, lebendig.
Unverwüstlich und unverzagt. Sie lockt und ruft.
Und wir?
Wir sind wie festgewurzelt in unserem Leben, heben bestenfalls die Köpfe, unsicher ob wir solcher Geschichte trauen können.
Aber da werden wir schon wieder gerufen:
Steh auf, komm her. Mach dich auf den Weg!
Und dann werden wir mit Frühlingsbildern überschüttet:
Zeichen des Neuanfangs,
Zeichen des Lebens!
Und das ist es doch, was passiert1
Ein Kind wird geboren und der Himmel reißt auf.
Ein Ros entspringt und ein Schiff kommt, geladen bis an sein höchsten Bord.
Und wir? Wir werden uns nicht sattsehen können.

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  M – Marias Mann – Josef

M – Marias Mann – Josef

Cornelia Götz, Dompredigerin - 12.12.2024

M – Marias Mann – Josef
Josef. In weihnachtlichen Darstellungen führt er den Esel, auf dem Maria sitzt oder hält im Stall die Laterne. Er grübelt zuvor darüber, ob er diese junge Frau, die nicht von ihm schwanger ist, verlassen sollte und wird nach der Geburt des Jungen einem Traum glauben und mit Frau und Kind aus seiner Heimat fortgehen; nach Ägypten fliehen.
Was wissen wir noch?
Josef war ein Zimmermann und er hatte den richtigen Stammbaum.
Diese Abstammung reichte über König David hin zu Abraham und führte ihn nach Bethlehem, weil er sich dort in die Steuerlisten eintragen musste.
Josef.
Im Herzog Anton-Ulrich-Museum hat ein befreundeter Kollege ein Bild gefunden: „Joseph als Zimmermann“. Jerónimo Jacinto de Espinosa malte das Bild um 1660. Es zeigt den irdischen Vater Jesu bei der Arbeit.
Mit erhobenem Beil steht er da und holt Schwung.
So zieht das gefährliche Werkzeug seine bedrohliche Spur durch das Bild. Und ist doch nur die Normalität eines hart arbeitenden Mannes. Das ist seine Rolle. Die füllt er aus – in dem großen Bild der Geschichte Gottes mit uns Menschen und in den kleinen Kreisen seiner Familie.
Er behaut einen Balken. Wird es ein Dachstuhl oder doch ein Kreuz? Ahnt er, dass es schwer werden wird? Natürlich fallen Späne an. Das ist unvermeidlich.
Sie sind groß und scharfkantig und könnten das Kind, Jesus, das unter dem Balken kniet, verletzen. Aber diese Gefahr gehört zum Leben dazu. Und so widmet sich das Kind seiner banalen und zugleich übergroßen Aufgabe: es sammelt die Späne in einen Korb.
Der ist fast zu groß für das Kind und mit Sicherheit zu schwer.
Das Gotteskind wird ihn tragen und aufpassen, dass kein Span verlorengeht.
Ein Familienbild.
Eine Szene aus dem Alltag der Welt.
Dort gehört Josef hin. Dort steht er und arbeitet – mit Kraft und Hingabe. Er wird seine Familie versorgen und sein Sohn wird genau das sein:
ein Menschenkind, das mittut und mittträgt, mitarbeitet.
Und der Retter, der so bescheiden daherkommt.

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  Tag der Menschenrechte

Tag der Menschenrechte

Cornelia Götz, Dompredigerin - 11.12.2024

Narges Mohammadi erhielt im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis.
Während die iranische Aktivistin im Gefängnis saß, hatten wir eine Ausstellung im Dom zu Gast: „Frau – Leben – Freiheit“. Mädchen und junge Frauen aus dem Iran hatten gemalt und geträumt und gehofft und gezeichnet.
Wie Narges Mohammadi sehnen sie sich nach Selbstbestimmung und Gleichberechtigung, nach Freiheit. Jetzt wurde Narges Mohammadi für wenige Wochen aus der Haft entlassen, um sich gesundheitlich wenigstens ein bisschen zu stabilisieren.
Während wir weitergelebt haben, uns gesorgt und gefreut, gearbeitet und verschnauft haben, hat sie –wie so viele andere – für die Rechte von Frauen gekämpft, auf Kosten ihres eigenen Lebens.
Seit November 2021 ist sie an einem der berüchtigtsten Orte der Welt, dem Ewin-Gefängnis in Teheran, inhaftiert. Man(n) hat sie zu zwölf Jahren, drei Monaten Gefängnis und 154 Peitschenhieben verurteilt.
154 Peitschenhiebe.
Wer denkt sich das aus? Wer führt das aus?
Frau – Leben – Freiheit.
Ist das nicht auch der Slogan unter dem auch Maria durch den Dornwald geht?
Auch sie war eine gefährdete Frau, weil ihr sozialer Status so gering war.
Sie, gerade sie, personifiziert das Leben – so mutig hatte sie ihre Schwangerschaft angenommen und dem Gotteskind das Leben geschenkt. Freiheit.
Ohne Marias Sohn wüssten wir gar nicht, dass wirkliche Freiheit möglich ist.
Gestern war der Tag der Menschenrechte.
Maria hat sich das vermutlich nicht vorstellen können: immer noch andere Menschen hinter dem Horizont, hinter dem Meer und den Bergen – und dass die sich verständigen und miteinander verabreden, was für alle gelten soll. Aber das, was gelten soll, was Menschenwürde ist und braucht, das wusste Maria – deren Lied, das Magnifikat, weltberühmt geworden ist und dass auch und erst recht den armen und geschundenen Iranerinnen gilt, die frei sein und leben wollen.

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  Mit Gott warten

Mit Gott warten

Henning Böger, Pfarrer - 10.12.2024

Mit Gott warten
"Kommst du eigentlich bei allen Menschen an?", frage ich Gott. "Ja", sagt Gott. "Nur einmal oder öfter", frage ich. "Immer", sagt Gott, "in jedem Augenblick komme ich an." Ich sage: "Tja, nur werden es manche nicht gleich erkennen." "Manche", sagt Gott, "wollen es nicht erkennen." Ich frage: "Was machst du dann?" "Ich warte", sagt Gott. Jetzt schaue ich überrascht und sage: "Ich habe gelernt, dass Advent die Zeit des Wartens ist, nur hätte ich nie gedacht, dass auch du wartest." Ich denke nach, denn allein warten ist nicht schön. "Ich könnte dir beim Warten helfen, wenn es dir recht ist", sage ich schließlich.
"Da wirst du aber viel Geduld haben müssen", sagt Gott. "Wenigstens probieren will ich’s", sage ich. "Und wenn dann einer zu dir sagt: ‚Oh, da bist du ja, Gott!‘, dann freuen wir zwei uns gemeinsam, einverstanden?" "Einverstanden", sagt Gott.
Diese kleine, dialogische Szene stammt aus der Feder der Schrittstellerin Lene Meyer-Skumanz. Sie ist eine einfühlsame Expertin für all die großen Fragen, die man Gott eigentlich einfach mal stellen müsste, weil das eigene Antworten schwer fällt. Sie stellt sie aus der Perspektive eines Kindes und verwickelt sich darüber mit Gott ins Gespräch.
"Kommst du eigentlich bei allen Menschen an?", frage ich Gott. "Ja", sagt Gott. "Nur einmal oder öfter", frage ich. "Immer", sagt Gott, "in jedem Augenblick komme ich an." Das passt gut zum Advent, finde ich, in dem es ja nicht nur um Besinnlichkeit geht, sondern vor allem um die Sehnsucht nach Gott, der sich zeigen möge. Wer die Adventszeit im Spiegel ihrer biblischen Texte und Lieder betrachtet, der kann spüren, wie ernst es der Bibel mit diesem Gedanken ist: Dass mit Gott immer zu rechnen ist. Gerade dort, wo die Welt aus den Fugen gerät und die eigene Sicherheit ins Wanken.
"Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht." Dieses Jesuswort steht über dieser Woche nach dem zweiten Advent. Ich höre es so: Es soll immer eine Aussicht sein. Wir schauen nicht gegen Wände, sondern in einen weiten Horizont. Diese Hoffnung will uns den Blick heben. Und sie will durch uns in diese Welt hinaus, in der Gott auf uns wartet.
"Ich könnte dir beim Warten helfen, wenn es dir recht ist", sage ich." "Da wirst du aber viel Geduld haben müssen", sagt Gott. "Wenigstens probieren will ich’s", sage ich. "Und wenn dann einer zu dir sagt: ‚Oh, da bist du ja, Gott!‘, dann freuen wir zwei uns gemeinsam, einverstanden?" "Einverstanden", sagt Gott.

