Das Wort zum Alltag

Seit dem 1. Dezember 1968 gibt es von Montag bis Freitag um 17.00 Uhr und Samstag um 12.00 Uhr eine kurze Andacht mit Gebet, die von Orgelmusik gerahmt wird.
Wir möchten Menschen damit ermöglichen für ihre eigene Praxis pietatis eine regelmäßige Form zu finden. Zugleich birgt das Format die Möglichkeit auf die jeweils aktuellen Ereignisse in unserer Stadt und unserer Welt zu reagieren.

Während des Advents und der Friedensdekade hat das Wort zum Alltag einen besonderen Akzent. Das Wort zum Alltag wird in der Regel von der Dompredigerin, sowie von anderen Braunschweiger Pfarrerinnen und Pfarrern und Prädikanten gehalten. Die umrahmende Orgelmusik übernehmen die Kantoren des Braunschweiger Doms.

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Worte zum Alltag

  NEUER GEIST FÜR DIE WELT

NEUER GEIST FÜR DIE WELT

Henning Böger, Pfarrer - 02.07.2024

„Wir werden es bald immer mehr spüren“, schreibt die Umweltschutzorganisation World Wildlife Fund (WWF). „Und zwar in unseren Supermärkten. Lebensmittel werden immer größeren Schwankungen bei Preisen und bei Verfügbarkeit unterliegen.“ Der Grund dafür sei schlicht der Klimawandeln, so der WWF: Dürren und Überschwemmungen gefährden Anbaugebiete, Lücken in den Lieferketten machen Lebensmittel knapper und teurer.
Das ist keine Schwarzmalerei oder Übertreibung, sondern die Wirklichkeit.
Die Veränderung des Klimas ist da und wird immer spürbarer. Die letzten Meldungen über dramatischen Wassermangel kommen in diesem Sommer aus Spanien und von der Insel Capri. Am besten sei es, so der WWF, das alles in großer Ernsthaftigkeit zur Kenntnis zu nehmen und daraus unsere Schlüsse zu ziehen.
Ich frage mich: Welche Schlüsse ziehe ich? Vielleicht diese zwei vor allem: Klimaschutz ist niemals etwas für „die da Oben“ oder „die Anderen“. Er beginnt bei mir und der Frage, was ich beitragen kann zur Bewahrung der Schöpfung: Welche kleinen und größeren Ideen kann ich umsetzen in meinem Lebensstil? Die Summe der vielen kleinen Schritte wird beträchtlich sein!
Und dann muss, so mein zweiter Schluss, der Blick weg von mir hinein in die Welt, die mein Lebensraum ist, ja, aber immer und zuallererst Gottes Schöpfung. Diese Welt braucht neuen Geist. Und dieser Geist braucht Raum in uns. Die streitbare Theologin Dorothee Sölle hat dazu vor vielen Jahren folgende Gedanken aufgeschrieben:
„Noch ist nicht entschieden was wir sein werden / o gott der du alles geschaffen hast / wann wird es so weit sein / dass wir es sehr gut nennen wie du / wann werden wir sichtbar / wann wird die wahrheit scheinen / wann wird man an unsern gärten und feldern sehen / hier wohnen die sanften kinder der erde“.
Den Glauben und die Hoffnung auf Gott gibt es niemals ohne Gottes Geisteskraft.
Sie stört uns auf im „bleibt alles, wie es ist“, sie lässt uns zweifeln, ohne zu verzweifeln, und führt uns so auf neue Wege. Auch der Schritt zur größtmöglichen Achtung von Pflanzen, Tieren und Menschen beginnt mit der Einsicht, diesen Geist Gottes nötig zu haben, und dann mit der Bitte darum.
Hören wir noch einmal Dorothee Sölle: „Gott freundin der menschen freund der Erde / komm bald / maranatha beeil dich / mach uns sichtbar / als töchter und söhne / in deinem reich“.

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  Gegen den Strom

Gegen den Strom

Heiko Frubrich, Prädikant - 01.07.2024

Gestern fand in Frankreich die erste Runde der Wahlen zur Nationalversammlung statt und das Ergebnis ist, wie vorhergesagt, zum einen eine krachende Niederlage der Regierenden um Präsident Macron, zum anderen ein weiterer deutlicher Schritt eines europäischen Landes nach rechts außen. Sollte Le Pen am kommenden Sonntag gewinnen, hätte das weitreichende Folgen für Frankreich aber auch für das deutsch-französische Verhältnis und für ganz Europa.
Über dem Monat Juli steht ein Bibelwort aus dem 2. Buch Mose und es lautet: „Du sollst dich nicht der Mehrheit anschließen, wenn sie im Unrecht ist.“ Diese Botschaft ist bummelig 3.500 Jahre alt, hätte aber auch heute als Aufmacher auf den Titelseiten der Tageszeitungen stehen können, wie ich finde.
Doch völlig losgelöst von den Wahlen in Frankreich neigen wir Menschen dazu, lieber mit dem Strom zu schwimmen als gegen ihn. Das ist auch nachvollziehbar, denn es kostet deutlich weniger Kraft. Das Problem ist nur, dass dann nicht mehr wir selbst bestimmen, welche Richtung unsere Entscheidungen und unser Lebensweg insgesamt nehmen, sondern jene, die die Mehrheit sind oder auf gut Neudeutsch: der Mainstream.
Gestern haben wir in unseren Kirchen gehört, wie Gott zu Paulus sagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den schwachen mächtig. Aus dieser Zusage höre ich zweierlei:
Erstens: Vertrau auf Gott, auch wenn du meinst, dass dich dein Leben überfordert, weil Krankheit, Angst und Sorgen dir die Luft zum Atmen nehmen. Er ist für dich da. Und zweitens: Steck den Kopf nicht in den Sand, sondern trau dir was zu! Du kannst dich gegen den Strom stellen, du kannst protestieren, wo Menschenwürde und Menschenrechte missachtet werden. Ja, es kostet Mut und Kraft, jenen zu widersprechen, die Wertigkeiten zwischen Menschen konstruieren. Es kostet Mut und Kraft, daran zu erinnern, dass Gott alle Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat, alle und wirklich alle.
Es ist nicht zu leugnen, dass wir als Kirche immer weniger gehört werden, und zu einem guten Teil sind wir daran auch selbst schuld. Doch das ändert nichts am lebens- und friedensbejahenden Evangelium, das uns als Christinnen und Christen trägt und das gerade in unserer Zeit gar nicht laut genug verkündigt werden kann. Wir alle können Zeugen sein dieser frohen Botschaft. Und wenn wir uns dabei schwach und auf verlorenem Posten fühlen, dürfen wir uns an Gottes Zusage erinnern: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Amen.

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  Christopher Street Day

Christopher Street Day

Heiko Frubrich, Prädikant - 28.06.2024

Haben Sie sich schon einmal über Menschen mit blau-grünen Augen mokiert? Und finden Sie es nicht auch unmöglich, dass viele mit dem Erreichen einer Körpergröße von 1,76 m einfach aufhören, zu wachsen? Oder was halten Sie davon, dass bei manchen nur drei Weisheitszähne wachsen. Das kann man doch nicht einfach so hinnehmen, oder?
Doch, kann man, denn erstens ist an den genannten Merkmalen nichts Merkwürdiges zu finden und zweitens, und das ist viel wichtiger: Sie gehören zu den Eigenschaften, die uns im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt werden, denn wir können sie nicht beeinflussen. Die Qual der Wahl hat Gott uns freundlicherweise abgenommen. Er hat für uns entschieden, welche Augen- und Haarfarbe und welche Körpergröße wir haben sollen, ob alle vier Weisheitszähne wachsen, wo und wann wir geboren werden, wer unsere Eltern sein sollten und noch vieles andere mehr.
Zu diesem vielen anderen mehr gehört auch, wen wir lieben, Frauen oder Männer. Das konnten und können wir uns nicht aussuchen, oder erinnern Sie sich daran, ob Sie gefragt wurden: „Wie hätten Sie’s denn gern?“ Doch trotz dieser nicht neuen Erkenntnis haben und hatten es gleichgeschlechtlich Liebende nicht leicht. Heute ist Christopher-Street-Day, der offizielle Gedenktag an den ersten bekanntgewordenen Aufstand von queeren Menschen gegen Polizeiwillkür. Er ereignete sich am 28. Juni 1969 in der Christoper Street in New York.
Seit diesem Ereignis finden jährlich und mittlerweile auf allen Kontinenten Aktionen um diesen Tag herum statt. Der Charakter wandelt sich und hängt stark von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. In Braunschweig ist der CSD, der hier Sommerlochfestival heißt, ein großes und buntes Fest mit politischen und kulturellen Veranstaltungen und mit ganz viel Party. In anderen Ländern mit repressiveren Systemen überwiegt der Protest gegen die Diskriminierung von queeren Menschen.
Doch auch bei uns ändert sich das Klima und das nicht zum Besseren. Die Anzahl der Gewalttaten gegen queere Menschen nimmt zu und ein vielfach als Selbstverständlichkeit empfundener respektvoller Umgang miteinander schwindet.
Noch einmal: Unsere sexuelle Orientierung ist ein Gottesgeschenk, so, wie unsere ungefärbte Haarfarbe und die Zahl unserer Weisheitszähne. Wie anmaßend ist es vor diesem Hintergrund, solche Gottesgeschenke als gut und schlecht und richtig und falsch zu kategorisieren. Das steht uns nicht zu! Vielmehr sollten wir auf das hören, was die Bibel über Gott am Ende der Schöpfung sagt, als sich der Herr noch einmal angeschaut alles hatte. Da heißt es im 1. Buch Mose: Und Gott sah, dass es alles gut war! Amen – so ist es!

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  C wie Cherubim

C wie Cherubim

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.06.2024

C wie Cherubim.
Ein geheimnisvolles Wort, fantasieanregend und sich zugleich jeder Vorstellung entziehend, ein Tabu markierend. Cherubim ziehen Grenzen. Dort, wo sie sind, geht es für uns nicht weiter. Sie sind Torhüter und Wächter des Paradieses, sie tragen den Thron Gottes und beschützen die Bundeslade.
Mischwesen dieser Art kannte man im gesamten Vorderen Orient. Sie hatten einen Menschenleib und Adlerkopf, manchmal waren es auch Löwen oder Stiere mit menschlichem Angesicht. Und Flügel hatten sie natürlich auch, manchmal viele, manchmal über und über mit Augen besetzt.
In Assyrien hielt man sie auch für die Bestäuber der Bäume. Womöglich kommt daher eine uralte Verbindung zum Lebensbaum, den die Cherubim – so erzählt es das erste Buch Mose – bewachten nachdem Gott die Menschen des Paradieses verwiesen hatte.
Ob es wohl auch einen in unserem Dom gibt, um unseren Lebensbaum zu hüten? So schoss es mir durch den Kopf. Ich weiß es nicht aber ich halte es für möglich. Auch nach zehn Jahren sehe ich immer wieder Neues hier.
Das Wort „Cherub“ jedenfalls kommt wahrscheinlich vom Akkadischen „karibu“ – es gab eine mesopotamische Gottheit dieses Namens, die Eingänge und Tore beschützte und Menschen segnete und für sie bat, als menschenfreundlich galt.
Eine sympathische Brücke zum Alten Testament, in dem aus den Cheruben nach und nach Engel wurden, Gottes Gefolge, die die seine Herrlichkeit sehen und aushalten können.
Zuletzt, an Weihnachten, treten sie leise beiseite
Und dann singen wir: „Heut schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis, der Cherub steht nicht mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr und Preis…“.
Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Rose Ausländer:
„Der Engel in dir / freut sich über dein Licht / weint über deine Finsternis
Aus seinen Flügeln rauschen / Liebesworte / Gedichte, Liebkosungen
Er bewacht / deinen Weg
Lenk deinen Schritt / engelwärts.“

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  Das wahre Leben im falschen...

Das wahre Leben im falschen...

Cornelia Götz, Dompredigerin - 26.06.2024

Am Montagmorgen ist die Jugendkantorei zur Konzertreise nach Großbritannien aufgebrochen. Mit im Reisebus ist die große Papierrolle aus der letzten Politischen Andacht mit den Worten aus dem Grundgesetz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Sie lag einige Zeit hier im Dom und war uns Fundament und Mahnung zugleich. Nun werden die Worte hoffentlich in der Kathedrale in Coventry zu liegen kommen und alle daran erinnern, dass es ein wichtiger Aspekt der Versöhnungsarbeit ist, sich Würde gegenseitig zuzugestehen.
Wie schwer es die Würde haben kann, zeigte das letzte Stück des Festivals „Theaterformen“ „Spartacus“ am vergangenen Wochenende.
Es ging um die aktuelle Situation der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Polen.
Angesichts einer bestürzend hohen Rate an Suizidversuchen und Suiziden von Minderjährigen, die nach der Pandemie und infolge der Diskriminierung nicht heterosexueller Menschen unter PiS massiv zugenommen hat, wurde aus recherchierten Begebenheiten und Gesprächen mit Eltern und Patient*innen ein beklemmendes Stück.
Auf der Bühne des Großen Hauses gibt es Verschläge, begrenzt von rostigen Eisengittern, alles ist mit Stroh ausgelegt. Je nachdem befinden sich in den Buchten Matratzen oder eine Toilette, Schreibtische. Die Leinwand dahinter zeigt Daten oder Fotos schmutziger Laken. Hinschauen tut weh.
Wir erleben zwei Tage und zwei Nächte im Leben zweier Jugendlicher und ihrer Eltern. Dabei werden die Patent*innen nicht von jungen Leuten gespielt; zu groß die Gefahr, nicht mehr aus der Rolle herauszufinden, traumatisiert zu werden. Denn schmerzhaft und unmittelbar erleben wir Demütigung und Überforderung, Missbrauch und Gleichgültigkeit, grenzenloses Elend und die Ohnmacht der Eltern, die nicht wissen wie sie ihre Kinder vor sich selbst beschützen können.
Die Katastrophe steht unausweichlich im Raum.
Umso eindrücklicher, dass die letzte Szene nicht den Selbstmord eines der Kinder zeigt, sondern diesen Kindern gewidmet ist – als ein buntes Fest der Lebensfreude; so polnisch traditionell als wollte man sich vergewissern, dass die eigene Identität mehr ist als diese schreckliche Wirklichkeit.
Zuletzt gibt es eine Trauung. Eine, die es in Polen nicht geben kann. Zwei Männer heiraten. Für sie ist alles echt. Wenn sie zuhause nicht offiziell heiraten dürfen – dann eben hier im Theater. Wir alle waren Zeugen.
Das wahre Leben im falschen ereignet sich stets uns ständig.
So wie Gottes Reich aufscheint unter uns – trotz allem.

