Das Wort zum Alltag

Seit dem 1. Dezember 1968 gibt es von Montag bis Freitag um 17.00 Uhr und Samstag um 12.00 Uhr eine kurze Andacht mit Gebet, die von Orgelmusik gerahmt wird.
Wir möchten Menschen damit ermöglichen für ihre eigene Praxis pietatis eine regelmäßige Form zu finden. Zugleich birgt das Format die Möglichkeit auf die jeweils aktuellen Ereignisse in unserer Stadt und unserer Welt zu reagieren.

Während des Advents und der Friedensdekade hat das Wort zum Alltag einen besonderen Akzent. Das Wort zum Alltag wird in der Regel von der Dompredigerin, sowie von anderen Braunschweiger Pfarrerinnen und Pfarrern und Prädikanten gehalten. Die umrahmende Orgelmusik übernehmen die Kantoren des Braunschweiger Doms.

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Worte zum Alltag

  Sprache

Sprache

Heiko Frubrich, Prädikant - 26.07.2024

Eines der wichtigsten Instrumente, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen, ist die Sprache. Sie ist Grundlage unserer Kommunikation und wir erkennen ihre Wichtigkeit vielfach erst dann, wenn sie nicht mehr funktioniert. Wer schon einmal im Ausland war, die dortige Landessprache nicht beherrschte und auch mit Englisch nicht weiterkam, wird das bestätigen können.
Wäre es nicht großartig, wenn alle Menschen auf der ganzen Welt dieselbe Sprache sprächen? Das dachte sich wohl auch der polnische Augenarzt Ludwig Samenhof, als er 1887 mit der Veröffentlichung des Buches „Unua Libro“ die Plansprache Esperanto aus der Taufe hob. Seine Idee war, eine einfache Sprache zu etablieren, die von allen leicht zu lernen ist und die weltweit gesprochen und verstanden wird. Heute, am 26. Juli, dem Veröffentlichungsdatum seines Buches, ist Welt-Esperanto-Tag.
Sprache ist wichtig, um sich zu verstehen. Doch verstehen ist mehr, als zu wissen, was einzelne Wörter bedeuten. Eine befreundete ukrainische Familie schickte mir vor einigen Zeit ein Schreiben, das sie von ihrem zuständigen Jobcenter erhalten hatte. Das Schreiben war augenscheinlich in deutscher Sprache verfasst. Doch auch ich als deutscher Muttersprachler musste es mehrfach lesen, um zu verstehen, was der Absender wollte.
Auch die Bibel befasst sich an vielen Stellen mit der Bedeutung von Sprache. Eine der bekanntesten Berichte rankt sich um den Turmbau zu Babel. Menschen versuchen in ihrem Größenwahn einen Turm bis in den Himmel zu bauen, um, wie sie sagen, sich einen Namen zu machen. Doch Gott durchkreuzt ihre anmaßenden Pläne, in dem er ihre Sprache verwirrt. Und ohne eine funktionierende Verständigung war ihr Vorhaben zum Scheitern verurteilt.
Darin liegt eine wichtige Erkenntnis: Ohne eine funktionierende Verständigung kriegen wir nichts auf die Reihe. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Wir werden nur dann stabile Friedensordnungen in Europa uns im Nahen Osten erzielen, wenn Menschen miteinander sprechen und sich verstehen. Wir werden nur dann die weltweiten Bedrohungen durch den Klimawandel begrenzen können, wenn Menschen miteinander reden und sich verstehen. Wir werden nur dann eine weitere Spaltung unserer Gesellschaft verhindern, wenn Menschen miteinander reden und sich verstehen.
Esperanto scheidet dabei als gemeinsame Sprache eher aus, denn es hat sich nicht durchgesetzt. Doch es gibt gute Alternativen, mit denen Verständigung möglich ist. Entscheidend ist der Wille zum offenen und fairen Diskurs. Und wenn der Herr seinen Segen dazugibt, kann das ganz sicher nicht schaden. Amen.

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  Die Knoten in Gottes Taschentuch

Die Knoten in Gottes Taschentuch

Heiko Frubrich, Prädikant - 25.07.2024

„Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ Von Goethe stammen diese Worte und er legt sie im Faust dem Mephisto in den Mund. Und obwohl der der Böse in Goethes Tragödie ist, hat er mit dieser Aussage ja durchaus recht. Vieles lässt sich glücklicherweise mündlich vereinbaren. „Wenn Du zum Bäcker fährst, bringe mir doch bitte drei Brötchen mit. Das Geld gebe ich Dir nachher.“ So kann es gehen im täglichen Miteinander. Doch bei Wichtigerem brauchts dann doch Verträge, in denen alles Wesentliche aufgeschrieben und die dann von den Vertragsparteien auch unterschrieben werden. Denn, was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.
Solche Verträge können Zank und Streit verhindern. Denn sie dokumentieren zum einem unsere Rechte, zum anderen regeln sie aber auch, wozu wir uns verpflichtet haben. Und im Falle von Unsicherheiten, liest man eben einfach mal nach. Über dem heutigen Tag heißt es aus dem ersten Buch Mose: „Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.“ Und Gott fügt dann hinzu: „Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe.“
Das hat Gott gesagt und Mose hat es aufgeschrieben und damit ist es auch so eine Art Vertrag. Bemerkenswert finde ich, dass wir hier Zeuge werden, wie Gott sich sozusagen einen Knoten in sein Taschentuch macht, damit er nicht vergisst, zu was er sich verpflichtet hat. Immer dann, wenn er ein Unwetter über die Erde schickt, soll ihn der Regenbogen daran erinnern, dass er versprochen hat, sich zu mäßigen.
Ist es nicht erstaunlich, dass Gott solche Erinnerungen, ja solche Eselsbrücken braucht? Es gibt viele Stellen in der Bibel, die davon berichten, wie Menschen Gott an seine Versprechen erinnern. Sehr prominent ist der 25. Psalm, der auch dem Sonntag Reminiscere seinen gibt. „Erinnere dich, Herr, an deine Barmherzigkeit“, heißt es da. Oder denken wir daran, wie Abraham mit Gott über das Schicksal der Menschen aus Sodom und Gomorra verhandelt. Du, als Richter der Welt, willst doch gerecht sein, hält er ihm vor.
Ist das frech? Ja, vielleicht ist es das. Doch es kann uns auch ermutigen, mit Gott so zu reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist und dabei aus unserem Herzen keine Mördergrube zu machen. Gott nimmt uns so schnell nichts krumm, dessen bin ich mir sicher. Und wenn wir das Gefühl haben, er müsse sich jetzt bitteschön mal um uns kümmern, dann dürfen und sollen wir ihm das sagen. Und vielleicht macht er sich dann unseretwegen ja auch einen Knoten in sein Taschentuch – für alle Fälle. Amen.

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  Tag der Freude

Tag der Freude

Heiko Frubrich, Prädikant - 24.07.2024

Die Welt ist bunt und unser Leben ist es auch, doch manchmal treffen dabei Farben aufeinander, die auf den ersten Blick nicht besonders gut zueinander passen. Da ist auf der einen Seite das, was auf uns niederprasselt, wenn wir die Zeitung lesen oder uns über aktuelle Themen per Fernseher oder Internet informieren. Probleme über Probleme werden uns da präsentiert; Kriege, schwächelnde Wirtschaft, Spaltung der Gesellschaft, leere Kassen der öffentlichen Hand sind nur ein paar Themen, auf die man trifft.
Auf der anderen Seite weist mich mein Kalender darauf hin, dass heute der „Tag der Freude“ ist. Es bedarf schon eines ordentlichen Spagates, um diese beiden Seiten zusammenzubringen, oder? Über dem heutigen Tag heißt es aus dem 2. Korintherbrief: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis.“
Kann Trost eine Brücke sein, die von Sorgen, Trauer und Angst zur Freude führt? Ich denke schon. Denn wenn wir Trost erfahren, wird uns deutlich, dass wir nicht allein unterwegs sind und die Last, die wir zu tragen haben, teilen können. Doch zunächst einmal muss es uns gelingen, Trost zu erkennen und ihn anzunehmen. Das ist nicht immer leicht, denn mancher Schmerz und manche Trauer sind in uns so laut, dass sie alles andere übertönen.
Paulus schreibt, dass unser Gott der Gott allen Trostes ist. Ich verstehe Paulus so, dass er damit auf die Frohe Botschaft hinweist, die uns allen zugesagt ist und die tatsächlich größer ist, als alles Leid und aller Schmerz es jemals sein können. Jesu Einladung an uns alle, die wir mühselig und beladen sind, zu ihm zu kommen und uns von ihm erquicken zu lassen, gilt für alle Lebenslagen, und sie hat die Kraft, uns immer wieder aufzurichten.
Damit sind die Ursachen unserer Trauer und unseres Leidens zwar nicht vom Tisch, doch die Gewissheit, dass ich von Gott begleitet und hindurchgetragen werde, kann Hoffnung und Freude in mir wachwerden lassen.
Und sie kann mir die Kraft geben, alles, was ich nicht ändern kann, zu akzeptieren, so wie es ist, ohne daran zu verzweifeln. Wenn es mir mit Gottes Hilfe gelingt, mit dieser Welt, mit meinem Leben und mit mir selbst meinen Frieden zu machen, dann schafft das Raum für Hoffnung und Freude.
Ja, ich weiß, das klingt alles sehr nach einem frommen „Friede-Freude-Eierkuchen“. Doch ich bin mir sicher, dass wir tatsächlich darauf vertrauen dürfen, dass Gott für uns da ist, wenn wir ihn brauchen – am Tag der Freude genauso wie an allen Tagen, die noch kommen. Amen.

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  Anarchie?

Anarchie?

Heiko Frubrich, Prädikant - 23.07.2024

In Schleswig-Holstein ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass in jedem Taxi ein geeichter und beleuchteter Taxameter vorhanden sein muss, um die Fahrzeit, die Entfernung und den Preis der Fahrt exakt zu berechnen. In der Kreisverwaltung Pinneberg begann nun Ende vergangenen Jahres ein Mitarbeiter, die Eichnachweise für die im Landkreis zugelassenen Taxis zu überprüfen und stellte fest, dass es für die drei Helgoländer Taxis keine Nachweise gab.
Das war auch nur konsequent, denn die Helgoländer Taxis fahren auf der Insel, die ansonsten autofrei ist, mit einer Sondergenehmigung und die befreit ebenfalls von der Taxameterpflicht. Auch das macht Sinn, denn es gibt auf der Insel Pauschalpreise pro Fahrt, da die größte mit einem Taxi überhaupt fahrbare Strecke noch nicht einmal zwei Kilometer lang ist.
Diese Sondergenehmigung wollte nun der Landkreis Pinneberg, der sie selbst ausgestellt hatte, wieder kassieren, weil sie mit anderen geltenden Vorschriften nicht vereinbar sei. Dem Taxiunternehmer wurde nahegelegt, seine drei Fahrzeuge mit einem Frachter zum Festland zu schippern, um dort die Taxameter einbauen und eichen zu lassen. Diese Schiffsreise, die ungefähr 10.000 Euro kosten würde, müsste dann einmal jährlich zum jeweiligen Eichtermin durchgeführt werden, da es nur auf dem Festland ein Eichamt mit einem Prüfstand für Taxameter gibt.
Über dem heutigen Tag heißt es auf dem Matthäusevangelium: Jesus Christus spricht: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen.“ War Jesus also auch so ein verkappter Paragraphenreiter? Nein, das war er nicht. Denn anschließend erklärt er, was es für ihn bedeutet, das Gesetz und die Propheten zu befolgen. Dabei lässt sich seine Sicht der Dinge folgendermaßen zusammenfassen: Wir sollen kein Gesetz und keine Regel nur um ihrer selbst befolgen. Wir sollen sie vielmehr verstehen und leben durch den Filter der Barmherzigkeit und der Liebe.
Jesus heilt am Sabbat, weil ein Mensch krank ist und Hilfe braucht. Jesus erlaubt seinen Jünger am Sabbat Getreide zu sammeln, weil sie hungrig sind. Und er rechtfertigt all das mit dem Satz: Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat.
Der Mensch soll im Mittepunkt stehen, der Mensch und seine Bedürfnisse. Und wenn es vermeintliche Konflikte zwischen einem Regelwerk und dem Wohl eines Mitmenschen gibt, dann sollen wir prüfen, wie er zu lösen ist und nicht stur auf die Paragraphen schauen. Der Buchstabe tötet, schreibt Paulus, aber der Geist macht lebendig.
Der Landkreis Pinneberg hat mittlerweile übrigens eingelenkt und eingesehen, dass es in Ordnung ist, für eine Taxifahrt auf Helgoland pauschal 10 Euro zu bezahlen. Das ist gut für die Fahrgäste und für den Taxiunternehmer auch. Leben und leben lassen – steht zwar nicht in der Bibel, macht aber dennoch Sinn, wie ich finde. Amen.