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  Hoffnung für Syrien

Hoffnung für Syrien

Heiko Frubrich, Prädikant - 09.12.2024

Auf einmal ging es ganz schnell. In weniger als zwei Wochen haben islamistischeWiderstandskämpfer das Assad-Regime gestürzt und den Diktator mitsamt seiner Familie aus dem Land gejagt. Seine Unterstützer in Moskau und Teheran haben ihm dieses Mal nicht geholfen. Ob sie nicht konnten oder nicht wollten sei mal dahingestellt. Mit der Flucht des Tyrannen Assad endet in Syrien eine über 50 Jahre andauernde Ära, die von Unterdrückung, Willkür und Bürgerkrieg geprägt war – ein Zeichen der Hoffnung für Millionen von Menschen und für dieses so geschundene Land.
Über dieser Woche heißt es aus dem Lukasevangelium: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Von Jesus selbst stammen diese Worte, und er sagt sie im Zusammenhang mit seiner Wiederkunft am Ende der Zeit. Dann sollen wir aufsehen und unsere Häupter erheben. Wirklich erst dann?
Nein, natürlich auch schon jetzt! Denn das Leben und noch viel mehr unser Glaube lehren uns, dass wir immer gut beraten sind, mit geradem Rücken und erhobenem Haupt durch die Zeiten zu gehen. Denn erstens gibt es immer Hoffnung darauf, dass sich die Dinge zum Guten wenden und zweitens hat uns Christus zugesagt, uns in allem, was kommt, zu begleiten.
"Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende", so waren seine Worte.
„Seid fröhlich in der Hoffnung“, das schreibt Paulus an die Christinnen und Christen in Rom.
Hoffnung hilft zu leben, schwere Zeiten zu überstehen und den Mut nicht zu verlieren, den wir brauchen, um weiterzugehen auf unseren Lebenswegen. Der Advent ist eine Zeit, in der wir uns dieser Hoffnung erinnern. Es ist die Hoffnung darauf, dass wir die weltverändernde Kraft, die von der Krippe im Stall von Bethlehem ausgeht, immer wieder spüren und erleben werden – die Kraft der Barmherzigkeit, des Friedens und der Liebe.
Über alle Glaubensgrenzen hinweg können Millionen von Syrerinnen und Syrern in diesen Tagen darauf hoffen, dass ihr Land in eine gute Zukunft geführt wird. Und die Nationen, denen die Würde eines Menschen das höchste Gut ist, sollten Syrien helfen, sich wieder aufzurichten, die Wunden des Krieges zu heilen und den syrischen Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit wieder eine gute Heimat zu werden. Und wir alle können dafür beten, dass es gelingt. Amen.

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  Wo sind wir hier?

Wo sind wir hier?

Henning Böger, Pfarrer - 07.12.2024

„Wo sind wir hier?“ Diese bange Frage stellt das alte Ehepaar, als es aus seinem Auto gestiegen ist. Es stellt diese Frage einem jungen Paar vor dessen Haus in Mecklenburg-Vorpommern. Die beiden alten Menschen kommen aus Niedersachsen und nun wissen sie nicht mehr weiter.
„Wo sind wir hier?“ Im Gespräch mit der herbeigerufenen Polizei stellt sich heraus,
dass das alte Paar nach Rostock wollte. Das ist weit weg. Die Polizei spürt bald,
dass eine gewisse Demenz im Spiel ist. Also sorgen die Beamt*innen dafür, dass eine Weiterfahrt mit dem eigenen Auto nicht möglich ist. Sie bieten ein Hotelzimmer als Unterkunft an. Aber das alte Paar lehnt ab. Was nun?
Nun geschieht ein kleines Wunder - oder besser: ein großes Zeichen von Nächstenliebe. Das junge Paar, vor dessen Haus die beiden alten Menschen gestrandet sind, fasst sich ein Herz. Die Frau setzt sich ins Auto des alten Paares und fährt die beiden nach Hause, 350 Kilometer weit nach Niedersachsen. Und ihr Mann fährt im eigenen Auto hinterher.
Zuhause wartet schon der Sohn des alten Paares, den die Polizei benachrichtigt hat.
Als sie schließlich ankommen, ist die Freude über die heile Rückkehr der Eltern groß
und das Erstaunen über diese Tat erst recht. Das junge Paar aus Mecklenburg fährt
dann im eigenen Auto zurück nach Hause.
„Wo sind wir hier?“ Was mit einer bangen Frage beginnt, endet durch besondere Nächstenliebe mit einem echten Happy End. Das Besondere an dieser Geschichte ist
für mich, dass sich das junge Paar die Zuwendung nicht ausgesucht oder geplant hat.
Sie stand plötzlich vor der Tür. Wer will, der hört diesen Gedanken noch einmal anders, adventlicher:
Damit uns diese Welt nicht aus den Händen gleitet, braucht es Menschen, die sich um fürsorgende Liebe bemühen. Jenen Herbergswirt zum Beispiel, der den werdenden
Eltern nicht einfach die Tür weist, sondern den Weg in den Stall. Oder Maria und Josef, die ihrem neugeborenen Kind eine Krippe herrichten. Oder zwei Menschen, die sich spontan ins Auto setzen und mal eben 350 Kilometer hin und zurück fahren, damit ein altes Ehepaar wieder sicher nach Hause gelangt. Ja, man kann schon staunen und
darf sich freuen über so viel selbstverständliche Liebe in der Welt.

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  Nikolaus

Nikolaus

Heiko Frubrich, Prädikant - 06.12.2024

Heute ist der Tag, an dem wir uns gerne mal was in die Schuhe schieben lassen. Denn heute geht es nicht um Schuld, sondern um Schokolade, nicht um Frust, sondern um Freude. Die haben heute viele einander bereitet und insbesondere für unsere Kleinen ist der Nikolaustag eine spannende Sache, allein schon wegen der Frage, wie er es denn schafft, in nur einer Nacht so viele Kinder zu beschenken.
Okan Kocakaya ist der Bürgermeister der kleinen türkischen Stadt Demre. Sie liegt am Mittelmeer, ungefähr 150 Kilometer westlich von Antalya. Demre hieß früher Myra und war der Bischofssitz des Heiligen Nikolaus. Bürgermeister Kocakaya war vor ein paar Tagen in einem Interview im Fernsehen zu sehen und zeigte sich enttäuscht darüber, dass die großen Touristikunternehmen von seiner Stadt und ihrer Geschichte so wenig Notiz nähmen. Dabei wäre es gerade in unseren so bewegten Zeiten besonders wichtig, an jemanden zu erinnern, der Gutes getan hat und das auch noch vollkommen selbstlos.
Genau das wird Nikolaus zugeschrieben. Er soll Kind reicher Eltern gewesen sein und viel geerbt haben. Und dieses Vermögen behielt er nicht für sich, sondern gab es an Bedürftige weiter. Unter anderem soll er eine junge Frau vor der Prostitution bewahrt haben, in dem er nachts heimlich Goldmünzen durch ihr Fenster geworfen hat, um so die Not ihrer Familie zu mildern.
Auf diese Geschichte geht unser Brauch zurück, unseren Lieben in der Nacht vor dem Nikolaustag etwas in die Schuhe zu schieben, still und heimlich, eben genauso, wie auch der Heilige Nikolaus es getan haben soll.
Gutes tun, ohne dass es jemand mitbekommt. Gutes tun, und von vornherein zu wissen, dass man keinen Dank dafür erhält, weil es eben niemand merkt, ist das die hohe Schule der Mitmenschlichkeit? Jesus sagt, dass unsere linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut, wenn wir Almosen geben, also Schwachen und Armen helfen. Aber wenn wir uns selbst dabei gut fühlen, weil wir das Richtige getan haben, ist das bestimmt eine verzeihbare Sünde.
Fakt ist, dass auch in unserem Land die Schere zwischen arm und reich immer weiter auseinandergeht. Das macht es umso notwendiger, dass wir aufeinander achten und wachsam dafür sind, wo Hilfe gebraucht wird, und wo wir helfen können.
Nikolaus jedenfalls hat geholfen um des Helfens willen. Und ich gebe Bürgermeister Kocakaya recht: Damit kann er uns allen ein gutes und wertvolles Beispiel sein. Amen.

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  Wahrheit und Frieden

Wahrheit und Frieden

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.12.2024

Auf der großen weltpolitischen Bühne ist so einiges ins Wanken geraten. Nach uns nun auch noch Frankreich – zwei starke europäische Länder stehen ohne eine stabile und funktionierende Regierung da und das in Zeiten, in denen ein starkes und geeintes Europa so wichtig ist wie kaum zuvor. Darüber hinaus gibt es eine weltweite Entwicklung, dass Spitzenpolitiker zunehmend auf Fahndungslisten auftauchen. So stand Donald Trump schon mit mehr als nur einem Bein im Gefängnis, gegen Putin besteht ein internationaler Haftbefehl und auch Marine Le Pen hofft, sich ins Präsidentenamt flüchten zu können, um nicht wegen Unterschlagung eingesperrt zu werden.
Über dem heutigen Tag heißt es kurz und bündig aus dem Buch des Propheten Sacharja: „Liebt Wahrheit und Frieden!“ Das könnten sich doch die gerade Aufgezählten auf ein hübsches Kärtchen geschrieben hinter ihre Badezimmerspiegel klemmen, damit sie es den Tag über nicht vergessen. Wobei die Frage ja tatsächlich ist, wie wichtig Wahrheit und Frieden in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt noch sind.
Denn der Wählergunst scheint es keinen Abbruch zu tun, wenn jemand beim Lügen erwischt wird – die Präsidentschaftswahlen in den USA und auch die Wahlergebnisse der AfD sind dafür deutliche Belege. Und die ganz bewusst betriebene Spaltung der Gesellschaft mag dem eigenen Fortkommen dienen, dem Frieden aber ganz sicher nicht.
Dabei sind Wahrheit und Frieden keine Themen, auf die die Kirche oder gar das Christentum ein Copyright hätte. Wahrheit und Frieden sind für mich die Basis, die ein menschliches Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen – und das vollkommen unabhängig davon ob und wenn ja welchen Glauben jemand hat.
Und so stellt sich die Frage, wo wir alle miteinander landen, wenn wir diese Werte Wahrheit und Frieden einfach mal über Bord werfen. Ich bin mir sehr sicher, dass es in jedem Fall ein böses Erwachen gibt, wenn wir nicht rechtzeitig umsteuern.
Nicht zuletzt deshalb spricht Jesus Christus uns unermüdlich sein „Friede sei mit euch!“ zu und nennt sich selbst den Weg, die Wahrheit und das Leben. In knapp drei Wochen feiern wir, dass Gott in ihm Mensch geworden ist. Und das Licht, das aus dem Stall in Bethlehem in diese Welt leuchtet, ist auch ein Licht der Wahrheit und des Friedens. Gott sei Dank! Amen.