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  Sommer

Sommer

Heiko Frubrich, Prädikant - 21.06.2024

Ich bin einen Tag zu spät. Doch es war ganz knapp, denn wäre es nur eine Stunde und 10 Minuten später passiert, dann wäre ich goldrichtig. Aber nun war es exakt berechnet schon gestern Abend um 22:50 Uhr, dass die Sonne ihren höchsten Stand hatte, ihre Bahn wendete und damit den Sommeranfang markierte. Doch egal: Selbst, wenn gestern Abend schon 70 Minuten lang Sommer war, ist es das ja heute zum Glück auch noch.
„Der Sommer spannt die Segel und schmückt sich dem zu Lob, der Lilienfeld und Vögel zu Gleichnissen erhob.“ So heißt es in einem Choral aus unserem Gesangbuch, dessen Text von Detlev Block stammt. Ich finde, es ist ein schönes Bild, wie der Sommer die Segel spannt. Wir können uns an diesen Segeln erfreuen, wenn sie am lauen Abend mit Sternen geschmückt über uns aufleuchten. Wir können ihren Bewegungen zusehen, wenn sie als weiße Wolken über den meerblauen Himmel ziehen. Wir können sie spüren, wenn sie uns als warmer Wind umschmeicheln.
Ich bin dankbar dafür, dass es solche Momente gibt. Denn die Schönheit, die Wärme und die Unendlichkeit, die sie ausdrücken, sie sind frei von allen negativen Einflüssen, die unsere Zeiten so mit sich bringen. Bis gestern haben wir hier im Dom 11 Tage lang an Menschen erinnert, die auf der Flucht an den Außengrenzen Europas ihr Leben verloren haben. Das war richtig und wichtig. Und doch brauchen wir auch wieder ein Aufatmen und Durchatmen, damit uns die Lebensfreude nicht verloren geht.
Gott schenkt uns jeden Tag aufs Neue Orte und Augenblicke, an denen wir auftanken können, an denen wir erfahren und erfühlen können, dass er es gut mit uns meint, dass er da ist und uns sieht. Ja, an grauen Novembertagen muss man ein wenig intensiver danach suchen. Umso großzügiger ist er jetzt. Licht, Luft und Blütenmeer sind Gottes Hände Spur, dichtet Detlev Block. Und vielleicht ist auch das Abendmahl, das wir gleich miteinander feiern, eine gute Gelegenheit, Gottes Liebe und Nähe in besonderer Weise wahrzunehmen.
Und noch einmal der Choral: „Der Botschaft hingegeben, stimmt fröhlich mit uns ein: Wie schön ist es, zu leben und Gottes Kind zu sein.“ So ist es – trotz allem! Amen.

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  Weltflüchtlingstag

Weltflüchtlingstag

Heiko Frubrich, Prädikant - 20.06.2024

Wachstum ist noch immer ein wichtiges Ziel von wirtschaftspolitischem Handeln. Darüber besteht ein großer weltweiter Konsens, der sogar Demokraten, Autokraten und Diktatoren miteinander verbindet. Doch in so mancher Volkswirtschaft klemmt die Säge und kontinuierlich nach oben zeigende Wirtschaftsindikatoren knicken vielerorts ab.
Doch in einem Bereich scheint Wachstum garantiert. Dort nämlich, wo dokumentiert wird, wie viele Menschen getrieben von Krieg und Gewalt, von Hunger und von Not ihre Heimat verlassen mussten. Ende 2023 waren es nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe 117,3 Millionen Menschen. Das waren 8 Millionen mehr als im Vorjahr. Doch bereits im Mai dieses Jahres wurde der Vorjahreswert übertroffen. Er liegt aktuell bei knapp über 120 Millionen; das ist mehr als die Bevölkerungszahlen von Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden zusammen.
Am 23. März 2024 ertrinkt ein kleines Mädchen, 15 Monate alt, aus Burkina Faso vor der Insel Lampedusa; als das Boot sank, konnte die Mutter es nicht über Wasser halten – ein Mensch von 120 Millionen
Am 01. Juni 2024, also vor knapp drei Wochen, stirbt Nfansou Dramé, 31 Jahre alt, aus dem Senegal. Er wird tot in seinem Zelt in einem Flüchtlingscamp bei Ventimiglia in Italien gefunden; er hatte keinen Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten – ein Mensch von 120 Millionen.
Am 06. Juni 2024 sterben 50 Menschen, darunter viele Kinder, an den Folgen von Hunger und Durst. Sie stammten aus Afrika und Pakistan. Ihr Boot war auf dem Weg von Mauretanien nach Spanien vom Kurs abgekommen und 13 Tage auf dem offenen Meer getrieben – weitere 50 Menschen von 120 Millionen.
In den vergangenen 11 Tagen haben wir hier im Dom an Tausende weitere erinnert, ihre Namen und Schicksale aufgeschrieben und vorgelesen. Es waren Menschen von jenen 120 Millionen, die auf der Flucht ihr Leben verloren haben. Die Zahl der Stoffstreifen draußen am Kubus vor der Tür und an den Schnüren im Seitenschiff unseres Doms unterliegt auch einem stetigen und traurigen Wachstum und wir wissen heute, am Ende der Aktion „Beim Namen nennen 2024“, dass wir auf absehbare Zeit nicht fertig werden, weil sich die Fluchtgründe vermehren und das Sterben weitergehen wird.
Jeder Name gehört zu einem Menschen, den Gott zu seinem Ebenbild geschaffen hat. Jedes Schicksal ist ein Protest gegen ihren bitteren Tod. Beim Namen nennen! Amen.

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  Christi Blut für unser Leben

Christi Blut für unser Leben

Heiko Frubrich, Prädikant - 08.06.2024

„Kommt mit Gaben und Lobgesang, jubelt laut und sagt fröhlich Dank: Er bricht Brot und reicht uns den Wein, fühlbar will er uns nahe sein.“ Der Text eines zeitgenössischen Abendmahlsliedes, wie es morgen in vielen Kirchen in unserem Land gesungen wird, denn am morgigen Sonntag steht das Abendmahl im Mittelpunkt der biblischen Lesungen. „Kommt mit Gaben und Lobgesang“ ist ein in Text und Melodie fröhlicher Choral, der unseren Dank zum Ausdruck bringt für das, was Jesus für uns getan hat und woran wir uns in jeder Abendmahlsfeier aufs Neue erinnern.
Der Choral „O Jesu, du edle Gabe“, der Johann Sebastian Bach zu seiner größten Choralpartita inspiriert hat, tut das auch aber auf eine sehr drastische barocke Weise. Von Johann Böttiger stammt der Text. Er war Pfarrer und lebte quasi gleich um die Ecke im sachsen-anhaltinischen Quedlinburg.
„O Jesu, du edle Gabe, mich mit deinem Blute labe, daran hab ich meine Freude und stets meiner Seelen Weide. Dein Blut mich von Sünden wäschet und der Höllen Glut auslöschet.“ So lautet die erste Strophe: Textlich ist das schon starker Tobak, wie ich finde. Mich mit deinem Blute labe, daran hab ich meine Freude und stets meiner Seelen Weide. Wenn wir uns den Schmerz, die Erniedrigung und den qualvollen Tod, den Jesus erleiden musste, vor Augen führen, dann fällt es mich nicht ganz leicht, ungeteilte Freude darin zu finden.
Und doch trifft Böttiger mit dem, was er schreibt, den Nagel auf den Kopf. Es sind Jesu Leid und Schmerz und Tod, die uns alle zu dem gemacht haben, was wir heute sind. Das, was am Karfreitag auf Golgatha passiert ist, war die größte Befreiungsaktion, die die Menschheit je erlebt hat. Denn alles, was uns jemals von Gott trennen könnte, all das, was wir landläufig Sünde nennen, hat Jesus auf sich, mit ans Kreuz und mit in den Tod genommen. Und damit ist es vom Tisch – ein für alle Mal.
Gottes Zorn trifft uns nicht mehr, wie es in der dritten Strophe heißt, weil wir durch Christus mit Gott versöhnt sind. Egal, was auch passieren mag, egal welche Fehler wir auch machen werden, egal, wer uns bedrohen und verletzen sollte, Gott wird mit seiner Gnade nicht einen Fußbreit von unser Seite weichen. Das Band der Liebe und der Barmherzigkeit, das Christus zwischen Gott und uns geknüpft hat, hält all das aus.
Ja, die Sprache, die wir heute verwenden ist anders als zu Böttigers Zeiten, weniger blutig, weniger dramatisch. Doch es bleibt dabei, dass Jesus Christus unsere Freiheit durch sein Blut erkauft hat. Darum ist es gut, dass wir Bachs Partita nicht in strahlendem Dur hören, sondern in einem eher gedeckten und demütigen Moll. Und wir machen auch im Abendmahl deutlich, welches Opfer Jesus für uns gebracht hat, wenn wir sagen: „Christi Leib für dich gegeben“ und „Christi Blut für dich vergossen“.
Das ist Kern des Evangeliums, der Kern der frohen Botschaft für uns Menschen, die immer und über allem steht, ganz egal, wie steinig unsere Lebenswege auch sein mögen. Gott sei Dank! Amen.

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  Der Engel auf unseren Wegen

Der Engel auf unseren Wegen

Heiko Frubrich, Prädikant - 07.06.2024

Es tut sich was in unserer Stadt. Straßen werden gesperrt, Absperrgitter aufgebaut, Umleitungen eingerichtet, Wegzeichen auf den Asphalt gesprüht. Und bald werden viele sportlich gekleidete Menschen aller Altersklassen überall herumwuseln, ihre Startnummern umbinden und loslaufen auf den Strecken, die sich ausgesucht haben, die sie sich zutrauen, die sie herausfordern. Braunschweiger Nachtlauf 2024. Gleich geht es los.
Es ist bereits das 38. Mal, dass der MTV Braunschweig diese Großveranstaltung ausrichtet und auch in diesem Jahr werden es wohl um die 10.000 Läuferinnen und Läufer sein, die auf den Straßen der Innenstadt unterwegs sind. Mitmachen kann, wer Spaß daran hat; sportliche Eliteeigenschaften sind nicht erforderlich. Und so begleiten Eltern laufend ihre Kinder, Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen sind on tour und es wird manch fröhliches Wiedersehen derer geben, die sich noch vom letzten oder vorletzten oder vorvorletzten Jahr her kennen.
Über den heutigen Tag heißt es aus dem 2. Buch Mose: „Siehe, ich sende einen Engel vor dir her, der dich behüte auf dem Wege und dich bringe an den Ort, den ich bestimmt habe.“ Der Weg, den Mose vor sich hat, soll ihn und das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft führen und dieser Weg ist selbst mit der anspruchsvollsten Etappe des Braunschweiger Nachtlaufes nicht vergleichbar. Es warteten große Gefahren und Herausforderungen auf die Israelitinnen und Israeliten, die ohne göttliche Wegweisung kaum zu meistern waren.
Mir gefällt dieses Bild, dass Gott einen Engel vor uns hergehen lässt, der uns den Weg weist. Denn Gefahren und Herausforderungen gab es nicht auf Moses Weg ins gelobte Land. Auf jedem Lebensweg sind sie zu finden, in ganz unterschiedlicher Ausprägung, mal existenziell und mal eher leicht, mal aus eigener Kraft zu bewältigen und mal nur mit der Hilfe anderer oder tatsächlich nur mit Gottes Hilfe.
Die brauchen wir immer dann, wenn wir mit unserem eigenen und irdischen Latein am Ende sind. Das ist Mose und dem Volk Israel auf ihrem Weg oft genug passiert. Und Gott hat geholfen, oft genug in einer Weise, die niemand vorhersehen konnte. Wer hatte schon damit gerechnet, dass aus einem toten Felsen plötzlich frisches Wasser floss, dass es Mana vom Himmel regnete oder sich das Meer vor den Flüchtenden teilte? Nur Gott kann solche Wunder tun und dass er sie tut, darauf dürfen wir vertrauen.
Auf den Laufrouten durch unsere Stadt wird hoffentlich kein solches Wunder nötig sein, damit alle gut ins Ziel kommen. Doch seinen Segen kann der Herr ja trotzdem auf Braunschweiger Nachtlauf legen, damit es gut wird, für alle, die dabei sind. Amen.

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  D-Day

D-Day

Heiko Frubrich, Prädikant - 06.06.2024

Heute vor 80 Jahren begann mit der Landung der Westalliierten des Anti-Hitler-Paktes in der Normandie die Befreiung Frankreichs und später ganz Westeuropas von der Nazi-Tyrannei. Über 320.000 alliierte Soldaten waren daran beteiligt. Insgesamt verloren bei den Kämpfen in Nordfrankreich mehrere Hunderttausende ihr Leben, weit mehr, als unsere Stadt Braunschweig heute Einwohner hat.
In der Normandie und auch in der Bretagne wird man noch jetzt an vielen, vielen Orten daran erinnert. Die Soldatenfriedhöfe der Amerikaner, Briten und auch der Deutschen sind unübersehbar, Meere aus weißen Steinkreuzen, jedes einzelne eine Mahnung an zerstörte Lebenspläne und Lebensträume, eine Erinnerung am Leid und Schmerz, an Verzweiflung und Trauer.
Und dennoch war der 6. Juni 1944 der Beginn eines Siegeszuges der Freiheit und des Friedens. Denn nicht nur in den von Deutschland annektierten Gebieten, sondern auch in Deutschland selbst sollte es einige Monate später ein Ende haben mit der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten, ein Ende mit der Ermordung von Millionen Juden, Zivilisten und Andersdenkender.
Das ist in der Tat ein Grund, Genugtuung zu empfinden. Doch darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass kein einziger Mensch hätte sterben müssen, wenn nicht ein größenwahnsinniger Hitler und seine Gefolgsleute ihre menschenverachtenden Pläne in die Tat umgesetzt hätten. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, bedarf es keiner übermäßigen Intelligenz. Diese Erkenntnis ist so klar und einleuchtend wie das kleine Einmaleins. Doch die Lernkurve von uns Menschen ist manchmal erschreckend flach.
Denn es gibt nach wie vor genug Machthaber auf dieser Welt, die die Lehren, die uns die Soldatengräber erteilen, ignorierten. Sie setzen sich über die Unverfügbarkeit von Menschenleben hinweg und missbrauchen und vernichten es, um ihre persönlichen Ziele durchzusetzen. Und manche treiben diese Perversion noch auf die Spitze, in dem sie sich dabei auf Gott berufen.
Umso mehr sehe ich Kirche und uns alle als Christenmenschen in der Verantwortung, daran zu erinnern, wohin Machtgier und Größenwahn führen kann. Es ist an uns, auf Gottes Wort zu verweisen, damit seine Botschaft vom Frieden nicht im Lärm der Welt untergeht. Auch und gerade dieser heutige Jahrestag ist dazu ein guter Zeitpunkt. Amen.