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  Maria Magdalena

Maria Magdalena

Heiko Frubrich, Prädikant - 22.07.2024

Sie war ziemlich vermögend, denn sie sorgte mit einigen anderen zusammen für den Unterhalt Jesu und der Jünger. Sie war engagiert und emanzipiert, denn es ist ihr gelungen, sich in der patriarchal aufgebauten Gesellschaft zu Jesu Zeiten zu behaupten. Sie hat deutliche Spuren hinterlassen, denn sie hat es als Frau geschafft, in den Berichten der Evangelisten einen prominenten Platz zu bekommen. Sie war auf gut Neudeutsch eine Power-Frau, denn sie gehörte zu den wenigen Menschen, die Jesus in Bedrängnis, Erniedrigung und Tod nicht alleingelassen haben. Und Gott wollte mir ihr Zeichen setzen, denn ihr ist Jesus zuallererst erschienen um ihr den Auftrag zu geben, die Botschaft von seiner Auferstehung weiterzugeben.
Die Rede ist von Maria von Magdala, besser bekannt als Maria Magdalena. Die Bibel berichtet, dass Jesus sie geheilt hatte, in dem er ihr sieben böse Geister austrieb. Seitdem gehörte sie zu Jesu Gefolgschaft, als Mäzenin aber auch als engagierte und überzeugte Vertreterin seiner Lehren. Und heute ist ihr Gedenktag.
Dieser Gedenktag liegt in einer Woche, über des es heißt: „Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“ Paulus fordert uns hier auf, uns in einer Welt, in der es so viele Grautöne und Schattenseiten gibt, am Licht zu orientieren, an jenem Licht, das in Jesus Christus zu uns gekommen ist.
Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit werden uns zugesagt – für diese Welt im Großen, doch auch für unser eigenes Leben ganz individuell. Im Licht erkennen wir unsere Stärken und Schwächen, unsere Ecken und Kanten unsere hellen und dunklen Seiten. Und Paulus schreibt: Wenn Ihr zu dem steht, was einfach mal zu euch gehört und was euch ausmacht, dann seid ihr schon auf dem richtigen Weg.
Auch Maria Magdalena hat den biblischen Berichten zufolge ihre Lebensbaustellen mit sich herumgetragen, so wie jeder andere Mensch und so wir sie und ihr und ich auch. Und obwohl sie das Pauluswort noch gar nicht kennen konnte, hat sie sich, so, wie sie war, an Christus orientiert und ihr Leben fortan als Kind des Lichtes in Jesu Nachfolge geführt.
Dieser Weg ist kein Weg gepflastert mit endlosen Pflichten und Verpflichtungen. Es ist vielmehr ein Weg, der herausführt aus Frust und Angst und Resignation. „Wach auf, der du schläfst und steh auf von den Toten, denn Christus wird dich erleuchten“, schreibt Paulus weiter. Das ist es, was auf diesem Weg auf Maria Magdalena gewartet hat.
Und das Großartige ist: Wir können uns an dieser starken Frau ein Beispiel nehmen und ebenfalls wandeln als Kinder des Lichts. Zu verlieren haben wir nichts, zu gewinnen eine ganze Menge! Amen.

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  „Ich will euch durch Erinnerung wachhalten.“

„Ich will euch durch Erinnerung wachhalten.“

Cornelia Götz, Dompredigerin - 20.07.2024

Im ersten Petrusbrief heißt es:
„Ich will euch durch Erinnerung wachhalten.“
Heute ist ein Tag, an dem wir uns darin üben können: am 20. Juli – 80 Jahre nach dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler.
80 Jahre. Ein ganzes Menschenleben lang ist es her, dass Männer und Frauen, die dem deutschen Widerstand angehörten, keinen anderen Weg mehr sahen, damit die Naziherrschaft ans Ende kommt, als diesen.
Es war nicht der einzige Versuch.
Es waren nicht nur die Attentäter des 20. Juli 1944, die ihre Entscheidung, sich einem menschenverachtenden System zu widersetzen, mit ihrem Leben bezahlten.
Auch heute sterben Menschen im Widerstand, verschwinden in Gefängnissen und Folterkellern, werden vergessen.
Dieser 20. Juli ist ein Tag, der daran erinnert, dass man etwas tun kann, dass Wachsamkeit und Widerständigkeit immer wieder nötig sind, dass Humanität gefährdet bleibt.
Dieser 20. Juli ist ein Tag, der heute bewusst macht, dass auch ein Rechtsstaat keine Versicherung gegen neues Unrecht ist.
Jüdische Weisheit wusste: Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung – nicht das Vergessen.
Dietrich Bonhoeffer, auch er ein Opfer der Diktatur, erlebte den 20. Juli im Gefängnis. Er hatte einige Monate zuvor geschrieben: „Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen. Nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen.“
Am Tag nach dem Attentat tat die Evangelische Kirche das Gegenteil und erklärte: „.. eine Handvoll vom Ehrgeiz getriebene Offiziere hat das furchtbarste Verbrechen gewagt und einen Mordanschlag auf den Führer begangen. Der Führer wurde gerettet und dadurch unsagbares Unheil von unserem Volk ferngehalten. Dafür sind wir Gott von Herzen dankbar.“
Auch das ein Aspekt, der zu diesem Tag gehört.

„Ich will euch durch Erinnerung wachhalten.“
Wachbleiben sollen wir und uns erinnern, dass uns gesagt ist, was gut ist und orientieren an denen, die versucht haben, danach zu leben.

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  E- Elia

E- Elia

Cornelia Götz, Dompredigerin - 19.07.2024

E – Elia
In der Verklärungsgeschichte des Neuen Testamentes bittet Petrus, drei Hütten bauen zu dürfen: eine für Mose, eine für Jesus, eine für Elia.
Die ersten beiden kennt man. Aber Elia?
Sein Name verbindet sich mit seinem Auftrag, denn er hieß „Mein Gott ist JHWH“. Dieses Bekenntnis zu einem einzigen Gott war in einer Welt, in der es von Göttern nur so wimmelte und sich auch Herrscher wie eine Gottheit verehren ließen, durchaus heikel und wird sich in sein Leben einschreiben.
Die Eliageschichte im ersten Buch der Könige beginnt als während der Regentschaft König Ahabs eine schreckliche Dürre herrschte. Wir befinden uns im 9. Jahrhundert vor Christus.
Der Prophet wird eingeführt als ein Unbekannter, aus Tischbe, jenseits des Jordans, stammend, der bei Ahab vorspricht und ihm mitteilt, dass Gott es so lange nicht regnen lassen würde, bis er Ahab eigesehen hätte, dass nur ein Gott ist – der des Elia: Ahab mag also seinen Baal anrufen und ihm opfern, er mag ihm loyal sein, bis sein letztes Pferd verdurstet ist, es wird nicht regnen – solange Elias Gott das nicht will.
So beginnt etwas, das wie ein Machtkampf zwischen dem Gott Israels und dem Baal, dem Gott Ahabs, aussieht aber tatsächlich einer zwischen Elia und Ahab ist, denn da ist kein wirkmächtiger Baal.
Ahab ringt zäh, bleibt stur, bis das ganze Land so gut wie verdurstet ist.
Elia wartet ab, gut versteckt an einem Bach, einer der letzten Stellen, die noch nicht ausgetrocknet sind – ein uraltes Motiv im heißen Wüstenland: die unter Gottes Schutz stehen, werden nicht dürsten. Und Elia wird auch nicht verhungern. Raben bringen ihm Fleisch und Brot und halten ihm am Leben. Elia wird später einer Witwe, die ihn beherbergt obwohl sie kurz vorm Verhungern ist, Mehl und Öl hinterlassen; beides wird nicht zuende gehen.
Elia ist offensichtlich eine der Figuren des Alten Testamentes, die mit Gottes Vollmacht handeln. So weckt er den Sohn der Witwe wieder von den Toten auf nachdem er gestorben ist.
Später schlägt er eine riesige Schlacht auf dem Berg Karmel gegen Ahab und die Priester seines Kultes. Es handelt sich um eine gewaltvolles Kräftemessen, um einen Gottesbeweis: Welcher Gott ist wirklich und wird auf das dargebrachte Opfer Feuer regnen lassen?
Feuer wohlgemerkt – es ist ja eine Geschichte in eine Zeit qualvoller Dürre.
Es ist eine riskante Wette aber Elia, dessen Name auf Gottes Macht verweist, wird gewinnen.
Zuletzt wird es wird regnen, weil Gott es will.
Und Elia wird nicht sterben, sondern auf einem feurigen Wagen in den Himmel fahren.
Elias Geschichte ist wuchtig und schmerzhaft.
Sie führt den Gottesmann an Grenzen. Und Gott, den er doch sucht, vor dem er flieht, der ihm zu viel wird, der begegnet ihm nicht als Feuer oder Sturm sondern wie Martin Buber übersetzte – als „Stimme verschwebenden Schweigens.“

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  Resignationsversuchung

Resignationsversuchung

Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.07.2024

Karl-Josef Kuschel, von 1995 – 2013, Professor für Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen, schreibt in einem Zeitungsartikel von „Resignationsversuchung“. Das ist ein tolles Wort für unsere Zeit und erinnert mich daran, dass ich es schade finde, dass wir die Diskussion um die Vater-unser–Übersetzung, die Papst Franziskus angeschoben hatte, nicht geführt haben.
Dem Papst war daran gelegen, die Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung“ soweit neu zu formulieren, dass der Gedanke, Gott würde uns in Versuchung führen, keine Nahrung mehr hat. Sachlich richtig wäre, so Franziskus, Gott zu bitten uns durch Versuchung hindurch zu führen – oder eben gar nicht erst hineingeraten zu lassen.
Das ist wichtig, wenn es um Mut und Zuversicht in dieser Zeit geht.
Die Versuchung, sich der Finsternis und Ohnmacht, zu überlassen, ist riesig. Gestern habe ich ein Graphicnovel im Nachgang der Aktion „Beim Namen nennen“ gelesen: „Das Schimmern der See“. Es ist ein Bericht von Seenotrettern, der einem mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Brüssel das Gefühl pelziger Bitterkeit im Munde gibt.
Das kann man schon Lust kriegen zu resignieren – also sich zu ergeben und zu kapitulieren: denn „Resignation“ von re-signare hießt ja nur: das Feldzeichen senken. Aufgeben und dem Versucher das Feld überlassen. Wer leistet sich schon noch Menschlichkeit? So denkend weiß ich also, was „Resignationsversuchung“ ist und auch was, Franziskus meint, wenn wir beten sollen: führe uns da hindurch.
Denn Gott tut das und lässt uns wissen, wie es über diesem Tag aus dem ersten Petrusbrief heißt: Macht nicht die Finsternis groß, sondern „all eure Sorge werft auf ihn“.
Und Karl Josef Kuschel fügt noch hinzu, dass man ein paar Gedichte braucht, denen man ruhig kanonische Bedeutung geben kann. Zum Beispiel Bertolt Brechts Lied von der Moldau:
„Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehen sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.
Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.“
Und diesen neuen Tag macht unser Gott. Irgendwann wird er uns von dem Bösen erlösen.