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  Nun komm!

Nun komm!

Heiko Frubrich, Prädikant - 04.12.2024

Der Choral ist richtig alt. Seine Wurzeln gehen zurück auf das 4. Jahrhundert, die Tonart ist dorisch und deutsche Textversionen gab es schon vor Martin Luther. Noch heute findet sich „Nun komm, der Heiden Heiland“ mit fünf der ursprünglichen acht Verse in unserem Gesangbuch. Er war über Jahrhunderte der protestantische Adventschoral schlechthin.
Melodie und Text sind kein süßliches Advents-Gesäusel. Sie sind kantig, dabei aber sehr klar und die Strophen beschränken sich inhaltlich auf das Notwendigste. Es geht darum, dass Gott in Christus in unsere Welt kommt, den königlichen Saal verlässt und durch den Tod hindurch wieder zu Gott zurückkehrt – Jesu Lebenslauf und Lebensaufgabe in fünf Choralzeilen – prägnant und schnörkellos.
Doch trotz aller Nüchternheit begeben wir uns beim Singen in die Rolle von Betenden. „Nun komm“ ist die Aufforderung an Christus, erkennbar und erlebbar zu werden. Wie eine Selbstvergewisserung erinnert uns der Text an das Wunder der Weihnacht, daran, dass Gott sich klein und hilflos in diese Welt begibt. Über mehrere Strophen zieht sich dieser Bericht.
Doch dann wechselt die Perspektive und Christus wird erneut direkt und fast mahnend angesprochen. „Dein Krippen glänzt hell und klar, die Nacht gibt ein neu Licht dar. Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleib immer im Schein.“
Es geht um Licht, es geht um ein neues Licht, ein Licht, das vorher nicht dagewesen ist. Es ist das Licht des Friedens, der Versöhnung und der Liebe, das aus Jesu Krippe hell und klar hervorscheint. Mit diesem neuen Licht beginnt auch eine neue Beziehung zwischen Gott und uns Menschen. Dieses Licht ist das Zeichen des neuen Bundes, den Gott mit uns schließt.
Dunkel muss nicht kommen drein. Wir brauchen keine Angst mehr zu haben vor all dem Bedrohlichen, was in der Welt um uns herum passiert. Das ist keine Aufforderung zur Gleichgültigkeit. Natürlich sollen wir die Not unserer Mitmenschen sehen, wir dürfen ihr Leid an uns herankommen lassen und wir sollen helfen, jede und jeder so gut es eben geht. Und auch wir selbst sind bleiben nicht verschont von schweren Zeiten. Die gehören nach wie vor zu jedem Leben dazu.
Aber nichts ist so erdrückend, dass es das Licht der Hoffnung auslöschen könnte, dass von der Krippe in Bethlehem ausgeht. Denn im Glauben kann es hell bleiben – um uns und in uns. Denn er ist noch immer da, der Heiden Heiland. Amen.

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  Auswendig

Auswendig

Cornelia Götz, Dompredigerin - 03.12.2024

Was können Sie auswendig?
Das ABC und das Vaterunser, „Schlaf, Kindchen schlaf!“ oder die Eintracht-Hymne?
Ich hab mich das am Samstag beim Adventssingen der Kinder- und Mädchenkantoreien der Domsingschule gefragt. Vielleicht waren Sie ja dabei und haben erlebt, wie die Kinder - mit kleinen Gedächtnishilfen von unserer Domkantorin und den KiKa-Leiterinnen – sogar „Wie soll ich dich empfangen“ auswendig singen. Wunderbar, denn auch wenn sie jetzt vielleicht noch nicht jede Zeile verstehen, so haben sie kostbare Wörter in sich aufbewahrt.
Wer weiß, wann man sie braucht.
Als ich zum Beispiel vor ein paar Jahren mit einem Konfirmandenkurs der Domsingschule segeln war, saßen die Jugendlichen bei voller Fahrt auf Deck und sangen inbrünstig Weihnachtslieder – denn die konnten alle auswendig und warum dann nicht: „Hört der Engel helle Lieder“ oder „Es kommt ein Schiff geladen“?
Manchmal merkt man erst später, was man da eigentlich singen gelernt hat: ich kann die „Moorsoldaten“ auswendig und „Hammer und Zirkel im Ährenkranz“ und immerhin auch das „Heideröslein“ von Goethe. Aber als ich mir das jetzt aufsagte, hat mich die Gewalt gegenüber dem jungen morgenschönen Mädchen / Röslein, das der wilde Knabe da einfach bricht, enorm erschreckt.
Mit welchen Worten und Texten sind wir also unterwegs?
Gerade in diesen Wochen?
Am Sonntag kam nun noch eine der alttestamentlichen Weissagungen dazu. Konnten die Menschen zur Zeit Jesu das auswendig? Können sie es in Israel und in Palästina, in Jordanien noch? Da heißt es: „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer … und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.“
Uralte Worte. Jetzt werden sie laut - mitten in einem gnadenlosen Krieg, der einem entsetzlichen Terrorangriff folgte, der wiederum auch eine Vorgeschichte hat.
Der Sacharjatext gehört zur Vorgeschichte der Weihnacht.
Trotzdem können auch diese Worte in den falschen Mund geraten und missverstanden, einseitig ausgelegt und gehört werden.
Und dann hilft wohl nur das Hohelied der Liebe: „Wenn ich mit Menschen und Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht.“
Die braucht es, darum tut Weihnachten immer wieder not.
Was Sacharja betrifft, welche Region, welchen Herrscher, welche Kriegspartei man immer darin hören mag, vor allem gilt: da kommt ein Gerechter und ein Helfer. Das ! ist der Kern.
Den lasst uns festhalten. Von dem lasst uns erzählen.

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  Wer oder was kommt denn da?

Wer oder was kommt denn da?

Heiko Frubrich, Prädikant - 02.12.2024

Auf Bahnhöfen gibt es Wartehallen, beim Arzt ein Wartezimmer und am Telefon nicht selten die Warteschleife. Je nach Typ gehen wir mit dem Warten ganz unterschiedlich um. Einige können Wartezeiten nicht gut aushalten, andere wiederum genießen das Warten mit einem guten Buch oder mit schöner Musik per Kopfhörer. Auf Zeit online war einmal zu lesen, dass wir in unserm Leben insgesamt mehr als ein Jahr damit verbringen, auf irgendetwas zu warten.
Über der ersten Woche im Advent heißt es aus dem Buch des Propheten Sacharja: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Müssen wir also schon wieder auf etwas warten? Der Advent hat ja so einen Warte-Charakter. Wir leben und wir warten auf Weihnachten hin. Und die biblischen Texte, die wir in dieser Zeit lesen, und auch unsere Lieder vermitteln uns, dass wir auf irgendetwas bestimmtes warten, was dann an Weihnachten passiert. „Ihr lieben Christen, freut euch nun, bald wird erscheinen Gottes Sohn“, heißt es da oder „Mit Ernst, o Menschenkinder, bald wird das Heil der Sünder bei allen kehren ein.“ Oder auch der Wochenspruch, den ich gerade zitiert habe: Siehe dein König kommt.“
Aber das ist doch streng genommen Augenwischerei, oder? Denn das, wovon da die Rede ist, passiert doch nicht erst an Weihnachten. Es ist bereits passiert vor gut 2000 Jahren. Warum also dieses So-Tun, als würde Weihnachten erst in gut drei Wochen zum allerersten Mal passieren?
Ich denke, dass es dafür zwei Gründe gibt. Zum einen kann es uns dabei helfen, die Großartigkeit des Weihnachtswunders besser zu begreifen. Denn was ist da passiert? Trotz allem, was wir ihm immer wieder zugemutet haben und auch weiterhin zumuten, kommt Gott als Mensch in diese Welt und versöhnt sich mit uns Menschen, weil seine Liebe zu uns größer ist als seine Verärgerung. Gott hätte genug nachvollziehbare Gründe, sich von uns Menschen abzuwenden. Aber das tut er nicht. Er breitet in Christus seine Arme aus und sagt: Kommt her zu mir!
Ein weiterer Grund ist unsere eigene Haltung dazu. Bin ich bereit, Gott auch in meinem Leben einen Platz einzuräumen, so, wie er mir in seinem einen Platz gibt? Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, das ist auch eine Aufforderung an uns selbst. Wir sind gut beraten, unsere Herzen für Gott zu öffnen und ihn bei uns aufzunehmen. Wenn wir uns daran erinnern, haben wir die adventliche Wartezeit ganz sicher perfekt genutzt. Amen.