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  Alexej Nawalny

Alexej Nawalny

Heiko Frubrich, Prädikant - 05.06.2024

Gestern wäre Alexej Nawalny 48 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass gab es an vielen Orten Gedenkfeiern, unter anderem auch in der Berliner Marienkirche.
Nawalny war ein Freiheitskämpfer und ein unerschrockener Putin-Kritiker. Und so war sein Leben geprägt von den Folgen staatlicher Willkür. Immer wieder wurde er aus fadenscheinigen Gründen mit Prozessen überzogen, inhaftiert und wieder freigelassen. 2020 wurde er vergiftet und überlebte nur knapp. Die Behandlung erfolgte in der Berliner Charité.
Nawalny hätte die Möglichkeit gehabt, in Deutschland oder einem anderen freien Land zu bleiben und seine kremlkritische Arbeit von dort aus fortzusetzen. Doch er entschied sich, zurück in seine Heimat Russland zu gehen. Dort wurde er sofort inhaftiert in verschiedenen Straflagern festgehalten. Am 16. Februar starb er in einem solchen Lager in Sibirien und es überrascht wenig, dass die Umstände seines Todes nicht geklärt sind.
Alexej Nawalny war ein unbeugsamer Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit. Mehrfach hatte er versucht, bei den Wahlen gegen Putin anzutreten. Doch der wusste das durch Beugung des Rechts zu verhindern.
Freiheit und Gerechtigkeit haben in keiner Diktatur oder Autokratie Platz, weil sie mit der Unterdrückung, auf denen diese Systeme aufbauen, eben nicht vereinbar sind. Freiheit und Gerechtigkeit flößen den Diktatoren und Autokraten Angst ein, denn sie haben die Kraft, sie von ihren Thronen zu stürzen. Freiheit und Gerechtigkeit sind zerbrechlich und ihre Gegner sind zahlreich. Freiheit und Gerechtigkeit sind aber Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben und sie sind Voraussetzung für Frieden. Das wusste Alexej Nawalny und dafür trat er ein.
Auch Menschen in Russland verfolgten die gestrige Gedenkfeier über das Internet. In Moskau wurde eine solche Zusammenkunft von einem Spezialkommando der Polizei gestürmt, die Anwesenden verhaftet und verhört. Das Regime dort duldet kein Erinnern. Es ist gut, dass wir es können. Und es ist notwendig, dass wir es tun.
Der evangelische Bischof Christian Stäblein sagte gestern in seiner Predigt in Berlin, dass er gerne mit Nawalny dessen Geburtstag gefeiert und ihm ein Geburtstagslied gesungen hätte. Doch er hoffe und vertraue darauf, dass die himmlischen Chöre dies täten. So möge es sein. Amen.

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  Komm in unsre stolze Welt

Komm in unsre stolze Welt

Heiko Frubrich, Prädikant - 04.06.2024

Komm in unsre stolze Welt. Hans von Lehndorf schreibt dieses innige und fast flehende Gebet. Die Worte legen den Finger in die Wunden unserer Zeit, benennen, wo wir alleine nicht mehr weiterkommen. Die Melodie von Manfred Schlenker ist hakelig, erfordert beim Singen besondere Aufmerksamkeit für Rhythmus und Tonfolge. Wir müssen bei der Sache sein, sonst wird das nichts.
„Komm in unsre stolze Welt, Herr, mit deiner Liebe Werben. Überwinde Macht und Geld, lass die Völker nicht verderben. Wende Hass und Feindessinn auf den Weg des Friedens hin.“ So lautet die erste Strophe.
Stolz wird darin zum Thema. Er darf seinen Platz haben in unserem Leben. Er gehört zur Freude am Erfolg – nicht nur am eigenen. Doch Stolz kann auch zur Mauer werden, die andere Ideen, andere Meinungen, andere Menschen und sogar Gott abwehrt. Stolz ist ein guter Nährboden für Überheblichkeit, für die falsche Überzeugung, alles selbst im Griff zu haben, alles zu dürfen und ohne Gott besser durchs Leben zu kommen als mit ihm.
Wir wissen alle, dass menschlicher Größenwahn niemals zu etwas Gutem geführt hat. Wir wissen alle, dass es die Demut braucht, den Mut, auch Diener zu sein, um in einem guten Miteinander zu leben, dass von eben jener Liebe geprägt ist, die von Gott kommt, zu der er uns alle begabt hat und für die er wirbt.
Stolz und Macht und Geld sind die Widersacher, die es dabei zu überwinden gilt. Und ihr Einfluss ist groß und ihre Waffen sind gewaltig. Gott setzt sein Wort dagegen und gibt uns in Jesus Christus Beispiel dafür, wie ein Leben in Liebe gelingen kann. Doch anders als bei den Mächtigen dieser Welt kommt von ihm kein Zwang, keine Gewalt, keine Unterdrückung. Er wirkt leise. Er will sich von uns finden lassen, wartet auf uns mit offenen Armen, doch suchen müssen wir.
Die Musik am Ende der Strophe beschreibt dieses Suchen. Sie entlässt uns nicht mit einem Wohlfühlakkord in kuscheligem Dur. Nein, sie drängt nach vorne, will uns in Bewegung halten, nicht Ausruhen ist angesagt, es muss weitergehen, wir müssen weitergehen auf den Weg des Friedens hin – auf den Gott uns leitet, wenn wir uns ihm anvertrauen. Komm in unsre stolze Welt. Amen.

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  So viel Hass...

So viel Hass...

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.06.2024

Gestern Vormittag fand in Kassel eine große Gedenkfeier für Walter Lübcke statt, der vor fünf Jahren von einem Neonazi ermordet wurde. Gestern Abend stirbt in Mannheim ein junger Polizist, ermordet von einem radikalen Islamisten. Der Tod beider Menschen löste und löst Trauer aus, Betroffenheit und Mitgefühl. Es sind Reaktionen und Emotionen, die aus einer tiefen Überzeugung heraus entstehen, dass das Leben eines jeden Menschen unendlich wertvoll, unersetzbar und unverfügbar ist. Darüber hinaus haben beide ihr Leben verloren, weil sie sich für eine Gesellschaftsordnung eingesetzt haben, in der genau das manifestiert ist und die deshalb das Leben und die Würde jedes Menschen schützt.
Doch es sind nicht nur Trauer und Betroffenheit als Reaktion auf den Tod des hessischen Regierungspräsidenten und den des jungen Polizisten zu finden, sondern auch das, was diese beiden Morde ausgelöst hat: nämlich blanker und zynischer Hass. Islamisten feiern den Attentäter in den sogenannten sozialen Medien als Helden und Vorbild und aus der rechten Ecke wird unverhohlen zur Rache aufgerufen oder lautstark eine Generalverurteilung aller Migrantinnen und Migranten postuliert. Und ich nehme all das zur Kenntnis und es macht mich wütend und traurig und ratlos.
Ratlos, weil ich weiß, wie schwer es ist, gegen den Hass anzukommen. Wenn ein Mensch hasst, dann ist er kaum zugänglich für ein Gespräch und für Argumente, dann ist kein Raum mehr für Respekt und erst recht nicht für Liebe. Und doch bin ich fest davon überzeugt, dass wir nur dann zu einem friedlichen Miteinander finden, wenn wir den Hass in den Herzen derer besiegen, die verblendet sind durch Fanatismus, Lügen und Vorurteile.
Und dazu gehört, jenen immer wieder Paroli zu bieten, die Fanatismus und Lügen und Vorurteile verbreiten, zu widersprechen jenen, die den Tod von Menschen dazu missbrauchen, ihr politisches Süppchen darauf zu kochen, jenen, denen unsere offene Gesellschaft ein Dorn im Auge ist.
Das ist eine große Aufgabe, die mit der eigenen kleinen Kraft nicht zu meistern ist. Gerade darin erlebe ich meinen Glauben als ein großes Geschenk. Denn ich weiß einen Gott an meiner Seite, der mich kennt und der mich trägt und der mich sieht. Ich weiß einen Gott an meiner Seite, der Verständnis hat für meine Ratlosigkeit, für meinen Frust und für meine Angst. Ich weiß einen Gott an meiner Seite, dem ich glaube, dass er es am Ende gutmachen wird – mit Ihnen, mit Euch und auch mit mir. Amen.

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  Viva la musica!

Viva la musica!

Heiko Frubrich, Prädikant - 01.06.2024

350. und 100. Todestag, 200. und 180. Geburtstag, all das sind besondere Termine in diesem Jahr und sie gehören zu den großen Komponisten, von denen unser Kantor Robin Hlinka einige Werke für dieses Mittagsgebet der Jahrestage ausgesucht hat. Und ganz nebenbei nimmt er uns dabei mit auf eine Reise durch die Jahrhunderte und durch einige europäische Länder, die uns von Deutschland über Österreich, Irland und Großbritannien bis nach Frankreich führt.
Das sind übrigens heute allesamt Nationen, zu denen wir ein freundschaftlich nachbarschaftliches Verhältnis pflegen. Zu den Lebzeiten der Komponisten war das nicht immer so. Denn erst nach den schrecklichen Ereignissen des 2. Weltkriegs haben die Europäer ihre bis heute funktionierende Friedensordnung geschaffen. Wir haben es übrigens alle in der Hand, diese zu stärken und zu sichern. Morgen in einer Woche wird ein neues Europaparlament gewählt. Gehen Sie hin und wählen Sie weise und bitte nicht jene, denen ihr eigener Spitzenkandidat so peinlich ist, dass sie ihn vor der Öffentlichkeit verstecken.
Sechs Komponisten stehen heute auf dem Programm. Die Kenner unter Ihnen können beim Hören schon zuordnen, aus welcher Epoche und welcher Region das jeweilige Stück stammt. Ich kann das nicht so ohne weiteres aber ich kann mich in die Musik einfach hineinfallen lassen, kann sie genießen und mich mitunter so darin verlieren, dass ich meinen Auftritt hier vorne verpasse. Was ich damit sagen will: Musik macht was mit uns. Sie berührt uns viel tiefer, als Worte es könnten und dabei ist es dann auch vollkommen egal, welche Nationalität, Hautfarbe, Körpergröße oder Muttersprache der Komponist oder die Komponisten hat. Musik ist im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos und diese Eigenschaft verbunden mit der Genialität der sechs Komponisten ist der Grund dafür, dass wir heute ihre Namen überhaupt noch kennen.
Musik ist etwas Wunderbares und das meine ich so, wie es sage. Ich halte sie für ein Gottesgeschenk, eines aus der Kategorie, mit der der Herr unser Leben schön und reich und lebenswert machen will. Musik ist nicht unmittelbar überlebenswichtig. Aber sie tut der Seele gut. Das kann man von hier vorne beobachten. Sie alle sehen schön aus, wenn Sie zuhören.
Stellt sich noch die Frage, warum dieses Mittagsgebet der Jahrestage nun ausgerechnet heute stattfindet. Die Antwort ist ganz einfach: Heute vor einem Jahr hat Robin Hlinka sein Kantorenamt hier bei uns am Dom angetreten. Gott segnet uns eben nicht nur mit wunderbarer Musik, sondern auch mit wunderbaren Musikern. Und Du, lieber Robin, bist hier für uns tatsächlich ein echter Segen. Möge es noch lange so bleiben – mit Gottes Hilfe und in Jesu Namen. Amen.

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  Nicht alles dienst zum Guten

Nicht alles dienst zum Guten

Heiko Frubrich, Prädikant - 31.05.2024

Amerika galt lange als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, einige sagten auch: der unbegrenzten Unmöglichkeiten. Aber im Großen und Ganzen ist das doch bei uns in Deutschland nicht gravierend anders. Die Freiheiten, die wir genießen, sind schon beachtlich. Natürlich werden sie begrenzt durch die Regeln, die unser Zusammenleben ordnen. Und ja, auch Chancengleichheit vermissen wir in manchen Bereichen zunehmend. Aber verglichen mit anderen Ländern steht uns trotz allem sehr viel offen.
Am letzten Tag des Monats erinnere ich noch einmal an das Bibelwort für den Mai 2024. Da heißt es: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.“ Paulus schreibt diese Worte an die Christinnen und Christen in Korinth. Was der Apostel hier ausdrückt, ist für mich ein zeitloses Thema, denn es beschreibt das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Verantwortung in dem sich jedes Leben abspielt.
Wenn wir eine rote Ampel missachten und erwischt werden, hat das unmittelbare Konsequenzen. Wie auch der ehemalige US-Präsident Trump gestern erfahren durfte, ist Fehlverhalten mit Strafen belegt, die die Täterinnen und Täter dann zu tragen haben. In unserem Verhältnis zu Gott ist das anders. Wenn wir seine Gebote missachten, haut er uns nicht gleich auf die Finger und weist uns zurecht. Manchmal denke ich, dass das wünschenswert wäre. Andererseits würde sich dann möglicherweise unser Gottvertrauen in eine Art „Big brother is watching you-Stimmung“ verwandeln.
Es gibt Menschen, Christenmenschen, die den Standpunkt vertreten, Gott können sie ja immer noch von ihren schrägen Plänen abbringen. Wenn sie nicht in seinem Sinne handelten, könne er sie ja stoppen. Eine solche Position halte ich für hochgradig anmaßend. Wir beten in jedem Vater Unser darum, dass Gott uns nicht in Versuchung führen möge. Und damit dürfte ja wohl klar sein, dass wir den Herrn in keinem Fall versuchen dürfen.
Doch trotz all solcher Erfahrungen bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass Gott uns Menschen ausreichend mit Vernunft begabt hat, um zu erkennen, was richtig und was falsch ist und uns dann auch danach zu verhalten. Ich weiß, dass es genug Beispiele gibt, die daran Zweifel nähren. Aber für mich stirbt auch hier die Hoffnung zuletzt und soweit ist es noch nicht.
Aber es ist und bleibt eine Gradwanderung, die Frage zu beantworten, wo meine Freiheit ihre Grenzen findet, weil das, was ich kann und darf, eben nicht zum Guten dienst. Gott hilft uns, die richtigen Wege zu finden. Für unsere Gebete hat er immer ein offenes Ohr. Gott sei Dank! Amen.

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  Liebe

Liebe

Heiko Frubrich, Prädikant - 30.05.2024

Über dem heutigen Tag heißt es: „Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.“ Der Apostel Paulus schreibt diese Worte an die christliche Gemeinde in Korinth. Wie recht er doch hat! Denn wenn Liebe im Spiel ist, eröffnet sich eine neue Dimension, die größer und weiter ist, als sich mit Prophetie und Erkenntnis beschreiben lässt. Wir kommen der Liebe mit Ratio nicht bei, wir dürfen sie erleben, manchmal müssen wir sie erleiden und sie kontrollieren zu wollen, bringt uns schnell an unsere Grenzen.
Vor ein paar Tagen hat Bundesinnenministerin Faeser die neuesten Zahlen über Gewalttaten gegen queere Menschen in unserem Land veröffentlicht. Das Ergebnis ist alarmierend, denn die Zahlen steigen seit Jahren kontinuierlich an, allein im Vergleich zum Vorjahr um fast 50%. Diese Entwicklung bestätigt den generellen Trend einer Verrohung, die sich in Worten und eben auch in Taten manifestiert. Und es wird deutlich, dass auch die weitestgehende rechtliche Liberalisierung von queerem Leben nicht automatisch in den Köpfen der Menschen ihre Fortsetzung findet.
Vorurteile und Hass lassen sich nicht per Gesetz verbieten. Reden, erklären, mahnen und überzeugen sind hier die Mittel der Wahl. Doch es gibt eine starke Bewegung derer, die eben diese Vorurteile und eben diesen Hass ganz bewusst immer weiter anheizen, um damit nicht nur Menschen zu diskreditieren, sondern das Wertesystem, das unserem Zusammenleben zu Grunde liegt, anzugreifen und zu schwächen. Das Ziel ist es, unsere offene Gesellschaft abzulösen durch irgendein völkisches Konstrukt, das keinen Platz mehr bietet für Unterschiedlichkeit und Vielfalt, sehr wohl aber für Ausgrenzung und Diskriminierung.
Nicht nur der heutige Lehrtext, den wir vorhin gehört haben, sondern auch die Jahreslosung stammt aus Paulus‘ Brief an die Korinther: „Alles, was ihr tut, soll in Liebe geschehen“, heißt es da. Und so abgedroschen das auch klingen mag: Eine Gesellschaft, die in ihrem Zusammenleben, in ihren Regelwerken und in ihren Werten diese Pauluswort mitdenkt, hat keinen Platz für Hass und Gewalt, weil sie in jeder und jedem immer zuerst den Menschen sieht, der eine unverfügbare und unantastbare Würde hat.
In Jesus Christus hat Gott uns eindrucksvoll vorgelebt, wie ein Leben in Liebe aussehen kann. Liebe ist ein Gottesgeschenk, das es hell macht auf dieser Welt und zwischen uns. Und immer wieder stiftet Gott diese Liebe auch zwischen zwei Menschen – Mann und Frau und Frau und Frau und Mann und Mann. Und alles ist richtig. Amen.