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  Gemeinsame Sicherheit

Gemeinsame Sicherheit

Cornelia Götz, Dompredigerin - 17.07.2024

In einem Kinderkirchenlied heißt es: „Tragt in die Welt nun ein Licht – sagt allen, fürchtet euch nicht“.
„Nun“ sollen wir das machen. Heute. Jetzt.
Mir fiel das Lied ein, als mich beim Sichten der Braunschweiger Zeitung heute Morgen Schlagzeilen ansprangen wie die: „Orban warnt EU vor brutalem Krieg“ oder „Wie wahrscheinlich sind US-Raketen in Niedersachsen?“
Ich hatte eine Zeitlang geglaubt, dass Mittelstreckenraketen und Aufrüstung, steigende Militärausgaben, Angst vor Atomwaffen zu meiner Jugend gehören würden. Damals begann meine Politisierung mit Büchern wie Dorothee Sölles „Aufrüstung tötet auch ohne Krieg.“
„Tragt in die Welt nun ein Licht – sagt allen, fürchtet euch nicht“.
Was für ein schwerer Auftrag! Einerseits.
Und andererseits: Was für ein klarer Auftrag!
So habe ich noch einmal nachgeschaut. Was haben Christen damals, in der Hochzeit des Kalten Krieges für sich an Klarheit gefunden?
Joachim Garstecki, von 1971 bis 1990 Referent für Friedensfragen beim Bund der Evangelischen Kirche in der DDR, erinnerte vor 15 Jahren - als hätte er es geahnt, wie dringend Friedensethik wieder werden würde - an das Jahr1982. Damals beschloss die Synode des DDR-Kirchenbundes erstmals eine "Absage an Geist und Logik der Abschreckung", die unverkennbar bekenntnishafte Bedeutung für Kirchen und Christen hatte.
Eine Absage kann man nicht relativieren. Sie ist ein „Nein“ und bringt die Frage, welche alternativen Sicherheitsideen und -konzepte Christen denn dann befürworten sollen, mit sich.
„Tragt in die Welt nun ein Licht – sagt allen, fürchtet euch nicht“.
Eine Antwort liegt in dem Konzept "Gemeinsame Sicherheit" aus dem sogenannten "Palme-Bericht" einer internationalen unabhängigen Kommission, die Anfang der 80er Jahre eingesetzt wurde. Der Report trägt den Namen des 1986 ermordeten, schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme.
Gemeinsame Sicherheit bedeutet danach, dass an die Stelle des Wettlaufs um einen einseitigen Sicherheitsvorsprung ein Konzept tritt, das die Sicherheit des Gegners im eigenen Handeln mit bedenkt und dadurch beide sicherer macht: Sicherheit als Summe gemeinsamer Anstrengungen.
In der DDR wurde dieses Konzept der Gemeinsamen Sicherheit totgeschwiegen. Die evangelischen Kirchen waren die einzigen, die es mit ihren friedenstheologischen Überlegungen in Beziehung setzten und öffentlich befürworteten.
Ich finde, es ist immer noch ein wichtiger Ansatz. Zeit, ihn einzubringen. Vielleicht gibt er Licht bei der Suche nach Wegen zu Frieden, wenn wir versuchen, dem Frieden nachzujagen.

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  Freiheit

Freiheit

Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.07.2024

In der biblischen Exodusgeschichte wird erzählt, wie Gott Mose den Auftrag erteilte sein Volk aus dem Elend zu erretten und in ein Land zu führen, in dem Milch und Honig fließt. Aus der Knechtschaft in die Freiheit.
Von diesem Kopfbild zehrten sie. Das ließ sie aushalten, dass der Pharao verstockt war und Gottes Plagen über Ägypten kamen: verseuchtes Trinkwasser, Ungeziefer und Krankheiten und wachsender Druck des Herrschers bis er endlich aufgab und das Volk ziehen ließ. So sind sie unterwegs durch die Wüste und Gott geht mit – als Feuersäule bei Nacht und als Wolkensäule bei Tag.
Wir gehen diesen Weg auch – in der Hoffnung auf eine gerechtere friedliche solidarische Gesellschaft, die kommenden Generationen eine Welt hinterlässt, in der sie leben kann.
Es ist der Weg in die Freiheit und der ist schwer, denn was Freiheit wirklich ist, weiß man nur genau, wenn man sie nicht hat. Herta Müller sagte am 4. Juni, an dem vor 35 Jahren auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking tausende Menschen ihr Leben verloren weil sie für Freiheit und Demokratie demonstrierten, im Berliner Ensemble:
„Das meiste was ich über Freiheit und Würde gelernt habe, habe ich aus den Mechanismen der Unterdrückung gelernt. … Aus der Distanz von heute glaube ich, dass sie als Abwesenheit vorhanden ist, sie weiß, … dass sie dort, wo sie beginnt, aufhört. Das Ende frisst den Anfang vom ersten Moment an. Da sie jedoch immer, wenn auch nur als Gegenteil von sich selbst vorhanden bleibt, ist sie im Kopf mehr als bloße Projektion. Sie ist kein stummes Kopfbild, sondern ein furchtbar genaues Gefühl.“
Wir haben dies Gefühl womöglich verloren.
Aber wir haben viel Freiheit – wissen wir das?
Können wir sie hüten oder werden wir doch eingeholt, von dem was hinter uns herjagt? In der alten Geschichte sind es die schwer bewaffneten Ägypter.
Heute sind es nationalistische rechtsradikale Parteien, rassistische Ressentiments, Wohlstandsversprechen, egozentrierte Lebensvorstellungen und nun auch noch ein Donald Trump, der sein ikonisches Bild gefunden hat – ein Opfer mit gereckter Faust. Wo soll das hinführen?
Die Menschen schreien zu Gott in ihrer Angst und der lässt Mose ausrichten: „Sag meinen Kindern, dass sie weiterziehn“.
Weiterziehen??? Wohin denn nur?
Hinein in ein Wunder. Denn mitten in der Wüste erscheint ein Meer.
Es teilt sich. Ein Weg wird sichtbar. Gangbar für die, die mit Gott gehen.
Last uns weiterziehen und ihm vertrauen!!!

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  Brunnen-Träumerei

Brunnen-Träumerei

Heiko Frubrich, Prädikant - 13.07.2024

Andante con moto – gehend, mit Bewegung, dieses Tempo steht über Percy Eastman Fletchers „Brunnen-Träumerei“. Und diese Bewegung werden wir gleich hören und sie ist auch im Notenbild sichtbar, selbst, wenn man keine Noten lesen kann. 36 Sechzehntel pro Takt sind es, die wie kleine Wellen aussehen und auch so klingen. Das ist keine große Wasserfontäne wie am Brunnen vor unserem Schloss, das ist eher der Klang des Eulenspiegelbrunnens am Bäckerklint, an dem die Eulen und Meerkatzen Wasser in das große Becken speien.
Es ist ein sanftes Kontinuum, das einfach da ist, das Leben drum herum untermalt und begleitet. Ein Bild für unseren Glauben? Vielleicht. Auch er ist da und untermalt und begleitet unser Leben. Und wie in Fletchers Musik ist er mal präsenter und manchmal mehr im Hintergrund. Und dann gibt es auch Phasen, in denen Glaube nicht mehr hörbar, fühlbar und erlebbar ist – weil unsere Antennen neu ausgerichtet sind und anderes in unserem Leben dominiert oder weil Zweifel ihn zugeschüttet haben.
Unser Glaube wird uns geschenkt. Dennoch braucht Glaube Pflege. Denn genauso wie ein Geschenk, dass wir zu Hause achtlos ins Regal oder den Keller stellen, kann er verstauben und in Vergessenheit geraten. Gerade, wenn sich unser Leben auf der Sonnenseite dieser Welt abspielt, kann das schnell passieren. Denn Glück, Freude und Erfolg suggerieren uns, dass es ausreicht, wenn wir uns auf uns selbst verlassen. Läuft doch! Auch ohne Gott.
Doch irgendwann wird jeder Lebensweg auch wieder beschwerlicher, ziehen dunkle Wolken auf und verliert vermeintlich Wichtiges seinen Glanz. Dann ist es gut, wenn wir die Grundmelodie unseres Lebens hören können, wenn unser Gottvertrauen da ist, wenn wir für uns selbst Gewissheit darüber haben, dass da etwas ist, was uns trägt und hält über alles Zeitliche hinaus, so, wie ein Brunnen, der ewig Wasser spendet.
Bei Jesaja heißt es: „Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Brunnen des Heils.“ Es ist ein Vers aus dem Danklied der Erlösten. Und wir alle gehören dazu, zu diesen Erlösten. Auch wir dürfen mit Freuden Wasser schöpfen aus diesen Brunnen. Wasser, das uns in schweren Zeiten zu leben hilft, Wasser, dass uns in guten Zeiten mit Dankbarkeit erfüllt, Wasser, das uns die Gewissheit gibt, dass da ein liebender Gott ist, der uns sieht.
Eine kleine Brunnen-Träumerei am Samstagmittag – in Jesu Namen. Amen.

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  D-Dina

D-Dina

Cornelia Götz, Dompredigerin - 11.07.2024

D – Dina
Das Alte Testament erzählt allermeist Geschichten von Vätern und Söhnen. Man muss schon genauer hinschauen, Leerstellen bewusst wahrnehmen, Erzählstränge im Auge behalten, um zwischen Kain und Abel, Abraham, Lot und Isaak, Jakob und Esau, Josef und seinen Brüdern auch die Spuren der Mütter und Töchter zu entdecken.
Eine von ihnen ist Dina. Ihr Name kommt im Hebräischen von einer Wortwurzel, die bedeutet: „Jemandem zu seinem Recht verhelfen“.
Ihr gelten nur wenige Verse.
Dinas Mutter Lea war die ältere Schwester von Rahel, dem schönen Mädchen, das Jakob am Brunnen sah und um das er sieben Jahre diente. Abe er bekam Rahel nicht, sondern Lea, die ältere schwer vermittelbare Schwester. Für Jakob und Rahel war das bitterer Betrug, der sie weitere sieben Jahre kostete. Für Lea war es eine tiefe Demütigung, die sie einsteckte und dem Jakob sechs Söhne gebar.
Dafür war sie gut. Und dann? Dann bekam sie Dina. Ein Mädchen.
Sollte die der alten Mutter zu ihren Rechten verhelfen oder würde sie selbst in Not geraten?
Zunächst spielt diese Tochter keine Rolle. Vielmehr wird erzählt, wie Jakob reich wurde und mit den Seinen wieder nach Hause zog, wie er am Jabbok kämpfte und seine Familie aufstellte, um Esau entgegenzutreten. Zuletzt im ganzen Zug gingen Rahel, Lea und ihre Kinder.
So zog Dina mit in die Heimat ihres Vaters.
So ging sie in die Fremde.
Und die Bibel erzählt: Dina ging aus dem Haus, um die Frauen kennenzulernen, die in der neuen Umgebung lebten. Sie ging hinaus, um ihresgleichen zu finden, Kontakt und Solidarität, Freundinnen – um irgendwie anzufangen.
Aber sie hat kein Recht auf ein eigenes Leben. Dina wird vergewaltigt und Teil eines Deals. Ihr Vergewaltiger soll sie zur Frau bekommen, soll wieder über sie herfallen und ihren Körper besitzen dürfen, wenn er und die Männer seiner Familie sich beschneiden lassen.
Es geht um Politik, um Landnahme und später um Rache.
Mit Dinas Namen verbindet sich nicht, dass ihr geholfen würde - kein Wort von ihrer Mutter. Jakob sorgt sich um sein Projekt und seinen Ruf.
Was zählt da schon ein Mädchen?
So wird Dina nie wieder erwähnt. Sie verschwindet. Totgeschwiegen und ungehört, geschändet und verletzt. Ein Frauenschicksal. Immer wieder.
Und doch: aufgehoben. Wir müssen nur hinsehen.

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  Heute auch...

Heute auch...