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  Geburtstag!

Geburtstag!

Cornelia Götz, Dompredigerin - 30.11.2024

Vor einem Jahr – genau um diese Zeit - konnte man am Dom Musiker antreffen, die so erschöpft und glücklich waren wie frischgebackene Eltern auf der Entbindungsstation.
Sie hatten eine schwere Geburt hinter sich, denn die Chororgel, deren Geburtstermin sicher erst gar nicht berechnen ließ und der dann auf den Freitag vor dem ersten Advent fiel, machte alle Anstalten mit Nabelschnur um den Hals, blau und nach Atem ringend, auf den Plan zu treten.
Bis in tiefe Nachtstunden hinein musste gezittert und gezagt, gehofft und geschnauft werden, bis wir hier dann endlich – nach einer wirklichen Mammutschwangerschaft und großem Ballett – komplett waren.
Seither erleben wir, wie das ist, wenn ein Wesen seine Persönlichkeit entfaltet, uns immer wieder bezaubert und manchmal mit seiner Bockigkeit an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt, wir erleben begeisterte Patinnen und Paten und immer wieder kommen Menschen und machen ein Geschenk – zuletzt die Glocken, die sich nach diesem Mittagsgebet am Spieltisch gern zeigen lassen können.
Natürlich begegnen wir auch dann und wann hochgezogenen Augenbrauen: ihr habt doch wahrlich schon genug Schätzchen – da braucht ihr das doch nicht auch noch… - und wie das aussieht, nach wem kommt es denn?
Aber allermeist staunen Menschen.
Was für ein herrliches Instrument!
Wie wunderbar, dass Menschen ihre Talente und Begabungen, ihre Zeit und nicht zuletzt sehr viel Geld zusammengetragen haben, um noch schönere Musik machen zu können.
Zur Ehre Gottes – um von seiner Herrlichkeit zu erzählen - als wollte man ganz heimlich mitspielen, wenn die himmlischen Heerscharen musizieren,
und auch: um Menschenherzen zu erfreuen und Menschenseelen hell und leicht werden zu lassen, um Tränen zu begleiten und dem, was wir hier unbedingt gesagt werden soll, Nachdruck zu verleihen.
Heute feiern wir Geburtstag.
Dankbar darüber, was möglich ist, wenn Menschen guten Willens sind.
Hoffnungsvoll, dass diese Orgel weiter davon erzählt, dass wir unserm Gott ein großes zärtliches überbordend schönes Lied singen wollen – weil wir leben dürfen, hier und jetzt.

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  Lass sie laufen!

Lass sie laufen!

Cornelia Götz, Dompredigerin - 29.11.2024

In meinem Posteingang ist ein Text aus Washington gelandet; ein Kollege, Robert Childers hat ihn nach der US- Wahl – die noch keine drei Wochen her ist - geschrieben und er klingt so:
„Lazarus, Jesu Freund, / war krank.
Lazarus, Jesu Freund, / starb.
Aber Jesus / bleib noch.
Jesus wartete / vier Tage.
Und da war Gestank / vom Tod / von Lazarus.
Und Jesus weinte.
Sie rollten / weg / den Stein / vom Grab,
wie er befohlen hatte.
Lazarus, komm raus. / Schrie er.
Und heraus kam er, / gebunden, / vom Kopf bis zu den Zehen.
Und Jesus sagte zu ihnen: /
Bindet ihn los. / Lasst ihn gehen. / Und sie taten es.
Jesu Freundin, die Wahrheit / war krank.
Jesu Freundin, die Wahrheit / starb.
Und da war Gestank / vom Tod / der Wahrheit.
Jesu Freund, das Erbarmen, war krank.
Jesu Freund, das Erbarmen, starb.
Und da war Gestank / vom Tod / des Erbarmens.
Jesu Freund / der Anstand / war krank.
Jesu Freund / der Anstand / starb.
Und da war Gestank / vom Tod / des Anstandes.
Jesu Freundin / die Liebe / war krank.
Jesu Freundin / die Liebe / starb.
Und da war Gestank / vom Tod / der Liebe.
Und Jesus weinte /
Über den Tod der Wahrheit / über den Tod des Erbarmen / über den Tod des Anstandes / über den Tod der Liebe.
Noch weinend / schrie er: / Rollt den Stein weg!
Und Jesus sagte: Wahrheit komm raus! /
Und Jesus sagte: Erbarmen komm raus! /
Und Jesus sagte: Anstand komm raus! /
Und Jesus sagte: Liebe komm raus! /
Und sie taten es.
Gebunden vom Kopf / bis zu den Zehen.
Und Jesus sagte zu uns:
Bindet sie los! Lasst sie gehen!
Ja, das machen wir.
Und dann würden wir in unserer Stadt Erbarmen und Liebe, Anstand und Wahrheit begegnen: vermutlich trüge „Erbarmen“ die rote Schleife des Welt-AIDS-Tages am Jackenkragen und hätte die Wahrheit ein AIDS-Bärchen in der Manteltasche; sie würden sich mit der Liebe vor die Sparkasse setzen oder in die Bahnhofsmission und dann – aufgewärmt zu den Gleisen rübergehen und nach dem Anstand Ausschau halten; nicht dass der gleich weiterfährt.
Sie würden über den Weihnachtsmarkt schlendern und zuhören und dann und wann mal wen anstupsen – und sich dann verschnaufen und kurz hier in die Bänke setzen und wir würden uns erinnern, dass das die weltbeste Gesellschaft ist.




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  L - Lea

L - Lea

Cornelia Götz, Dompredigerin - 28.11.2024

L - Lea
In seinem Monumentalroman „Josef und seine Brüder“ schreibt Thomas Mann von Leas „Blödgesichtigkeit“, ihren stets und ständig entzündeten Augen – sie ist also nur zweite Wahl, bestenfalls. Mich bringt der Autor damit endgültig um meine Sympathie - aber das nur am Rande.
Lea ist eine der Nebenfiguren der Bibel, die ältere Schwester der in jeder Hinsicht vorteilhaften Rahel. Die süßäugige Schönheit hatte Jakob an einem Brunnen gesehen - und sich verliebt. Er hatte um sie geworben und sieben Jahre um sie gedient.
Das hätte Lea wohl auch gern erlebt.
Aber Lea, deren Name so viel bedeutet, wie „die sich vergeblich Mühende“ war nicht mit äußerlichen Reizen gesegnet, ihr flogen weder Blicke hinterher noch Herzen zu; es gab nicht einmal die versöhnliche Nachricht, sie wäre ein besonderer Mensch gewesen.
Nein, sie war nur eine schwer vermittelbare ältere Schwester in einer Welt, in der nicht danach gefragt wurde, ob frau sich mit ihrem Leben noch etwas anderes vorstellen kann als einem Mann untertan zu sein und ihm viele Kinder zu gebären, geschweige denn über ihren Körper selbst entscheiden zu dürfen.
Ihre Geschichte ist schnell erzählt.
Jakob dient sieben Jahre um Rahel und dann kommt die Hochzeitsnacht. Aber es ist nicht Rahel, die er geheiratet hat. Es ist Lea, deren Vater eine Tochter unterbringt als wäre sie eine wilde Kuh (auch so kann man ihren Namen übersetzen), die irgendwo angepflockt werden muss.
Blöd für Jakob, der nun nochmal dienen muss - oder: ausgleichende Gerechtigkeit, dass der Betrüger, der er selber war nun selbst betrogen wurde.
Aber Lea? Wie war es für die? Da bedient sich einer ihres Leibes und ihrer Würde. Sie bekommt seine Kinder aber nicht seine Liebe. Immerhin bekommt sie Söhne - nicht auszudenken wie es ihr sonst ergangen wäre.
Lea müht sich. Jeder Namen, den sie einem ihrer Kinder gibt - eine Bitte.
Aber sie wird keinen Ausweg finden. Zuletzt muss sie die Heimat verlassen und dem Mann folgen, dessen Nebensache sie ist. Zuvor hat sie ihre einzige Tochter, Dina, verloren - durch Männergewalt.
Die Geschichte rollt über sie weg und weiter.
Aber ich glaube, sie wird nicht vergessen. Immer wieder werden ihre Schwestern sich hineinlesen in ihr Schicksal, werden sie beweinen und bestaunen, die Leerstellen füllen in tiefer Solidarität und Lea - der Stillen - zuhören, dann wenn eine andere – wie Hilde Domin - schreibt:
„Unsere Kissen sind naß / von den Tränen / verstörter Träume.
Aber wieder steigt / aus unseren leeren / hilflosen Händen / die Taube auf.“