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  Ein Jahr Nagelkreuz im Dom

Ein Jahr Nagelkreuz im Dom

Cornelia Götz, Dompredigerin - 29.05.2024

Über diesem Jahr heißt es aus dem ersten Korintherbrief: „Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.“
Es gibt viele Lebensbereiche, in denen uns diese Aufforderung innehalten lässt – ja, ich könnte in etlichen Situationen liebevoller sein oder mit den Dingen umgehen. Und ja, es gibt Konflikte und Herausforderungen, in denen es fraglos hilft, nochmal einen Schritt zurück zu treten und die Perspektive zu wechseln: auch der mit dem ich streite, auch die, die mein Leben gerade schwer macht, sind im Wortsinne liebenswürdige Menschen und bei weitem mehr als nur der Aspekt mit dem ich mich gerade quäle.
Aber bei den Kernthemen für den Mittwoch am Braunschweiger Dom, für das Friedensgebet, wird es schwer. Ich weiß nicht, wie ich meine eigene Haltung zu Krieg und Gewalt, Militarisierung und Aufrüstung verantworten kann, denn im Grunde bin ich nur Beobachterin. Die Front ist weit weg. Ist es dann nicht wohlfeil, sich davor zu fürchten, dass sich die Gewaltspirale immer schneller dreht und die Frage nach der Kriegstüchtigkeit immer dominanter wird? Andererseits: Ich will die jungen Leute aus der Domsingschule nicht in den Krieg ziehen sehen.
Und ich wüsste nicht, was ich mit der Liebe ausrichten kann.
Ich befürchte vielmehr, dass alles was ich von daher einbringen könnte, zynisch oder realitätsfern klingt.
Und ich verstehe, dass das irritiert. Bestenfalls.
Und trotzdem ist etwas an dieser Jahreslosung, das nach einer Tür klingt, von der ich noch nicht weiß, wo sie ist und in welche Richtung sie sich öffnet.
„Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.“
Einer der etwas davon verstanden haben muss und offenbar auch begriffen hat, was zu tun ist, war Richard Howard, der nach den deutschen Bombenangriffen im November 1940 auf Coventry die Worte „Vater vergib“ in die Chorwand der Ruine meißeln ließ. Es hätte so viele verständliche Reaktionen gegeben. Diese geschah in der Liebe – anders lässt sich nicht erklären, dass er das berühmte Matthias-Claudius-Wort “ich begehre nicht schuld daran zu sein“ weit hinter sich gelassen hat und sich nicht herausgenommen hat aus allem.
Genau ein Jahr ist es nun her, dass der amtierende Dompropst John Whitcombe uns das Nagelkreuz aus Coventry hier für den Braunschweiger Dom übergeben hat.
Wir waren damals überrascht wie zart ist.
Und zäh ist es auch.
Es lenkt uns immer und immer wieder zurück zu dieser Bitte „Vater vergib“ - denn auf diesem Weg muss sich doch endlich eine Tür öffnen, die erhellt, wie wir alles in der Liebe tun können.

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  Niemals zu viel

Niemals zu viel

Henning Böger, Pfarrer - 28.05.2024

Vor vier Wochen stand ein Zeitungsreporter vor seiner Tür. John Tinniswood hatte schon ein wenig damit gerechnet. Nun war es so weit: Der Reporter kam, um dem Engländer zu gratulieren: „Happy Birthday, Mr. Tinniswood!“ Er sei mit seinen 111 Jahren nun der älteste Mann der Welt. Und dann folgte die unvermeidliche Frage: „John, wie haben Sie das gemacht, so alt zu werden?“
Wer ein hohes Lebensalter erreicht, wird fast immer danach gefragt, wie er oder sie das gemacht hätte. Und zumeist haben die hochbetagten Jubilar*innen eine Antwort parat. Man möchte ja die Zeitung nicht ohne Antwort entlassen. „John, wie haben Sie das gemacht, so alt zu werden?“ Mister Tinniswood war ehrlich und antwortete britisch-trocken: „Entweder lebt man lange oder man lebt kurz, man kann nicht viel dazu tun.“ Dann hatte er noch einen zweiten Gedanken parat: „Immer Mäßigung - niemals zu viel, sonst wirst du irgendwann leiden. Keine Diät, aber immer wieder mal ‚Fish and Chips‘.“
Das sind zwei lebenskluge Antworten, die es in sich haben, finde ich. Die erste liegt nahe bei dem, was auch Jesus wusste: „Wer untern uns kann dadurch, dass er sich Sorgen macht, sein Leben nur um eine Stunde verlängern?“ Ob du nun lange lebst oder viel zu kurz, deine Lebenszeit ist immer gestundet, will durchmessen sein von Anfang bis zum Ende mit ihren Erfahrungen von Weite und Begrenztheit, von Schwermut und Freude. Das kannst du dazu zu tun!
Und dann der zweite Satz: „Immer Mäßigung - niemals zu viel, sonst wirst du irgendwann leiden.“ Ich verstehe das so: Das Glück des Leben lässt sich auch auf halber Strecke finden zwischen dem größten Dank und der tiefsten Klage, in der Fähigkeit, sich begnügen zu können mit dem, was ist. Man kann viele Wünsche ans Leben haben und große Hoffnungen, aber man lebt aufs Ganze wohl zufriedener, wenn man nicht auf seinen Wünschen beharren muss. Der Theologe Fulbert Steffensky hat das einmal als gelingende Halbheit bezeichnet: „Die Schönheit des Lebens liegt nicht im vollkommenen Gelingen und in der Ganzheit. Die große Leidenschaft kann sich auch im halben Herzen verstecken.“
John Tinniswood lebt mit seinen 111 Jahren mittlerweile in einem Pflegeheim, kann das meiste aber noch selbständig erledigen. Die Zeitung schreibt nach dem Geburtstagsbesuch, er sei ein durch und durch zufriedener Mensch.

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  Worte, die tragen

Worte, die tragen

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.05.2024

Noch immer liegt das Papierbanner hier im Dom und erzählt etwas von der unerschütterlichen Unverletzbarkeit der Menschenwürde.
Es geht einfach nicht kaputt.
Es hält und trägt.
Und ist so viel strapazierfähiger als ich mir vorstellen konnte.
Ja, man kann sogar genießen, drüber zu laufen und zu spüren: ich habe Grund und festen Boden unter den Füßen.
So wird auf einmal etwas von den Fundamenten unseres Lebens sichtbar und ich beginne darüber nachzudenken, ob wir das nicht mit anderen Grundtexten auch machen sollten.
Einem Psalm zum Beispiel.
Menschen vor uns, die uns in ihren Ängsten und Nöten, Hoffnungen und Freuden, ganz nah sind, haben Worte gefunden, mit denen wir heute noch beten können, wenn wir keine eigenen Worte haben, in deren Glauben wir uns bergen können und dann merken: in mir wächst er auch..
Einer von diesen Texten ist der 71. Psalm.
Herr, ich traue auf dich,
lass mich nimmermehr zuschanden werden.
neige deine Ohren zu mir und hilf mir!
Du lässest mich erfahren viel Angst und Not
und machst mich wieder lebendig
und holst mich wieder herauf
aus den Tiefen der Erde.
und tröstest mich wieder.
Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast,
sollen fröhlich sein und dir lobsingen.
Eine Freundin erzählt, dass sie diesen Text im Wartezimmer eines Arztes vor sich hingesprochen hat. Immer und immer wieder.
Der Psalm hat ihr geholfen, die quälende Zeit der Ungewissheit zu überstehen.
Der Psalm hat ihr geholfen, vor lauter Angst nicht verrückt zu werden.
Und es hat sie getröstet, dass andere ihn auch beten.
In der eigenen Not.
Und für sie.
Ihr Glaube hilft tragen, wo meiner brüchig wird.
Ihre Hoffnung hilft leben, wo meine kein Land sieht.
Sie schenken Gemeinschaft, wo ich mich allein fühle.
Was für ein kostbarer Schatz. Wir haben ihm immer. Wir müssen ihn nur heben und uns erinnern und vergewissern. Wie an die Würde.
Unser Glaube mag zart und zerbrechlich scheinen.
Und doch: er hält und trägt.

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  Geburtstag

Geburtstag

Cornelia Götz, Dompredigerin - 23.05.2024

Heute hat das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag.
Allmählich weiß es hoffentlich jede und jeder.
Überall steigen Geburtstagspartys – in Braunschweig am Sonntagnachmittag auf dem Schlossplatz, in Berlin rund ums Kanzleramt.
Es sollen Demokratiefeste werden!
Gut so; wir haben ja auch schon lange nichts mehr dergleichen gefeiert, denn vielleicht ist es ja mit der Demokratie, der Freiheit, den Menschenrechten und der Menschenwürde wie mit dem Frieden, der – so schrieb es jüngst Heribert Prantl: „seine Magie erst im Krieg entfaltet“.
Erst wenn er verloren ist, besingen wir ihn wieder.
Erst jetzt sind wir endlich wach genug, um zu verstehen: Dass wir hier nicht in einer Diktatur leben, dass wir in sehr wesentlichen Dingen frei und selbstbestimmt entscheiden können, ist keineswegs selbstverständlich.
Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes war das zutiefst bewusst. Die Erfahrung von Diktatur und Krieg, Entmenschlichung und Massenmord hatte sich tief eingegraben.
Darum versahen sie Art 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ mit der Ewigkeitsformel, damit dieser Artikel niemals abgeschafft werden kann.
Anrührend beinahe – wir alle sind ja endlich und was wir tun erst recht. Ewigkeit zu garantieren gehört nicht zu unseren Möglichkeiten.
Und andererseits überhaupt nicht anrührend, denn die Präambel beginnt so:
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen...“,
Im Bewusstsein dessen, dass es einen unverfügbaren Grund und Rahmen unseres Leben gibt,
im Bewusstsein dessen, dass unsere Zeit in Gottes Händen steht und wir uns am Ende der Zeit verantworten müssen,
sind wir es, die diese Werte samt seinem überaus klaren Friedensgebot hüten und verteidigen müssen.
Woraus schöpfen wir die Kraft und den Mut, das immer wieder zu versuchen und der Relativierung und Missachtung einzelner Rechte zu widerstehen?
Ich glaube aus eben dieser unverfügbaren ewigen Quelle, von Gott her, der unter uns Mensch geworden ist. Darum heißt es wundersam, tröstlich und zutiefst weihnachtlich über diesem 23. Mai:
„Das Volk, das im Finstern wandelt sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande scheint es hell.“

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  Nicht drauftreten!

Nicht drauftreten!

Cornelia Götz, Dompredigerin - 22.05.2024

Es geht mir nach.
Die erste Frage, die ein Mensch an Gott richtet, kommt von Kain und heißt: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ und es klingt ein bisschen wie: „Soll ich etwa meines Bruders Hüter sein?“
Oder sogar: „Hätte ich meines Bruders Hüter sein sollen, obwohl…?“
Da ist dieser Bruder längst tot.
Kain ist schuld und Gott weiß es.
Warum hat er trotzdem nach Abel gefragt?
Will er wissen, ob wir zu dem stehen, was wir angerichtet haben?
Will er wissen, ob da ein Gewissen schlägt?
Will er, dass Kain seine Frage raushaut und es ausspricht:
„Reicht es nicht, dass ich mich um mich kümmere, soll ich auch noch für meinen Bruder verantwortlich sein?“
Gott wird das nicht ausdiskutieren.
Gott treibt den Kain vielmehr vor sich her:
„Was hast du getan?“
Generationen später, unendlich viele zerstörte Leben und missachtete Menschenrechte später steht die Antwort auf jene allererste Frage ohne Worte und dennoch dröhnend im Raum:
Ja, natürlich sollen wir Hüter*innen unserer nahen und fernen Geschwister sein. Was denn sonst.
Hier im Dom liegt nun noch von gestern Abend die Plane mit den „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Die barfüssigen Tänzer*innen haben das Banner mit größter Vorsicht ausgerollt. Menschen würde soll ja tunlichst nicht mit Füßen getreten werden.
Wir tun es trotzdem. Immer wieder.
Manchmal passiert es aus Versehen. Manchmal unwissentlich. Manchmal aus Unsensibilität.
Aber meistens passiert es, weil „man“ sich darauf verlassen kann, dass wir schlechter Hüter*innen unserer Nächsten sind – ohnmächtig, mutlos, ratlos.
Gestern Morgen habe ich im DLF mit einem Ohr gehört, dass Asylsuchende in der afrikanischen Wüste ohne Wasser im Niemandsland ausgesetzt werden.
Wie die Herero. Wie die Armenier*innen.
Später habe ich die Nachricht gesucht. Ich konnte es nicht glauben. Auf der Tagesschau-Seite habe ich dann gefunden: „In Nordafrika verschleppen von der EU finanzierte Sicherheitskräfte Asylsuchende, die nach Europa wollen. Eine internationale Recherche zeigt ein System der Abschreckung von Migranten auf ihrem Weg nach Europa.“
„Was hast Du getan, fragt Gott.“
„Ich war es nicht“ möchte ich antworten.
Aber ich traue mich nicht und weiß deshalb auch nicht, wo hintreten.

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  Lasst uns feiern!

Lasst uns feiern!