Cornelia Götz, Dompredigerin - 10.07.2024

Über diesem Mittwoch heißt es in den Herrnhuter Losungen bei dem Propheten Jesaja: „Auch künftig bin ich derselbe, und niemand ist da, der aus meiner Hand erretten kann.“ Losungswörter treffen einen unvermutet und kommen einer Frömmigkeit entgegen, die in dem Wort, das wir nicht selbst ausgesucht haben, vermutet und erhofft, was wir zu brauchen meinen:
• dann wenn eine Entscheidung oder Nachricht ansteht
• dann, wenn wir uns anderen anvertrauen und unser Leben in ihre Hände legen müssen
• dann, wenn Dinge geschehen, die wir nicht so ohne Weiteres deuten können - erst recht, wenn wir das Naheliegende nicht hören wollen.
So wird es auch heute sein.
Die einen werden das uralte Worte als tröstend und beschützend erfahren, dann wenn Gottes Hand sich um die schließt, die uns bedrängen. Und andere werden in demselben Vers Bedrohliches hören – hoffentlich schließt Gottes Hand sich um mich nicht zu fest.
Darum ist der Predigttext über dieser Woche so lebensnah, denn der Äthiopier, der Jesaja-lesend gefragt wird: „verstehst Du denn, was Du da liest“ ist auf dem kurzen Wegstück mit Philippus kein Gelehrter geworden – ein fröhlicher Getaufter aber schon.
Das dürfen wir auch sein. Fröhliche Getaufte und dabei immer wieder Anfänger*innen im Verstehen, solche die sich wagen, genau hinzuhören.
Und als solche lesen wir dann heute:
„Auch künftig bin ich derselbe, und niemand ist da, der aus meiner Hand erretten kann.“
Gott spricht das hinein in unsere Welt durch den, den er sich dazu ausgesucht hat: Jesaja seinen Propheten. Gott spricht das hinein eine Zeit, die vor ihm nur ein Wimperschlag lang ist.
Gott spricht das hinein in einen Moment,
• in dem Manöver in Nordamerika stattfinden - „gut sichtbar von der anderen Seite der Beringstraße“ wie man hörte,
• in dem Menschen unter der Hitze ächzen, keinen Zugang zu kühlenden Duschen und erfrischenden Schwimmbädern haben,
• in dem auf meinem Schreibtisch unter den Losungen ein Text liegt, geschrieben von Werner Krusche im Frühjahr 1989, vierzig Jahre nach dem Stuttgarter Schuldbekenntnis, hinter dem Eisernen Vorhang mitten im kalten Krieg. Er ist so aktuell wie ein Text nur sein kann. Krusche schreibt: In all dem leben wir, „weil man die Möglichkeit der Einbrüche des Reiches Gottes in das Reich der politischen Macht nicht einmal in Erwägung zieht, sondern sich das Handeln JC auch nur im Rahmen des Möglichen vorstellen kann.“
Dabei sagt Jesaja: Wir sind in Gottes Hand. Egal, ob wir das auf dem Schirm haben wollen, ob wir auf ihn hören wollen, ob wir ihm vertrauen wollen.
Es war damals so. Es ist jetzt so. Gott ist der derselbe.
Es fühlt sich nicht nach Frohsinn an.
Abe sehr nach Versöhnungsgebet.

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  Dunkel und freundlich

Dunkel und freundlich

Cornelia Götz, Dompredigerin - 09.07.2024

Ich war ein für eine kleine Weile in der Provence - ein Stückchen weitab - nicht inmitten der touristischen Hotspots. Wenn man dort auf den Markt geht und zwischendurch mal in eine der kleinen oft sehr alten Kirchen schaut, dann wundere ich mich immer ein bisschen über deren schmucklose Düsternis.
Es beschäftigt mich, wie das auf Menschen wirkt, denen unser Glaube fremd ist: dunkle Gebäude, in denen man erst nach einer Weile etwas erkennen kann und dann gemarterte Figuren sieht.
Das muss ungeheuer befremdlich und verwirrend sein…
Schwer vermittelbar, dass dieser Glaube tröstet, leben hilft, Verheißungen kennt, die von Fülle und Segen erzählen und am Ende alle Tränen abgewischt sein werden. Es schaut doch eher aus wie eine Höhle voller Schmerz und Leid.
Worte wie die des 27. Psalms: „Der HERR ist mein Licht und mein Heil, der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen? Eines aber bitte ich vom HERRN, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des HERRN bleiben könnte mein Leben lang“ fallen mir da nicht zuerst ein - auch wenn die uralten Wände sicher x-fach durchgebetet worden sind und die Stille und Dunkelheit nach dem gleißenden Licht draußen dann doch ihre Wirkung tun: „Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes.“
Ja, doch: Gegenorte sind das schon. Zufluchtsorte wohl auch.
Und wohltuend, dass allermeist die Machtinsignien, Wappen und Porträts reicher Kirchenfürsten fehlen.
Wieder zuhause habe ich einen Abendspaziergang gemacht und erstaunt festgestellt, dass die Klosterkirche in Riddagshausen offen ist. Eintreten erwünscht. Auch da war es nicht mehr allzu hell.
Aber in einem Seitenschiff leuchtete es.
Eine Stehlampe und ein Sessel. Ein kleiner Tisch und die Psalmen.
Mein warmherziger gastfreundlicher Kollege hat sich überlegt, wie es sein müsste, damit man beim Eintreten in eine Kirche nach Hause kommt.
Es ist ihm gelungen.
„Mein Herz hält dir vor mein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen.“
Wie leicht das sein kann. Schön singt es sich in den alten Raum.

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  Fürchte Dich nicht!

Fürchte Dich nicht!

Heiko Frubrich, Prädikant - 08.07.2024

Über dieser Woche heißt es aus dem Buch des Propheten Jesaja: „So spricht der HERR, der dich geschaffen hat: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ Dieses Bibelwort ist ein gern gewählter Tauf- oder Konfirmationsspruch. Gut nachvollziehbar, wie ich finde, denn es sagt in Form und Inhalt viel über unser Verhältnis zu Gott aus.
Erster Punkt: Gott spricht uns Menschen nicht als eine große Gruppe an, in der die oder der Einzelne in der Anonymität der großen Zahl verschwindet. Er sagt nicht: Ihr alle, die ihr dort auf der Erde lebt. Gottes Anrede ist persönlich. Ich habe Dich erlöst, sagt er und ich habe Dich, Karin, und Dich, Wolfgang, und Dich, Sabine, und Dich, Sven, bei Deinem Namen gerufen. Gott weiß, mit wem er redet.
Und auch nur so ist sein „Fürchte dich nicht“ ein echter Trost. Gott kennt unsere ganz persönlichen Sorgen und Nöte. Er weiß, was uns schmerzt, er weiß, was uns ängstigt, er weiß, was uns das Leben schwer macht. Und weil ihm all das bekannt ist, kann er sagen. Fürchte dich nicht. Wie oft verliert sich menschlicher Trost in leeren Worten, weil wir es zwar gut meinen, aber im Grunde gar nicht erfasst haben, was das Leid unseres Gegenübers ausmacht. Und dann sagen wir in bester Absicht. Ach, das wird schon wieder! Doch unsere Worte sind eher Hoffnung als Gewissheit.
Gott können wir vertrauen. Er hat uns erlöst, wie er selbst sagt. In seinem Sohn Jesus Christus ist für alle Welt sichtbar und greifbar geworden, was das bedeutet: Christus hat alles, was uns von Gott trennen könnte, mit sich ans Kreuz genommen und er hat die Macht des Todes besiegt. Wir sind erlöst von Sünde und Vergänglichkeit. Um wie viel leichter lässt sich in dieser Gewissheit ertragen, was uns sonst nur verzweifeln ließe?
„Du bist mein“, spricht Gott uns zu. Du gehörst zu mir. Du bist von mir und bei mir freundlich angesehen. Du bist mein, heißt nicht: Du bist mein Leibeigener, mein Sklave, rechtlos und meiner Willkür ausgeliefert. Du bist mein, bedeutet: Du gehörst zu mir. Uns beide kann nichts trennen und du kannst nicht mehr herausfallen aus meiner Obhut und aus meiner Liebe. Und wie groß die ist, habe ich dir in Jesus Christus vorgelebt. Und darum: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Amen.

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  Die Segenskiste

Die Segenskiste

Lisa Koch, Vikarin - 06.07.2024

Mit nervösen Händen drücke ich den Fahrstuhlknopf, das Herz klopft schneller. Jetzt geht es also los. In den nächsten zwei Wochen steht im Predigerseminar in Loccum das Seelsorgepraktikum im Krankenhaus auf dem Programm. Vormittags Gespräche am Krankenbett, nachmittags Erfahrungen austauschen im Seminarraum.
Ich mag Krankenhäuser nicht besonders. Als die Fahrstuhltüren im 5. Stock sich quälend langsam auseinanderschieben, muss ich all meinen Mut zusammennehmen. „Station 5, Geriatrie“ steht an der alten Glastür mit dem abgewetzten Griffbrett aus Holz. Altersheilkunde. Oberschenkelhalsbrüche, künstliche Hüften und Rollatoren erwarten mich. In meinem Rucksack klappert es leise bei jedem Schritt. Das ist die große fliederfarbene Tupperdose mit den kleinen Fächern. Meine Segenskiste für unterwegs. Darin eine kleine Sammlung aus gläsernen Muggelsteinen, kleinen Leuchtsternen, watteweichen Segenswölkchen und allerhand anderen schönen Dingen. Gesammelte Schätze zum Weitergeben, die an Gottes Segen erinnern. Daran, wie er sich anfühlt, wenn ich ihn am deutlichsten spüre oder am dringendsten brauche. Ich habe sie vor der Abreise nach Loccum noch schnell eingepackt, weil ich mich damit irgendwie sicherer fühle. Mit ein bisschen Segen im Gepäck. Vorbereitet auf das Unbekannte. Egal, ob die kleine Kiste zum Einsatz kommt oder nicht. Wahrscheinlich brauche ich sie gar nicht und das war mal wieder etwas übertrieben, denke ich noch, als ich tief einatme und den Türöffner herunterdrücke.
Und dann sitze ich schon an diesem Abend in der stillen Klosterkirche in Loccum und schreibe einen Funkelsegen auf ein gelbes Blatt Papier. Froh, dass ich meine Segenskiste eingepackt habe. Gleich das erste Gespräch hatte es in sich: Zitternde Hände und viele Tränen. Aus den Höhen und Tiefen eines Lebens, aus der verborgenen Kraft und dem „Das hast du schon geschafft“ entstehen leuchtende Segensworte. Die Erinnerung an ein tapfer funkelndes Versprechen: Ich glaube an dich und deine Kraft – und ich lasse dich strahlen unter meinem Segen. Ich bin da. Auch in deinen tränenreichen und schlaflosen Nächten, wenn es so unfassbar dunkel wird um dich herum.
Ich binde die Worte zu einer Rolle zusammen und klebe einen grünen Segens-Leuchtstern darauf. „Der sammelt das Licht des Tages und lädt sich sozusagen auf mit Segen“, sage ich als ich die Segensrolle am nächsten Tag überreiche. „Und wenn es dunkel wird, dann leuchtet er weiter, damit Sie sich daran erinnern, dass Sie so stark und mutig sind. Und niemals allein.“ „Danke! Den lege ich zu meinen ganz besonderen Schätzen“, sagt sie, bevor ich wieder gehe. In den nächsten Tagen finden noch ein paar mehr Segensworte, Leuchtsterne und Wattewolken ihren Weg auf die Nachttische der Station 5.
Aber meine kleine Segens-Schatzkiste wird nicht leerer. Im Gegenteil: Nach den Tagen im Krankenhaus habe ich das Gefühl, dass mir viel mehr geschenkt wurde als jemals in meine kleine Segenskiste passt. Ich durfte Lebensgeschichten hören, Freude teilen, Mut suchen und finden, gemeinsam kleine Schritte feiern. Beten und segnen. Danke sagen und Danke hören. Große und kleine Schätze, verpackt in Worte und Leben, in Lachen und Tränen. Die mein Herz berühren und die ich sicher geborgen weiß – nicht nur auf der Erde, auch im Himmel. Ich verlasse Station 5 wieder mit klopfendem Herzen, aber diesmal vor Freude und Dankbarkeit. Meine Mutstation.
Denn Gott sagt: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.“ Und ich bin mir sicher: Das gilt für alle. Egal ob im Krankenbett, auf dem Stuhl daneben oder im Stationszimmer.

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  Ich bin doch auch noch da!

Ich bin doch auch noch da!