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  Endlich

Endlich

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.11.2024

Gleich werden wir draußen den Weihnachtsmarkt eröffnen.
Während wir hier noch – wie jeden Mittwoch - um Frieden und Versöhnung bitten, wird draußen hinter den Rollläden schon gebrutzelt und gekocht. Wenn der OB und ich nachher auf den Buzzer hauen, werden tausende Menschen von einem Moment auf den nächsten in einen anderen Modus geraten, Glühwein trinken und Schmalzkuchen essen, Weihnachtslieder mitsingen.
Unglaublich, wie das immer wieder funktioniert.
Bei mir auch.
Tief in uns ist eine Sehnsucht verankert, die Feste braucht und Oasen, Ausnahmezeiten, Gegengeschichten - vielleicht hat man deshalb in der Nachkriegszeit getanzt wie verrückt. Darum lassen auch wir uns trotz all der katastrophalen Nachrichten drumherum nur allzugern auf Weihnachtsduft und süße Glocken ein.
Gut so.
Aber erst recht gilt auch:
Weihnachten hat einen tiefen Kern, den wir erinnern müssen, denn ohne ihn werden wir leer und hoffnungslos mit einem schweren Kater dastehen, wenn das hier alles wieder abgebaut ist.
Weihnachten
ist die Geschichte eines Mädchens, einer Mutter, eines Kindes -
es ist die Geschichte von Armut, Flucht und Vertreibung -
es ist die Geschichte uralter Hoffnung auf Frieden und Menschlichkeit,
die zuerst die verstehen, die am gefährdetsten sind:
Während wir hier darauf warten, dass ein fröhlicher Rambazamba beginnt, werden mindestens fünf Frauen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt. Das ist keine Problem von Migranten oder Prominenten. Es ist ein Problem, das Frauen und Mädchen haben - in allen gesellschaftlichen Schichten - egal, ob sie vom Dorf kommen wie Maria und keine Chance auf Bildung, Wohlstand und Selbstbestimmung haben oder privilegiert sind wie ich.
Während wir hier warten, dass die Glocken läuten und die Blechbläser spielen, wird irgendwo ein Kind missbraucht, ertrinkt ein anderes auf der Flucht oder verwaist ein Drittes im Bombenhagel, verdunkelt sich die Seele eines vierten - vor lauter Einsamkeit.
Während wir hier überlegen, ob wir mit Förtchen oder Heideschinken ins Vergnügen starten und wieviel Kilo wir nach der Saison wohl mehr haben werden, verhungern Menschen in beschämender Zahl.
So muss es unter uns nicht sein.
So ist es schon immer.
Darum wird Weihnachten: Gott wird Mensch - um uns an unsere Menschlichkeit zu erinnern. Immer und immer wieder. Das sollten und dürfen wir feiern. Das müssen und könnten wir leben. Endlich.

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  Zwischen Zeiten

Zwischen Zeiten

Lisa Koch, Vikarin - 26.11.2024

Drei Männer in grauen Engelbert-Strauß-Arbeitshosen mit neonfarbenen Reißverschlüssen. Und eine schwindelerregend hohe Stehleiter. Zwei Hosenbeine balancieren darauf, zwei starke Hände halten die Leiter, zwei nehmen die unhandliche Abdeckfolie entgegen. Erst ist nur „markt“ zu lesen, dann fällt die Hülle und die Buchstaben leuchten hell über dem Eingangstor: „nachtsmarket… Weihnachtsmarkt.“ Rechts wird Tannengrün an Holzbohlen gehämmert, links ein Lichterkettensalat entworren. Auf dem Kinderkarussell steht noch die Leiter, aber alle Fahrzeuge sind schon an Ort und Stelle. Ich schiebe mein Fahrrad vorbei und merke: Ich bin noch gar nicht bereit für Weihnachtslichter und Glühweinbuden, für Schmalzkuchen und Tannengrün. Die große Fichte vor dem Schloss war auch noch nicht bereit. Die Novembersturmböen haben sie in die Knie gezwungen. Noch ist Herbst nicht ganz entflohen…
Aber auch ohne Weihnachtsbaum vor dem Schloss und egal, ob ich hinterherkomme oder nicht: Morgen wird runtergezählt. 3,2,1 – ein großer roter Knopf und dann erstrahlt alles in weihnachtlichem Glanz. Alle Jahre wieder. Abrupter Spurwechsel am Ende des Kirchenjahres, nach Totensonntag und dem Erzählen von Tränen und der Hoffnung auf ewiges Leben. Plötzlich geht alles ganz schnell: Weihnachtsmarktaufbau, Deko aus dem Keller holen, Krippenspielproben. Und schon brennt die erste Kerze.
Sonntag stand ich noch auf dem Friedhof, habe Segen verteilt, Tee angeboten und Tränen gesehen. Weil es noch immer so weh tut. Weil die Welt sich einfach weiterdreht, als wäre nichts geschehen. Obwohl die eigene Welt doch stillsteht und die Zeit so unendlich langsam vergeht. Das Leben läuft im Zeitraffer vorbei. Besonders dann, wenn plötzlich Advent werden soll – mit hellen Lichterketten und süßem Glühweinduft.
„Ich will Trauerkollektive und Wehklagenräume, in denen Menschen schreien und weinen und schweigen und fragen können. Ich will Menschen, die tragen und zuhören und mitgehen. Die nicht jeden Tag Trauer an ihren Händen abzählen und dann verkünden, dass es nun aber genug sei und man weiteres Drama jetzt auch nicht mehr gutheißt.“ Das schreibt die Spoken-Word-Künstlerin Jasmin Brückner in einem Text über Trauer und eine Herde Orkas, die das tote Kind von Orka-Weibchen Talequah durch den Pazifik tragen, solange bis die Mutter bereit ist, es loszulassen. 1.600 km.
Wie gut, dass es diese Zeit gibt im Jahr. Trauerkollektive und Wehklagenräume am Ende unseres Kirchenjahres. Ein Ort, eine Zeit, ein Raum, wo Tränen sein dürfen und nicht aus der Zeit fallen. Die Gräber vom Herbstlaub befreien, die Wunden offenlegen. Und das Angebot hören von Gott: Du darfst auch noch bleiben. Auch wenn die Welt sich einfach so weiterdreht, wenn Lichter angezündet und Weihnachtsmärkte aufgebaut werden und du noch nicht bereit dafür bist. Du darfst hier noch bleiben bei mir, solange du brauchst. Im Wehklagenraum aus Novembergrau. Alles hat seine Zeit – auch wenn deine Uhren mal langsamer gehen.

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  "Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!"

"Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!"

Cornelia Götz, Dompredigerin - 25.11.2024

„Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen!“ - so heißt es über dieser Woche aus dem Lukasevangelium. Es ist eine Aufforderung, sich vorzubereiten, wach und startklar zu sein. Wer seine Lenden umgürtet hat, trägt Kleider und ist nicht mehr im Schlafanzug. Das Licht ist an. Wer sich so bereit hält, der ist voller Erwartung.
In der alten Geschichte warten Diener (und in diesem konkreten Fall sind es wahrscheinlich wirklich nur Männer) auf ihren Herrn. Wann immer er kommt, sie sind bereit.
Es kann heute sein, oder morgen oder übermorgen.
Der genaue Moment ist ungewiss. Aber es wird sein.
Kein Wunder, dass diese Worte am Ende des Kirchenjahres zu stehen kommen. Nach allem was war und sich abzeichnet, ist es dringend nötig, dass Gott kommt - damit die Welt nicht endgültig verhärtet und verroht, in Finsternis versinkt.
Als gute Weihnachtschristen mag es uns selbstverständlich sein, dass wir in einem Monat das Kind in der Krippe begrüßen: aber es ist - ganz im Gegenteil - ein unglaubliches Wunder.
Denn Götter sind in der Regel unerreichbar und ihre Nähe für Menschen unerträglich. Sie sind alles andere als menschlich. Unser Gott aber ist radikal anders. Er hat sich entschieden, wirklich zu kommen - in Ort und Zeit, mit einem Leib, dem man verwunden und einer Seele, die verletzt werden kann.
Wie bereiten wir uns auf solch einen Herrn vor???
Sicherlich nicht, in dem wir mit Kampfmontur und Flutscheinwerfer Aufstellung nehmen.
Es ist ein Kind und das braucht unsere Zärtlichkeit und Licht, das warm aus unseren Augen strahlt. Es braucht Nahrung und Pflege. Es braucht unseren Mut. Wir müssen uns seiner annehmen, sonst wird es erfrieren, verhungern und abgeschoben.
Nichts ist selbstverständlich.
Auch nicht, dass ein fremdes Kind beschützt wird.
Wie wird das gehen? Wie können wir uns darauf vorbereiten?
Wir werden unsere Welt freundlicher einrichten müssen. Rein äußerlich wird das gelingen. Das bahnt sich überall - nicht nur um den Dom - schon an.
Aber im Grundsatz? Wird Menschlichkeit da gelingen?
Da braucht es Mut.
Wie können wir den einüben?
Das hab ich neulich im Schwimmbad gesehen: Kinder sollten den Startsprung lernen. Und da sieht man es genau: man darf sich nicht einfach nur fallen lassen. Es braucht ein kleines bisschen Druck aus den Füßen, einen festen Willen - sonst klatscht man schmerzhaft auf den Bauch.
Diesen kleinen entschlossenen Willen, er ist fast unsichtbar, den brauchen wir - in unserer Gesellschaft, in unserer Stadt, in der Zeit, die kommt, für das Kind, für Gott - er wird den Unterschied machen, ob es weh tut.