Cornelia Götz, Dompredigerin - 18.05.2024

An diesem Wochenende werden sich die Autos nicht nur am Brenner kilometerlang stauen, Züge werden voll sein und Fahrradwege gut frequentiert, denn wir haben ein langes Wochenende im Wonnemonat Mai – herrlich! Wenn auch fast keiner weiß warum.
Es ist Pfingsten. Wir alle haben frei wegen des Kommens des Heiligen Geistes, des Trösters. Nach all dem Hin und Her der An- und Abwesenheit Gottes in unserer Welt innerhalb einer Generation: Weihnachten ist er ganz nah, Karfreitag fort, Ostern wieder da, Himmelfahrt fort - bricht nun an, was schon seit 2000 Jahren so ist: Christsein in der Kirche samt ihrer menschengemachten und darum immer wieder auch sehr fragwürdigen Gestalt, Gemeinschaft der Heiligen als Erinnerung daran, dass wir mehr sind als unsere verbogene unvollkommene Existenz hier.
Getröstet. Geheiligt. Geistbegabt.
Und alle haben frei.
Also lasst uns feiern! Nun lässt sich der Geburtstag des Grundgesetzes womöglich leichter feiern - und wir werden das in der kommenden Woche immer wieder und überall tun! - als das schwer begreifliche Pfingstfest, über dem es bei dem Propheten Sacharja heißt:
„Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der HERR.“
Was soll nicht mit Gewalt passieren?
Was soll nicht durch massiven Druck geschehen?
Liest man die Pfingstgeschichte, dann kann sich dieses „es“ auf die unverhoffte plötzliche Fähigkeit der Menschen unterschiedlichster Herkunft und Sprache, Kontexte und Lebenserfahrungen beziehen, sich miteinander zu verständigen, ja sogar: sich gegenseitig zu verstehen.
Sie erleben offenbar eine ungeheure Klarheit. Menschen aus dem heutigen Iran und Irak, Syrien und der Türkei erfahren eine große wundersame Nähe. Sie bleiben Verschiedene aber sie hören auf, sich voneinander befremden zu lassen.
Vielmehr spüren sie: ihre Hoffnungen und Sorgen, Sehnsucht und Ängste sind einander ganz ähnlich – sie sind ja alle Menschen: einzigartig, verletzlich, liebensfähig und liebenswürdig.
In unserem Grundgesetz heißt das: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Gottes Geist hilft dabei zu verstehen: du musst sie nicht machen, sie ist unverfügbar und sie leuchtet aus Dir!
Wenn das nicht ein paar Feiertage wert ist!!!

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  B - Baruch

B - Baruch

Cornelia Götz, Dompredigerin - 17.05.2024

Eigentlich hatte ich – vielleicht erinnern Sie sich – in diesen Andachten ein bisschen Bibelkunde vor und habe unverdrossen im April mit A wie Abel begonnen. Da sieht man, wie die Zeit rast. Nun ist schon Mitte Mai. Und wir sind noch nicht mal bei B. Vielleicht ist das ja ein Zeichen dafür, dass viel zu viel auf den Nägeln brennt und seinen Moment im Alltag braucht, sich vordrängelt.
Heute jedenfalls soll es um B – Baruch gehen, denn er war einer der dafür sorgte, dass Zelt und Ort im Gedächtnis und Erinnerung möglich bleibt, damit wir nicht von der Schnelllebigkeit unserer Kommunikationskultur fortgerissen werden.
Baruchs Name stammt, wenig überraschend, aus dem Hebräischen und heißt: „Gesegneter“. Er begegnet uns im Alten Testament bei dem Propheten Jeremia. Er war sein Zeitgenosse, vielleicht sogar sein Freund. Jedenfalls vertraute ihm Jeremia Wichtigstes an.
So wird von Baruch, dem Sohn des Nerija, erzählt, dass er Urkunden für einen Ackerkauf, also den Kaufbrief und versiegelte Abschriften zu treuen Händen übernahm und in einem irdenen Gefäß aufbewahrte, damit sie lange erhalten blieben. Später – wenn alles verloren sein würde - sollte man sich erinnern können, dass es eine Zeit gab in der es möglich war, Häuser, Gärten und Weinberge in Israel zu besitzen.
Später wird er all die Worte Jeremias, die der von Gott hatte, nach Diktat aufschreiben und im Tempel vorlesen. So verdanken wir einen Grundstock des Jeremiabuches, wie wir es heute kennen, wahrscheinlich ihm.
Baruch, ein Mann der zweiten Reihe.
Sein Name wird im Konfirmandenunterricht nicht fallen und vermutlich kann man auch eine Bibelkundeprüfung bestehen ohne Baruch auf dem Schirm zu haben. Aber ohne ihn, ohne seine Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, ohne seine Treue zu dem Propheten, der sicher nicht zu den Lieblingen seiner Zeit gehörte, wären kostbare Worte, Wegweisungen, Texte, die heute noch immer mit Kraft und Präsenz daherkommen und Orientierung geben können, verlorengegangen.
So ist es oft.
Die Menschen, die in Büros vorbreiten und zuarbeiten, werden in der Geschichtsschreibung, bei Ehrungen und Platzierungen oft genauso vergessen wie die, die dafür sorgen, dass wir zu essen und zu trinken haben, dass es Wasser und Strom gibt, Post kommt, Müll verschwindet.
Das Schicksal hingegen vergisst die weniger Sichtbaren nicht. Auch Baruch wurde nach Ägypten verschleppt. Seine Spur verliert sich in der Gefangenschaft.
Sein Siegelabdruck ist geblieben. Eine Spur durch die Zeit.

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  Nicht da lang

Nicht da lang

Cornelia Götz, Dompredigerin - 16.05.2024

Über diesem Tag heißt es im 104. Psalm: „Du tränkst die Berge von oben her; du machst das Land voll Früchte, die du schaffst.“
Mithin, es müsste doch alles gut sein.
Es wird genug Wasser geben, damit nicht alles verdorrt, genug Wärme, damit nicht alles erfriert und Bienen auch, damit aus Blüten Früchte werden.
Es ist gesorgt, für die Fülle des Lebens und die Herrlichkeit der Schöpfung.
Warum wächst uns dann doch so viel über den Kopf?
Warum fällt es so schwer, Wege zu finden, die dem Leben dienen?
Und erst recht, warum gibt es so viel Hartherzigkeit in den Konflikten und Anstrengungen des Alltags?
Bei einem Telefonat heute Morgen erzählte eine Freundin von der Mühsal ernst- und wahrgenommen zu werden, von der Gleichgültigkeit Dritter, wenn irgendwann alles zu viel wird und auch vom dröhnenden Schweigen, wenn man miteinander an all dem scheitert. Sie war angefasst von einer traurigen Geschichte: ein Freund war in seiner Gemeinde mit der Art, wie er arbeiten wollte und konnte, an Grenzen gestoßen. Zuletzt war die Arbeitsbeziehung zerrüttet und wurde beendet. Am Tag nachdem er sein Büro ausgeräumt hatte starb er. Viel zu früh nachdem alles zu spät war.
Dieses Unglück hatte ihr die Augen geöffnet für ihren eigenen Umgang mit Konflikten und dann und wann auftretenden toxischen Machtspielen, die hoffentlich nicht alle von uns kennen.
„Ich denke“ sagte sie „zurzeit so oft an die Heimreise der heiligen drei Könige, die Weisen aus dem Morgenland. Nachdem sie bei Herodes gewesen waren und das Gotteskind gefunden und angebetet hatten, befahl ihnen Gott im Traum: geht einen anderen Weg zurück als den, den ihr gekommen seid. Es geht um Leben und Tod.“
Das scheint es manchmal zu brauchen: aussteigen aus den ungesunden und heillosen Bahnen, in die wir geraten sind – auch dann wenn wir noch hoffen, dass es doch anders gehen müsste.
Aussteigen. Nicht auf denselben Wegen bleiben. Nicht gehorchen.
Die Weisen zogen auf einem anderen Weg wieder zurück in ihr Land. Erzählt Matthäus. Ist das Umkehr? Nachfolge? Freiheit? Oder Vertrauen, dass Gott uns wirklich im Blick hat und für uns sorgt? Denn: „Du tränkst die Berge von oben her; du machst das Land voll Früchte, die du schaffst.“

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  1948

1948

Cornelia Götz, Dompredigerin - 15.05.2024

Mittwoch: Friedensgebet.
Immer weiter und immer wieder.
Nur manchmal steigen wir für einen Moment aus, halten das Gesicht in die warme Frühlingssonne, gönnen uns das Staunen, mit heiler Haut durch den Tag gehen zu dürfen.
So unverdient.
So ungerecht.
Die einen können nach dem Innehalten hier nach Hause gehen, an einen sicheren geborgenen Ort, dorthin, wo ein gültiger Pass im Schreibtisch liegt.
Die anderen sind über Generationen staatenlos, heimatlos, auf der Flucht.
Heute, am 15. Mai, gedenken Palästinenserinnen und Palästinenser der Nakba. 1948 mussten über 700.000 Palästinenser*innen in Folge der Staatsgründung Israels ihre Dörfer und Städte, ihre Häuser und Felder, ihre Olivenbäume und Gärten verlassen und zogen in den Libanon, nach Syrien oder Jordanien in Flüchtlingslager.
Drei Generationen später hat sich die Zahl der Flüchtlinge dort verdoppelt, wenn nicht verdreifacht.
Aber es gibt keine Perspektive.
Die Gewalt findet immer neue Nahrung. Der Hass auch. Es wachsen Früchte des Zorns und der Hoffnungslosigkeit.
Und wir hier?
Wir können kaum nachfühlen, was all das bedeutet.
Wege zum Frieden sind nicht zu sehen.
Ich spüre, wie ich durch dürre Worte irre und mir deshalb die anderer borge.
Dorothee Sölle schrieb:
„wir können nicht fühlen / was wir nicht tun“ und setzt unerbittlich streng fort „darum ist es nicht genug / den frieden zu loben / den frieden zu träumen / um frieden zu bitten …“
Sie mag recht haben. Genug ist es nicht.
Aber in auswegloser Zeit ist es vielleicht das Beste was wir tun können:
Den Frieden zu loben, ihn zu träumen und für ihn zu bitten…“
Immer und immer wieder.

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  Patchwork-Decken

Patchwork-Decken

Peter Kapp, Pfarrer - 13.05.2024

Sie alle kennen sicher Patchwork-Decken. Bunt sind sie und meist aus unterschiedlichen Materialien zusammengesetzt. Immer wieder überraschend. Im Internet kann man lesen: Beim Patchwork werden Flicken unterschiedlichen Materials, Musters und unterschiedlicher Farbe nebeneinander und übereinander zusammengenäht, um eine neue Textilie herzustellen.
Die neuen Stücke sind in jedem Fall Unikate, es gibt sie so nie wieder, sie haben den Rang der Einzigartigkeit. Der Begriff Patchwork hat sich inzwischen auch für Familien eingebürgert, die sich aus unterschiedlichen Herkunftsfamilien zusammensetzen und eine neue Familie bilden. Patchworkfamilie.
An dieses Bild von den bunten Decken und ihrer Einzigartigkeit musste ich in diesen Tagen bei meinen Besuchen in der Vesperkirche denken, die noch bis zum 17. Mai, also bis Freitag in dieser Woche, in unserer Nachbarkirche Str. Martini am Altstadtmarkt stattfindet. Jeden Tag ab 15 Uhr kommen dort Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus zusammen. Es gibt Kaffee und Kuchen, es gibt ab 17.30 Uhr immer kostenfrei eine warme Mahlzeit und es gibt ein Kulturprogramm jeweils um 19 Uhr eines jeden Tages. Die Veranstaltenden haben sich viel Mühe gegeben, sogar eine kleine Hüpfburg in Form einer Kirche steht bereit. Und wenn man die Luft rauslässt, dann fällt die kleine Kirche ganz langsam in sich zusammen. Mein kleiner Enkel, drei Jahre, hat das erleben müssen und wir konnten nur mit dem Hinweis, dass auch die Kirche schlafen gehen muss, den Schmerz über das sichtbare Schwinden von Halt und Größe lindern.
Vesperkirche. Das ist etwas ganz Besonderes. Da entsteht aus vielen Einzelnen eine neue Gemeinschaft auf Zeit. Man kann nie wissen, mit wem man am Tisch sitzen wird. Man muss damit rechnen, dass es ganz anders sein kann als gewohnt. Aber alle verbindet, dass sie sich darauf einlassen, dass sie miteinander beim Tischgebet einen kleinen Moment innegehalten haben.
Vesperkirche ist viel mehr als nur ein kostenloses Essen in mittelalterlichem Ambiente. Es ist keine Verlegung der sonstigen Angebote an diesen Ort. Es ist vielmehr der Versuch, darauf hinzuweisen, dass diese ganze Gesellschaft anders sein könnte. Dass die neue Decke aus den vielen kleinen einzelnen Teilen plötzlich zum Staunen ist, dass sie groß ist und wärmen kann. Dass alle dazugehören und mit am Tisch sitzen dürfen. Wie reich wäre eine Gesellschaft, in der das selbstverständlich wäre: alle gehören dazu. Alle haben eine ganz besondere Würde, alle sind Gedanken Gottes in dieser Welt.
Vesperkirche ist Erinnerungsfest. Erinnerung daran, dass die Welt eigentlich anders aussehen könnte und sollte. Vielleicht gelingt es ja hier und da, dass die Vielfalt leuchtet wie eine bunte Patchworkdecke. Dass wir die Verschiedenheit nicht als Bedrohung, sondern als Reichtum begreifen. Das wäre schön. Dann hätte sich die Vesperkirche wieder einmal gelohnt.

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  Anti-Diät-Tag

Anti-Diät-Tag

Heiko Frubrich, Prädikant - 07.05.2024

Es gibt so Tage, an denen macht es besonders große Freude, den Abendsegen zu feiern. Heute ist für mich so ein Tag und Sie werden gleich verstehen, warum das so ist, denn heute ist Internationaler Anti-Diät-Tag. Er wurde 1992 von der britischen Autorin Mary Evans Young initiiert. Sie war, geleitet von falschen Schönheitsidealen in eine Magersuchterkrankung geraten, die sie Anfang der 90er Jahre erfolgreich überwinden konnte. Seit dem setzte sie sich öffentlichkeitswirksam gegen übertriebenen Schlankheitswahn, gegen die Diskriminierung von Übergewichtigen und Fettsüchtigen und für die Würdigung der Vielfalt von natürlichen Größen- und Gewichtsunterschieden ein.
Natürlich ist es anzuraten, auf die eigene Gesundheit zu achten und ja, es ist nicht gut, dauerhaft erheblich zu viele Kilos mit sich herumzuschleppen. Aber das zwanghafte Hungern, um von den Medien suggerierte Idealmaße und –Werte zu erreichen, ist ganz sicher auch nicht gesundheitsfördernd. Das Abgleiten in die Magersucht steht oft auch im Zusammenhang mit einem gestörten Selbstwertgefühl. Menschen fühlen sich minderwertig, weil sie nicht über das verfügen, was in der sogenannten öffentlichen Meinung eine gute und schlanke Figur ist.
Der Weg heraus aus dieser besonderen Art der Suchterkrankung ist lang und schwierig und er gelingt auch nur dann, wenn es den Betroffenen gelingt, sich selbst so anzunehmen, wie sie sind. Jesus vertritt in diesem Zusammenhang übrigens eine sehr klare Position. Er sagt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Entscheidend ist der zweite Satzteil: wie dich selbst. Wir sollen uns selbst lieben. Nicht: wir dürfen, wenn gerade mal nichts Anderes zu tun haben, nein, wie sollen und selbst lieben!
Nur, wenn wir akzeptieren, wie wir sind, wenn wir mit uns ins Reine kommen, nur dann haben wir Kraft genug, um auch auf andere zuzugehen, für sie da zu sein und ihnen zu helfen. Dabei können wir uns von Gott getrost etwas abgucken, denn er hat uns, seit dem es uns gibt, so angenommen, wie wir sind. Jede und jeder von uns ist einer seiner guten Gedanken, gewollt und geliebt mit all unseren Stärken und Schwächen, unseren Ecken und Kanten, unseren Erfolgen und unseren Niederlagen. Gott sieht den Menschen in uns und nur den Menschen.
Das dürfen wir uns gerne immer wieder ins Gedächtnis rufen. Und ob wir nun ein paar Kilos zu viel auf die Waage bringen, ist dem Herrn dabei ganz sicher vollkommen wurscht. Amen.