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.07.2024

Wenn man in diesen Tagen durch unsere Stadt geht oder fährt, kommt man nahezu unvermeidbar an diversen Baustellen vorbei. Da werden Straßenbahnschienen erneuert, Wasserleitungen verlegt, Asphaltdecken repariert, und, und und. Zugegebenermaßen ist das mitunter ziemlich nervig, doch es gibt eine greifbare Perspektive darauf, dass es nach Abschluss der Bauarbeiten nicht nur wieder gut, sondern sogar besser sein wird als vorher.
Baustellen gibt es aber derzeit nicht nur in Braunschweig, sondern weltweit. Und bei vielen davon deutet sich nicht an, dass sie in Kürze zu einem guten Abschluss kommen werden – ganz im Gegenteil. Krieg, Hunger, autokratische, populistische und greise Staatenlenker, Klimawandel und vieles mehr sind beherrschende Baustellen-Themen unserer Tage, und, wie gesagt, nicht überall scheinen Fachleute am Werk zu sein, die mit der Problemlösung befasst sind.
Über dem heutigen Tag heißt es aus dem Matthäusevangelium: „Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.“ Von Jesus Christus höchstpersönlich stammen diese Worte, und sie ermuntern uns, trotz aller Lebensbaustellen unser Gottvertrauen nicht zu verlieren.
Es gibt eine kleine Geschichte, die Papst Johannes XXIII. zugeschrieben wird. Der soll einmal einen verzweifelten Bischof vor sich sitzen gehabt haben, der sich vollkommen überfordert fühlte und, um im Bilde zu bleiben, nicht mehr wusste, um welche Baustelle er sich zuerst und um welche zuletzt kümmern sollte. Papst Johannes soll ihm geantwortet haben. „Lieber Bruder, so habe ich mich auch schon gefühlt! Doch dann ist mir Gott im Traum erschienen, hat mir die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: Lieber Johannes, ich bin doch auch noch da!“
Und ja, wir Christinnen und Christen dürfen uns darauf verlassen, dass er tatsächlich auch noch da ist. Wenn wir angesichts dieser Welt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn wir angesichts unserer ganz persönlichen Sorgen, Ängste und Nöte nicht mehr ein noch aus wissen, haben wir unsere Glaubensgewissheit, die uns sagt: Ja, Gott ist auch noch da.
Kein Mensch ist in der Lage, alles alleine zu erledigen. Wir alle haben unsere Grenzen und wir alle machen Fehler. Das gehört zu unserem Mensch-Sein dazu. Und was für ein Segen ist es doch, dass Gott uns damit nicht alleinlässt. Ja, er ist auch noch da. Und er kennt auch dich und hat dich lieb.
Gott sei Dank! Amen.

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  Tue Gutes und rede darüber.

Tue Gutes und rede darüber.

Heiko Frubrich, Prädikant - 04.07.2024

„Tue Gutes und rede darüber.“ Dieser Ausspruch wird keinem Geringerem als Johann Wolfgang Goethe zugeschrieben. Noch heute ist er fester Bestandteil vieler Marketingstrategien in der Wirtschaft. Da sponsern Unternehmen die Renaturierung von Moorgebieten, unterstützen karitative Einrichtungen oder engagieren sich im Breitensport und: Sie reden darüber. Die Motivation ist zumindest zweischneidig und nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass wirtschaftliche Ziele an erster Stelle stehen und erst an zweiter das Herz für den örtlichen Kindergarten oder die Fauna und Flora der norddeutschen Tiefebene.
Über dem heutigen Tag heißt es aus dem Hebräerbrief: „Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen; denn solche Opfer gefallen Gott.“ Das überrascht jetzt nicht wirklich, dass es in Gottes Sinne ist, wenn wir Gutes tun. Doch wie ist es mit dem Darüber-Reden? Ist es in Ordnung, anderen zu erzählen, dass man Geld gespendet hat oder sich ehrenamtlich engagiert oder in der Nachbarschaft hilft? Oder verbietet das die Demut?
Jesus Christus ist an dieser Stelle sehr klar: Wenn du Almosen gibst, sollst du es nicht umherposaunen, lesen wir im Matthäusevangelium. Das, so Jesus weiter, tun die Heuchler in den Synagogen und auf der Straße nur, damit andere sie dafür bewundern. Wenn wir Gutes tun, soll es in aller Stille geschehen, so geheim sogar, dass unsere linke Hand nicht weiß, was die rechte tut.
Das ist unmissverständlich und damit ist „Tue Gutes und rede auch darüber“ definitiv vom Tisch. Doch darf ich mich dann wenigstens selbst gut fühlen, wenn ich geholfen haben, oder geht auch schon zu weit? Es ist durchaus eine Frage der Motivation, wie ich finde. Kann nicht aus dem Wunsch, anderen zu helfen, ganz schnell der Wunsch werden, sich in seiner eigenen Großzügigkeit zu sonnen? Muss ich nicht in Jesu Sinne Gutes tun, einfach, weil es dran ist?
Vielleicht mache ich es mir an dieser Stelle zu leicht, aber ich denke, dass ein gutes Gefühl beim Helfen erlaubt ist. Denn schließlich tue ich etwas, was Gott gefällig ist und wenn ich daran Freude habe und mir vielleicht innerlich auch ein wenig auf die Schulter klopfe: Warum denn nicht?
Gott will, dass es uns gutgeht. Und er weiß, dass Anerkennung für jede und jeden von uns wichtig ist. Und insofern: Lasst uns Gutes tun, Gott dafür danken, dass er uns auf diese wunderbare Idee gebracht hat und uns selbst darüber freuen, dass es in dieser Welt durch unser Zutun ein wenig heller geworden ist. In Jesu Namen. Amen.

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  Juka on Tour

Juka on Tour

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.07.2024

Heute kommt unsere Jugendkantorei von ihrer Konzertreise aus England zurück. Zehn Tage lang war „Juka on Tour“ und dank moderner Technik und dank Internet konnten auch wir Daheimgebliebenen immer mal wieder in die Konzerte hineinhören und schauen. Auftritte gab es reichlich und es galt, sich zum Beispiel in der Braunschweiger Partnerstadt Bath mit dem Chor der Abbey so abzustimmen, dass man unter dem wechselnden Dirigat von Domkantorin Elke Lindemann und dem dortigen Kantor Huw Williams gemeinsam einen Evensong feiern konnte. Und Kantor Robin Hlinka saß beinahe täglich an verschiedenen altehrwürdigen Spieltischen der verschiedenen und sehr individuellen Kathedralorgeln.
Vorgestern stand dann Coventry auf dem Reiseprogramm. Es gab Führungen durch die alte und die neue Kathedrale und natürlich viele Informationen zur Geschichte der Nagelkreuzbewegung, die in Coventry ihren Ursprung hat und der seit gut einem Jahr auch unser Dom angehört. Coventry und auch die dortige Kathedrale wurden von deutschen Bombern im 2. Weltkrieg nahezu dem Erdboden gleichgemacht. Gut 80 Jahre später singt unsere Juka dort „Da pacem, Domine, in diebus nostris“ – „Gib Frieden, Herr, in unseren Tagen“.
Das ist weit mehr als ein schöner Chorsatz, der das Konzert rahmt. Das ist eine Bitte, die wir an Gott richten, weil wir Menschen aus uns heraus zu vielem fähig sind, doch immer wieder daran scheitern, echten Frieden zu leben. Und wo kann das deutlicher werden, als in den Ruinen einer zerbombten Kirche, so wie in denen der alten Kathedrale in Coventry.
Und welch ein Segen ist es, in der Apsis dort das „Vater vergib“ lesen zu können. Dort steht nicht: Vater vergib ihnen, die für den Kriegsterror und die Zerstörung verantwortlich sind. Dort steht nur „Vater vergib“. Und es wurde aufgeschrieben vom damaligen Dean der Kathedrale, Richard Howard, der nicht Täter, sondern Opfer war.
Er hatte die Größe, vor Gott einzugestehen, dass alle Menschen auf Vergebung angewiesen sind. Er hatte die Demut, auch sich selbst davon nicht auszunehmen. Und er hatte die Weitsicht, dass wir auch untereinander nur so zu echtem Frieden kommen können.
Gedanken von Rache und Vergeltung, so naheliegend und so menschlich sie auch sein mögen, führen in erster Linie dazu, dass sich die Spirale von Gewalt und Gegengewalt immer schneller dreht. Ein Blick in die Tageszeitung reicht aus, um dafür genug Belege zu finden.
Die Reise unserer Juka war für die jungen Leute natürlich ein schöner Start in die Sommerferien. Doch es war uns ist immer wieder auch aktive Friedensarbeit. Möge sie Früchte tragen – Da pacem, Domine! Amen.

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  NEUER GEIST FÜR DIE WELT

NEUER GEIST FÜR DIE WELT

Henning Böger, Pfarrer - 02.07.2024

„Wir werden es bald immer mehr spüren“, schreibt die Umweltschutzorganisation World Wildlife Fund (WWF). „Und zwar in unseren Supermärkten. Lebensmittel werden immer größeren Schwankungen bei Preisen und bei Verfügbarkeit unterliegen.“ Der Grund dafür sei schlicht der Klimawandeln, so der WWF: Dürren und Überschwemmungen gefährden Anbaugebiete, Lücken in den Lieferketten machen Lebensmittel knapper und teurer.
Das ist keine Schwarzmalerei oder Übertreibung, sondern die Wirklichkeit.
Die Veränderung des Klimas ist da und wird immer spürbarer. Die letzten Meldungen über dramatischen Wassermangel kommen in diesem Sommer aus Spanien und von der Insel Capri. Am besten sei es, so der WWF, das alles in großer Ernsthaftigkeit zur Kenntnis zu nehmen und daraus unsere Schlüsse zu ziehen.
Ich frage mich: Welche Schlüsse ziehe ich? Vielleicht diese zwei vor allem: Klimaschutz ist niemals etwas für „die da Oben“ oder „die Anderen“. Er beginnt bei mir und der Frage, was ich beitragen kann zur Bewahrung der Schöpfung: Welche kleinen und größeren Ideen kann ich umsetzen in meinem Lebensstil? Die Summe der vielen kleinen Schritte wird beträchtlich sein!
Und dann muss, so mein zweiter Schluss, der Blick weg von mir hinein in die Welt, die mein Lebensraum ist, ja, aber immer und zuallererst Gottes Schöpfung. Diese Welt braucht neuen Geist. Und dieser Geist braucht Raum in uns. Die streitbare Theologin Dorothee Sölle hat dazu vor vielen Jahren folgende Gedanken aufgeschrieben:
„Noch ist nicht entschieden was wir sein werden / o gott der du alles geschaffen hast / wann wird es so weit sein / dass wir es sehr gut nennen wie du / wann werden wir sichtbar / wann wird die wahrheit scheinen / wann wird man an unsern gärten und feldern sehen / hier wohnen die sanften kinder der erde“.
Den Glauben und die Hoffnung auf Gott gibt es niemals ohne Gottes Geisteskraft.
Sie stört uns auf im „bleibt alles, wie es ist“, sie lässt uns zweifeln, ohne zu verzweifeln, und führt uns so auf neue Wege. Auch der Schritt zur größtmöglichen Achtung von Pflanzen, Tieren und Menschen beginnt mit der Einsicht, diesen Geist Gottes nötig zu haben, und dann mit der Bitte darum.
Hören wir noch einmal Dorothee Sölle: „Gott freundin der menschen freund der Erde / komm bald / maranatha beeil dich / mach uns sichtbar / als töchter und söhne / in deinem reich“.