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  Pie Jesu

Pie Jesu

Heiko Frubrich, Prädikant - 23.11.2024

Es ist ein besonderes Requiem, das Gabriel Fauré komponiert hat. Wenn wir an Mozart oder Verdi denken, wo große Chöre und Orchester zum Einsatz kommen, bleibt es bei Fauré leise und zurückhaltend, beinahe kammermusikalisch. „Es ist so sanftmütig wie ich selbst“, hat er im Jahre 1900 gesagt. Was bei Fauré fehlt, ist das „Dies irae“, der Tag des Zorns, der Tag des Jüngsten Gerichts. Für ihn, so sagt er es selbst, ist der Tod kein schreckliches Erlebnis, sondern eine willkommene Befreiung.
Das „Pie Jesu“, das wir gleich hören werden, spiegelt vieles davon wieder. „Gütiger Jesus, gib ihnen die ewige Ruhe“, so lautet der Text dieses Satzes. Es ist ein zuversichtliches Bitten, kein verzweifeltes Flehen. Es klingt, als wolle man Jesus an etwas erinnern, dessen man sich selbst absolut sicher ist. „Jesus, bitte denke dran. Du hast es uns versprochen.“ Und das Strahlen gegen Ende des Stücks erinnert an eine sich öffnende Tür, hinter der uns Licht und Wärme und Freundlichkeit empfangen.
Morgen feiern wir in unseren Kirchen den Toten- und Ewigkeitssonntag, an dem wir zum einen unserer Verstorbenen gedenken, zum anderen aber uns daran erinnern, was es bedeutet, mit einer Perspektive auf die Ewigkeit zu leben. Letzteres ist für viele eine echte Herausforderung.
Wir geraten ja immer wieder mal in die Versuchung, uns Gottes Verheißungen und auch seine Wesensart mit unserem begrenzten menschlichen Vorstellungs- und Auffassungsvermögen zu erklären und scheitern dabei nicht selten ganz grandios. Insbesondere fordert uns das Thema „Auferstehung und ewiges Leben“ hierbei ziemlich heraus. Denn obwohl uns Gott in der Osternacht über seine Schulter schauen lässt, als er dieses neue Auferstehungsleben schafft, können wir es intellektuell nicht fassen und nicht begreifen.
Was uns bleibt ist, zu glauben und zu vertrauen. Und das wiederum setzt voraus, dass wir bereit sind, die Kontrolle aus der Hand zu geben und uns, so wie es die Bibel lehrt, mit unserem Leben und Sterben einzig und allein Gott anzuvertrauen. Eine Alternative dazu gibt es nicht.
Faurés Musik kann dabei helfen, denn sie strahlt dieses Gottvertrauen aus. Und sie lässt uns spüren, mit welcher Ruhe und Gelassenheit wir auf unser irdisches Ende zuleben können. Denn wir werden nicht ins bodenlose Dunkel fallen. Wir werden erwartet an der Pforte, die uns hineinführt in ein neues Leben, das Gott für uns vorbereitet hat – für Sie, für Euch und für mich. In Jesu Namen. Amen.

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  Wahrheit, die frei macht

Wahrheit, die frei macht

Heiko Frubrich, Prädikant - 22.11.2024

Über dem heutigen Tag heißt es aus dem Johannesevangelium: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Von Jesus stammen diese Worte und er sagt sie zu seinen jüdischen Zuhörern, die, wie es die Bibel sagt, an ihn glaubten. Im Folgenden entspinnt sich ein heftiger Streit zwischen ihnen und Jesus, denn die ihm dort zuhören, halten sich bereits für frei. „Wir sind Abrahams Nachkommen und sind niemals jemandes Knecht gewesen“, führen sie an. Und als Jesus versucht, ihnen zu erklären, was echte Freiheit tatsächlich bedeutet, kommt es beinahe zu massiven Handgreiflichkeiten, denen sich Jesus nur durch Flucht aus dem Tempel entziehen kann.
Ist uns eigentlich klar, was es mit dieser Freiheit auf sich hat, von der Jesus erzählt? Jesu Zuhörer sagen: Wir sind frei, weil wir keine Knechte sind. Aber sie verengen ihr Verständnis auf Knechte irdischer Herren. Dieses Status haben wir auch erreicht. Seit 1817 gibt es in Deutschland keine Leibeigenen mehr. Ja wir haben vielleicht eine Chefin oder einen Chef – im Beruf und vielleicht auch zu Hause. Aber wir gehören uns selbst und sind frei in unserem Denken, Reden und Tun.
Und doch gibt es Zwangsläufigkeiten, denen wir uns nicht entziehen können. Gerade in diesen letzten Tagen im Kirchenjahr werden sie thematisiert. Es geht um Schuld, die wir auf uns laden, es geht um Vergänglichkeit, Sterben und Tod. Dessen sind wir alle Knechte, oder?
Nein, wir sind es eben nicht mehr. Natürlich verhindert mein Christ-Sein nicht, dass ich Falten und graue Haare kriege. Natürlich verhindert es nicht, dass mein irdisches Leben ein Verfallsdatum hat. Aber ich muss mich davon nicht niederdrücken und knechten lassen. Denn die Wahrheit, von der Jesus spricht und die wir erkennen werden, so, wie sagt, gibt uns eine viel größere Perspektive, die über all das hinausweist.
Wenn wir gleich Abendmahl miteinander feiern, wird uns zugesprochen, dass Gott uns die Last unserer Schuld von den Schultern nimmt und wir von ihnen frei werden. In Brot und Wein sollen wir uns an Jesus Christus erinnern und an das, was er für uns getan hat. Er hat uns mit Gott versöhnt, ein für alle Mal und trotz allem, was wir ihm zugemutet haben und immer wieder zumuten. Und er schenkt uns die Hoffnung auf ewiges Leben, die Hoffnung auf das große Abendmahl, bei dem wir mit ihm am Tisch sitzen werden.
Das ist die Wahrheit, die uns befreit. Das ist die Wahrheit, die uns all das Schwere in dieser Welt und in unserem Leben besser ertragen lässt. Denn sie lehrt uns, dass es etwas Größeres gibt, das all dieses Schwere relativiert: Es ist die Liebe, mit der Gott uns umfängt und aus der wir nicht herausfallen können – ganz egal, was auch passieren mag. Amen.

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  Fehlerfreundlichkeit

Fehlerfreundlichkeit

Heiko Frubrich, Prädikant - 21.11.2024

Als ich noch aktiv im Berufsleben bei der Bank war, kam es immer mal wieder vor, dass für alle möglichen Prozesse eine neue Software benötigt wurde. Im Vorfeld mussten dann detaillierte Anforderungskataloge geschrieben werden, damit die Entwickler auch genau wussten, was sie programmieren sollten. Das Erstellen dieser sogenannten Fachkonzepte war in aller Regel nicht vergnügungssteuerpflichtig und konfrontierte Anwender und Programmierer immer wieder mit dem uralten Sender-Empfänger-Thema. Denn obwohl wir alle dieselbe Sprache sprachen, war überhaupt nicht sicher, ob wir uns auch wirklich verstanden.
Ein wichtiges Kriterium allerdings, dem jede Software genügen musste, war bei allen Beteiligten sofort Konsens: Die Software musste fehlerfreundlich sein. Einfach gesagt, bedeutete das, dass bei Auftreten eines Programmfehlers möglichst nicht gleich die Welt untergehen sollte. Dass eine einzelne Berechnung oder ein anderer einzelner Prozessschritt bei einem solchen Fehler abbrachen, war hinnehmbar, aber der Rest musste weiter funktionieren.
Ich finde, dass eine solche Fehlerfreundlichkeit auch im zwischenmenschlichen Bereich vorhanden sein sollte. Niemand von uns ist perfekt und so liegt es in unserer Natur, dass uns Fehler unterlaufen. Und ich meine jetzt echte Fehler. Die Neigung zu boshaftem Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen ist vielleicht eine charakterliche Macke, aber kein Fehler, so wie ich ihn verstehe.
Ich denke dabei vielmehr an unser Fehlverhalten, das uns aus Unachtsamkeit, Gedankenlosigkeit oder auch aus Überforderung passiert. Wir reagieren ruppig, verletzen einander mit unüberdachten Worten oder übersehen und überhören und vergessen Dinge, die für unseren Mitmenschen in dem Moment gerade wichtig sind.
Wenn wir miteinander nun fehlerfreundlich umgehen, versuchen wir, für solche Fauxpas Verständnis aufzubringen und sie großmütig zu verzeihen. Das gelingt mal besser und mal schlechter, je nach eigener Tagesform. Wenn es uns allerdings an Fehlerfreundlichkeit mangelt, dann konstruieren wir gern aus der Mücke den Elefanten und reagieren mit übertriebener Härte.
Gestern haben wir den Buß- und Bettag begangen, den Feiertag, an dem unter anderem auch unsere Fauxpas auf den Tisch kommen, die wir uns gegenüber Gott geleistet haben. Gestern war der Tag, sie zu bekennen und Gott um Vergebung zu bitten. Und anders als das zwischen uns Menschen der Fall ist, können wir uns Gottes Fehlerfreundlichkeit sicher sein. Gott hat uns in Christus all unsere Schuld abgenommen und sich mit uns wieder versöhnt. Er nimmt uns die Lasten von unseren Schultern, damit wir aufrecht durchs Leben gehen können.
Es ist großartig, dass Gott uns so freundlich ansieht und uns immer wieder Chancen für Neuanfänge gibt. Und dass wir ihm dafür dankbar sind, dürfen wir ihm durchaus immer mal wieder sagen. Er wird sich darüber ganz sicher freuen. Amen.