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  Es reicht!

Es reicht!

Heiko Frubrich, Prädikant - 06.05.2024

Gestern war ein Bericht aus dem Alten Testament Predigttext in unseren Kirchen. Dabei ging es um Gottes Reaktion auf das Goldene Kalb, dass sich die aus der Sklaverei befreiten Israeliten als ihren neuen Gott geschaffen hatten. Gott ist, um es vorsichtig auszudrücken, stinksauer und kann nur mit Mühe davon abgehalten werden, sein Volk auszulöschen.
Szenenwechsel. Als Jesus nach seinem Einzug in Jerusalem in den Tempel geht, findet er in der Vorhalle Händler, die Opfertiere verkaufen, Geldwechsler und weiteren Trubel. Jesus reagiert darauf unerwartet und ungewohnt ruppig und schmeißt die Händler und Geldwechsel hochkant aus dem Tempel. „Dieses Haus soll ein Bethaus sein, doch ihr habt eine Räuberhöhle daraus gemacht!“, so lautet seine klare Ansage.
Szenenwechsel: In Dresden wird der Europaabgeordnete Matthias Ecke beim Aufhängen von Wahlplakaten krankenhausreif geprügelt. In Essen wird der 3. Bürgermeister der Stadt Rolf Fliß auf dem Heimweg angepöbelt und geschlagen. Der Bürgermeister der Gemeinde Markt Schwaben Michael Stolze tritt zurück, weil er und seine Familie im Zusammenhang mit dem Bau einer Unterkunft für Geflüchtete beschimpft, beleidigt und bedroht werden.
Ich finde, es ist spätestens jetzt an der Zeit, dass wir uns am Herrn und an Jesus Christus ein Beispiel nehmen. Ich finde, es ist spätestens jetzt an der Zeit, dass auch uns der Draht aus der Mütze fliegt und wir laut und deutlich sagen: Es reicht! Ich finde, es ist spätestens jetzt an der Zeit, mahnend darauf hinzuweisen, welche Entwicklung sich in unserem Land nicht mehr nur andeutet, sondern bereits in vollem Gange ist!
Unsere Demokratie ermöglicht es uns allen, die Freiheit eines Christenmenschen wirksam und angstfrei auszuleben. Das ist ein hohes Gut. Doch es gibt Kräfte, denen diese Freiheit nicht passt. Und so kooperieren und kollaborieren sie mit jenen, deren Ziel es ist, unser demokratisches System zu schwächen und zu untergraben.
Und sie arbeiten dabei nicht nur gegen die Demokratie, sondern auch gegen die Werte, die damit in Zusammenhang stehen: uneingeschränkte Menschenwürde für jede und jeden, Vielfalt, Freiheit und ein faires und offenes Miteinander – alles im Übrigen auch christliche Werte.
Und ja, es gibt Baustellen und manches läuft sicher nicht optimal in unserem Land und in Europa ebenfalls nicht. Doch Extremismus und Radikalismus, egal aus welcher Ecke er auch kommen mag, ist ganz sicher die falsche Antwort. Und deshalb ist es wichtig, dass wir als Christinnen und Christen zeigen, dass das mit uns nicht zu machen ist – auf der nächsten Pro-Demokratie-Demo, an der Wahlurne, auf jeden Fall aber mit Gottes Hilfe und in Jesu Namen. Amen.

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  Pressefreiheit

Pressefreiheit

Heiko Frubrich, Prädikant - 03.05.2024

Heute ist der Tag der Pressefreiheit. 1994 hat die UNESCO den 3. Mai als diesen Tag ausgerufen und Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ sammeln und publizieren Daten über Behinderungen der journalistischen Arbeit. Derlei Einschränkungen sind vielfältig und gehen von staatlicher Zensur über Einschüchterungsversuche bis hin zu physischer Gewalt und der Gefahr für Leib und Leben.
Für Deutschland gibt es Gutes zu vermelden, denn unser Land ist seit über 20 Jahren endlich wieder unter den Top 10. Die Gründe dafür relativieren die Freude ein wenig, denn sie sind auch darin zu finden, dass sich die Situation in anderen Ländern deutlich verschlechtert hat. Doch es gibt auch erfreuliche Tendenzen bei uns. So ist die Zahl gewalttätiger Übergriffe auf Presseschaffende auf 41 berichtete Fälle zurückgegangen. In 2022 waren es noch über 100.
Wo es richtig finster aussieht, können Sie sich wahrscheinlich denken. Da finden
wir Syrien, Nordkorea, Russland, den Iran, China und weitere Länder, in denen es nicht nur mit der Pressefreiheit, sondern mit dem Schutz der Menschenrechte insgesamt nicht zum Besten bestellt ist.
Presse- und Meinungsfreiheit sind Eckpfeiler von demokratischen Systemen. In unserem Land sind sie im Grundgesetz verankert und garantiert. Darauf können wir stolz sein und wir werden das in diesem Jahr gebührend feiern. Denn unser Grundgesetz wird am 23. Mai 75 Jahre alt. Auch wir vom Dom beteiligen uns an diesem Jubiläum und das nicht nur, weil in der Präambel unserer Verfassung unsere Verantwortung vor Gott erwähnt wird.
Sie können das Grundgesetz neben die Evangelien legen und werden erstaunliche Übereinstimmungen feststellen. Die Würde des Menschen steht in unserer Verfassung ganz weit oben – bei Jesus auch. Unser Grundgesetz sichert uns fundamentale Freiheitsrechte zu – Jesus auch. Außerdem lässt uns unsere Verfassung frei entscheiden, ob und an was wir glauben – Jesus auch.
Aus diesem Gesamtkontext ist die Pressefreiheit, also ein freier Journalismus, der ungehindert berichten kann, worüber er berichten möchte, der ungehindert aufdecken kann, was wichtig ist, der ungehindert kritisieren kann, was er für kritikwürdig hält, nicht wegzudenken.
Und ja, Offenheit und Klarheit ist auch im kirchlichen Sektor ein Thema, bei dem es in manchen Bereichen noch Luft nach oben gibt. Viel zu oft und viel zu lange wurden gerade im Zusammenhang mit Missbrauchsfällen Informationen vertuscht und verheimlicht. Und auch hier ist es einem wachen und engagierten Journalismus zu verdanken, dass sich diese Zeiten ihrem Ende zuneigen. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit, schreibt Paulus. Das ist Entlastung und Verpflichtung gleichermaßen. Amen.

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  Weltüberlastungstag

Weltüberlastungstag

Heiko Frubrich, Prädikant - 02.05.2024

Gestern haben viele Menschen in unserem Land den 1. Mai gefeiert – mit teilweise sehr unterschiedlichen Vorzeichen und Zielsetzungen, erfreulicherweise aber weitgehend friedlich. Und heute ist dann gleich der nächste bemerkenswerte Tag, der allerdings deutlich weniger zu ausgelassenem Feiern einlädt: Heute ist der deutsche Weltüberlastungstag.
Das bedeutet, dass wir von Jahresbeginn bis heute bezogen auf unser Land die uns zuzurechnenden Ressourcen der Erde verbraucht haben und den Rest des Jahres sozusagen von der Substanz leben, oder anders formuliert: auf Pump. Unser Lebensstil erfordert streng genommen drei Erden, aber wir haben nur diese eine.
Global betrachtet liegt der Weltüberlastungstag in diesem Jahr Anfang August. Ein ausgeglichenes Ergebnis gab es letztmalig 1970. Da reichte das, was die Erde hervorbringen kann zum letzten Mal aus, um den Ressourcenverbrauch zu decken.
Am vergangenen Sonntag war eine Passage aus der Offenbarung des Johannes Predigttext in unseren Kirchen. Da ging es zum einen um den Chor der Siegerinnen und Sieger, die angekommen in Gottes Herrlichkeit ein großes Loblied anstimmen. Zum anderen wurde uns aber auch von sieben Schalen berichtet, die, von Engeln getragen, Gottes letzten Zorn enthielten.
Der Inhalt einer Schale machte, dass alles Leben in den Meeren dieser Welt starb. Die weiteren trockneten Flüsse aus, brachten Gluthitze über die Erde, ließen die Menschen sich von Gott abwenden und in bösen Taten ergehen und so weiter und so fort.
Könnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass wir etwas aus diesen Schalen verschüttet haben? Sind wir nicht auf dem besten Weg, das Leben in den Meeren auszurotten, Gluthitze über Erde zu bringen und böse Taten zu begehen – noch und nöcher? Mich erinnert vieles von dem, was gerade auf dieser Welt passiert, an die Schilderungen aus dem letzten Buch der Bibel. Aber es ist Vorsicht geboten. Denn wir sind schnell dabei, zu verdrängen, wer wofür verantwortlich ist.
Keinen der Kriege, die momentan auf der Welt toben, hat Gott angefangen. Es waren und sind immer Menschen. Nicht Gott ist verantwortlich für die Überfischung und Verschmutzung der Weltmeere, nicht er trägt die Verantwortung für den Klimawandel und die damit einhergehende Versteppung einstmals fruchtbaren Bodens. Und Gott hat nicht entschieden, unbegreifbar hohe Geldsummen für todbringende Waffen auszugehen, anstatt damit den Hunger in dieser Welt zu bekämpfen und unser Tun und Lassen ökologischer zu gestalten.
Wir tragen Verantwortung für diese Welt, die Gott uns anvertraut hat. Und wir, die wir hier in Deutschland in vielerlei Hinsicht Loge sitzen, tragen Verantwortung für die Menschen, denen es schlechter geht als uns. Das Pauluswort „Einer trage des anderen Last“ beschreibt eine globale Aufgabe und meint nicht nur freundliche Nachbarschaftshilfe.
Der Weltüberlastungstag führt uns vor Augen, dass wir deutlich zu Lasten anderer leben. Diese anderen sind Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern, genauso wie kommende Generationen. Und so ist Umkehr eben nicht nur ein religiöses Thema, woran uns der heutige Tag freundlich erinnert. Amen.

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  Ungefährliche Ritter

Ungefährliche Ritter

Cornelia Götz, Dompredigerin - 29.04.2024

Am 23. April 303, einem Freitag, wurde Georg, der Drachentöter, der spätere Heilige, im Alter von etwa 22 Jahren, enthauptet.
Man weiß nur wenig über ihn – aber das, was man weiß, ist schon im vierten Jahrhundert bezeugt worden. Danach wurde er in eine adlige christliche Familie geboren. Sein Vater stand im Dienst der Römer in Kappadokien. Seine Mutter stammte aus der Provinz Syrien-Palästina. Die Eltern ließen das Kind sofort nach der seiner Geburt wegen seines kritischen Gesundheitszustandes taufen.
Georg war zehn Jahre alt, als sein Vater auf dem Schlachtfeld starb. Der Sohn stieg in seine Fußstapfen, wurde römischer Offizier, Ritter und Oberhaupt der Privatgarde des Kaisers Diokletian. Später beförderte ihn der Kaiser zum Präfekten.
Doch der Name seines Brotgebers steht für die Christenverfolgung. Im Februar 303 ordnete eben dieser Kaiser per Edikt die Zerstörung christlicher Kirchen und die Verfolgung des Klerus, insbesondere der Bischöfe, an. Die Hauptkirche von Nikomedia wurde zerstört, liturgische Bücher verbrannt und Christen die staatsbürgerlichen Rechte und Privilegien entzogen.
Georg versuchte erfolglos, den Kaiser zu beschwichtigen.
Um nicht an dieser Sache schuldig zu werden, zog er sich aus dem Militärdienst zurück, gab sein Schwert ab, verteilte sein Vermögen an die Armen und engagierte sich für die verfolgten Christen Nikomedia – sehr zum Zorn des Kaisers, der ihn zu Loyalität zwingen wollte.
Georgs Weigerung zog Verhaftung und Folter nach sich, schließlich wurde er zum Tode verurteilt.
Zum Drachentöter wurde Georg, als er im Laufe der Zeit den Anführer einer persischen Räuberbande, den „Drachen“, schlug und sich infolgedessen eine ganze Region dem Christentum anschloss.
Eine blutige Geschichte, die auf allen Seiten Menschenleben fordert, Grausamkeit und Gewalt in Szene setzt und dabei noch immer Material für große Spektakel liefert.
Letzteres erlebten mein Mann und ich in Carceres in der spanischen Estremadura - mit Ritterschlacht und feuerspuckenden Drachen, Christen und Mauren in bunten Kostümen, Getöse, Getümmel und Feuerwerk.
Alles begann mit einem riesigen Festumzug, an dem sich alle Kindergärten und Schulen trotz des späten Abends – es brauchte ja Dunkelheit für die Drachen! – beteiligten.
Und da fanden sich tief einprägsame Bilder.
Nicht nur zogen selbstverständlich auch Kinder und Erwachsene mit Handicaps im Umzug mit, vor allem schoben Ritter in stolzen Rüstungen mit Kettenhemd und Helm friedlich ihre als Dracheneier umgebauten Buggys mit den Jüngsten, die selbstverständlich auch verkleidet waren.
Schwerter zu Pflugscharen ist ein großes Bild.
Es verkörpert eine tiefe Sehnsucht.
Und ist schon längst gewesen, wenn hochgerüstete Kämpfer beide Hände brauchen, um Kinderwagen zu schieben.