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  Gegen den Strom

Gegen den Strom

Heiko Frubrich, Prädikant - 01.07.2024

Gestern fand in Frankreich die erste Runde der Wahlen zur Nationalversammlung statt und das Ergebnis ist, wie vorhergesagt, zum einen eine krachende Niederlage der Regierenden um Präsident Macron, zum anderen ein weiterer deutlicher Schritt eines europäischen Landes nach rechts außen. Sollte Le Pen am kommenden Sonntag gewinnen, hätte das weitreichende Folgen für Frankreich aber auch für das deutsch-französische Verhältnis und für ganz Europa.
Über dem Monat Juli steht ein Bibelwort aus dem 2. Buch Mose und es lautet: „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.“ Diese Botschaft ist bummelig 3.500 Jahre alt, hätte aber auch heute als Aufmacher auf den Titelseiten der Tageszeitungen stehen können, wie ich finde.
Doch völlig losgelöst von den Wahlen in Frankreich neigen wir Menschen dazu, lieber mit dem Strom zu schwimmen als gegen ihn. Das ist auch nachvollziehbar, denn es kostet deutlich weniger Kraft. Das Problem ist nur, dass dann nicht mehr wir selbst bestimmen, welche Richtung unsere Entscheidungen und unser Lebensweg insgesamt nehmen, sondern jene, die die Mehrheit sind oder auf gut Neudeutsch: der Mainstream.
Gestern haben wir in unseren Kirchen gehört, wie Gott zu Paulus sagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den schwachen mächtig. Aus dieser Zusage höre ich zweierlei:
Erstens: Vertrau auf Gott, auch wenn du meinst, dass dich dein Leben überfordert, weil Krankheit, Angst und Sorgen dir die Luft zum Atmen nehmen. Er ist für dich da. Und zweitens: Steck den Kopf nicht in den Sand, sondern trau dir was zu! Du kannst dich gegen den Strom stellen, du kannst protestieren, wo Menschenwürde und Menschenrechte missachtet werden. Ja, es kostet Mut und Kraft, jenen zu widersprechen, die Wertigkeiten zwischen Menschen konstruieren. Es kostet Mut und Kraft, daran zu erinnern, dass Gott alle Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat, alle und wirklich alle.
Es ist nicht zu leugnen, dass wir als Kirche immer weniger gehört werden, und zu einem guten Teil sind wir daran auch selbst schuld. Doch das ändert nichts am lebens- und friedensbejahenden Evangelium, das uns als Christinnen und Christen trägt und das gerade in unserer Zeit gar nicht laut genug verkündigt werden kann. Wir alle können Zeugen sein dieser frohen Botschaft. Und wenn wir uns dabei schwach und auf verlorenem Posten fühlen, dürfen wir uns an Gottes Zusage erinnern: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Amen.

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  Christopher Street Day

Christopher Street Day

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.06.2024

Haben Sie sich schon einmal über Menschen mit blau-grünen Augen mokiert? Und finden Sie es nicht auch unmöglich, dass viele mit dem Erreichen einer Körpergröße von 1,76 m einfach aufhören, zu wachsen? Oder was halten Sie davon, dass bei manchen nur drei Weisheitszähne wachsen. Das kann man doch nicht einfach so hinnehmen, oder?
Doch, kann man, denn erstens ist an den genannten Merkmalen nichts Merkwürdiges zu finden und zweitens, und das ist viel wichtiger: Sie gehören zu den Eigenschaften, die uns im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt werden, denn wir können sie nicht beeinflussen. Die Qual der Wahl hat Gott uns freundlicherweise abgenommen. Er hat für uns entschieden, welche Augen- und Haarfarbe und welche Körpergröße wir haben sollen, ob alle vier Weisheitszähne wachsen, wo und wann wir geboren werden, wer unsere Eltern sein sollten und noch vieles andere mehr.
Zu diesem vielen anderen mehr gehört auch, wen wir lieben, Frauen oder Männer. Das konnten und können wir uns nicht aussuchen, oder erinnern Sie sich daran, ob Sie gefragt wurden: „Wie hätten Sie’s denn gern?“ Doch trotz dieser nicht neuen Erkenntnis haben und hatten es gleichgeschlechtlich Liebende nicht leicht. Heute ist Christopher-Street-Day, der offizielle Gedenktag an den ersten bekanntgewordenen Aufstand von queeren Menschen gegen Polizeiwillkür. Er ereignete sich am 28. Juni 1969 in der Christoper Street in New York.
Seit diesem Ereignis finden jährlich und mittlerweile auf allen Kontinenten Aktionen um diesen Tag herum statt. Der Charakter wandelt sich und hängt stark von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. In Braunschweig ist der CSD, der hier Sommerlochfestival heißt, ein großes und buntes Fest mit politischen und kulturellen Veranstaltungen und mit ganz viel Party. In anderen Ländern mit repressiveren Systemen überwiegt der Protest gegen die Diskriminierung von queeren Menschen.
Doch auch bei uns ändert sich das Klima und das nicht zum Besseren. Die Anzahl der Gewalttaten gegen queere Menschen nimmt zu und ein vielfach als Selbstverständlichkeit empfundener respektvoller Umgang miteinander schwindet.
Noch einmal: Unsere sexuelle Orientierung ist ein Gottesgeschenk, so, wie unsere ungefärbte Haarfarbe und die Zahl unserer Weisheitszähne. Wie anmaßend ist es vor diesem Hintergrund, solche Gottesgeschenke als gut und schlecht und richtig und falsch zu kategorisieren. Das steht uns nicht zu! Vielmehr sollten wir auf das hören, was die Bibel über Gott am Ende der Schöpfung sagt, als sich der Herr noch einmal angeschaut alles hatte. Da heißt es im 1. Buch Mose: Und Gott sah, dass es alles gut war! Amen – so ist es!

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  C wie Cherubim

C wie Cherubim

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.06.2024

C wie Cherubim.
Ein geheimnisvolles Wort, fantasieanregend und sich zugleich jeder Vorstellung entziehend, ein Tabu markierend. Cherubim ziehen Grenzen. Dort, wo sie sind, geht es für uns nicht weiter. Sie sind Torhüter und Wächter des Paradieses, sie tragen den Thron Gottes und beschützen die Bundeslade.
Mischwesen dieser Art kannte man im gesamten Vorderen Orient. Sie hatten einen Menschenleib und Adlerkopf, manchmal waren es auch Löwen oder Stiere mit menschlichem Angesicht. Und Flügel hatten sie natürlich auch, manchmal viele, manchmal über und über mit Augen besetzt.
In Assyrien hielt man sie auch für die Bestäuber der Bäume. Womöglich kommt daher eine uralte Verbindung zum Lebensbaum, den die Cherubim – so erzählt es das erste Buch Mose – bewachten nachdem Gott die Menschen des Paradieses verwiesen hatte.
Ob es wohl auch einen in unserem Dom gibt, um unseren Lebensbaum zu hüten? So schoss es mir durch den Kopf. Ich weiß es nicht aber ich halte es für möglich. Auch nach zehn Jahren sehe ich immer wieder Neues hier.
Das Wort „Cherub“ jedenfalls kommt wahrscheinlich vom Akkadischen „karibu“ – es gab eine mesopotamische Gottheit dieses Namens, die Eingänge und Tore beschützte und Menschen segnete und für sie bat, als menschenfreundlich galt.
Eine sympathische Brücke zum Alten Testament, in dem aus den Cheruben nach und nach Engel wurden, Gottes Gefolge, die die seine Herrlichkeit sehen und aushalten können.
Zuletzt, an Weihnachten, treten sie leise beiseite
Und dann singen wir: „Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis…“.
Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Rose Ausländer:
„Der Engel in dir / freut sich über dein Licht / weint über deine Finsternis
Aus seinen Flügeln rauschen / Liebesworte / Gedichte, Liebkosungen
Er bewacht / deinen Weg
Lenk deinen Schritt / engelwärts.“

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  Das wahre Leben im falschen...

Das wahre Leben im falschen...

Cornelia Götz, Dompredigerin - 26.06.2024

Am Montagmorgen ist die Jugendkantorei zur Konzertreise nach Großbritannien aufgebrochen. Mit im Reisebus ist die große Papierrolle aus der letzten Politischen Andacht mit den Worten aus dem Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Sie lag einige Zeit hier im Dom und war uns Fundament und Mahnung zugleich. Nun werden die Worte hoffentlich in der Kathedrale in Coventry zu liegen kommen und alle daran erinnern, dass es ein wichtiger Aspekt der Versöhnungsarbeit ist, sich Würde gegenseitig zuzugestehen.
Wie schwer es die Würde haben kann, zeigte das letzte Stück des Festivals „Theaterformen“ „Spartacus“ am vergangenen Wochenende.
Es ging um die aktuelle Situation der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Polen.
Angesichts einer bestürzend hohen Rate an Suizidversuchen und Suiziden von Minderjährigen, die nach der Pandemie und infolge der Diskriminierung nicht heterosexueller Menschen unter PiS massiv zugenommen hat, wurde aus recherchierten Begebenheiten und Gesprächen mit Eltern und Patient*innen ein beklemmendes Stück.
Auf der Bühne des Großen Hauses gibt es Verschläge, begrenzt von rostigen Eisengittern, alles ist mit Stroh ausgelegt. Je nachdem befinden sich in den Buchten Matratzen oder eine Toilette, Schreibtische. Die Leinwand dahinter zeigt Daten oder Fotos schmutziger Laken. Hinschauen tut weh.
Wir erleben zwei Tage und zwei Nächte im Leben zweier Jugendlicher und ihrer Eltern. Dabei werden die Patent*innen nicht von jungen Leuten gespielt; zu groß die Gefahr, nicht mehr aus der Rolle herauszufinden, traumatisiert zu werden. Denn schmerzhaft und unmittelbar erleben wir Demütigung und Überforderung, Missbrauch und Gleichgültigkeit, grenzenloses Elend und die Ohnmacht der Eltern, die nicht wissen wie sie ihre Kinder vor sich selbst beschützen können.
Die Katastrophe steht unausweichlich im Raum.
Umso eindrücklicher, dass die letzte Szene nicht den Selbstmord eines der Kinder zeigt, sondern diesen Kindern gewidmet ist – als ein buntes Fest der Lebensfreude; so polnisch traditionell als wollte man sich vergewissern, dass die eigene Identität mehr ist als diese schreckliche Wirklichkeit.
Zuletzt gibt es eine Trauung. Eine, die es in Polen nicht geben kann. Zwei Männer heiraten. Für sie ist alles echt. Wenn sie zuhause nicht offiziell heiraten dürfen – dann eben hier im Theater. Wir alle waren Zeugen.
Das wahre Leben im falschen ereignet sich stets uns ständig.
So wie Gottes Reich aufscheint unter uns – trotz allem.

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  Sommer

Sommer

Heiko Frubrich, Prädikant - 21.06.2024

Ich bin einen Tag zu spät. Doch es war ganz knapp, denn wäre es nur eine Stunde und 10 Minuten später passiert, dann wäre ich goldrichtig. Aber nun war es exakt berechnet schon gestern Abend um 22:50 Uhr, dass die Sonne ihren höchsten Stand hatte, ihre Bahn wendete und damit den Sommeranfang markierte. Doch egal: Selbst, wenn gestern Abend schon 70 Minuten lang Sommer war, ist es das ja heute zum Glück auch noch.
„Der Sommer spannt die Segel und schmückt sich dem zu Lob, der Lilienfeld und Vögel zu Gleichnissen erhob.“ So heißt es in einem Choral aus unserem Gesangbuch, dessen Text von Detlev Block stammt. Ich finde, es ist ein schönes Bild, wie der Sommer die Segel spannt. Wir können uns an diesen Segeln erfreuen, wenn sie am lauen Abend mit Sternen geschmückt über uns aufleuchten. Wir können ihren Bewegungen zusehen, wenn sie als weiße Wolken über den meerblauen Himmel ziehen. Wir können sie spüren, wenn sie uns als warmer Wind umschmeicheln.
Ich bin dankbar dafür, dass es solche Momente gibt. Denn die Schönheit, die Wärme und die Unendlichkeit, die sie ausdrücken, sie sind frei von allen negativen Einflüssen, die unsere Zeiten so mit sich bringen. Bis gestern haben wir hier im Dom 11 Tage lang an Menschen erinnert, die auf der Flucht an den Außengrenzen Europas ihr Leben verloren haben. Das war richtig und wichtig. Und doch brauchen wir auch wieder ein Aufatmen und Durchatmen, damit uns die Lebensfreude nicht verloren geht.
Gott schenkt uns jeden Tag aufs Neue Orte und Augenblicke, an denen wir auftanken können, an denen wir erfahren und erfühlen können, dass er es gut mit uns meint, dass er da ist und uns sieht. Ja, an grauen Novembertagen muss man ein wenig intensiver danach suchen. Umso großzügiger ist er jetzt. Licht, Luft und Blütenmeer sind Gottes Hände Spur, dichtet Detlev Block. Und vielleicht ist auch das Abendmahl, das wir gleich miteinander feiern, eine gute Gelegenheit, Gottes Liebe und Nähe in besonderer Weise wahrzunehmen.
Und noch einmal der Choral: „Der Botschaft hingegeben, stimmt fröhlich mit uns ein: Wie schön ist es, zu leben und Gottes Kind zu sein.“ So ist es – trotz allem! Amen.