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  Noch eine Chance

Noch eine Chance

Cornelia Götz, Dompredigerin - 20.11.2024

Die Geschichte vom Feigenbaum also..
Sie wird zuerst Menschen erzählt, die Hunger kannten und für die die Feige nicht irgendeine Frucht sondern ein ganz besonders wichtiges und wertvolles Nahrungsmittel war.
Sie konnten einordnen, wie dramatisch es ist, wenn solch ein Baum keine Früchte trägt, sondern jahrelang guten Boden blockiert.
Ganz zu schweigen von der Wasserverschwendung.
Jede und jeder weiß: das ist nicht zu verantworten.
Boden, Wasser, Pflege können nicht jahraus jahrein ohne Ertrag vertan werden.
Kein Wunder, dass der Besitzer nach drei fruchtlosen Jahren, in denen eine Ernte erwartbar gewesen war - und diesen drei Jahren gehen weitere voraus, in denen das Bäumchen erst einmal heranwachsen muss - sagt: „Hau ihn ab.“
Der Preis ist zu hoch.
Drei Jahre Stagnation.
Drei Jahre Krise.
Drei Jahre Krieg.
Niemand kann die Augen davor verschließen, dass es so nicht weitergeht.
Aber man kann verschieden reagieren.
Die Situation ist nicht alternativlos.
Der Besitzer konstatiert eine Fehlinvestition von Zeit und Geld, einen Irrweg. Er muss, wenn er nicht ruiniert werden will und also auch den Ruin des Gärtners mit einpreisen will, eine vernünftige Entscheidung treffen. Das tut er.
Den Gärtner wird das treffen. Er soll den Baum abhauen. Das schmerzt, denn er hat geackert und gewässert, hat Tag für Tag nach dem Bäumchen gesehen und seine Hoffnung hineingesetzt.
Natürlich, er versteht ja sein Handwerk, hat auch er gesehen, dass der Baum mickert und sich Sorgen gemacht.
Aber er hat auch sein Herz und seine Hoffnung daran gehängt.
Wegwerfmentalität, Resignation, Kapitulation kann und will er sich nicht leisten.
Erfolglosigkeit auch nicht.
Und so bittet er: Gib ihm noch ein Jahr!
Es ist die Bitte um begrenzten Aufschub,
die Bitte darum, genau jetzt noch eine Frist zu bekommen.
Der Gärtner verschiebt das Problem nicht auf irgendwann ans Ende der langen Bank. Er sieht es. Er teilt die Erwartung an den Baum. Er verschließt sich der Verantwortung für die vergeblich eingesetzten Ressourcen nicht.
Er bitte konkret. Gib mir ein Jahr.
Wenn es dann keine Früchte gibt, hau ich ihn ab.

Buß- und Bettag.
Wir leben in anderen Zusammenhängen als die, die diese Geschichte zunächst hörten – aber auch wir sorgen uns, sind beschäftigt mit den aktuellen Krisen,
manches scheint bedrohlich zu sein.
Insofern hören wir eine beunruhigende Geschichte mit offenem Ende.
Und eine ehrliche. Denn deutlich ist zunächst, dass es in fruchtloser gefährdeter Zeit nicht hilft, zu verharmlosen oder wegzuschauen.
Und doch beinhalten diese wenigen Verse ein kleines Wunder: denn der Text endet zwar nicht mit einer Erfolgsgarantie, das Scheitern ist noch nicht abgewendet - aber er endet auch nicht mit Enttäuschung.
Denn obwohl der Fürsprecher für das Bäumchen nur der Kleine in der Hierarchie ist, der Anwalt der Hoffnung, erwirkt er einen Aufschub, eine letzte Chance.
Offenbar kommt es genau auf ihn an.
Denn es ist nicht egal, ob der Gärtner Verantwortung übernimmt, sich solidarisch verhält, sich einsetzt oder eben nicht.
Dass er bereit ist, zu graben und zu wässern - also deutlich mehr zu geben, als vernünftig scheint, denn Feigen brauchen das Umgraben nicht, Wasser genügt - verändert die Situation, verhindert das unmittelbare Aus.
Das Engagement dieses Einzelnen, der weder Besitzer noch Entscheidungsträger ist, hat in diesem konkreten Moment für ein konkretes Geschöpf existentielle Bedeutung.
Der Gärtner bittet für seinen Baum.
Es ist eine Fürbittaktion - mit offenem Ausgang.
Es ist eine Fürbittaktion ins Offene hinein.
Sie erzählt absolut realistisch von Mut und Vertrauen.
Sie wird erzählt von dem, mit dem hier und jetzt nicht eine Gnadenfrist beginnt, sondern eine Gnadenzeit.

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  Schmetterlingsprinzip

Schmetterlingsprinzip

Henning Böger, Pfarrer - 19.11.2024

Ali mag es bunt. Wenn er durch seine Stadt geht, blüht seine Fantasie auf. Er sieht viel braun und grau und wenig Farbe. Das möchte er ändern. Ali lebt in Bagdad, der Hauptstadt des Irak. Das ist weit weg von uns. Rund 3500 Kilometer Luftlinie entfernt.
Wenn Ali durch seine Heimatstadt geht, hat er einen kleinen Holzwagen dabei, dicht bepackt mit Farbtöpfen und Pinseln, oben drauf eine Leiter. Er bemalt Mauern und Fassaden von Häusern. „Sag, dürfen wir dein Haus ein wenig bunt machen?“, fragt er
die Besitzer. „Aber gerne, sagen viele.“
Nun ist Ali da. Und hat ein paar Freunde dabei. Sie haben einen Plan gemacht für das Bild, das sie heute auf das Haus malen wollen: zwei Menschen Hand und Hand, ein Liebenspaar, das sich gefunden hat. Sie machen sich an die Arbeit. Liebe ist ihnen wichtig in einer Stadt, die von vielen Kämpfen zerrissen ist.
Ali hat ein Prinzip, wenn er zu malen beginnt. Er nennt es das Schmetterlingsprinzip:
Der Flügelschlag eines kleinen Schmetterlings sei harmlos, sagt Ali. Und doch löse er etwas aus: Erst bewegt sich die Blüte, dann ein Blatt, vielleicht ein Ast und schließlich
der ganze Busch. „Genau das will ich auch: Ich will Farben auf ein Haus malen. Das ist harmlos, einerseits. Andererseits kann es Menschen verändern, Freude auslösen,
eigene Bilder wecken.“ Ali ist sich sicher: Es bleibt nie ohne Folgen, wenn eine Hauswand bunt wird. Es bewirkt etwas bei denen, die hinschauen.
Einfach und genial, das Schmetterlingsprinzip, oder? Ich finde, es ist ein starkes Bild dafür, wie Friedenshoffnung in uns Menschen wachsen kann - als gute Kraft zum Leben, der ein kleiner Flügelschlag genügt, um uns in Bewegung zu bringen. Kleine Ursache mit großer Wirkung! So soll es sein mit dem Frieden unter uns!
„Ich will, dass sich etwas bewegt. Wenn ich ein Haus bemale, soll das nicht ohne Folgen sein,“ sagt Ali, der Farbe und Vielfalt liebt. Als die Sonne untergeht, ist das Bild auf der Hauswand fertig. Sie räumen die Farbtöpfe auf den Wagen.
Ali schaut noch einmal auf das fertige Bild: zwei Menschen, die sich an den Händen halten. „Vielfalt können wir nicht wegreden“, sagt er, „aber wir können sie achten,
sogar lieben lernen.“ Dann zeiht er mit seinem Wagen davon. Er sieht zufrieden aus.