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  Essen

Essen

Cornelia Götz, Dompredigerin - 27.04.2024

In einer der andalusischen Kathedralen habe ich ein ungewohntes Abendmahlsbild gesehen: es zeigte eher ein römisches Gelage als eine konzentrierte Tischgemeinschaft und waren nicht nur Männer sondern auch Frauen dabei. Die ganze Szene gab dem gemeinsamen Essen seine sinnliche physische Dimension zurück, die angesichts trockener Oblaten und eines Hauchs von Wein manchmal verloren gehen kann.
Es war eine für uns selbstverständliche Situation, gedeckte Tische und mehr als genug von allem. Und hätte man etwas hören können, dann wäre es vermutlich laut und lebhaft zugegangen wie an jedem Tisch, an dem Menschen sich angeregt unterhalten.
Es dreht sich alles ums Essen – aber auf eine gute Weise.
Die geht uns hier manchmal verloren.
Essen, was man isst oder vor allem eben auch, was man nicht isst, hat unter uns nicht selten politische Dimension und bekommt manchmal parareligiöse Züge. Unzählig viel zu viele Menschen haben keinen normalen Umgang mit Hunger und Sättigung.
Andere kennen gemeinschaftliches Essen nicht.
Vor sechs Wochen hat ein Bürgerrat seine Empfehlungen zu Ernährungsfragen dem Bundestag vorgestellt. Fünf Monate lang hatten 160 ausgeloste Teilnehmer in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Ernährungsexperten und Fachpolitikern über eine Verbesserung der Ernährungspolitik beraten und wie es scheint, sich im Zuhören und Ringen um Mehrheiten geübt.
Am Ende votierten alle für ein kostenfreies und gesundes Mittagessen für alle Kinder und ein verpflichtendes staatliches Label, das das bewusste Einkaufen gesunder Lebensmittel erleichtern soll. Außerdem sollen große Supermärkte noch genießbare Lebensmittel an Tafeln oder andere gemeinnützige Organisationen weitergeben müssen.
Man ahnt den Geist dieser Beschlüsse.
Alle sollen satt werden und niemand durch schlechtes Essen und falsche Ernährungsgewohnheiten krank. Nichts soll umkommen. Nahrung ist kostbar.
Das festzuhalten ist nötig und dringend – und auch die Handschrift von Menschen, die nicht hungern müssen.
Teilhabe und Gemeinschaft, Dank für Gottes gute Gaben, Wegzehrung.
Es gäbe viele Brückenwörter zum Abendmahl.
An seinem letzten Lebensabend stiftete Jesus Christus dieses Zeichen: Menschen sollen gemeinsam essen und trinken, sich ihrer Menschlichkeit und damit tagtäglicher Bedürftigkeit erinnern und zugleich vergewissern, dass wir zu Gott gehören, nicht nur mit der Seele - auch mit dem Leib.
Das befreit uns zur Freiheit.
Nicht jede und jeden für sich, sondern eine für den anderen, alle in einem.

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  Ohne Bilder

Ohne Bilder

Cornelia Götz, Dompredigerin - 26.04.2024

In den zehn Geboten legt Gott uns Menschen ein Bilderverbot und die Heiligung seines Namens ans Herz.
Schon in der Christenlehre mahnte uns unser Katechet, der es nur mit seinen Verlourpapierfiguren und erzählerischer Gabe jahraus jahrein verstand, nicht nur mich zu fesseln, Gottes Name nicht einfach so im Mund zu führen. „O Gott!“ oder gar „Ach Gottchen!“ waren ihm als Alltagsausrufe ein Graus.
Und auch das Bilderverbot ordnete er zunächst so ein: Was bilden wir uns ein (im wahrsten Sinne des Wortes), wenn wir meinen mit unserem begrenzten Horizont und handwerklichen Möglichkeiten, Gott darstellen zu können?
Erst später – als wir bei der Reformation und Lukas Cranach angekommen waren – weitete er sanft: Dass Menschen ihre ganze Kunst und Kreativität auf Gott konzentrieren, um ihm zur Ehre Bilder zu schaffen, die von seiner Herrlichkeit und Geschichte mit uns erzählen, habe zu wunderbarer anrührender Kunst geführt und hilft dem mageren und nüchternen Geist zu glauben. Zudem konnten und können ja nicht alle Menschen lesen. So dienen Bilder auch der Unterweisung.
Und zuletzt lehrte ja Jesus, dass es all diese Gesetze nicht wegen der Gesetze sondern wegen unserer Herzenshärtigkeit gibt.
Daran lässt sich weidlich knaupeln.
Ein ganz anderer Aspekt des Bilderverbotes ist mir in den letzten Tagen in Andalusien aufgegangen. In der wahrlich unbeschreiblich schönen Alhambra in Granada und der schier endlosen Mesquita in Cordoba haben die maurischen muslimischen Künstler vollendete Schönheit geschaffen ganz ohne Menschenbilder – mit Blumen und Wasser, geometrischen Mustern. Es sind filigrane Wunder. Manches scheint sich endlos zu wiederholen – Schönheit in Ewigkeit.
In die Mesquita in Cordoba haben später die Christen eine Kathedrale hineingebrochen. Auch sie – trotz dieses Gewaltaktes - von großer Kunstfertigkeit. Aber sie strotzt von Wappen und Darstellungen der Bischöfe, die bestenfalls ihrer Gottgefälligkeit wegen oder um Macht und Reichtum zu symbolisieren mit ihren Porträts die Wände zieren. Das macht nachdenklich.
Sollte das Bilderbverbot auch verhindern, dass wir Menschen uns überheben, uns und nicht Gott die Ehre geben? Klug wäre das.
Und Glaubenshilfe auch.

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  Markustag

Markustag

Heiko Frubrich, Prädikant - 25.04.2024

Sein Symbol ist der Löwe und allein das ist schon Grund genug, heute über ihn zu sprechen. Denn unser Dom wurde sozusagen von einem Löwen gestiftet, ein weiterer steht vor der Tür und Kenner wissen, dass ein Löwe auch in unserer neuen Orgel sein zu Hause gefunden hat. Doch es geht weder um diese Löwen noch um Heinrich und auch nicht um den auf dem Burgplatz. Heute der Tag des Evangelisten Markus. Er ist der Verfasser des nach ihm benannten Evangeliums, das das älteste der viel Evangelien ist.
Über Markus selbst wissen wir wenig Verlässliches. Er soll Paulus auf einer seiner Missionsreisen begleitet haben, von der er aber vorzeitig zurückkehrte. Die Entstehungszeit seines Evangeliums wird um 70 n. Chr. datiert. Wo Markus das Evangelium verfasst hat, ist umstritten. Möglicherweise war er dabei in Rom, doch auch der Nahe Osten oder die heutige Türkei kommen in Betracht.
Markus soll in Alexandria, wo er das Bischofsamt innehatte, den Märtyrertod gestorben sein. Seine sterblichen Überreste haben bis heute eine ziemliche Odyssee hinter sich. Zunächst in Alexandria begraben wurden sie im Januar 828 von venezianischen Kaufleuten gestohlen und nach Venedig gebracht und dort im Markusdom beigesetzt. Ein Teil der Reliquien wurde von Venedig aus auf die Bodenseeinsel Reichenau transportiert, wo sie heute noch sein sollen. Und von den in Venedig verbliebenen Resten wurde 1968 ein weiterer Teil zurück nach Alexandria gegeben und seitdem in der päpstlichen Markuskathedrale in Alexandria verwahrt. Berühmtheit kann auch anstrengend sein.
Doch wie auch immer: Wir verdanken Markus Berichte aus Jesu Wirkungszeit. Wir finden Gotteswort im Menschenwort und können uns damit immer wieder vergegenwärtigen, was frohe Botschaft heißt und wichtiger noch: welche Relevanz sie in unserem Leben im Hier und Jetzt hat.
Ich stelle dabei immer wieder fest, wie unterschiedlich ich die Worte der Bibel höre, je nach dem, was gerade obenauf liegt in meinem eigenen Leben. Und es überrascht mich oft genug, welche Aktualität aus diesen Worten strahlt, obwohl sie mehrere Tausend Jahre alt sind.
Vielleicht oder wahrscheinlich ist das eine Facette des Heiligen, das die Evangelien und auch die anderen Bücher der Bibel in sich tragen, das Aufleuchten des Heiligen Geistes, der uns zu erkennen und zu verstehen hilft.
So gesehen war der Evangelist Markus eines seiner Werkzeuge. Wie gut, dass Gott uns sein Wort auch durch ihn hat übermitteln lassen. Ein Griff ins Regal genügt und es steht uns zur Verfügung. Gott sei Dank! Amen.

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  Fürchte dich nicht

Fürchte dich nicht

Heiko Frubrich, Prädikant - 24.04.2024

Ich war heute Morgen beim Zahnarzt und jedes Mal, wenn ich im Wartezimmer sitze, erinnere ich mich daran, dass ich als Kind ziemliches Muffensausen hatte, wenn ich mal wieder zum Zahnarzt musste. Mittlerweile ist das nicht mehr so, aber die Erinnerung ist geblieben. Meine Mutter, die mich damals oft begleitete, sagte mir immer, dass ich keine Angst haben müsse. Doch wirklich getröstet hat mich das nicht, denn sie wusste ja genauso wenig wie ich, welche Grausamkeiten mich auf dem Zahnarztstuhl erwarten würden.
Es ist nicht ganz leicht, Menschen echten Trost und Zuspruch zu spenden. Und manchmal machen aus Verlegenheit heraus gesprochene Sätze wie: „Du musst keine Angst haben“ oder „Das wird schon nicht so schlimm werden“, die Situation eher schlechter als besser.
Über dem heutigen Tag heißt es: „Fürchte dich nicht, denn du sollst nicht zuschanden werden.“ Gott spricht diese Worte durch den Propheten Jesaja. Ist das noch so ein Trostwort, auf das man auch gut verzichten könnte? Nein, dass ist es nicht. Denn der es sagt, weiß, was auf uns zukommt. Der es sagt, weiß, wie es in uns aussieht. Er kennt unsere Sorgen und unsere Ängste und in die hinein spricht er uns zu: Fürchte dich nicht.
Über 70-mal wird uns in der Bibel „Fürchte dich nicht!“, gesagt. Ich finde, dass in diesen Worten erlebbar Gottes Liebe zu uns mitschwingt. Gott würde uns niemals belügen. Was er zu uns sagt, dürfen wir für bare Münze nehmen. Wenn er uns die Angst nehmen will, dürfen wir uns fallen lassen in die Gewissheit, dass er für uns sorgen will und wird.
Ja, aber warum nimmt er dann nicht einfach alles Leid in diesem Augenblick von uns und von denen, die unter Hunger leiden, die Todesangst haben in den Kriegs- und Krisengebieten dieser Welt? Warum tut er das nicht? Ich kann diese Frage nicht beantworten. Doch ich weiß, dass wir Ostern im Rücken haben und sehen durften, wie Gott seinen eigenen Sohn durch dessen Leid hindurchgetragen hat.
Und am Ende des Leids stand ein neues Leben – unvergänglich, ewig und in Gottes Herrlichkeit. Dies ist auch unser aller Ziel. Der Weg dorthin ist manchmal ziemlich steinig. Doch bei allen Unwägbarkeiten, die bis dahin auf uns warten, haben wir Gott an unserer Seite. Und er sagt uns: Fürchte dich nicht, denn du sollst nicht zuschanden werden. Amen.

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  Den Glauben wachsen lassen

Den Glauben wachsen lassen

Heiko Frubrich, Prädikant - 23.04.2024

Hier bei uns am Dom standen unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden an den vergangenen Wochenenden im Mittelpunkt. Vor zehn Tagen haben wir Konfirmation gefeiert und vorgestern wurde der neue Konfirmandenjahrgang vorgestellt. Es ist schön, zu sehen, wenn sich junge Menschen auf den Weg machen, um sich mir ihrem Glauben auseinanderzusetzen und das, was ihre Eltern und Paten in der Taufe für sie ausgesprochen haben, selbst bestätigen wollen. Ich bin immer wieder dankbar, wenn ich an den ganz persönlichen Glaubenserfahrungen unserer Konfis teilhaben darf. Ich habe in den vergangenen Jahren viel von ihnen gelernt.
Doch wie ist das denn so ganz grundsätzlich mit dem Thema Glauben? Kann man ihn im Konfirmandenunterricht erlernen oder verhält es sich irgendwie anders damit? Über dem heutigen Tag heißt es aus dem Markusevangelium: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht.“ Und ich meine, dass es sich mit unserem Glauben ähnlich verhält.
Wir müssen säen, was für mich bedeutet, offen und empfänglich zu sein für Gottes Botschaft und für seine Zeichen in unserem Leben. Gott drängt sich nicht auf und wird uns nicht gegen unseren Willen zum Glauben zwingen. Den Samen aufs Land werfen müssen wir schon selbst. Aber dann sind wir auch schon durch mit unserem Part. Alles andere liegt in Gottes Hand. Er schenkt Glauben, er sorgt dafür, dass die Saat aufgeht und wächst.
Das können wir nicht erzwingen. Geduld ist gefragt – auch in Glaubenssachen. Und so wenig das Gras schneller wächst, wenn wir an den Halmen ziehen, so wenig Erfolg werden wir haben, wenn wir mit der Brechstange zu glauben versuchen. Doch ich finde diesen Umstand eher entlastend als frustrierend. Denn wir dürfen uns tatsächlich schlafen legen, und es kommt Tag und Nacht und was derweil in Gottes Werkstatt passiert: Wir wissen es nicht.
Doch wir dürfen uns überraschen lassen in der Gewissheit, dass es Gott gutmachen wird, auch mit uns. Amen.

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  Neues kann werden-jeden Tag

Neues kann werden-jeden Tag

Heiko Frubrich, Prädikant - 22.04.2024

Wenn das Profil an einem Autoreifen ziemlich ist, kann man den Reifen runderneuern. Wenn die Farbe an der Hausfassade bröckelt, hilft der Maler und wenn die Suppe angebrannt ist, muss man den Topfboden kräftig schruppen, dann ist er wieder wie neu. Bei uns Menschen ist das nicht so einfach. Klar, vieles lässt sich auch an uns reparieren mit Pflaster, Zahnprothese oder neuer Hüfte. Doch trotzdem bleiben wir im wahrsten Sinne des Wortes die Alten, denn solche medizinischen Hilfsmittel beseitigen kleinere oder auch größere Schäden, doch sie machen aus uns keinen neuen Menschen.
Das kann man bedauern oder stoisch ertragen – ändern können wir es nicht. Oder vielleicht doch? Über dem heutigen Tag heißt es: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Eine steile These, die der Apostel Paulus da an die junge christliche Gemeinde in Korinth adressiert. Und ganz sicher meint er mit „neuer Kreatur“ keinen von allen Wehwehchen geheilten Körper.
Worauf Paulus anspielt, geht in eine andere Richtung und wenn einer in diesem Zusammenhang weiß, wovon er redet, dann er. Denn Paulus musste am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt und was es bedeutet, „in Christus“ zu sein. Er ist dem Auferstandenen vor Damaskus begegnet. Damals gehörte er noch zu erbittertsten Gegnern der Anhängerschaft Jesu. Doch das ändert sich von jetzt auf gleich. Als ihm Jesus begegnet, stürzt er vom Pferd und kann tagelang weder sehen noch sprechen.
So wird aus dem größten Widersacher der feurigste Fürsprecher und der bedeutendste Apostel der frohen Botschaft – eine Kehrtwende um 180 Grad. Wahrscheinlich sind derart radikale Kursänderungen in unser aller Leben gar nicht erforderlich, denn allein die Tatsache, dass wir uns heute Nachmittag hier im Dom versammelt haben, lässt vermuten, dass wir nicht die größten Feinde des Christentums sind.
Und doch ist Umkehr in fast jedem Leben immer mal wieder ein Thema. Da verlieren wir unseren Glauben im Trubel des Alltags immer mehr aus dem Blick, da verhalten wir uns so, wie es mit christlichen Werten eigentlich nicht zusammenpasst, da rutschen Themen auf unserer privaten Prioritätenliste ganz nach oben, die dort streng genommen nichts zu suchen haben.
Wenn es uns gelingt, unser Denken, Reden und Tun immer mal wieder kritisch zu hinterfragen und uns auszurichten an dem, was Jesus uns vorgelebt hat, dann kann das tatsächlich Altes vergehen und Neues werden lassen. Und die Chance dazu haben wir an jedem neuen Tag. Amen.