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  Weltflüchtlingstag

Weltflüchtlingstag

Heiko Frubrich, Prädikant - 20.06.2024

Wachstum ist noch immer ein wichtiges Ziel von wirtschaftspolitischem Handeln. Darüber besteht ein großer weltweiter Konsens, der sogar Demokraten, Autokraten und Diktatoren miteinander verbindet. Doch in so mancher Volkswirtschaft klemmt die Säge und kontinuierlich nach oben zeigende Wirtschaftsindikatoren knicken vielerorts ab.
Doch in einem Bereich scheint Wachstum garantiert. Dort nämlich, wo dokumentiert wird, wie viele Menschen getrieben von Krieg und Gewalt, von Hunger und von Not ihre Heimat verlassen mussten. Ende 2023 waren es nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe 117,3 Millionen Menschen. Das waren 8 Millionen mehr als im Vorjahr. Doch bereits im Mai dieses Jahres wurde der Vorjahreswert übertroffen. Er liegt aktuell bei knapp über 120 Millionen; das ist mehr als die Bevölkerungszahlen von Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden zusammen.
Am 23. März 2024 ertrinkt ein kleines Mädchen, 15 Monate alt, aus Burkina Faso vor der Insel Lampedusa; als das Boot sank, konnte die Mutter es nicht über Wasser halten – ein Mensch von 120 Millionen
Am 01. Juni 2024, also vor knapp drei Wochen, stirbt Nfansou Dramé, 31 Jahre alt, aus dem Senegal. Er wird tot in seinem Zelt in einem Flüchtlingscamp bei Ventimiglia in Italien gefunden; er hatte keinen Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten – ein Mensch von 120 Millionen.
Am 06. Juni 2024 sterben 50 Menschen, darunter viele Kinder, an den Folgen von Hunger und Durst. Sie stammten aus Afrika und Pakistan. Ihr Boot war auf dem Weg von Mauretanien nach Spanien vom Kurs abgekommen und 13 Tage auf dem offenen Meer getrieben – weitere 50 Menschen von 120 Millionen.
In den vergangenen 11 Tagen haben wir hier im Dom an Tausende weitere erinnert, ihre Namen und Schicksale aufgeschrieben und vorgelesen. Es waren Menschen von jenen 120 Millionen, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. Die Zahl der Stoffstreifen draußen am Kubus vor der Tür und an den Schnüren im Seitenschiff unseres Doms unterliegt auch einem stetigen und traurigen Wachstum und wir wissen heute, am Ende der Aktion „Beim Namen nennen 2024“, dass wir auf absehbare Zeit nicht fertig werden, weil sich die Fluchtgründe vermehren und das Sterben weitergehen wird.
Jeder Name gehört zu einem Menschen, den Gott zu seinem Ebenbild geschaffen hat. Jedes Schicksal ist ein Protest gegen ihren bitteren Tod. Beim Namen nennen! Amen.

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  Christi Blut für unser Leben

Christi Blut für unser Leben

Heiko Frubrich, Prädikant - 08.06.2024

„Kommt mit Gaben und Lobgesang, jubelt laut und sagt fröhlich Dank: Er bricht Brot und reicht uns den Wein, fühlbar will er uns nahe sein.“ Der Text eines zeitgenössischen Abendmahlsliedes, wie es morgen in vielen Kirchen in unserem Land gesungen wird, denn am morgigen Sonntag steht das Abendmahl im Mittelpunkt der biblischen Lesungen. „Kommt mit Gaben und Lobgesang“ ist ein in Text und Melodie fröhlicher Choral, der unseren Dank zum Ausdruck bringt für das, was Jesus für uns getan hat und woran wir uns in jeder Abendmahlsfeier aufs Neue erinnern.
Der Choral „O Jesu, du edle Gabe“, der Johann Sebastian Bach zu seiner größten Choralpartita inspiriert hat, tut das auch aber auf eine sehr drastische barocke Weise. Von Johann Böttiger stammt der Text. Er war Pfarrer und lebte quasi gleich um die Ecke im sachsen-anhaltinischen Quedlinburg.
„O Jesu, du edle Gabe, mich mit deinem Blute labe, daran hab ich meine Freude und stets meiner Seelen Weide. Dein Blut mich von Sünden wäschet und der Höllen Glut auslöschet.“ So lautet die erste Strophe: Textlich ist das schon starker Tobak, wie ich finde. Mich mit deinem Blute labe, daran hab ich meine Freude und stets meiner Seelen Weide. Wenn wir uns den Schmerz, die Erniedrigung und den qualvollen Tod, den Jesus erleiden musste, vor Augen führen, dann fällt es mich nicht ganz leicht, ungeteilte Freude darin zu finden.
Und doch trifft Böttiger mit dem, was er schreibt, den Nagel auf den Kopf. Es sind Jesu Leid und Schmerz und Tod, die uns alle zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Das, was am Karfreitag auf Golgatha passiert ist, war die größte Befreiungsaktion, die die Menschheit je erlebt hat. Denn alles, was uns jemals von Gott trennen könnte, all das, was wir landläufig Sünde nennen, hat Jesus auf sich, mit ans Kreuz und mit in den Tod genommen. Und damit ist es vom Tisch – ein für alle Mal.
Gottes Zorn trifft uns nicht mehr, wie es in der dritten Strophe heißt, weil wir durch Christus mit Gott versöhnt sind. Egal, was auch passieren mag, egal welche Fehler wir auch machen werden, egal, wer uns bedrohen und verletzen sollte, Gott wird mit seiner Gnade nicht einen Fußbreit von unser Seite weichen. Das Band der Liebe und der Barmherzigkeit, das Christus zwischen Gott und uns geknüpft hat, hält all das aus.
Ja, die Sprache, die wir heute verwenden ist anders als zu Böttigers Zeiten, weniger blutig, weniger dramatisch. Doch es bleibt dabei, dass Jesus Christus unsere Freiheit durch sein Blut erkauft hat. Darum ist es gut, dass wir Bachs Partita nicht in strahlendem Dur hören, sondern in einem eher gedeckten und demütigen Moll. Und wir machen auch im Abendmahl deutlich, welches Opfer Jesus für uns gebracht hat, wenn wir sagen: „Christi Leib für dich gegeben“ und „Christi Blut für dich vergossen“.
Das ist Kern des Evangeliums, der Kern der frohen Botschaft für uns Menschen, die immer und über allem steht, ganz egal, wie steinig unsere Lebenswege auch sein mögen. Gott sei Dank! Amen.

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  Der Engel auf unseren Wegen

Der Engel auf unseren Wegen

Heiko Frubrich, Prädikant - 07.06.2024

Es tut sich was in unserer Stadt. Straßen werden gesperrt, Absperrgitter aufgebaut, Umleitungen eingerichtet, Wegzeichen auf den Asphalt gesprüht. Und bald werden viele sportlich gekleidete Menschen aller Altersklassen überall herumwuseln, ihre Startnummern umbinden und loslaufen auf den Strecken, die sich ausgesucht haben, die sie sich zutrauen, die sie herausfordern. Braunschweiger Nachtlauf 2024. Gleich geht es los.
Es ist bereits das 38. Mal, dass der MTV Braunschweig diese Großveranstaltung ausrichtet und auch in diesem Jahr werden es wohl um die 10.000 Läuferinnen und Läufer sein, die auf den Straßen der Innenstadt unterwegs sind. Mitmachen kann, wer Spaß daran hat; sportliche Eliteeigenschaften sind nicht erforderlich. Und so begleiten Eltern laufend ihre Kinder, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen sind on tour und es wird manch fröhliches Wiedersehen derer geben, die sich noch vom letzten oder vorletzten oder vorvorletzten Jahr her kennen.
Über den heutigen Tag heißt es aus dem 2. Buch Mose: „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe.“ Der Weg, den Mose vor sich hat, soll ihn und das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft führen und dieser Weg ist selbst mit der anspruchsvollsten Etappe des Braunschweiger Nachtlaufes nicht vergleichbar. Es warteten große Gefahren und Herausforderungen auf die Israelitinnen und Israeliten, die ohne göttliche Wegweisung kaum zu meistern waren.
Mir gefällt dieses Bild, dass Gott einen Engel vor uns hergehen lässt, der uns den Weg weist. Denn Gefahren und Herausforderungen gab es nicht auf Moses Weg ins gelobte Land. Auf jedem Lebensweg sind sie zu finden, in ganz unterschiedlicher Ausprägung, mal existenziell und mal eher leicht, mal aus eigener Kraft zu bewältigen und mal nur mit der Hilfe anderer oder tatsächlich nur mit Gottes Hilfe.
Die brauchen wir immer dann, wenn wir mit unserem eigenen und irdischen Latein am Ende sind. Das ist Mose und dem Volk Israel auf ihrem Weg oft genug passiert. Und Gott hat geholfen, oft genug in einer Weise, die niemand vorhersehen konnte. Wer hatte schon damit gerechnet, dass aus einem toten Felsen plötzlich frisches Wasser floss, dass es Mana vom Himmel regnete oder sich das Meer vor den Flüchtenden teilte? Nur Gott kann solche Wunder tun und dass er sie tut, darauf dürfen wir vertrauen.
Auf den Laufrouten durch unsere Stadt wird hoffentlich kein solches Wunder nötig sein, damit alle gut ins Ziel kommen. Doch seinen Segen kann der Herr ja trotzdem auf Braunschweiger Nachtlauf legen, damit es gut wird, für alle, die dabei sind. Amen.

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  D-Day

D-Day

Heiko Frubrich, Prädikant - 06.06.2024

Heute vor 80 Jahren begann mit der Landung der Westalliierten des Anti-Hitler-Paktes in der Normandie die Befreiung Frankreichs und später ganz Westeuropas von der Nazi-Tyrannei. Über 320.000 alliierte Soldaten waren daran beteiligt. Insgesamt verloren bei den Kämpfen in Nordfrankreich mehrere Hunderttausende ihr Leben, weit mehr, als unsere Stadt Braunschweig heute Einwohner hat.
In der Normandie und auch in der Bretagne wird man noch jetzt an vielen, vielen Orten daran erinnert. Die Soldatenfriedhöfe der Amerikaner, Briten und auch der Deutschen sind unübersehbar, Meere aus weißen Steinkreuzen, jedes einzelne eine Mahnung an zerstörte Lebenspläne und Lebensträume, eine Erinnerung am Leid und Schmerz, an Verzweiflung und Trauer.
Und dennoch war der 6. Juni 1944 der Beginn eines Siegeszuges der Freiheit und des Friedens. Denn nicht nur in den von Deutschland annektierten Gebieten, sondern auch in Deutschland selbst sollte es einige Monate später ein Ende haben mit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, ein Ende mit der Ermordung von Millionen Juden, Zivilisten und Andersdenkender.
Das ist in der Tat ein Grund, Genugtuung zu empfinden. Doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein einziger Mensch hätte sterben müssen, wenn nicht ein größenwahnsinniger Hitler und seine Gefolgsleute ihre menschenverachtenden Pläne in die Tat umgesetzt hätten. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, bedarf es keiner übermäßigen Intelligenz. Diese Erkenntnis ist so klar und einleuchtend wie das kleine Einmaleins. Doch die Lernkurve von uns Menschen ist manchmal erschreckend flach.
Denn es gibt nach wie vor genug Machthaber auf dieser Welt, die die Lehren, die uns die Soldatengräber erteilen, ignorierten. Sie setzen sich über die Unverfügbarkeit von Menschenleben hinweg und missbrauchen und vernichten es, um ihre persönlichen Ziele durchzusetzen. Und manche treiben diese Perversion noch auf die Spitze, in dem sie sich dabei auf Gott berufen.
Umso mehr sehe ich Kirche und uns alle als Christenmenschen in der Verantwortung, daran zu erinnern, wohin Machtgier und Größenwahn führen kann. Es ist an uns, auf Gottes Wort zu verweisen, damit seine Botschaft vom Frieden nicht im Lärm der Welt untergeht. Auch und gerade dieser heutige Jahrestag ist dazu ein guter Zeitpunkt. Amen.