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  Erzähl mir vom Frieden III

Erzähl mir vom Frieden III

Heiko Frubrich, Prädikant - 18.11.2024

„Erzähl mir vom Frieden“ So lautet das Motto der diesjährigen ökumenischen Friedensdekade, Sie haben es in den vergangenen Tagen hier im Dom schon des Öfteren gehört. „Erzähl mir vom Frieden“, für mich klingt das beinahe so, als wären wir kurz davor, zu vergessen, was Frieden bedeutet.
Die Gefahr ist groß, dass wir uns an das gewöhnen, was in dieser Welt passiert und was uns pausenlos an Informationen um die Ohren gehauen wird. Die Gefahr ist groß, dass wir uns gewöhnen an die Bilder aus der Ukraine, aus Israel und Gaza, dass wir uns gewöhnen an das Drohen und Säbelrasseln der Putins, Kims und Chameneis. Die Gefahr ist groß, dass wir uns gewöhnen an Hassparolen gegen Menschen anderer Hautfarbe, anderer Religionen oder anderer sexueller Orientierung.
Erzähl mir vom Frieden! Erzähl mir davon, wie unsere Welt aussehen könnte, wenn wir Lebensmittel und Lebenschancen gerecht verteilten. Erzähl mir davon, dass kein Mensch mehr verhungern oder verdursten müsste, wenn wir nur ein einziges Jahr lang keine neuen Waffen kaufen, sondern Ernährungs- und Entwicklungsprojekte finanzieren würden. Erzähl mir davon, dass alle Nationen einander gute Nachbarn sein könnten, wenn sie in jeder und jedem zuerst den Menschen sähen, dessen Würde unantastbar ist und der Gott, so wie wir alle, zum Ebenbild geschaffen wurde.
Sind das alles Wolkenkuckucksheime oder dürfen wir darauf hoffen? Die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt. Aber lebt Ihre Hoffnung noch angesichts der vielen Kriege auf dieser Welt? Lebt Ihre Hoffnung noch angesichts des Wahlergebnisses in den USA? Lebt Ihre Hoffnung noch angesichts der immer tiefer werdenden Spaltung unserer Gesellschaft, der Verrohung der Sprache und der zunehmenden Gewaltbereitschaft?
Auf der Kerze auf unserem Marienaltar ist das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ zu sehen. Es bezieht sich auf ein Wort des Propheten Micha, der prophezeit, dass die Völker und Nationen aus ihren Schwertern Pflugscharen machen werden. Vielleicht können wir ja schon einmal damit anfangen?
Es müssen ja nicht gleich die ganz großen, echten Schwerter sein. Wir können mit den kleinen beginnen: mit den Schwertern, die sich als Diskriminierung und Abwertung anderer Menschen in unserer Sprache festgesetzt haben; Schwerter, die wir in Form von Vorurteilen mit uns herumtragen; Schwerter, die sich in Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid unserer Mitmenschen zeigen. An denen können wir beginnen zu arbeiten und sie in Pflugscharen umschmieden.
Und ganz offen gesagt: Wenn wir als Christenmenschen den Glauben daran verlieren, dass die Menschheit eine Chance hat, umzukehren, dann können wir doch wirklich gleich einpacken. Gott, der uns kennt, wie kein anderer, traut uns den Frieden zu. Und so, wie er uns nicht enttäuscht, sollten wir ihn auch nicht enttäuschen.
Und ich bin mir sicher, dass er uns begleitet bei unseren kleinen und vielleicht auch zaghaften Schritten, wenn sie denn auf die Wege des Friedens führen. Amen.

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  Erzähl mir vom Frieden II

Erzähl mir vom Frieden II

Cornelia Götz, Dompredigerin - 16.11.2024

Friedensdekade 2024.
„Erzähl mir vom Frieden.“
Und ich höre darin: lasst uns zu all den schlimmen ernüchternden und düsteren Nachrichten eine Gegengeschichte erzählen.
Lasst uns erzählen!
Da gibt es zum Beispiel den Parents Circle. In diesem Kreis haben sich mehr als 600 israelische und palästinensische Familien zusammengeschlossen, die durch den Konflikt zwischen ihren Völkern Kinder oder nahe Verwandte verloren haben. Gemeinsam setzen sie sich für ein Ende des Blutvergießens ein. Gemeinsam sagen sie: „Wir haben zu viel Schmerz erlitten, zu viele Tränen geweint. Dies ist ein Moment für alle … über die Sinnlosigkeit des anhaltenden Konflikts nachzudenken und die gemeinsame Menschlichkeit zu erkennen, die uns alle verbindet.“
Mütter und Väter, Geschwister, teilen ihr Leid, wechseln erzählend die Perspektive, erleben sich und einander als Trauernde. So unterbrechen sie Hass und Gewalt, erzählen sie ihren Kindern eine andere Geschichte als von Vergeltung und Schmerz.
Oder:
Die Combatants for Peace. Diese bi-nationale Friedensbewegung, die 2006 von ehemaligen israelischen Soldatinnen und Soldaten und palästinensischen Widerstandskämpferinnen und -kämpfern ins Leben gerufen wurde, ist die einzige Organisation weltweit, in der bewaffnete Kämpferinnen und Kämpfer in einem anhaltenden Konflikt die Waffen niedergelegt haben, um sich gemeinsam für Frieden einzusetzen.
Einer ihrer Mitgründer Chen Alon, sagte: „Ich weiß nicht, wie eine friedliche Lösung aussehen wird: ein Staat, zwei Staaten, drei Staaten. Aber ich weiß, dass sie aussehen wird wie wir: Menschen aus Israel und Palästina, die sich gemeinsam und gewaltfrei für Gerechtigkeit einsetzen…“
Alle Mitglieder der Gruppe sind Wege gegangen, an deren Ende die Überzeugung steht: „Krieg ist kein Schicksal, sondern eine Entscheidung – es gibt einen Ausweg.“
Lasst uns erzählen:
Von Maria Kalesnikowa, von der es nach 600 Tagen im belarussischen Gefängnis endlich ein Lebenszeichen gibt. Und was für eins: die überwältigende Menschlichkeit dieser Frau, deren Symbol das Herz aus Händen ist, hat so vielen Mut gemacht. Und auch jetzt strahlt sie aus dem Gefängnis aber doch auch aus den Armen ihres Vaters, in dessen Gesicht sich so viel durchgestandene Angst und Sorgen eingeschrieben haben, als wäre es nicht sie, die Trost und bestand braucht – sondern wir anderen alle, wir draußen, die wir gefährdet sind, zu vergessen.
Keiner wird sie zwingen können, zu hassen.
Erzähl mir vom Frieden!
Lasst uns nach Geschichten suchen, die Frieden stiften.
Lasst uns festhalten, an dem alten immer lebendigen Wort: „Selig sind die sanftmütigem, denn sie werden das Erdreich besitzen“ Oder in einer anderen nicht weniger präzisen Übersetzung: „Selig sind die Gewaltlosen, denn sie werden das Land erben.“

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  "Glück und Hoffnung sind kein Luxus"

"Glück und Hoffnung sind kein Luxus"

Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.11.2024

Am Anfang der Woche schrieb A.L.Kennedy im Feuilleton der SZ einen Brief an uns: „Liebe Deutsche…“ Er endet mit den Worten: „Glück und Hoffnung sind kein Luxus. Wenn zu viele Menschen sie verlieren, gehen Staaten unter. … Ich vermute, dass sehr viele Menschen in den Vereinigten Staaten so viel Schmerz empfanden, dass sie einfach die Hoffnung verloren. Die Freude anderer inspirierte sie nicht, sie machte sie wütend. Sie sahen darin einen Ausdruck für sie selbst unerreichbare Privilegien. Und wenn man diesen Zustand erst einmal erreicht hat, wird es sehr finster.“
Das ist ein kluger Gedanke, denn er bietet eine Erklärung dafür, warum Bitterkeit so irrational werden lässt bzw. warum Bitterkeit und Hoffnungslosigkeit Demokratie, Frieden und Freiheit gefährden.
Menschen, die sich abgehängt fühlen oder womöglich sogar abgehängt worden sind, kann man mit einer strahlenden Kampagne kaum erreichen - sie vermuten dahinter Leere und spüren: Nicht für mich...
Dabei wäre eine gerechtere Welt möglich.
Dabei sind wir noch längst nicht am Ende - unter uns gibt es Fantasie und Tatkraft und auch noch immer sehr viel Geld.
Dabei ist unsere Erfahrung doch auch eine im Sinne der Tageslosung aus dem fünften Buch Mose: „Du hast doch gesehen, wie dein Gott dich getragen hat, wie ein Vater sein Kind trägt auf dem ganzen Weg, den ihr gewandert seid.“
Darum ist es an uns Christinnen und Christen von der Hoffnung erzählen, auf die wir bauen und die nach dem Ende des Kirchenjahres aufscheint.
Unsere Wirklichkeit in dieser Welt ändert sich mit der Geburt Jesu - das ist keine Geschichte, die den Verdacht nähren kann, nur denen Glück und Freude, Zuversicht zu bescheren, die ohnehin privilegiert und insgesamt weniger von Angst und Not betroffen sind. Es ist vielmehr eine, die die Verhältnisse umkehrt - nicht, weil alles zusammenbricht oder durchgeknallte Tyrannen und ewig Gestrige die bekannte Welt an die Wand fahren, sondern weil Gott tut, was er uns rät und noch immer über diesem Jahr steht:
„Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.“ Auch das ist kein Luxus - sondern eine Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen sich gesehen und ernstgenommen fühlen, dass sie Vertrauen fassen.
Das werden wir brauchen.
Und zuletzt: dieser Tag ist einer mitten in der Friedensdekade. Zehn Tage beten Menschen an vielen vielen Orten um Frieden, verbinden sich unter dem Motte: „Vom Frieden erzählen.“
Lasst uns auch das tun. Und zwar so, dass Freude und Hoffnung anstecken,

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Montag bis Samstag – 14.00 Uhr
durch Mitglieder der DomführerGilde
In der Zeit von Anfang Januar bis Mitte März finden keine öffentlichen Führungen statt!