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  Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!

Herr, schmeiß Hirn vom Himmel!

Heiko Frubrich, Prädikant - 20.04.2024

Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Bitte sehen Sie mir diese flapsige Bemerkung nach, aber ich könnte mir vorstellen, dass die eine oder der andere von Ihnen bei einem Blick auf diese Welt ähnliches denkt oder sagt. Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Da sehen wir hochgerühmte und angesehene Staatenlenker, gehuldigte Anführer von Milizen und sonstigen Organisationen und in die Nähe von Gottheiten gerückte religiöse Führer und die benehmen sich wie Kinder im Sandkasten der Kita, die sich gegenseitig ihre Förmchen wegnehmen und sich dann mit Plastikschäufelchen auf den Kopf hauen.
Aber halt, der Vergleich passt nicht, denn bei den Sandkastenrangeleien in der Kita gibt es maximal eine kleine Beule am Kopf, wohingegen in den Kriegsgebieten dieser Welt Tausende Unbeteiligter ihre Zukunft, ihre Lieben oder sogar ihr Leben verlieren.
Die Verantwortlichen erklären dann der Weltöffentlichkeit, warum diese gegenseitigen Gemetzel unumgänglich sind, beteuern aber gleichzeitig ihren unbedingten Willen zum Frieden, doch erst einmal müsse man das ukrainische Volk von den dort regierenden Nazis befreien und zurückholen ins russische Heimatland, oder man müsse noch einen letzten Militärschlag ausführen, um die Vergeltung der Vergeltung der Vergeltung zu vergelten. Aber dann könnte eigentlich Schluss sein mit dem Krieg.
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ O-Ton von Jesus Christus in der Bergpredigt. Ja, ich weiß, das ist eine Maximalforderung, die selbst die friedfertigsten Menschen maximal überfordern kann. Aber man könnte zumindest auf die Idee kommen, bevor man dem Gegenüber den nächsten Zahn ausschlägt, mit ihm zu reden.
Und ja, ich weiß auch, dass das alles ziemlich naiv ist. Doch ich finde, dass alles, aber auch wirklich alles besser ist, als die Gewaltspirale immer weiter und immer schneller zu drehen. Und dass wir den Hunger auf dieser Welt von jetzt auf gleich für immer besiegen und wahrscheinlich auch alle Klimaprobleme lösen könnten, wenn wir das Geld nicht in todbringende Raketen und Panzer und Munition investierten, sondern in lebenssichernde Projekte, will ich nur noch einmal kurz erwähnen.
Es wäre alles so einfach, wenn die genannten Verantwortlichen ihr kindisches Sandkastengehabe ablegten und sich tatsächlich verantwortungsvoll verhielten. Und deshalb bleibe ich bei meinem Eingangsstatement: Herr, schmeiß Hirn vom Himmel. Amen.

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  Vom Leben in der Bubble

Vom Leben in der Bubble

Heiko Frubrich, Prädikant - 19.04.2024

Die eigenen vier Wände – sie sind unser Zuhause, unser Rückzugsort, unser kleines privates Reich. Zunehmend an Bedeutung gewinnt aber neben den eigenen vier Wänden auch die eigene Bubble, die eigene Blase, in der wir leben. Diese eigene Bubble sind unsere Bekannten- und Freundeskreise, in denen wir uns bewegen. Uns verbinden mit ihnen dieselben Interessen und Hobbys, eine ähnliche Weltanschauung und politische Ausrichtung und oft auch vergleichbare Werte.
Obwohl wir uns untereinander nicht alle persönlich kennen, sind auch wir hier heute Nachmittag in gewisser Weise eine Bubble, denn wir haben alle eine Beziehung zu Spiritualität, zur Kirche oder zum christlichen Glauben.
Das Leben in so einer Bubble hat eine Reihe von Vorteilen, denn man kann sich darauf verlassen, dass es zwischen den Menschen darin etwas Verbindendes gibt. Wir mögen alle Fans unterschiedlicher Fußballvereine sein oder, so wie ich, mit diesem Thema gar nichts anfangen können, wir mögen ganz unterschiedlich über die Notwendigkeit von Koriander im Essen denken, unseren Urlaub lieber in den Bergen verbringen oder lieber am Meer, aber wir haben uns alle in unserer Dom-Bubble heute Nachmittag hier versammelt.
Schwierig und gefährlich wird es, wenn nicht wir uns für eine bestimmte Bubble entscheiden, sondern von anderen darin einsortiert werden. Sehr gekonnt und sehr subtil geschieht dies mittlerweile in den sogenannten sozialen Netzwerken. Wenn Sie sich auf Instagram oder TikTok ein süßes Katzenvideo ein- oder zweimal gegönnt haben, werden Sie fortan überschüttet mit Katzenvideos. Und wenn Sie sich auf solchen Plattformen ein oder zweimal ein Video mit gut verpackten extremistischen und rassistischen Inhalten angeschaut haben, passiert dasselbe. Der Unterschied ist: Bei den Katzenvideos merkt es jeder sofort, bei der Infiltration mit extremistischem Gedankengut nicht zwingend.
Dadurch wird der Weg in eine Desinformations-Bubble bereitet, den insbesondere jüngere Menschen beschreiten, ohne es sofort zu bemerken. Und so werden Lügen durch permanentes Wiederholen langsam zur gefühlten Wahrheit, der Hass auf Andersdenkende immer stärker und das suggerierte Feindbild immer klarer.
Es ist schwer, dagegen anzukommen. Aufklärung und Wachsamkeit sind ein Weg in die richtige Richtung. Und ich finde, dass wir, die wir uns in unserer Bubble heute Nachmittag hier versammelt haben, eine besondere Verantwortung tragen. Denn wir berufen uns auf Jesus Christus, der ein großer Freund der klaren Botschaft ist und uns sagt: „Wenn ihr bleiben werdet bei meinem Wort, so werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Amen.

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  Leihmutterschaft-ein biblisches Thema

Leihmutterschaft-ein biblisches Thema

Heiko Frubrich, Prädikant - 18.04.2024

Am vergangenen Sonntag wurde in vielen unserer Kirchen über die Geschichte von Sarai, Hagar und Abraham gepredigt. Es geht darum, dass Gott Abraham viele Nachkommen versprochen hat, doch seine Frau Sarai nicht schwanger wird. Daraufhin beschließt Sarai, Abraham ihre Sklavin Harar zur Verfügung zu stellen, damit Abraham mit ihr ein Kind zeugt. Sarai macht damit ihre Sklavin zwangsweise zur Leihmutter, denn Hagar hatte als Slavin ganz sicher keine Möglichkeit, nein zu sagen.
Wie klingt diese alttestamentliche Geschichte vor dem Hintergrund der Forum-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche? Wie klingt diese Geschichte angesichts der aktuellen Diskussionen über die Legalisierung von Leihmutterschaft in unserem Land? Fakt ist, dass die Position der Sklavin Hagar ausgenutzt wird. Ihre Rechtlosigkeit geht soweit, dass sie noch nicht einmal über ihre eigene Mutterschaft entscheiden darf. Sie wird dazu gezwungen.
In Deutschland ist Leihmutterschaft verboten, in vielen anderen Ländern dieser Erde nicht. Wenn man sich mit diesem Thema etwas intensiver beschäftigt, wird man immer wieder mit Darstellungen konfrontiert, in denen beteuert wird, dass die Leihmütter sich natürlich ohne jeden Zwang dafür entscheiden, ein Kind für ein anderes Paar auszutragen. Ich glaube schon, dass niemand mit vorgehaltener Pistole vor diesen Frauen steht. Aber ist nicht bereits das Ausnutzen eines wirtschaftlichen Gefälles eine Art von Zwang?
Gerade in Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen viel Armut herrscht, wird Leihmutterschaft verstärkt und in hohem Maße kommerzialisiert angeboten. Es gibt dort Kliniken, die sich ausschließlich darauf spezialisiert haben und über das Internet Komplettpakete anbieten – vom Katalog mit detaillierten Beschreibungen der Eizellenspenderinnen über die Erledigung bürokratischer Anforderungen bis hin zum abholbereiten Baby.
Nach regionalen Maßstäben bekommen die Leihmütter viel Geld dafür, dass sie ihren Körper zur Verfügung stellen. Doch wie viele es aus wirtschaftlicher Not tun, erfährt man nicht. Wie hoch die gesundheitlichen Risiken durch die erforderlichen Hormonbehandlungen und die eigentliche Schwangerschaft sind, bleibt im Dunkeln. Und welche Traumata diese Frauen erleiden, wenn ihnen das Kind, dass neun Monate in ihrem Bauch herangewachsen ist, weggenommen wird, interessiert oft niemanden.
Bei uns in Deutschland werden, wie gesagt, Diskussionen geführt, Leihmutterschaft unter bestimmten Voraussetzungen zu erlauben. Ich hoffe sehr, dass man dabei von den beteiligten Menschen her denkt – von den kinderlosen Paaren aber eben insbesondere auch von den potentiellen Leihmüttern und den von ihnen geborenen Kindern.
Die Leihmutterschaftsgeschichte von Hagar, Sarai und Abraham ist auch eine Geschichte über sexualisierte Gewalt und damit eine Leidensgeschichte. Das sollte man bei allen Diskussionen nicht aus dem Blick verlieren. Amen.

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  Nicht einknicken!

Nicht einknicken!

Heiko Frubrich, Prädikant - 17.04.2024

Kirche muss zu den Menschen, denn Gottes frohe Botschaft muss unters Volk. Das kann auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen passieren – ganz klassisch durch Gottesdienste, digital über die Homepage oder Social-Media-Auftritte oder auch durch Aushänge im guten alten Schaukasten. Genau das hat die St. Michaelisgemeinde gemacht. Die schöne mittelalterliche Kirche steht am westlichen Rad der Braunschweiger Innenstadt, doch das Einzugsgebiet reicht deutlich weiter und umfasst auch den Bereich rund um den Frankfurter Platz. Dort droht, ausgehend von einem Tattoo-Studio ein Nazi-Kiez zu entstehen. Die Anwohner sind besorgt, es kam bereits zu Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen mit Baseballschlägern; Methoden, die aus dem rechten Milieu sehr bekannt sind.
An diesem Frankfurter Platz hängt nun ein Schaukasten der St. Michaelis-Gemeinde, in dem die Gemeinde folgendes Statement ausgehängt hat:
„Unser Kreuz hat keine Haken. Wir wollen Herz statt Hetze. Herkunft kann man sich nicht aussuchen, Heimat schon. Wir glauben, dass Falafel gut zu Sauerkraut passt und es sich miteinander schöner leben lässt als gegeneinander. Unser Horizont ist weit wie der Himmel überm Ostseestrand. Regenbogen inklusive. Demokratie heißt, das Wohl aller zu wollen und dabei manchmal auch unterschiedlicher Meinung zu sein. Rassismus ist keine Meinung. #wirsindmehr“
Diese offene Haltung, die einlädt und nicht ausgrenzt, die integriert und nicht diskriminiert, die den Menschen in den Blick nimmt, egal, woher er kommt, egal, welche Hautfarbe er hat, egal, welchen Bildungsgrad, egal, welche sexuelle Orientierung, diese offene Haltung passt manchen nicht in den Kram. Und die Hemmungen, diese Ablehnung nicht nur in Worten, sondern auch in Taten zu äußern, nehmen immer weiter ab und machen auch vor kirchlichen Einrichtungen nicht mehr halt.
Diese sich radikalisierende Stimmung wird aus rechten Kreisen ganz bewusst geschürt. Das Ziel ist, was man früher nur denken konnte, heute auch sagbar zu machen und was man früher nur sagen konnte, heute auch umsetzbar werden zu lassen. Und so werden rechte Hassparolen immer salonfähiger und rechtsextreme und verfassungsfeindliche Politiker werden in Talkshows eingeladen, als gäbe es nichts, was normaler ist.
Die St. Michaelis-Gemeinde hat den Schaukasten bereits gereinigt und wird sich nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Gut so! Kirche muss Rückgrat zeigen und darf nicht einknicken vor denen, die die Gottgleichheit eines jeden Menschen in Frage stellen und der Welt weismachen wollen, dass manche Menschen wertvoller sind als andere. Gottes Geist ist ein Geist der Freiheit, des Friedens und der Liebe. Alles andere ist mit Jesu Botschaft nicht vereinbar und es ist Aufgabe von uns Christenmenschen, der Welt das zu sagen. Amen.

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  Mauern

Mauern

Heiko Frubrich, Prädikant - 15.04.2024

Gestern haben wir hier im Dom Konfirmation gefeiert. Zwölf junge Menschen haben sich eindrucksvoll zu Gott bekannt und durch das erneute Entzünden ihrer Taufkerzen an der Osterkerze ihre Taufe bestätigt. „Ja, ich bin bereit!“, haben sie auf die Frage geantwortet, ob sie Gott, seinem Wort und seiner Botschaft Raum im eigenen Leben einräumen wollen.
Im Rüstgottesdienst am Samstagabend hatten die Konfirmandinnen und Konfirmanden ihre Konfirmationssprüche vorgestellt und vor der Gemeinde erläutert, warum sie sich gerade für dieses spezielle Bibelwort entschieden hatten. Und es war beeindruckend und bewegend zu hören, welchen Tiefgang diese ganz persönlichen Glaubensbekenntnisse hatten.
Einer der Konfirmanden, der dauerhaft im Rollstuhl sitzt, hatte ein Wort aus dem 18. Psalm gewählt. Dort heißt es in Vers 30: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Und er sagte, dass ihm Gott dabei hilft, die Grenzen zu überwinden, die er alleine nicht überwinden kann.
Was für ein Statement von diesem jungen Menschen! Und wie sehr er uns allen damit auch ein Beispiel gibt, was Gottvertrauen bedeutet. Wir sind in so vielem begrenzt. Und damit meine ich nicht nur unsere ganz unterschiedlich ausgeprägte physische Begrenztheit, wenn es darum geht über mehr oder weniger hohe Mauern aus Beton und Stein zu springen.
Es gibt so vieles, das unser Leben belastet – die ganz persönlichen Sorgen, Nöten und Ängste genauso, wie das Leid anderer. Und gerade davon gibt es in unseren Tagen so viel und es ist oft so unsinnig und vermeidbar. All das macht uns betroffen, nimmt uns Lebensfreude und verstärkt vielleicht auch unsere Glaubenszweifel.
Aus all dem will uns Gott heraushelfen. Er ist an unserer Seite und verspricht, uns zu begleiten, ganz egal, was auch kommen mag. Diese Gewissheit soll uns nun nicht gleichgültig werden lassen gegenüber allem anderen und insbesondere nicht gegenüber der Not unserer Mitmenschen. Aber es kann unseren Blick weiten, uns wieder Raum geben, tief durchzuatmen in der Gewissheit, dass Gott da ist und es am Ende gutmachen wird.
So können auch wir über die Mauern springen, die unsere Gedanken, unseren Blick, unsere Gefühle und auch unseren Glauben begrenzen. So stellt Gott unsere Füße wieder auf weiten Raum und lässt uns erfahren und erleben, welche wunderbare Freiheit er uns damit schenkt. Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen. Und Sie können das auch! Amen.

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