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  Alexej Nawalny

Alexej Nawalny

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.06.2024

Gestern wäre Alexej Nawalny 48 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gab es an vielen Orten Gedenkfeiern, unter anderem auch in der Berliner Marienkirche.
Nawalny war ein Freiheitskämpfer und ein unerschrockener Putin-Kritiker. Und so war sein Leben geprägt von den Folgen staatlicher Willkür. Immer wieder wurde er aus fadenscheinigen Gründen mit Prozessen überzogen, inhaftiert und wieder freigelassen. 2020 wurde er vergiftet und überlebte nur knapp. Die Behandlung erfolgte in der Berliner Charité.
Nawalny hätte die Möglichkeit gehabt, in Deutschland oder einem anderen freien Land zu bleiben und seine kremlkritische Arbeit von dort aus fortzusetzen. Doch er entschied sich, zurück in seine Heimat Russland zu gehen. Dort wurde er sofort inhaftiert in verschiedenen Straflagern festgehalten. Am 16. Februar starb er in einem solchen Lager in Sibirien und es überrascht wenig, dass die Umstände seines Todes nicht geklärt sind.
Alexej Nawalny war ein unbeugsamer Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit. Mehrfach hatte er versucht, bei den Wahlen gegen Putin anzutreten. Doch der wusste das durch Beugung des Rechts zu verhindern.
Freiheit und Gerechtigkeit haben in keiner Diktatur oder Autokratie Platz, weil sie mit der Unterdrückung, auf denen diese Systeme aufbauen, eben nicht vereinbar sind. Freiheit und Gerechtigkeit flößen den Diktatoren und Autokraten Angst ein, denn sie haben die Kraft, sie von ihren Thronen zu stürzen. Freiheit und Gerechtigkeit sind zerbrechlich und ihre Gegner sind zahlreich. Freiheit und Gerechtigkeit sind aber Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben und sie sind Voraussetzung für Frieden. Das wusste Alexej Nawalny und dafür trat er ein.
Auch Menschen in Russland verfolgten die gestrige Gedenkfeier über das Internet. In Moskau wurde eine solche Zusammenkunft von einem Spezialkommando der Polizei gestürmt, die Anwesenden verhaftet und verhört. Das Regime dort duldet kein Erinnern. Es ist gut, dass wir es können. Und es ist notwendig, dass wir es tun.
Der evangelische Bischof Christian Stäblein sagte gestern in seiner Predigt in Berlin, dass er gerne mit Nawalny dessen Geburtstag gefeiert und ihm ein Geburtstagslied gesungen hätte. Doch er hoffe und vertraue darauf, dass die himmlischen Chöre dies täten. So möge es sein. Amen.

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  Komm in unsre stolze Welt

Komm in unsre stolze Welt

Heiko Frubrich, Prädikant - 04.06.2024

Komm in unsre stolze Welt. Hans von Lehndorf schreibt dieses innige und fast flehende Gebet. Die Worte legen den Finger in die Wunden unserer Zeit, benennen, wo wir alleine nicht mehr weiterkommen. Die Melodie von Manfred Schlenker ist hakelig, erfordert beim Singen besondere Aufmerksamkeit für Rhythmus und Tonfolge. Wir müssen bei der Sache sein, sonst wird das nichts.
„Komm in unsre stolze Welt, Herr, mit deiner Liebe Werben. Überwinde Macht und Geld, lass die Völker nicht verderben. Wende Hass und Feindessinn auf den Weg des Friedens hin.“ So lautet die erste Strophe.
Stolz wird darin zum Thema. Er darf seinen Platz haben in unserem Leben. Er gehört zur Freude am Erfolg – nicht nur am eigenen. Doch Stolz kann auch zur Mauer werden, die andere Ideen, andere Meinungen, andere Menschen und sogar Gott abwehrt. Stolz ist ein guter Nährboden für Überheblichkeit, für die falsche Überzeugung, alles selbst im Griff zu haben, alles zu dürfen und ohne Gott besser durchs Leben zu kommen als mit ihm.
Wir wissen alle, dass menschlicher Größenwahn niemals zu etwas Gutem geführt hat. Wir wissen alle, dass es die Demut braucht, den Mut, auch Diener zu sein, um in einem guten Miteinander zu leben, dass von eben jener Liebe geprägt ist, die von Gott kommt, zu der er uns alle begabt hat und für die er wirbt.
Stolz und Macht und Geld sind die Widersacher, die es dabei zu überwinden gilt. Und ihr Einfluss ist groß und ihre Waffen sind gewaltig. Gott setzt sein Wort dagegen und gibt uns in Jesus Christus Beispiel dafür, wie ein Leben in Liebe gelingen kann. Doch anders als bei den Mächtigen dieser Welt kommt von ihm kein Zwang, keine Gewalt, keine Unterdrückung. Er wirkt leise. Er will sich von uns finden lassen, wartet auf uns mit offenen Armen, doch suchen müssen wir.
Die Musik am Ende der Strophe beschreibt dieses Suchen. Sie entlässt uns nicht mit einem Wohlfühlakkord in kuscheligem Dur. Nein, sie drängt nach vorne, will uns in Bewegung halten, nicht Ausruhen ist angesagt, es muss weitergehen, wir müssen weitergehen auf den Weg des Friedens hin – auf den Gott uns leitet, wenn wir uns ihm anvertrauen. Komm in unsre stolze Welt. Amen.

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  So viel Hass...

So viel Hass...

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.06.2024

Gestern Vormittag fand in Kassel eine große Gedenkfeier für Walter Lübcke statt, der vor fünf Jahren von einem Neonazi ermordet wurde. Gestern Abend stirbt in Mannheim ein junger Polizist, ermordet von einem radikalen Islamisten. Der Tod beider Menschen löste und löst Trauer aus, Betroffenheit und Mitgefühl. Es sind Reaktionen und Emotionen, die aus einer tiefen Überzeugung heraus entstehen, dass das Leben eines jeden Menschen unendlich wertvoll, unersetzbar und unverfügbar ist. Darüber hinaus haben beide ihr Leben verloren, weil sie sich für eine Gesellschaftsordnung eingesetzt haben, in der genau das manifestiert ist und die deshalb das Leben und die Würde jedes Menschen schützt.
Doch es sind nicht nur Trauer und Betroffenheit als Reaktion auf den Tod des hessischen Regierungspräsidenten und den des jungen Polizisten zu finden, sondern auch das, was diese beiden Morde ausgelöst hat: nämlich blanker und zynischer Hass. Islamisten feiern den Attentäter in den sogenannten sozialen Medien als Helden und Vorbild und aus der rechten Ecke wird unverhohlen zur Rache aufgerufen oder lautstark eine Generalverurteilung aller Migrantinnen und Migranten postuliert. Und ich nehme all das zur Kenntnis und es macht mich wütend und traurig und ratlos.
Ratlos, weil ich weiß, wie schwer es ist, gegen den Hass anzukommen. Wenn ein Mensch hasst, dann ist er kaum zugänglich für ein Gespräch und für Argumente, dann ist kein Raum mehr für Respekt und erst recht nicht für Liebe. Und doch bin ich fest davon überzeugt, dass wir nur dann zu einem friedlichen Miteinander finden, wenn wir den Hass in den Herzen derer besiegen, die verblendet sind durch Fanatismus, Lügen und Vorurteile.
Und dazu gehört, jenen immer wieder Paroli zu bieten, die Fanatismus und Lügen und Vorurteile verbreiten, zu widersprechen jenen, die den Tod von Menschen dazu missbrauchen, ihr politisches Süppchen darauf zu kochen, jenen, denen unsere offene Gesellschaft ein Dorn im Auge ist.
Das ist eine große Aufgabe, die mit der eigenen kleinen Kraft nicht zu meistern ist. Gerade darin erlebe ich meinen Glauben als ein großes Geschenk. Denn ich weiß einen Gott an meiner Seite, der mich kennt und der mich trägt und der mich sieht. Ich weiß einen Gott an meiner Seite, der Verständnis hat für meine Ratlosigkeit, für meinen Frust und für meine Angst. Ich weiß einen Gott an meiner Seite, dem ich glaube, dass er es am Ende gutmachen wird – mit Ihnen, mit Euch und auch mit mir. Amen.

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  Viva la musica!

Viva la musica!

Heiko Frubrich, Prädikant - 01.06.2024

350. und 100. Todestag, 200. und 180. Geburtstag, all das sind besondere Termine in diesem Jahr und sie gehören zu den großen Komponisten, von denen unser Kantor Robin Hlinka einige Werke für dieses Mittagsgebet der Jahrestage ausgesucht hat. Und ganz nebenbei nimmt er uns dabei mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte und durch einige europäische Länder, die uns von Deutschland über Österreich, Irland und Großbritannien bis nach Frankreich führt.
Das sind übrigens heute allesamt Nationen, zu denen wir ein freundschaftlich nachbarschaftliches Verhältnis pflegen. Zu den Lebzeiten der Komponisten war das nicht immer so. Denn erst nach den schrecklichen Ereignissen des 2. Weltkriegs haben die Europäer ihre bis heute funktionierende Friedensordnung geschaffen. Wir haben es übrigens alle in der Hand, diese zu stärken und zu sichern. Morgen in einer Woche wird ein neues Europaparlament gewählt. Gehen Sie hin und wählen Sie weise und bitte nicht jene, denen ihr eigener Spitzenkandidat so peinlich ist, dass sie ihn vor der Öffentlichkeit verstecken.
Sechs Komponisten stehen heute auf dem Programm. Die Kenner unter Ihnen können beim Hören schon zuordnen, aus welcher Epoche und welcher Region das jeweilige Stück stammt. Ich kann das nicht so ohne weiteres aber ich kann mich in die Musik einfach hineinfallen lassen, kann sie genießen und mich mitunter so darin verlieren, dass ich meinen Auftritt hier vorne verpasse. Was ich damit sagen will: Musik macht was mit uns. Sie berührt uns viel tiefer, als Worte es könnten und dabei ist es dann auch vollkommen egal, welche Nationalität, Hautfarbe, Körpergröße oder Muttersprache der Komponist oder die Komponisten hat. Musik ist im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos und diese Eigenschaft verbunden mit der Genialität der sechs Komponisten ist der Grund dafür, dass wir heute ihre Namen überhaupt noch kennen.
Musik ist etwas Wunderbares und das meine ich so, wie es sage. Ich halte sie für ein Gottesgeschenk, eines aus der Kategorie, mit der der Herr unser Leben schön und reich und lebenswert machen will. Musik ist nicht unmittelbar überlebenswichtig. Aber sie tut der Seele gut. Das kann man von hier vorne beobachten. Sie alle sehen schön aus, wenn Sie zuhören.
Stellt sich noch die Frage, warum dieses Mittagsgebet der Jahrestage nun ausgerechnet heute stattfindet. Die Antwort ist ganz einfach: Heute vor einem Jahr hat Robin Hlinka sein Kantorenamt hier bei uns am Dom angetreten. Gott segnet uns eben nicht nur mit wunderbarer Musik, sondern auch mit wunderbaren Musikern. Und Du, lieber Robin, bist hier für uns tatsächlich ein echter Segen. Möge es noch lange so bleiben – mit Gottes Hilfe und in Jesu Namen. Amen.

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Sprechzeiten :
Di. bis Do. – 10.00 - 16.00 Uhr

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Montag bis Freitag – 17.00 Uhr
ABENDSEGEN
Mittwoch: mit Versöhnungsgebet von Coventry
Freitag: mit Feier des Abendmahls

Samstag – 12.00 Uhr
MUSIKALISCHES MITTAGSGEBET

Sonntag – 10.00 Uhr
GOTTESDIENST

Öffnungszeiten Dom:

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Öffentliche Domführungen:

Montag bis Samstag – 14.00 Uhr
durch Mitglieder der DomführerGilde
In der Zeit von Anfang Januar bis Mitte März finden keine öffentlichen Führungen statt!